Bei der Auswahl an Prügelspielen kann man sich in diesem Jahr bisher noch nicht beschweren. Jetzt betritt mit „Marvel vs. Capcom: Infinite” eine Reihe den Ring, die in der Vergangenheit für glänzende Augen sorgen konnte. Ob das jetzt auch der Fall sein wird, haben wir für euch in unserer Review herausgefunden.

Ein Spiel als Service

Mit „Marvel vs. Capcom: Infinite” muss man eins sofort klarstellen, um es fair bewerten zu können. Capcom fährt auch dieses Mal eine sehr ähnliche Politik, wie die von „Street Fighter V”. Das heißt, dass der Titel als ein „Spiel als Service” angesehen werden sollte. Deshalb ist das spielerische Grundgerüst da und wird in den nächsten Monaten kostenlos sowie kostenpflichtig um Modi, Stages und Charaktere erweitert. Das ist auch bitter nötig, denn das, was geboten wird, ist wirklich sehr mager ausgefallen.

Fan-Fiction

Im Vordergrund steht dabei zunächst der knapp vierstündige Story-Modus, der sich pur wie eine Fanfiction anfühlt. Fast drei Monate nachdem die Welten von Marvel und Capcom miteinander kollidiert sind befindet sich ein Haufen Helden beider Firmen im Kampf gegen Ultron Sigma, eine Mischung des Marvel-Bösewichts Ultron sowie des „Mega Man X”-Obermotzes Sigma. Dieser nimmt nach und nach die Welt ein und möchte sie mit dem Sigma-Virus, der einen zu einem willenlosen Sklaven Ultron Sigmas macht, völligst unterjochen. Das lassen sich die Helden natürlich nicht gefallen und ziehen deshalb gemeinsam in den Kampf, was für viele Situationen sorgt, die man von einem solchen Cross-Over erwartet.

Was aber den Story-Modus so unerträglich macht, sind die Dialoge. Die Texte sind einfach nur schlecht geschrieben und hangeln sich von einem Insider zum nächsten, ohne wirklich eine Erklärung liefern, warum nun jeder Marvel-Held weiß, was die Capcom-Kämpfer auszeichnet, und andersherum. Dazu kommen die Cutscenes mit den vorgerenderten Charakter-Modellen, die von schlecht bis einigermaßen okay reichen und niemals wirklich den Standard erreichen, den man von einem solchen Spiel mit einem solchen Potenzial erwarten würde. Auch der Day-1-Patch, der einige Modelle verbessert, schafft keine große Abhilfe. Da der Story-Modus derzeit das Hauptargument für Einzelspieler ist, wird man doch leider ein wenig enttäuscht sein. Das Potenzial ist da, aber es wird kein bisschen ausgeschöpft. Sehr merkwürdig sind auch die schwankenden Schwierigkeitsgrade. Man kann innerhalb der Geschichte diesen nicht auswählen, aber immer wieder gibt es mal einen Kampf, der extrem schwer ist und danach schafft man wieder einen perfekten Kampf. Dadurch wird man eher frustriert als motiviert, die Story durchzuspielen, was sowieso schon durch die restlichen Aspekte nicht gerade einfach gemacht wird.

Magere Modi

Ansonsten sind die Einzelspieler-Modi leider sehr, sehr knapp bemessen. Neben der Story bekommt man noch einen Arcade-Modus mit sieben Stages, ein Training und Mission. Letzteres ist ein typisches Combo-Training, bei dem man für jeden Charakter die verschiedenen Combos erlernen kann. Zudem bekommt man dort auch noch einmal die verschiedenen Spiel-Systeme in kurzen Missionen erklärt. Insgesamt ist es aber einfach zu wenig, was man zum Start geboten bekommt. Bei „Street Fighter V”, das ein ähnliches „Spiel als Service”-System anwendet, wurde zum Start zwar auch nicht viel mehr geboten, aber das, was vorhanden war, war etwas zufriedenstellender, da das Kampf-Prinzip an sich einfach besser ist.

Hyper-Kämpfe mit schwachem Roster

Damit müssen wir auch endlich über das Kampfsystem sprechen, das leider sehr gemischt ist. Doch zunächst zum positiven. Die Spielgeschwindigkeit ist wie von einem Hyper-Fighter gewohnt sehr hoch ausgefallen, aber die Moves, die man durch die verschiedenen Bewegungen macht, kann man einfach und zuverlässig auslösen. Zudem haben gerade die Capcom-Charaktere teilweise sehr interessante Fähigkeiten, während die Marvel-Helden uninspiriert und langweilig wirken.

