Mensch was waren wir alle baff, als Ubisoft während der E3 2012 erstmals „Watch_Dogs“ der Öffentlichkeit vorstellte. Und wie groß war die Enttäuschung, als bekannt wurde, dass das ambitionierte Open World-Spiel es nicht zum Start der PlayStation 4 schaffen würde. Zuletzt die Enttäuschung, dass „Watch_Dogs“ nicht so aussehen würde, wie noch 2012 versprochen. Die Achterbahnfahrt, die wir mit „Watch_Dogs“ hinter uns haben, macht das Spiel wohl zur spannendsten Veröffentlichung des Jahres 2014. Fackeln wir also nicht lange und fühlen dem Spiel auf den Zahn.

Willkommen in Chicago

In „Watch_Dogs“ schlüpft der Spieler in die Rolle von Aiden Pearce, vom äußeren gesehen ein unauffälliger Durchschnittstyp, versteckt hinter tief sitzender Kappe und unter langem Mantel. Hinter dieser Kostümierung steckt jedoch ein wahres Mastermind, der mit seinen Fähigkeiten als Hacker in nahezu jedes Computer-System einbrechen kann – alles was er dazu braucht ist sein Smartphone. Möglich ist es ihm dank dem CtOS, eine Sicherheitssoftware, die ganz Chicago überwacht und kontrolliert, die Aiden jederzeit anzapfen kann. Wie es so kommt, geht während eines großen Coups etwas schief. Aiden findet sich unfreiwillig mitten in einer Verschwörung wieder und bei einem verunglückten Anschlag zahlt seine Nichte mit dem Leben für Aidens Fehler.

Zwischen Korruption, Gewalt und Verrat

„Watch_Dogs“ hatte das Potenzial, mit seiner Handlung und Setting den Nerv der Zeit zu treffen. Sicherheitsbehörden, die aus Sammelwut das gesamte Internet abhorchen, mit dem Vorwand potenzielle Straftaten zu verhindern – das erinnert doch an einen gewissen Herrn Snowden und dem wohl größten Thema des letzten Jahres. Doch schnell kristallisiert sich heraus, dass „Watch_Dogs“ eine andere Geschichte erzählt. Viel eher geht es um Themen wie Rache, Schuldgefühle oder Selbstjustiz; im Mittelpunkt ein verbitterter, zynischer Antiheld, dem jedes Mittel Recht ist und zu dem man nur schwer einen persönlichen Zugang finden kann. Der Umstand, dass ganz Chicago von einem gigantischen Sicherheitsapparat überwacht wird, an dem sich auch noch jeder bedient wie es ihm gerade passt, wird selbstverständlich betrachtet und dient eher als Rahmen statt Mittelpunkt. Mit „Watch_Dogs“ bekommt man einen spannenden Rache-Thriller geboten, der zwar nur langsam seine Fahrt aufnimmt, den Spieler aber in Chicagos düstersten Ecken und Geheimnisse einführt. Schnell findet man sich zwischen Korruption, Verrat und Gewalt wieder. Öfters sieht man sich vor die Frage gestellt, ob der es das alles wert ist und der Zweck wirklich die Mittel heiligt.

Ist der Abspann schließlich über den Bildschirm gelaufen, stellt sich die Frage, welche Geschichte man hier nun erzählen wollte. „Watch_Dogs“ bedient sich an gewaltigen Themenkomplexen, schneidet sie an und schafft es leider nicht, diese zufriedenstellend zu Ende zu erzählen. Sollte „Watch_Dogs“ tatsächlich die Geschichte der persönlichen Rache Aiden Pearces sein, hätte es zumindest nicht geschadet, dem zynischen Antihelden ein wenig mehr Persönlichkeit einzuhauchen. Bis auf eine Mission, in der Aiden beim Geburtstag seines Neffen auftaucht, bleibt seine persönliche Gefühlswelt meist unbeleuchtet.

