Vor knapp zehn Jahren, im November 2017, hat das kanadische Entwicklerstudio BioWare Geschichte geschrieben. Man mag von der „Mass Effect“ Reihe halten, was man will, doch sie hat das Rollenspiel-Genre gerade im Bereich Inszenierung so geprägt wie kaum ein anderes Spiel. Die Reise mit Commander Shepard gehört zu den größten Abenteuern des Mediums, die 2012 mit dem dritten Teil und einem nicht ganz unumstrittenen Ende ihr Finale erreichte. Doch das Universum bietet noch zahlreiche weitere Geschichten, weshalb sich die Macher die Chance nicht entgehen lassen konnten, eine neues Kapitel aufzuschlagen, das lange nach den Ereignissen des letzten Spieles mit einem neuen Hauptcharakter stattfindet. Nun ist das heiß erwartete „Mass Effect: Andromeda“ endlich erschienen, und wir haben eine neue Welt besiedelt, um herauszufinden, ob die Mission ein Volltreffer oder ein Fehlschlag ist.

Pathfinder Ryder

Das Spiel beginnt 600 Jahre nach Beginn der sogenannten Andromeda Initiative. Diese soll das Ziel haben, in der Andromeda-Galaxie eine neue Heimat für die Bewohner der Milchstraße zu finden, weshalb sich die Teilnehmer für ganze 600 Jahre in die Stase begeben haben, um die neuen Planeten zu bewohnen. Dazu wurden riesige Archen für jedes Volk gebaut, das nur darauf wartet das Ziel zu erreichen. Der Spieler übernimmt die Rolle von wahlweise Scott oder Sara Ryder, die Kinder des sogenannten Pathfinders, der dafür zuständig ist die Planeten auszukundschaften und sie überlebensfähig zu machen. Doch bereits auf der ersten Mission nach dem langen Schlaf geraten die Menschen in Kontakt mit den Kett, die den fremden Besuchern nicht freundlich gesinnt sind. Viel schlimmer noch, eine alte Technologie scheint Habitat 7, dem geplanten Zuhause der Menschheit, unbewohnbar zu machen. Bei dem gefährlichen Besuch stirbt Alex Ryder, um in unserem Fall seinen Sohn zu retten, der daraufhin eher unfreiwillig Pathfinder wird.

Anschließend geht es zur Nexus, dem Dreh und Angelpunkt der Initiative. Doch diese ist nicht nur durch eine Meuterei gekennzeichnet, auch Streitereien innerhalb der Führung machen das Unterfangen alles andere als einfach. Zudem sind die anderen Archen nie angekommen, weshalb man als neuer Pathfinder alle Hände voll zu tun hat. Doch während man Planeten besucht, und diese erforscht, um weitere Leute aus dem Schlaf holen zu können, erfährt man immer mehr über die gefährlichen Kett sowie deren Anführer, den Archon, der finstere Pläne für die ihm fremdartigen Spezies hat.

Eine Geschichte mit Fehlstart

Eigentlich ist die Basis für eine interessante Geschichte durchaus gegeben. Als neuer Held lernt der Spieler seine Crew kennen, kommt mit den bekannten und neuen Spezies in Berührung und hat eine Aufgabe, die nicht unbedingt dem typischen Helden-Klischee folgt. Man hat nämlich ein klares, kollektives Ziel vor Augen, und somit macht das Erforschen auch tatsächlich Sinn. Man möchte wissen, was man genau auf den Planeten, die besiedelt werden sollen, finden kann, und jede noch so kleine Aktion dient im Endeffekt dazu, diese sicher zu machen. Doch während diese Sachen eher zu den Nebenaufgaben zählen, bleibt der Konflikt mit den Kett, der die Hauptstory bildet, eher enttäuschend.

Dabei kann man nicht einmal die einzelnen Wendungen kritisieren. Tatsächlich verbirgt sich viel mehr hinter den Motiven der Charaktere, es gibt wieder schwierige Entscheidungen, und auch das Ende kann überzeugen, das zudem wirklich von den eigenen Aktionen beeinflusst wird. Es ist eher die Präsentation sowie der Verlauf, der wenig überzeugend ist. Die Inszenierung bleibt weit hinter den Möglichkeiten zurück, und selbst die eigentlich starken Momente werden durch einige der dümmsten Dialoge der letzten Jahre heruntergezogen. Man erfährt zwar spannende Sachen, die Darstellung ist jedoch eher enttäuschend, und obwohl das nach dem mehr als holprigen Start sowie der viel zu schnellen Einführung der gesamten Crew etwas besser wird, fehlt einem das wahrlich Epische.

