Wenn über den amerikanischen Entwickler Sucker Punch Productions geredet wird, dann dreht sich das Gespräch entweder um die „Sly Cooper“- oder um die „inFAMOUS“-Reihe. Während der draufgängerische Waschbär im letzten Jahr unter falscher Flagge von Foster City/Kalifornien noch einmal die PlayStation 3 unsicher gemacht hat, wurde in seiner Heimatstadt Bellevue/Washington fleißig an der dritten Episode der „inFAMOUS“-Reihe für die PlayStation 4 gearbeitet. Nun ist die Wartezeit endlich vorbei und wir konnten einen Blick auf „inFAMOUS: Second Son“ werfen. Natürlich haben wir unsere Sachen gepackt und sind mit Jungspund Delsin Rowe auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer durch Seattle gestreift.


Geschichte

Delsin Rund und sein Bruder Reggie sind amerikanische Ureinwohner vom Akomish-Stamm. Die beiden Brüder lebten in einem Vorort von Seattle bislang ein eher ruhiges Leben. Doch bei einer Rettungsaktion nach einem Busunglück eines Gefangenentransports stellt sich heraus, dass Delsin ein Conduit ist. Damit ist er auf die Fahndungsliste des Department of Unified Protection (D.U.P.) gelangt, welches nach den Ereignissen von Empire City und New Marais vor sieben Jahren gegründet wurde, um Conduits, die mittlerweile den Status von Bioterroristen haben, zu suchen, zu jagen und auf ewig einzusperren. Der Akomish-Stamm bekommt die Rücksichtslosigkeit der D.U.P. auf der Jagd nach Conduits zuerst zu spüren. Die Brüder machen sich daraufhin nach Seattle auf, um sich selbst und ihre Stammesangehörigen zu retten.

Seattle braucht einen Helden

Nach einer kurzen Einführung, die Delsin als jungen Heißsporn und seinen Bruder Reggie als verantwortungsbewussten Sheriff darstellt, macht man sich gemeinsam auf nach Seattle. Seattle ist wesentlich größer als Empire City und New Marais und reicht vom Golden Garden Park vorbei am legendären Space Needle auf der Broad Street und dem Lake Union bis zum Madison Park am Lake Washington. Das Stadtgebiet ist dabei in die bekannten Stadtteile, wie Queen Anne und Georgetown, unterteilt. In der amerikanischen Großstadt leben etwas mehr als eine halbe Millionen aufmerksame Einwohner. Seitdem das Department of Unified Protection Seattle sie als einen Rückzugsort für Conduits ausgemacht hat, patrouillieren allerdings schwerbewaffnete Soldaten und Panzerfahrzeuge durch die Straßen immer auf der Suche nach verdächtigen Personen. Die ganze Stadt befindet sich quasi unter militärischer Kontrolle. Keine idealen Bedingungen, um sich als Conduit frei in ihr bewegen zu können. Zumal auch die Verbrechensquote stark gestiegen ist und die Einwohner von Seattle eigentlich einen Helden brauchen, der sie beschützt. Eine Tatsache, die auch dem jungen Delsin Rowe nicht entgeht und der er sich in seinem ersten Abenteuer regelmäßig stellen muss.


Auf den Spuren von Cole McGrath

Genauso wie Cole McGrath muss auch Delsin bei seiner Suche moralische Entscheidungen treffen, die beispielsweise positive Auswirkung auf die Einwohner von Seattle haben, aber mit negativen Folgen für die Conduits oder ihn selbst verbunden sind. So ist die erst moralische Entscheidung beispielsweise, ob man sich als Conduit offenbart und einen Kampf gegen die D.U.P. riskiert oder seine eigene Haut auf Kosten der eigenen Stammesangehörigen retten möchte. Auf den Punkt gebracht hat das moralische System zwei Seiten: Wer den Bürgern von Seattle hilft, dessen Karma verschiebt sich ins Blaue zum Guten. Wer den Bürgern dagegen schadet, dessen Karma wechselt ins Rote zum Bösen. Delsins Bruder Reggie ist Polizist in Seattle und so etwas wie das gute Gewissen von Delsin. Reggie versucht immer die moralischen Entscheidungen von Delsin zum Guten zu lenken. Fetch Walker ist sein Gegenstück. Die Dame mit den pinken Haaren ist ebenfalls ein Conduit mit Neon-Kräften und hat weder für die derzeitige Regierung noch für die Einwohner von Seattle ein nettes Wort über.

Kampf mit Rauch und Neon

Delsin kann als Conduit sowohl Rauch- als auch Neo-Fähigkeiten einsetzen, allerdings nicht gleichzeitig. Das ist möglich, da er Kräfte von anderen Conduits einmalig absorbieren und danach durch das Anzapfen einer entsprechenden Kraftquelle einfach austauschen kann. Bei Rauch zählen zu den Kraftquellen beispielsweise brennende Autos oder Kamine von Häusern, bei Neon Reklameschilder oder Geschäftsbeleuchtungen. Delsin wird diese Kraftquellen natürlich nicht nur für den Kraftwechsel anzapfen, sondern auch wenn seine Kräfte durch deren Einsatz geschwächt ist. Zu Beginn des Abenteuers wird man allerdings erst einmal nur mit der Rauch-Fähigkeit durch die Straßen von Seattle ziehen und mit dem Rauchsprint durch die kleinsten Löcher in Barrieren oder sogar durch Lüftungsschächte vorrücken. Erst später kommt auch die Neo-Fähigkeit hinzu. Inwieweit man noch auf weitere Fähigkeiten hoffen kann, sei an diesem Punkt allerdings nicht verraten.

