Innerhalb eines Monats erscheinen gleich zwei neue Spiele mit „Final Fantasy” im Titel. Da könnte man meinen, dass das Spin-Off „World of Final Fantasy” nur ein halbherziges Erlebnis abliefert. Doch weit gefehlt!

Das Gedächtnis

Wie immer steht Lann in seinem Heimatörtchen Neunwaldbergen früh morgens auf und rennt los, um seinem Job in einem Café nachzugehen. Die Ruhe auf dem Weg dorthin kommt ihm zwar verdächtig vor, aber er stört sich nicht weiter dran sondern legt direkt mit dem Kaffee los, da sich bereits eine Dame ins Café gesetzt hat. Doch kurze Zeit später stürmt Lanns Zwillingsschwester Reynn rein und ist doch etwas besorgter darüber, dass sie an diesem Tag noch überhaupt niemanden gesehen hat, abgesehen von Lann und eben in diesem Augenblick auch der Dame im Cafe. Diese scheint mehr über die Zwillinge zu wissen, als sie selbst. Sie waren nicht immer in Neunwaldbergen, sondern sind durch die Lande gezogen, um Wesen namens Miragen einzufangen und auch andere magische Dinge zu vollbringen. Doch die beiden können sich an nichts erinnern, schenken ihr aufgrund ihrer Situation recht schnell Glauben und begeben sich in eine Welt Namens Grimoyre.

Was nun wie eine typische Gedächtnisverlust-Geschichte klingen mag, entpuppt sich schnell als deutlich mehr. Natürlich tauchen auch die typischen JRPG-Elemente wie ein böses Imperium auf, doch das Gesamt-Gebilde unterhält deutlich mehr als man von der im Vergleich zu anderen „Final Fantasy”-Titeln niedlicheren Aufmachen denken mag. Vor allem die Auftritte bekannter Helden der Reihe inklusive passender Melodien dürften Fans begeistern. Und auch diese fügen sich sehr gut in das Gesamtkonstrukt der Geschichte ein. Darüber hinaus sind die Dialoge, sowohl in den Zwischensequenzen als auch unterwegs während der Erkundung von Dungeons und Städten, durchweg sehr unterhaltsam geschrieben und mit einer sehr guten englischen Sprachausgabe versehen.

Aller Anfang

In Grimoyre angekommen sind die beiden sehr bestrebt, ihrem alten Leben wieder nachzugehen, und legen daher direkt mit dem Fangen der Monster los. Schnell wird ein klassisches Element von JRPGs deutlich: die Zufallsbegegnungen. Ohne die Gegner unterwegs zu sehen, kommt es plötzlich zum Kampf, wobei die Rate niedrig genug ist, um nicht zu nerven. Klassisch geht es auch weiter, denn die Kämpfe sind rundenbasiert, wenn man mal vom Active-Time-Battle-System absieht. Auf einer Leiste bewegen sich für Helden und Gegner Symbole nach oben, abhängig von deren Geschwindigkeits-Wert unterschiedlich schnell. Wer zuerst oben ankommt, darf auch zuerst agieren. Und an dieser Stelle hat man dann wieder beliebig viel Zeit, um seine Attacken oder Items auszuwählen. Ein dickes Lob gibt es für die Möglichkeit, Kämpfe zu beschleunigen sowie sie automatisch ablaufen zu lassen, wobei dann immer die letzte Aktion wiederholt wird.

Neben den Kämpfen bewegt man sich natürlich durch jede Menge Dungeons. Diese fangen sehr simpel an und gewinnen im Laufe des Spiels etwas an Komplexität, werden jedoch nie zu richtigen Labyrinthen. Die meisten von ihnen punkten aber dafür mit optischer Abwechslung und vielen netten, kleinen Details. Als Beispiel sei hier die drohende Belagerung einer Stadt genannt. Vor dieser haben die Angreifer Anlagen aufgebaut, sie bekämpfen sich mit den Wachen der Stadt und überall gibt es Verwundete oder Gefangene beider Parteien zu sehen. Darüber hinaus wurden die Dungeons mit Elementen wie Türen, die nur durch den Einsatz bestimmter Miragen geöffnet werden können, oder auch kleinen Rätseln versehen, was die Erkundungen sehr interessant gestaltet.

Fang sie alle!

