Für Rollenspiel-Fans ist das Jahr 1999 ein wichtiges. Hier wurde nämlich mit dem legendären „Planescape: Torment“ Geschichte geschrieben, denn das Spiel bot nicht nur ein gelungenes Kampfsystem und eine überaus interessante Welt, sondern auch eine ungewöhnlich tiefgreifende Geschichte voller Charaktere, die man nie wieder vergessen kann. Es wirkte deshalb wie ein Traum, als 2013 die Kickstarter-Kampagne von „Torment: Tides of Numenera“ ins Leben gerufen und mit sehr großem Erfolg finanziert wurde. Als geistiger Nachfolger, der diesmal auf das Pen-&-Paper „Numenera“ setzt, versprechen die Veteranen unter den Entwicklern genau das Gefühl, das Fans bereits 1999 spüren konnten. Nun ist der Gigant endlich erschienen, und wir haben uns erneut in ein unvergessliches Abenteuer gestürzt, das nicht nur die hohen Erwartungen erfüllt, sondern eine der besten Geschichten aller Zeiten erzählt.

Was bedeutet es, lebendig zu sein?

Nach der Einführung darf man sich seinen Charakter anpassen, also eine Klasse sowie Fähigkeiten auswählen. Doch auch die Eigenschaften sind wichtig, denn diese bestimmen das Verhalten in den Dialogen, die überaus wichtig sind. Der Spieler übernimmt die Hülle einer Gottheit, die einst verstoßen wurde. Solche Hüllen können sich nur bruchstückhaft an die Zeit erinnern, in der sie als Gefäß dienten, weshalb auch der Hauptcharakter mit mehr Fragen als Antworten in das Abenteuer startet. Deshalb will er eben diesen Gott finden, was ihn quer durch die neunte Welt führt. Dabei steht jederzeit die Frage im Raum, was ein Leben eigentlich bedeutet.

Zugegeben, die Beschreibung der Geschichte mag etwas merkwürdig klingen. Doch das Spiel ist dermaßen detailreich in seinen Texten, dass es schwierig ist, das gesamte Ausmaß in wenige Worte zu fassen, und dabei sogar noch Spoiler zu umgehen. Wir können jedoch garantieren, dass die Welt durch und durch faszinierend ist und nicht nur glaubwürdig herüber kommt, sondern auch diverse Überraschungen bereit hält. Man fängt verwirrt an, doch lernt zusammen mit dem Hauptcharakter mehr über die Geschehnisse und fängt nach und nach an, die Hintergründe tatsächlich zu verstehen.

Lesen und entscheiden

Der Großteil des Spiels findet tatsächlich in Dialogfenstern statt, denn bereits das Startgebiet ist regelrecht überwältigend und beinhaltet so viele Charaktere, dass man gleich mehrere Stunden damit verbringen darf, mit diesen zu reden. Was für viele Spieler pure Abschreckung ist, gehört hier jedoch einfach dazu und verleitet einen dazu, sich auf diese altbacken wirkende Erzählweise einzulassen. Denn wirklich jeder Dialog ist fantastisch geschrieben und verrät nicht nur etwas über die Welt, sondern auch über die zahlreichen Personen, die diese bevölkern. Dabei lassen sich sogar ganze Quests durch einfaches Reden beenden, denn natürlich muss man nicht nur lesen, sondern auch Entscheidungen treffen, durch die jede Nebenquest komplett andere Auswirkungen haben kann. Dabei stehen einem immer zahlreiche Möglichkeiten zur Verfügung, und sogar die Begleiter dürfen mitreden und verkommen nicht nur zum Beiwerk.

Das extrem vielfältige Questdesign führt deshalb sogar dazu, dass man wenige Kämpfe bestreiten muss, wenn man sich geschickt anstellt. Dabei wird der Spieler gefordert, denn bis auf wenige Hilfestellungen bleibt es einem selbst überlassen, Möglichkeiten herauszufinden, um Aufgaben zu erledigen. Mal reicht ein geschicktes Gespräch, mal müssen Gegner besiegt werden, mal darf man gleich eine Kette von Ereignissen anstoßen. Das Besondere ist jedoch, dass dies nicht unterschiedliche Quests beschreibt, sondern all das tatsächlich alternative Lösungen für ein und dieselbe Aufgabe sein können. Wer also nicht gerade von Texten abgeschreckt wird, erhält eine unfassbar beeindruckende Vielfalt, die jede Quest einzigartig macht.

Unvergessliche Charaktere

Doch nicht nur die Welt und die Handlung sind beeindruckend, auch die einzelnen Charaktere vermitteln eben das, was „Planescape: Torment“ ausgemacht hat. Bis zu drei Begleiter darf man in der Truppe haben, doch natürlich gibt es viele, die an der Seite des Helden das Abenteuer bestreiten können. Dabei ist wie erwartet Rhin ein echtes Highlight, schließlich wurde diese von Patrick James Rothfuss geschrieben, dessen „The Kingkiller Chronicle“-Bücher zu den besten ihres Genres gehören. Und eben das merkt man hier auch, denn so vielschichtig und voller Persönlichkeit ist selten ein Videospielcharakter, obwohl visuell nur minimal etwas dargestellt wird. Es werden nämlich auch langweilige Klischees vergessen, denn nicht alle müssen große Krieger oder Verfolger einer Rachegeschichte sein, sondern einfach Leute, die sich ebenfalls fragen, was überhaupt der Sinn des Lebens ist. Man verliebt sich nicht in die Personen durch ihr Aussehen oder ihre Heldentaten, sondern durch ihre Persönlichkeiten.

