Der 26. April 1986 ist ein Tag, der in die Geschichtsbücher einging. An diesem Tag kam es nämlich in Block 4 des Atomkraftwerkes in Tschernobyl zum GAU und somit zum größten Unfall in Verbindung mit Atomenergie aller Zeiten. Bis heute sind die Folgen gravierend und führen uns immer wieder aufs Neue vor, wie gefährlich solche Anlagen doch sein können. Jedoch kann es durchaus schwer sein, das gesamte Ausmaß zu verstehen, hat man es nicht miterlebt. Hier möchte nun das sehr ambitionierte „Chernobyl VR Project“ Abhilfe schaffen und allen PlayStation VR-Besitzern ermöglichen, die Trümmer einer einstigen Hochburg zu erkunden. Ob man aber auch wirklich dieses Gefühl vermittelt bekommt oder nur einen erweiterten Dokumantarfilm schauen darf, haben wir für euch herausgefunden.

Aller Anfang ist chaotisch

Das größte Problem wird direkt im Hauptmenü offenbart, denn dem Titel fehlt es schlichtweg an Fokus. Wählt man eine neue Tour aus, wird man in den Himmel befördert und darf von hier aus verschiedene Orte auswählen. Welche man davon zuerst ansteuern sollte, wie sie miteinander verbunden sind, das alles wird schlichtweg nicht beantwortet. Es ist schade, denn eine richtige Tour hätte nicht nur den Zeitplan erläutern, sondern den Spieler sehr viel stärker emotional einbinden können. Das fehlt aber, weshalb man schlicht weitere Menüpunkte auswählt.

Eine zu reale Wirklichkeit

Hat man sich einmal damit abgefunden, wartet eine spannende Reise auf die Spieler. Man besucht nämlich zahlreiche Orte und erlebt, in welchem Zustand diese nun sind. Am fesselndsten sind genau die Passagen, in denen man frei herumlaufen darf. Das geht zum Beispiel in einem Krankenhaus, in dem kaputte Geräte den Verfall zeigen, oder einer Schule, in der das Chaos permanent ein ungutes Gefühl auslöst. Man betritt tatsächlich diese Gebiete und versucht sich vorzustellen, wie vor all den Jahren hier Erwachsene und Kinder ihrem Alltag nachgingen, bis ein furchtbarer Moment so viele Leben grundlegend veränderte. Da muss man sich auch nicht schämen, wenn die Brille etwas feucht wird.

Leider fällt es aber manchmal auch schwer zu sagen, wie genau diese Orte vorher aussahen. Eine Stärke der Technologie ist es nämlich nicht nur, reale Orte vom eigenen Wohnzimmer aus zu besuchen. Auch eine Zeitreise wäre möglich, um eben Sachen zu sehen, die so in der Realität nicht mehr vorhanden sind. Das wäre zwar ein mit Abstand größerer Aufwand gewesen, dennoch kann man als Zuschauer diese verpasste Chance nur schwer ignorieren. Die nüchterne Betrachtungsweise wird sicherlich deswegen nicht jedem gefallen, während andere die Stille schätzen werden.

In einer Dokumentation

Nicht alle Orte kann man frei begehen, denn andere sind ausschließlich als 360 Grad-Video verfügbar. Hier kommt dann der echte Dokumentar-Anteil zustande, da Experten zu sehen sind, die dem Zuschauer direkt erklären, was passiert ist. Das wirkt erst ein wenig simpel, doch sobald man sich an die Ansicht gewöhnt, wird man regelrecht gefesselt. Die Einzelheiten werden derart genau erzählt, dass man nahezu entsetzt ist und dank der Umgebung wirklich begreift, was für ein Schicksal den Bürgern von Tschernobyl widerfahren ist. Vor allem die Geschehnisse nach dem Unglück und wie die damalige Regierung mit den Leuten umgegangen ist, lässt die Nutzer fassungslos zurück. Es werden tatsächlich alle Einzelheiten aufgearbeitet, das funktioniert dank VR aber noch besser und immersiver, als es am Bildschirm möglich wäre. Die einzige, bessere Alternative wäre wohl, die Stadt selbst zu besuchen, was jedoch auch nicht komplett sicher ist.

Ein wenig enttäuschend sind nur die Standbilder. Diese sehen im Vergleich zum Rest eher dürftig aus und vermitteln nicht denselben Eindruck. Tatsächlich könnte man sogar meinen, normale Bilder würden denselben Effekt haben. Das ist aber nicht weiter schlimm, da diese nur einen kleinen Teil des Gesamtpaketes ausmachen. Zudem ist die selten vorhandene musikalische Untermalung sehr effektiv und unterstreicht die Atmosphäre, übertönt sie aber nicht oder erzwingt eine emotionale Reaktion. Die stillen Momente sind genauso stark, um dem Zuschauer ein unwohles Gefühl zu geben. Dies ist aber nicht das Ziel der Entwickler, denn sie erzählen einfach sehr anschaulich, was wirklich passiert ist und wie der Ort nun aussieht. Wenn man trotz dieser nüchternen Erzählweise emotional wird, ist das ein starkes Argument für den Titel. Problematisch wird es nur, wenn Videos abrupt enden, ohne schön ausgeblendet zu werden. Auch an den polnischen Akzent der englischen Sprachausgabe muss man sich erst gewöhnen.

Fazit

„Chernobyl VR Project“ ist ein fesselndes Werk, das als Dokumentation wunderbar funktioniert. Trotz der technischen Limitierungen der Hardware haben es die Macher geschafft, den Zuschauer an einen realen, unglaublichen Ort zu führen. Die erzählerischen Elemente sind sehr gut ausgearbeitet und auch die Schauplätze erzeugen Gänsehaut, selbst wenn nichts gesagt wird und man sich einfach nur vorstellt, was 1986 geschehen ist. Den Umständen entsprechend verzichten wir auf eine Wertung; wer jedoch eine Geschichtsstunde der besonderen Art erleben möchte, darf sich das Werk gerne anschauen.