Tatsächlich hat es sich das Geschwister-Pärchen zur Aufgabe gemacht, möglichst viele Miragen einzufangen. Das mag zwar prinzipiell so funktionieren, wie man es von den kleinen Monstern auf den Handhelden der Konkurrenz kennt, hat jedoch ein paar Finessen im Gepäck. Es reicht nicht aus, einfach einen Ball zu werfen und zu hoffen, sondern man muss zuerst bestimmte Bedingungen erfüllen. Anfangs ist das noch oft das Reduzieren der Lebensenergie. Später muss man dann erst alle anderen Gegner besiegen, die Mirage in einen bestimmten Zustand versetzen oder sogar heilen. Jedoch hält die Fang-Möglichkeit nur ein paar Runden an, weshalb man seine Chancen verbessern kann, zum Beispiel durch den Einsatz von Schlaf-Magie. Und wenn man selbst eine Mirage mit Konter im Stapel hat, vernichtet man seine Chance vielleicht sogar selbst. Dieses System des Einfangens macht auch nach vielen, vielen Versuchen noch Spaß, da man die Bedingungen erfüllen muss sowie seine Chancen verbessern kann – und dennoch braucht man natürlich immer auch ein wenig Glück.

Gestapelt

Die eben genutzte Phrase „Im Stapel haben“ war nicht einfach nur eine Floskel, sondern spiegelt sich tatsächlich im Spiel wieder. Die beiden Geschwister können nämlich je zwei Miragen dabei haben, mit denen sie im Kampf einen Stapel bilden. Da die Geschwister als großer Hüne oder als knuffiger Murkel jederzeit ihre Größe ändern können, sehen auch die Stapel je nach Größe der kleinen Monster anders aus. Doch allen gemein ist, dass man dann tatsächlich drei Lebewesen übereinander hat, was sich positiv auf Werte und Fähigkeiten auswirkt, jedoch auch einen Nachteil hat. Ein Stapel zählt auch nur als einer, also ist man pro Runde nur einmal dran. Durch spezielle Angriffe der Gegner kann der Stapel in seine Einzelteile zerfallen, oder man kann ihn selbst auflösen wodurch man dann zwar mehr Attacken pro Runde zur Verfügung hat, diese dann aber auch schwächer ausfallen und die Helden dann ebenfalls deutlich angreifbarer sind. Die taktischen Möglichkeiten mit den Miragen sind also deutlich ausgefeilter, als man zuerst denken mag, und werden auch fortgeschrittene JRPG-Fans zufrieden stellen.

Mehrarbeit

Wie es sich für ein Rollenspiel gehört, gibt es neben der Hauptstory noch einiges nebenbei zu erledigen. Natürlich haben die NPCs einiges an Sidequests im Gepäck, was aber den Standard wie „Hole mir einen Hammer!“ bedeutet. Deutlich interessanter ist da eine Dame, die irgendwie an „Alice im Wunderland” erinnert. Sie gibt einem Zugriff auf Situationen aus dem Leben anderer Charaktere. Hier erfährt man kleine Geschichten über diese und muss dann auch immer einen Kampf an deren Stelle meistern. Zu guter Letzt darf das Kolosseum nicht unerwähnt bleiben. Hier lässt man seine Miragen unter besonderen Bedingungen andere antreten, was auch online gegen andere Spieler funktioniert und ungemein motiviert. Und natürlich gibt es auch wieder nach dem Ende der eigentlichen Geschichte einige besondere Bosse, die nur die wahren Profis besiegen werden.

World of Kingdom Hearts?

Kenner von Spielen aus dem Hause Square Enix könnten hinter der Optik eher eine andere Reihe vermuten: „Kingdom Hearts”. Insbesondere alle Lebewesen könnten direkt von dort stammen. Schlimm ist das absolut nicht, denn der optische Gesamteindruck ist sehr schön. Zwar wird die PlayStation 4 mit Sicherheit nicht an ihre Grenzen getrieben, dafür wird das Auge mit sehr schönen Effekten verwöhnt und bleibt von Einbrüchen der Bildrate verschont. Und insbesondere die Animationen, speziell in den Zwischensequenzen, lassen Helden, Bewohner und Monster sehr lebendig wirken. Beim Soundtrack bekommt man genau das, was man von einem „Final Fantasy” erwarten würde: wirklich grandiose Orchester-Klänge. Vor allem Fans der Reihe werden sich über einige bekannte, neu aufgelegte Melodien freuen.