Das übliche Open World-Schema

Die Missionen erstrecken sich so, wie wir es aus vielen anderen Spielen kennen, nach einem durchlaufenden Schema. Man sucht die nächste Mission auf der Karte heraus und fährt zum Ort hin, um meist etwas zu hacken, einen Gegenstand einzusammeln oder eine Zielperson ausfindig zu machen. Das ganze endet dann entweder in einer wilden Verfolgungsjagd oder brachialem Schusswechsel. Das bewährte Schema ist zwar auch in „Watch_Dogs“ unterhaltsam, doch am Schluss bleibt wenig Abweichung und Abwechslung unter dem Strich stehen, an die man sich erinnern würde.

Inwieweit man während den Missionen auf seine Fähigkeiten als Profi-Hacker zurückgreift, bleibt dem Spieler selbst überlassen. Das Übernehmen der Kameras kann beim Eindringen in feindliches Gebiet sich als äußerst nützlich erweisen, da man auf diese Weise das Gelände überprüfen und die Gegner markieren kann. Im späteren Spielverlauf kann man hierfür aber auch ein Item fertigen oder kaufen, welches diese mühselige Aufgabe übernimmt. Natürlich kann der Spieler auch kleinschrittig seine Gegner an explosive Stromkästen locken und diese per Überspannung hochjagen – schneller geht es in vielen Fällen aber, wenn man sich von Deckung zu Deckung schleicht und Gegner mit einem gezielt platziertem, schallgedämpften Schuss ausknipst. Da Pearce aber sowieso am Abzug geübt ist, kann er auch gleich ein Feuergefecht vom Zaun brechen. Nur in seltenen Fällen ist man tatsächlich darauf angewiesen, seine Umgebung zu manipulieren. Die Hacking-Möglichkeiten stellen den Großteil der Zeit so eher ein hilfreiches Instrument dar. Zugegebener weise fühlt es sich doppelt so cool an, eine gesamte Mission zu absolvieren, indem man alles von einer Kamera aus hackt, ohne sich aus seinem Versteck zu bewegen zu müssen.

Von einer Nebensache zur nächsten

Open World typisch gibt es aber noch genügend, was der Spieler abseits der Hauptmissionen erleben kann. Wer die 100 Prozent Marke knacken möchte, bekommt einiges geboten. Etliche sammelbare Gegenstände, Verbrechen, die verhindert werden wollen, wilde Verfolgungsjagden, Aussichtspunkte in Form von Antennen, die weitere Nebenmissionen freischalten oder Freizeitvertreibe wie besinnliches Schach oder im direkten Kontrast: ein sinnfreies Trinkspiel. Dennoch bleibt es bei Nebensächlichkeiten, die ganz unterhaltsam sind, aber stets dem gleichen Schema folgen. Spätestens wenn man die dritte oder vierte Antenne zur Umgebungserschließung gehackt hat, hat man das Schema erkannt. Wie schon bei den Hauptmissionen gibt es enorm wenige Abweichungen, die einem im Gedächtnis bleiben.

Dabei gibt es einige Features, denen ich spannend entgegen gesehen hatte, die sich jedoch in der Beiläufigkeit verlaufen. Bestes Beispiel hierfür ist das Ruf-System, das rechtmäßiges Handeln belohnen und Verbrechen bestrafen soll. Zeigt man sich gegenüber den Bewohnern Chicagos hilfreich und verhindert Verbrechen steigt der Ruf unter den Bewohnern an und sie unterstützen den Spieler. Bei Verbrechen, wie das Ausrauben von Läden oder Töten von Passanten – es sei dahingestellt ob mutwillig erschossen oder unabsichtlich unter die Räder gekommen – sinkt das Ansehen bei den Bewohnern. Das soll zur Folge haben, dass man auf der Straße von Passanten erkannt wird und diese dann die Polizei alarmieren – das klingt zumindest in der Theorie spannend. Solange man nämlich nicht wie ein Berserker durch die Straßen zieht, hat das Ruf-System keinerlei nennenswerten Einfluss auf das Spielerlebnis.