Sowieso ist das Roster sehr mager ausgefallen und wird gerade „Marvel vs. Capcom”-Fans vor den Kopf stoßen. Es war bereits im Vorfeld klar, dass die X-Men und Fantastic Four fehlen werden, da Disney nicht die Filme anderer Produktionsfirmen bewerben möchte. Diese Entscheidung ist aber nach hinten los gegangen und sorgt dafür, dass man eher genervt von der unnötigen Einschränkung ist. Neben den klassischen Kämpfern auf der Marvel-Seite wirken vor allem diejenigen deplatziert und uninspiriert, die neu dazu kommen. Sowieso haben die Marvel-Helden als Angriffe fast immer nur lange Laser-Beams oder andere Sachen, die sie von links nach rechts werfen, und bieten untereinander nur wenig Abwechslung. Aber auch bei Capcom muss man ein wenig die Stirn runzeln. Auch hier wurde das Roster stark dezimiert und Fan-Favoriten, wie ein Viewtiful Joe, Amaterasu oder Wesker, fehlen komplett. Dafür spielen sich immerhin einige der Wiederkehrer, wie Dante, anders, was wahrscheinlich auch der interessanteste Aspekt für Kenner der Reihe sein wird. Aber insgesamt fehlt ein wenig der Mut zum Wagnis, der bei „Marvel vs. Capcom 3” noch vorhanden war. Jede Charakter-Auswahl fühlt sich nach einer sicheren Bank an und in Kombination mit den etwas langweiligen Marvel-Charakteren, wird man doch schneller den Controller zur Seite legen als einem lieb ist.

Fehl am Platz

Es gibt aber noch eine große Neuerung beim Kampf-System, die sich am Ende als den wohl größten Fehler herausstellt, den man hätte machen können. Um das Marvel-Filmuniversum ein wenig mehr zu bewerben, hat man die daraus bekannten Infinity Stones eingebaut. Jeder der sechs Steine hat zwei Fähigkeiten, wovon man eine immer nutzen kann und für die andere eine Leiste über den Kampf hinweg aufgeladen werden muss. Die Effekte sind dabei meistens auf eins der Attribute wie Angriff, Durchschlagskraft oder Geschwindigkeit bezogen. Aber es gibt leider einen Stein, der in einem Prügelspiel nichts verloren hat und das ganze auch ad absurdum führt. Mit dem Soulstone kann man jederzeit, wenn man trifft, sich einen Teil seiner HP wieder zurückholen und damit einen Vorteil verschaffen, wie man ihn sonst nirgends bekommt. Die andere Spezialfähigkeit lässt den zweiten Charakter, wenn er schon besiegt wurde, sogar mit einem Drittel Leben wieder zurückholen, der dann über die andere Fähigkeit wieder aufgeladen werden kann. Es ist zudem möglich den Soulstone mit in eine Combo einzubauen, weshalb es also auch nicht schwer ist, Leben wieder zurück zu bekommen. Wenn man also einigermaßen clever die Fähigkeit verwendet und der Gegner ihn nicht benutzt, dann hat man einen enormen Vorteil im Kampf, wodurch man zwar Skill-Unterschiede ein wenig überbrücken kann, aber das Balancing damit auch völlig aus den Fugen gerät. Der Arcade-Modus wird mit dem Soulstone zudem ebenfalls ein Witz und damit hat man als Einzelspieler neben dem Missions-Modus keine Herausforderung im Spiel.

Prügeln für Einsteiger

Insgesamt ist es ein simples Kampf-System, das vor allem Einsteiger in dem Genre gefallen wird. Für eine kurze Runde zwischendurch unter Kumpels wird sich das Spiel bestens eignen, da man sehr schnell spektakuläre Attacken ausführen kann. Aber kompetitiv wird das Spiel gerade durch die Infinity Stones und den generell etwas langweiligen Moves der Charaktere noch einen langen und schweren Weg gehen müssen, um dort zu überzeugen. Online konnten wir auch schon einige Runden zumindest in einer Lobby ausprobieren und waren vom Netcode positiv überrascht. Die Kämpfe waren selbst gegen Gegner mit einer schlechten Verbindung gut spielbar und nur selten traten stärkere Lags auf. Unspielbar war es aber zu keinem Zeitpunkt.

Nichts bleibt im Kopf hängen

Im Vorfeld wurde an der Grafik des Spiels schon gemeckert und jetzt auch im finalen Spiel mit dem Patch merkt man keine allzu großen Unterschiede. Es wurde zwar etwas daran getan, aber trotzdem sieht jeder Charakter immer noch anders aus, als man sie sonst kennt. Unschön sind aber auch die fast statischen Hintergründe, die schnell langweilen. Der Soundtrack muss sich leider ebenfalls einer Kritik unterziehen, denn die Lieder sind teilweise aus den OSTs von Marvel-Filmen entnommen oder hören sich zumindest davon inspiriert an. Das sorgt dafür, dass man sehr typische Musik im Hintergrund hört, die einfach nicht hängen bleiben kann. Bei den Capcom-Charakteren ist das schon ein bisschen besser, aber auch hier fehlt das gewisse Etwas.