Die neue Crew

Neben zahlreichen Nebencharakteren, mit denen sich haufenwies Dialoge halten lassen, steht natürlich die eigene Crew im Zentrum. Und auch hier zeigen sich die Probleme in der Geschichte mehr als deutlich. Die Einführung ist extrem blass, und somit hat man schnell den Eindruck, eine zusammengewürfelte Truppe voller Stereotypen zu erhalten. Das verbessert sich enorm, wenn man regelmäßig mit ihnen redet, und sie entwickeln sich zu tieferen Persönlichkeiten, als man glaubt, vor allem wenn man die spezifischen Quests verfolgt. Leider lässt sich aber bei nahezu allen erahnen, wie diese Geschichten verlaufen, und obwohl es sich hier nicht um eindimensionale Charaktere handelt, sind sie doch zu vorhersehbar.

Einen guten Job leisten sie hingegen mit den Dialogen während des eigentlichen Gameplays. Ständig kommentieren sie das gesehene, unterhalten sich über alle möglichen Themen und geben auch Hilfestellungen. Auch auf dem eigenen Raumschiff, der Tempest, sind sie nicht immer an einer Position, sondern bewegen sich, sodass man wirklich das Gefühl einer lebendigen Truppe erhält. Umso schlimmer also, dass die Dialoge überhaupt nicht mithalten können.

Das Problem mit den Dialogen

Man kann sicherlich nicht pauschal sagen, dass die Dialoge schlecht geschrieben wurden, doch von der Qualität her kommen sie bei weitem nicht an das heran, was man von den Machern erwartet hätte. Die meisten Gags laden eher zum fremdschämen ein, die Flirt-Optionen führen zo viel zu gekünstelten Unterhaltungen und auch in vielen weiteren Gesprächen auf den Planeten gibt es nur wenige Gespräche, die nicht nach Schema F verlaufen und wirklich überzeugen. Bei einem Spiel, dessen Fokus natürlich die Narrative ist, stört sowas enorm. Zwar möchte man diese Unterhaltungen nicht überspringen, schließlich will man ja alles mitbekommen und die Informationen dahinter sind durchaus interessant. Aber ebenso wie bei der Hauptgeschichte ist die Präsentation dieser einfach nicht unterhaltsam.

Einen großen Teil trägt dazu die deutsche Synchronisation bei. Viele der Sprecher machen einen soliden Job, doch ebenso viele lesen ihre Sätze lieblos, emotionslos oder mit völlig falscher Betonung vor. Damit meinen wir nicht, dass solche Ausfälle zwischendurch passieren, sodass man darüber lachen kann. Eher geht es hier um einen Großteil der Dialoge, die gepaart mit dem mitunter miesen Skript noch schwächer herüberkommen. Das zerstört die ansonsten so großartige Atmosphäre enorm und untergräbt die eigentlichen Höhepunkte. Denn selbst in spannenden Situationen ist entweder der Ton schlecht abgemischt, die Sprecher machen eine gedankliche Kaffeepause oder die eigentlichen Dialoge sind so peinlich, dass man sowieso das Interesse verliert. Besonders negativ ist uns die künstliche Intelligenz SAM aufgefallen, die weder als Charakter, noch als künstliche Intelligenz vertont wurde. Man rätselt sehr oft, was hier genau schief gelaufen ist.

Eine große, leere Welt

Zugegeben, wir malen hier direkt sehr viel schwarz, doch eben wegen dieser maßgeblichen Schwächen kann das Spiel nicht das Potential entfalten, das es definitiv besitzt. Denn im Gegensatz zu den erzählerischen Ausfällen ist das Gameplay tatsächlich der Hauptgrund, wieso man trotzdem eine ganze Menge Spaß in der Andromeda Galaxie haben kann. Es gibt fünf Hauptplaneten, die als neue Heimat der bekannten Rassen dienen sollen. Diese lassen sich auch relativ frei erkunden, sowohl zu Fuß als auch im Nomad, dem Fahrzeug der Initiative. Man kann durch wunderbare Landschaften fahren, und dabei haufenweise Beschäftigungen finden. Mal muss ein Kett-Lager ausgelöscht werden, mal gibt es Diskussionen mit konkurrierenden Gruppierungen, und auch die Relikte der mysteriösen Zivilisation wollen untersucht werden. Bedenkt man dabei noch die zahlreichen Quests, die einen durch alle Winkel leiten, und schon hat man genug Motivation, um locker über 60 Stunden in das Spiel zu investieren.