Weniger ist manchmal mehr

Ähnlich verhält es sich mit Geld oder Fahrzeugen. Beiläufig kann man während des Spielverlaufs ein kleines Vermögen anhäufen, indem man die Konten jedes vorbeilaufenden Passanten mit einem einzelnen Knopfdruck hackt und sich das Geld anschließend am Automaten auszahlen lässt. Anfangs mag man sein Erspartes noch ausgeben wollen, doch schnell stellt sich die Frage wofür überhaupt? Fahrzeuge braucht man nicht freischalten, denn viel einfacher geht es wenn man sie sich einfach auf der Straße stiehlt. Ebenso verhält es sich mit Waffen, die man wunderbar seinen erledigten Gegnern abluchsen kann. Die Motivation hinter den diversen Minispielen geht letztendlich deswegen verloren, weil das zu gewinnende Preisgeld wertlos ist. Man merkt, dass in „Watch_Dogs“ viele gute Ideen stecken, doch es wohl schlauer gewesen wäre, sich auf weniger zu konzentrieren. So werden viele spannende Einfälle mit großem Potenzial zu vielen – bloß – unterhaltsamen Nebensächlichkeiten.

Wer tatsächlich nicht weiß was er anstellen soll, der sollte sich die Zeit nehmen und einmal in Ruhe die Passanten beobachten. Es ist beachtlich, dass man tatsächlich jedem Bewohner Chicagos in Form eines kleinen Satzes einen eigenen Hintergrund verliehen hat, der durch SMS und Telefonate, die abgehört werden können, weiter vertieft wird. Böse Zungen würden behaupten, dass die Personen auf der Straße durch ihre alltäglichen Handlungen mehr Persönlichkeit haben, als der schweigsame und kalte Protagonist Aiden Pearce.

Spannende Online-Ansätze

Außerhalb von Missionen kann es übrigens passieren, dass man von Fixern, also anderen Spielern gehackt wird. In diesem Fall muss man seinen nun als NPC getarnten Gegenspieler finden und ausschalten, bevor dieser seinen Hack erfolgreich durchführen kann. Das erinnert zum einen an die Invasion aus „Dark Souls“ als auch dem Multiplayer-Modus von „Assassin’s Creed“, in dem es gilt in der Masse unterzutauchen. Denn ist man selbst der Hacker, sollte man sich möglichst unauffällig bewegen oder smart im Auto in einer Seitengasse verstecken. Abseits dessen gibt es noch die obligatorischen Online-Straßen-Rennen so wie Schießereien. Eine spannende Idee ist die Companion-App, die von einem Tablet oder Smartphone aus gestartet wird und sich mit dem Spiel verbindet. Auf der Konsole gilt es nun der Polizei zu entkommen, während der Spieler mit der Companion-App Fahrzeuge und Hindernisse auf der Fluchtstrecke platziert. Ein ähnliches Prinzip fand man bereits im Multiplayer von „ZombiU“ für die Wii U.

Technik

Technisch ist „Watch_Dogs“ auf der PlayStation 4 erheblich von dem entfernt, was wir 2012 zum ersten Mal vom Spiel zu sehen bekamen; das soll aber längst nicht heißen, dass es nicht beeindruckend ist, was auf den Bildschirm gezaubert wird. Speziell die Explosionen oder Raucheffekte sehen atemberaubend aus. Am besten wirkt „Watch_Dogs“ jedoch dann, wenn man in der Nacht durch Chicago streift, was auf die fantastischen Licht- und Reflexions-Effekte zurückzuführen ist. Die deutsche Synchronisation der Figuren ist durchaus gelungen, auch wenn wir uns bei einzelnen Figuren zunächst mit der Stimme anfreunden mussten.