Die Fähigkeiten können an einer Art Kräftebaum durch den Einsatz von Explosionsscherben verstärkt und erweitert werden. Einige der Erweiterungen kann man allerdings nur aktivieren und anschließend einsetzen, wenn die getroffenen moralischen Entscheidungen dazu geführt haben, dass man einen bestimmten Level auf Seiten des Guten oder des Bösen erreicht hat. Der Rauchschuss ist beispielsweise eine neutrale Erweiterung, der Schwefel-Volltreffer der Schwefelgranate eine Erweiterung für Conduits mit positivem Karma und die auslöschende Explosion dagegen eine Erweiterung für Conduits mit negativem Karma. Insgesamt wirkt das Kräftesystem durchdacht, allerdings auch nicht wirklich neu. Bereits die ersten beiden „inFAMOUS“-Episoden liefen nach einem ähnlichen Schema ab. Spielerisch bleibt man dem alten Spielkonzept treu. Zudem halten sich die spielerischen Unterschiede beim Einsatz von Rauch, eher für Kämpfe und Anstiege, und Neon, eher für Geschwindigkeit, doch in Grenzen. Im Endeffekt nimmt man meist die Kraft, von der sich in der nahen Umgebung genügend Energiequellen befinden oder die man stärker ausgebaut hat.


Erforsche Seattle!

Wer durch Seattle streift, gleitend oder sich einfach vom Wind tragen lassend, wird schnell merken, dass „inFAMOUS: Second Son“ sich in Bezug auf Nebenaufgaben so einige Ideen bei der „Assassin’s Creed“-Reihe abgeschaut hat. Neben der bekannten Suche nach den Explosionsscherben und kleineren Missionen, wie das Ausschalten von Drogendealern, das positives Karma verschafft, oder das Verprügeln von Demonstranten, das zu negativem Karma führt, hat man sich nämlich so einige Sachen einfallen lassen; unter anderem das Zerstören von Überwachungskameras, das Aufspüren von feindlichen Agenten, die Suche nach Audio-Protokollen und das Besprayen von Häusern, Plakaten und anderen Wandflächen. In jedem Stadtteil sind derartige Aufgaben zu finden, die einmal ausgeführt die Kontrolle der D.U.P. über diesen Stadtteil mehr und mehr schrumpfen lassen. Wurden alle Aufgaben ausgeführt, kann man in dem entsprechenden Stadtteil zum finalen Kampf gegen die D.U.P. antreten. Wer dann die auffahrenden Panzerfahrzeuge, Soldaten, etc. komplett besiegt, hat diesen Stadtteil für die Bevölkerung zurück erobert und somit sicher gemacht. Der Schwierigkeitsgrad ist übrigens einsteigerfreundlich. Auch auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad ist „inFAMOUS: Second Son“ zu bewältigen, gerade wenn man sich zunächst auf die Suche nach den Explosionsscherben begibt.

Coles Vermächtnis

Das Ende von „inFAMOUS 2“ war auch das Ende der Geschichte um Cole McGrath. Da es allerdings durch die Entscheidungsmöglichkeiten Gut und Böse zwei unterschiedliche Enden gab, blieb man bislang im Dunkeln wie die Geschichte tatsächlich endet. Sucker Punch Productions beantwortet die offenen Fragen nun in der DLC „Coles Vermächtnis“, welches in der Special- und Collector’s Edition enthalten ist.


Technik

Seattle selbst ist grafisch eindrucksvoll und wartet mit vielen bekannten Wahrzeichen, wie dem berühmten Space Needle, auf. Die Stadtteile, die vom Market Restrict bis hin zu Georgetown reichen, haben jeweils ihren eigenen Charme; gerade bei Dunkelheit, etwas Wasser auf den Straßen und den bunten Werbereklamen an den Häusern. Die Charaktere, allen voran Delsin, Reggie und Fetch, wissen zu überzeugen, auch wenn Delsin im Vergleich zu Cole und Reggie im Vergleich zu Zeke etwas blass daher kommen. Das mag vielleicht auch mit der veränderten Rollenaufteilung des ernsten (jetzt Reggie, vorher Cole) und des lockeren Typen (jetzt Delsin, vorher Zeke) zusammenhängen, durch die etwas des Charme der „InFAMOUS“-Reihe verloren geht. Die grafische Darstellung sowohl der Soldaten als auch der Einwohner von Seattle überzeugt allerdings nur bedingt. Bei letzteren fällt das vor allem auf, wenn man sich in den unterschiedlichen Stadtteilen auf die Suche nach den Geheimagenten macht. Erkennbar ist, dass Sucker Punch auf die grafische Präsentation der Rauch- und Neon-Kräfte besonderen Wert gelegt hat. Gerade wenn die Neo-Fähigkeiten zum Einsatz kommen, wird ein wahres Farbenfeuerwerk entfacht.

„inFAMOUS: Second Son“ ist allerdings unserer Meinung nach nicht das absolute, grafische Vorzeigeprodukt, auch wenn es gelegentlich durchaus schön anzusehen ist. Akustisch bekommt man so einiges auf die Ohren, wie beispielsweise tolle Soundeffekte und eine sehr gute, deutsche Sprachausgabe.