Das zieht sich außerdem auch durch die anderen Charaktere. Keine einzige Person wirkt schnell fertig geschrieben, sondern mit viel Liebe zur Welt geschaffen. Wir könnten jetzt einzelne Situationen als Beispiele aufzählen, doch eben das wäre unfair, schließlich besteht der große Reiz darin, all das selber zu erleben. Wir können auf jeden Fall garantieren, dass man jede Sekunde genießen wird, denn das Szenario, die Handlung, die Charaktere und die teils absurden Quests mit wahnsinnig vielen Möglichkeiten beeindrucken wie bei kaum einem anderen Rollenspiel. Als Spieler erhält man eine Freiheit, die man jedoch nicht immer ausnutzen möchte, da man mit seinen eigenen moralischen Vorstellungen kämpft. Und eben dieser Anstoß zum Denken, diese Aufforderung, seine Prinzipien zu analysieren, macht den Titel zum Meisterwerk.

Die Sache mit dem Kämpfen

Eigentlich scheint also alles perfekt. Die zehn Punkte dürften zumindest nach den drei Abschnitten über die fantastische Geschichte feststehen. Doch leider ist „Torment: Tides of Numenera“ kein perfektes Spiel, denn es gibt ein Kampfsystem, das die Qualität nicht halten kann. Dieses ist rundenbasiert und lässt einen wahlweise alle Charaktere oder nur den Helden steuern. Man bewegt sich durch die Kampffelder, greift die Gegner an und nutzt einige wenige Fähigkeiten, die das Einsetzen besonderer Punkte erfordern, um einen Treffer zu garantieren. Das dient eher dem Zweck und macht leider nicht allzu viel Spaß, sondern ermutigt eher, möglichst viele Kämpfe zu umgehen.

Dabei haben viele Spiele der letzten Jahre gezeigt, wie man ein gutes Kampfsystem in dem Genre umsetzen kann. Schaut man zu „Divinity: Original Sin“ herüber, wird man regelrecht neidisch, da dort bei weitem mehr Optionen verfügbar sind, und auch „Pillars of Eternity“ konnte durch taktische Optionen öfter begeistern. Es ist also tatsächlich enttäuschend, dass hier nicht mehr geboten wird. Zwar sind die Alternativen meist deutlich spannender, doch einige Kämpfe lassen sich leider nicht umgehen.

Looten und lesen

Abseits der Kämpfe darf man natürlich Gegenstände und Ausrüstung sammeln, was zwar ebenfalls nicht der Fokus ist, aber dennoch liebevoll gestaltet wurde. Wichtig werden da die sogenannten Cypher, die freilich nur einmal eingesetzt werden können, dafür aber extrem stark sind und im Kampf enorm helfen. Unbegrenzt kann man diese zwar nicht nutzen, jedoch darf man durch entsprechende Skillung sein Maximum erhöhen. Es wird also durchaus Vielfalt geboten, jedoch nicht in dem Ausmaße, das man sich gewünscht hätte.

Dafür macht das Erkunden der Welt umso mehr Spaß. An jeder Ecke gibt es Objekte zum Interagieren, und die liebevoll gestalteten Umgebungen können voll überzeugen. Es ist ein Bekenntnis zur alten Schule, weshalb visuell vor allem die Ortschaften im Fokus stehen, nicht die eigentlichen Geschehnisse. Denn wer sich auf spektakuläre Szenen freut, ist hier einfach falsch. Die eigentlichen Sequenzen werden alle jedoch so genau beschrieben, dass die Vorstellungskraft hier die eigentliche Arbeit leistet, sodass man eben keine bombastischen Effekte braucht, um sich in der Welt zu verlieren. Lediglich einige besondere Sequenzen haben mehr zum Schauen, doch der Fokus auf die Texte ist einfach in einer Zeit, in der Blockbuster erfolgreicher sind als vielschichtige Geschichten, ein wahrer Segen.

Technik

Wie erwartet sind die Umgebungen rein grafisch vielleicht nicht die bombastischsten, überzeugen jedoch mit viel Charme und Liebe zum Detail. Anders sieht es jedoch mit der Bildrate aus, die oft ins Stocken kommt und durchaus stören kann. Auch die Animationen sind nicht immer die schönsten, und wir mussten dann auch noch eine Verzögerung bei der Eingabe feststellen. Das ist zwar alles durch Patches lösbar, dennoch sehr unschön und kann tatsächlich beim Spielen stören.

Deutlich besser ist da die Übersetzung, denn auch die deutschen Texte überzeugen auf voller Linie und man braucht keine Angst zu haben, die Handlung in zweiter Klasse zu erleben. Auch der Soundtrack kann die Atmosphäre perfekt unterstützen und zählt zu den Highlights des Titels. An sich ist die Steuerung auch auf den Konsolen sehr gut und die Entwickler lassen die Spieler sogar die Textgröße einstellen, was ein besonderes Lob verdient, wenn man bedenkt, wie viele Studios das heutzutage vergessen.