Am meisten Spaß macht es wirklich, die Planeten bewohnbar zu machen. Jede Aufgabe erhöht die Überlebensfähigkeit der Menschheit, und das spornt an, denn mit mehr Lebensfläche können mehr Leute aus der Stase geholt werden, die natürlich ebenfalls dazu beitragen, dass mehr gearbeitet werden kann, um Materialien und weitere Boni zu besorgen. Man erlebt also einen ständigen Fortschritt, und erforscht dabei riesige Planeten, die alle über einen eigenen Charme verfügen. Lediglich das Scannen der Neuheiten, was einem ebenfalls wichtige Forschungspunkte bringt, ist furchtbar langweilig geraten, und auch das Crafting System wird durch die wenig spannende Materialsuche entwertet. Zwar möchte man schon bessere Waffen und Ausrüstung besitzen, die dem eigenen Spielstil zusagen. Die Suche für die benötigten Rohstoffe ist allerdings so mühselig, dass man auch darauf verzichten kann.

Revolution Kampfsystem?

Natürlich macht so eine offene Welt nicht viel Spaß, wenn das Gameplay nicht stimmt. Obwohl sich der Normad etwas zu schwammig steuern lässt, macht die Bewegung zu Fuß alles wieder wett. Man ist agil wie noch nie zuvor in der Reihe, und kann durch seinen Anzug höher springen und dann durch Schübe ruckartig in eine Richtung bewegen. Das macht unglaublich viel Spaß und ist sogar im Kampf überaus nützlich. Das Schießen funktioniert genau so, wie man es sich bei einem 3rd-Person-Shooter vorstellt, wird jedoch durch die Fähigkeiten spannender. Man kann diesmal zwischen verschiedenen Klassen hin und herspringen und seine Skill-Punkte frei verteilen. Dadurch lässt man Feinde schweben, man erhöht die Präzision mit den Waffen oder lässt Schockwellen los, die allen im Weg Schaden zufügen.

Das Zusammenspiel der verschiedenen Elemente macht wirklich Spaß, ist jedoch nicht perfekt geraten. Zwar kann man die Fähigkeiten seiner Crew anpassen, deren Ausrüstung ist aber vorgegeben, und auch im Kampf lassen sich nur Positionen zuweisen, was etwas wenig ist. Taktische Planung entfällt eigentlich komplett, wodurch trotz der interessanteren Mechaniken gerade im späteren Verlauf die Kämpfe wahnsinnig eintönig und auf Dauer extrem nervig werden. Zu viel Planung ist aber ohnehin nicht nötig, da die KI selbst kaum plant und man so eigentlich jede Schlacht gewinnt, solange man sich eine Deckung sucht. Das automatische Deckungssystem verläuft meist gut, einige Aussetzer verleiten jedoch auch hier zu Frust. Schön sind hingegen die Munitions-Kisten, die beim Vorbeilaufen die eigenen Waffen aufladen.

Der Lichtblick im schwarzen Loch?

Die Schwächen werden auch beim Quest-Design offenbart. Es gibt viel zu viele typische Sammel-Quests, die uninspiriert wirken und die Spielzeit unnötig verlängern, ohne dabei eine gute Geschichte zu erzählen. Zwar gibt es durchaus einige Highlights bei den Nebenaufgaben, doch arten selbst diese selten in spannende Entwicklungen aus. Das ist zwar nicht so schlimm, wie noch bei „Dragon Age: Inquisition“, dennoch wird man alles andere als dazu verleitet, diesen nachzugehen. Dafür können die besseren Quests durchaus überzeugen und zeigen einmal mehr, wie viel Potential in „Mass Effect: Andromeda“ stecken.

Die gesamte Kritik mag sich vernichtend anhören, doch trotzdem macht das Spiel Spaß. Während die Erzählung nie über Popcorn-Kino hinauskommt, sieht man dadurch dennoch spektakuläre Orte, die man unbedingt erkunden möchte. Obwohl die Nebenquests oft langweilig werden, führen sie einem dennoch an Teile der Welt, die einen überraschen können. Trotz des monotonen Kampfsystems machen diese Passagen dennoch Spaß, da man seinen Charakter anschließend sowohl verbessern kann als auch die lustigen Optionen ausschöpfen darf. Es wäre nur schön gewesen, all diese positiven Aspekte ohne „obwohl“ und „trotz“ auflisten zu können, denn für jede gute Mechanik muss man auch eine enttäuschende ertragen. Das ärgerlichste bleibt dabei das Wort, das wir hier öfter verwenden mussten, denn Potential sieht man an jeder Ecke. Es kommt einem aber deshalb so vor, als ob die Macher noch größeres, spektakuläreres und spannenderes geplant hätten, doch die Zeit hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das sind nur Spekulationen, dennoch ist es frustrierend, dass dieser Eindruck entsteht.

