Als „NieR” vor einigen Jahren auf der PlayStation 3 erschien, fiel das Action-RPG-Spin-off der „Drakengard”-Reihe wegen mittelmäßigem Gameplay und damals schon veralteter Technik durch. Aber bis heute hat sich das Spiel einen Kult aufbauen können, da die Geschichte und der Soundtrack auf einem sehr hohen Niveau waren. Yoko Taro kehrt nach dem ebenfalls spielerisch eher schlechten und technisch total miserablen „Drakengard 3” wieder auf die Bildfläche zurück und hat im Gepäck mit Platinum Games einen Entwickler, dem man eigentlich fast nie nachsagen kann, dass seine Spiele vom Gameplay her misslungen sind. Ob die Mischung mit „NieR: Automata” gelungen ist, wollen wir in der folgenden Review ergründen.

Menschlichkeit ohne Menschen

Zunächst einmal sollte man wissen, dass „NieR: Automata” keinerlei Vorwissen aus „NieR” erfordert. Es kommen zwar bekannte Elemente vor, aber auch so kann man das Geschehen in seinen vollen Zügen genießen. Das Spiel setzt fast 8000 Jahre nach dem Ende von „NieR” an. Die letzten Überreste der Menschheit sind auf den Mond geflohen, nachdem Aliens die Erde mit ihren Maschinen angegriffen haben. Der Spieler übernimmt die Rolle der Androidin 2B, die von der Scanner-Einheit 9S begleitet wird und der YoRHa-Einheit angehört. Diese agiert im Namen der Menschheit und versucht, die Erde wieder bewohnbar zu machen, indem alle maschinellen Lebensformen zerstört werden.

Wer schon einmal ein Spiel von Yoko Taro gespielt hat, der wird wissen, dass diese Beschreibung noch nicht einmal ein Prozent von dem Wahnsinn ist, den der Entwickler auf die Spieler loslässt. Auch „NieR: Automata” ist da keine Ausnahme, weshalb man von einem Twist zum nächsten geworfen wird, aber dabei immer am Ball bleibt, da die Geschichte spannend erzählt ist. Selbst nach dem ersten oder zweiten Durchlauf hat man wirklich nur einen Bruchteil von dem gesehen, was noch auf einen wartet – und was da so auf einen wartet. Ich habe mehrfach mit Gänsehaut und Tränen in den Augen vor dem Fernseher gesessen, als die ehrlich emotionale Geschichte ihren Lauf genommen hat.

Meta-Philosophie

Taro spricht mit seinem Spiel und seiner Geschichte einfach mehr an, als man zunächst glauben mag. Es ist eine Auseinandersetzung mit dem Leben als Mensch an sich, was es ausmacht, menschlich zu sein, und wie man diesen Status erreichen kann. Aber dabei ist er nicht einfach plakativ und wirft mit irgendwelchen Zitaten von Nietzsche und Co. um sich, sondern gibt auch seine ganz eigenen Antworten auf philosophische Probleme, die sonst in einem Spiel so nicht angesprochen werden. „NieR: Automata” lässt mich auch eine Woche, nachdem ich durch bin, nicht los und immer wieder kehre ich gedanklich zu einigen Szenen zurück und lasse sie für mich Revue passieren. Taro hat sich hier selbst übertroffen und dabei gezeigt, wie man das Videospiel-Medium in all seinen Facetten verwenden kann, um etwas noch nicht Dagewesenes zu erzählen. Selbst Meta-Großmeister wie ein Hideo Kojima können von Taro noch lernen.

Melancholische Dialoge

Das gelungene Writing zieht sich aber nicht nur durch das Hauptszenario, so gut wie jede kleine Sidequest, egal wie spielerisch simpel sie gestrickt sein mag, kann einen emotionalen Eindruck hinterlassen. Das liegt vor allem an der Menschlichkeit, die die Charaktere an den Tag legen, ohne überhaupt selbst menschlich zu sein oder davon zu wissen, dass sie so handeln. Alles, was sie sagen und machen, hat einen Sinn in Taros Konstrukt und am Ende einer kleinen Fetch-Quest wird man mit Hintergrundinformationen belohnt, die oft von wunderschönen Klängen untermalt einem Erkenntnisse liefern, die zum Nach- und Mitdenken anregen. Genau diese Momente, von denen das Spiel vollgestopft ist, machen die Erfahrung, „NieR: Automata” zu spielen, zu etwas ganz Besonderem.

Simple aber doch vielseitige Action

Wie man bisher merkt, sind die Handlung, die Dialoge und die Charaktere auf einem sehr hohen Niveau. Aber das war bei Taros Spielen schon öfters so, dass man in dem Bereich sehr Gutes geboten bekommen hat. Doch dieses Mal stimmt auch endlich das Gameplay, wie man es eben von Platinum Games auch erwarten durfte. Hinter dem Action-RPG steckt ein leicht abgeschwächtes Kampfsystem anderer Spiele des Herstellers. Man ist hier nicht mehr ganz so auf Combos aus, aber trotzdem ist das Kämpfen sehr gut gelöst. Insgesamt gibt es vier verschiedene Waffen-Klassen, wie Kurzschwert, Langschwert, Speer und Kampf-Handschuhe, in denen sich aber jede Waffe noch einmal leicht anders spielt. Jede Waffe hat zudem eine andere String-Combo, wenn man sie entweder in den leichten oder in den schweren Waffenslot setzt. Die Angriffe können zudem auch noch miteinander verbunden und der Knopf kann gedrückt gehalten werden. Dadurch ergeben sich schon auf dem Boden die verschiedensten Kombinationen und jeder Spieler wird seine ganz eigene finden, mit der er durch das Spiel geht. Der Kampf kann dann auch noch in der Luft oder durch einen Dash mit anderen Kombos fortgesetzt werden. Die Vielfalt ist also enorm und im Verlaufe des gesamten Spiels wird man immer wieder Elemente dazubekommen, die das Kampfsystem wieder komplett auf den Kopf stellen.