Kleine Schlachten mit Freunden

Natürlich kann kein Spiel mehr ohne Multiplayer-Modus erscheinen, weshalb auch „Mass Effect: Andromeda“ wieder zu Schlachten mit Freunden einlädt. Dieser ist aber alles andere als motivierend, denn im Endeffekt wird einem ein schlichter Horde-Modus geboten, der nicht gerade durch spielerische Vielfalt überzeugt. Zwar macht vieles mit Freunden Spaß, doch als echte Alternative zu richtigen Multiplayer-Titeln kann man das hier nicht ernst nehmen, eher als kleiner Bonus. Vor allem wird hier die Stärke des Hauptspieles nicht ausgespielt, und man kämpft eher in kleinen Arealen auf den fünf Karten, und kann die eigentliche Weite der Planeten nicht ausnutzen. Zwar kann man hier Materialien für den Hauptteil ergattern, das macht aber meist tatsächlich im eigentlichen Verlauf der Geschichte mehr Spaß. Wirklich negativ fallen eher die aufgesetzten Mikrotransaktionen auf, die fast schon wie ein hoffnungsloser Versuch wirken, noch etwas Geld zu machen. Und vermutlich sind sie genau das.

Technik

Um nicht direkt die offensichtliche Katastrophe anzusprechen, erstmal die guten Punkte. Die Planeten sehen mitunter atemberaubend aus und bieten einige wunderbare Ortschaften. Die Texturen sind dabei nicht immer die hübschesten, doch auch in den Innenräumen gehört das Spiel in Sachen Atmosphäre zu den absoluten Highlights. Auch die Musik ist gelungen, und trotz vielen nicht gerade erinnerungswürdigen Stücken passen diese doch immer zum Gesamtbild.

Getestet wurde das Spiel auf der normalen PlayStation 4. Das war leider viel zu oft eine Zumutung, denn eine konstante Bildrate von 30 darf man nicht einmal ansatzweise verlangen. Fast permanent kommt es einem so vor, als ob die Bildrate regelrecht kämpfen würde, um im akzeptablen Bereich zu bleiben. Passiert dann ein wenig mehr, kann man sich von einem flüssigen Erlebnis komplett verabschieden. Dadurch werden viele spannendere Szenen entwertet, denn das Problem wird im weiteren Verlauf sogar noch schlimmer.

Das müde Gesicht

In Sachen Gesichtsanimationen haben die Macher hier Geschichte geschrieben. In einer Zeit, in der Spiele wie „The Witcher 3“ oder „Horizon Zero Dawn“ beeindrucken, sieht hier jedes Gespräch geradezu lächerlich aus. Die übertriebenen Bewegungen der Lippen, das dabei aber nahezu völlig leblose Gesicht, hier möchte man anfangs nur lachen. Recht schnell stört das aber nur, und nimmt vielen Situationen den Ernst. Das Problem ist dabei so offensichtlich, dass man sich damit auch nicht anfreundet, und eher als störendes Übel aushält. Verbindet man das dann noch mit der wirklich zum Teil schlechten deutschen Vertonung, und man kann sich von der Atmosphäre komplett verabschieden.

Auch die Zwischensequenzen glänzen nicht. Komische Cuts in den Szenen, grafische Bugs in Unterhaltungen und eine vermurkste Tonabmischung lassen einen wirklich hinterfragen, wieso sich die Macher nicht mehr Zeit genommen haben. Technisch bleibt das Spiel nämlich eine Zumutung, die sich negativ auf die gesamte Erfahrung auswirkt. Den Abschluss machen hier aufploppende Gegenstände. Egal ob auf Raumstationen, oder auf den Planeten, ständig erscheinen Charaktere oder Objekte erst wenige Meter vor dem Helden, und die Ladezeiten sind nicht nur vor dem Start, sondern auch beim Öffnen der Türen oft unerträglich lang, selbst auf der Tempest.

Der lange Weg der Updates

Der neueste Patch 1.05 ist genau dann erschienen, als das Review abgetippt war, doch trotzdem haben wir noch einen Blick auf die Verbesserungen geworfen. Tatsächlich sind die Augen der Charaktere verbessert worden, was zwar beim Spielen nicht immer auffällt, dennoch dem ganzen Gesicht etwas mehr Leben gibt. Ansonsten wirken aber trotzdem noch viele Animationen eher lachhaft, sodass hier nur ein guter Start gegeben ist, weitere Patches müssen hier noch mehr überarbeiten. Auch das Inventar kann nun mehr Gegenstände halten, was nerviges Management erleichtert. Doch auch einige Szenen lassen sich überspringen, wenn man auf der Galaxie-Karte unterwegs ist. Zwar dauert das noch immer etwas zu lang, doch man wird deutlich schneller alle Planeten scannen können.