Genre-Mix

Wer jetzt aber gedacht hat, das wäre schon alles, der hat weit gefehlt. Denn der Spieler wird auch noch von einem Pod begleitet, der neben einem Primär-Feuer auch noch mit sogenannten Pod-Programmen ausgerüstet werden kann. Diese können ein riesiger Laser, ein Artillerie-Beschuss, ein Schild und vieles mehr sein. Der Spaß des Kampfsystems liegt gerade darin, die Pod-Angriffe gleichzeitig mit den normalen Kombos so zu koordinieren, dass man den Gegner stets mit einem Feuerwerk aus Attacken angreift. Wenn sich dann auch noch das Genre des Spiels von einem normalen Character-Action-Spiel zu einem vertikalen Shooter und dann zu einem Twin-Stick-Shooter innerhalb von Sekunden ändert und man auch bis zur letzten Sekunde des Spieles Neues geboten bekommt, dann ist das Action-Gameplay einfach nur meisterlich gelungen.

Micro-Management

Auch das restliche Gameplay, wie das Erkunden der schönen und zugleich passend kargen Welt, funktioniert flott genug, um niemals zu langweilen. Einige RPG-Elemente neben einem steigenden Level sind auch noch vorhanden. Dazu zählt das Aufwerten der Waffen, die in bis zu vier Leveln verstärkt werden können, was individuelle Effekte zu den Schlägen hinzufügt und zudem die Geschichte der Waffen freischaltet, die man sich im Menü anschauen kann. Man kann auch die Androidin über Plugin-Chips verbessern. Jeder dieser Chips hat einen anderen Effekt, wie Automatisches Heilen nach einigen Sekunden ohne Treffer oder mehr Waffenstärke, jedoch kann man nicht einfach jeden Chip sofort verwenden, da ein solcher eine bestimmte Anzahl an Slots verbraucht. Diese Slots kann man im Laufe des Spiels noch erweitern und wer in seinen Rollenspielen ein wenig Micro-Management mag, der wird sicherlich Spaß an dem System haben. Ich für meinen Teil habe nur selten etwas an meinem Setup geändert, nachdem ich zwei für mich passende Sets zusammengestellt hatte.

Kleine Wermutstropfen

Es gibt aber auch einen kleinen Wermutstropfen, der vielleicht dem ein oder anderen sauer aufstoßen könnte. Vor allem beim Erkunden kommt die Technik immer wieder ins Stocken. Ich persönlich habe es auf der Standard-PS4 gespielt, aber auch auf der PS4 Pro soll es immer wieder zu kurzen Rucklern kommen. Wenn man aber ganz ehrlich ist, dann stören diese nur bedingt. Es ist etwas unschön, aber die wichtigen Action-Sequenzen und ein Großteil der Kämpfe laufen meist mit 60 oder nahezu 60 FPS ab. Dazu kommt, dass gerade der Pop-Up von Details in manchen Umgebungen sehr stark ist, und man kann auch den Kreis erkennen, in dem Details hochgefahren werden. Einzig die vorgerenderten Cutscenes, die in 900p und 30 FPS ablaufen, wirken etwas deplatziert.

Aber an solchen Nichtigkeiten sollte man sich eigentlich nicht aufhalten. Denn das Art-Design an sich ist wirklich sehr schön geworden und die Welt erstrahlt in vielen bunten Farben, obwohl gleichzeitig auch eine gewisse Melancholie mitschwingt. Es ist eine karge Welt, in der kein Leben mehr existiert, aber die Natur für eine gewisse Lebendigkeit sorgt. Wenn man sich nicht an Texturen stört, die aussehen wie aus der PS3-Ära, dann bekommt man hier wirklich schöne Orte geboten.

Akustisches Meisterwerk

Die bereits angesprochene Melancholie, die „NieR: Automata” komplett umhüllt, findet ihren Höhepunkt im Soundtrack. Der Komponist Keiichi Okabe hat zusammen mit den Sängerinnen Emi Evans, J’Nique Nicole und Nami Nakagawa sowie seiner Musik-Gruppe Monaca einen absolut bezaubernden Soundtrack hinbekommen. Schon zuvor stach bei Spielen von Yoko Taro der Soundtrack hervor, aber hier stimmt wirklich jede einzelne Note und jede Silbe. Die Klänge übertragen die Gefühle der Charaktere perfekt und bieten immer in den richtigen Momenten eine emotionale Stütze für das Geschehen. Gerade die Tracks bleiben so stark im Kopf hängen und bieten einen magischen Moment nach dem anderen, den man auch Wochen später noch nicht vergessen hat. Zu loben ist auch die Fantasie-Sprache, die Emi Evans bereits für den Vorgänger entwickelt hat und die emotionaler als alle anderen Sprachen wirkt.