Mit „Until Dawn“ konnte Supermassive Games beweisen, was das Entwicklerstudio wirklich auf dem Kasten hat, weshalb das Spiel auch unseren Award erhielt. Nun kehren sie zu dem Format zurück, allerdings mit größeren Ambitionen. Neben einer größeren Vielfalt an Möglichkeiten ist das Spiel Teil von Sonys Playlink Reihe, weshalb vor allem der Mehrspieler-Modus eine interessante Neuheit darstellt. Kann „Hidden Agenda“ aber auch die Qualität halten, oder wird die Neuausrichtung zum Problem? Wir haben das Abenteuer gleich mehrfach erlebt und sind einerseits begeistert, allerdings auch schwer enttäuscht.

Die Polizistin, die Staatsanwältin und der Mörder

Im Zentrum des Geschehens steht die Polizistin Becky Marney, die den berüchtigten Trapper fasst. Der Serienkiller lockt Polizisten in Fallen, weshalb große Erleichterung herrscht. Fünf Jahre später zieht der zum Tode verurteilte Verbrecher allerdings sein Geständnis zurück und behauptet, er habe nie jemanden umgebracht. Das führt nicht nur für Becky zu einer Kette schwerwiegender Ereignisse, sondern auch für Staatsanwältin Felicity Graves, die ebenfalls den Verdacht hat, jemand anderes könnte der wahre Mörder sein.

Mehr von der Geschichte zu erzählen wäre kontraproduktiv, da der gesamte Titel im Endeffekt ein knapp 90-minütiger Film ist, der durch die Entscheidungen der Spieler beeinflusst wird. Während andere Firmen hier tricksen, wurde ein weit verbreiteter Kritikpunkt behoben, denn die eigenen Entscheidungen haben Gewicht. Selbst kleine Bemerkungen oder Reaktionen können zu großen Wendungen führen, und die Anzahl an Szenen, die man verpasst kann, ist höher als in jedem Genre-Konkurrenten. Deshalb lohnt sich auch das mehrfache Durchspielen, denn man hat das Bedürfnis zu schauen, welcher Weg wohl eingeschlagen worden wäre, hätte der Spieler an nur einer Stelle anders reagiert.

Nett bis unsympathisch

Die Geschichte leidet allerdings unter großen Problemen, weshalb die Neugierde getrübt wird. Dabei ist Protagonistin Becky das beste Beispiel. Sie bleibt über das gesamte Spiel hinweg ein blasser, zweidimensionaler Charakter. Die Reaktionen sind klischeebehaftet, ihr Handeln wirkt oft unbeholfen und richtiges Mitgefühl entsteht nicht. Schlimmer noch ist ihre Hintergrundgeschichte, die zwar angedeutet wird, eine Erklärung erhält man allerdings nur bei einer ganz bestimmten Kette an Ereignissen. Selbst dann wird das aber nur in drei Sätzen abgehandelt, was dem Charakter die benötigte Tiefe verweigert.

Interessanter ist zum Beispiel der angebliche Mörder, dem jedoch trotz Potential viel zu wenig Zeit gegeben wird. Felicity Graves ist tatsächlich der sympathischste Charakter, doch Hintergründe und Motivationen haben aufgrund der kurzen Laufzeit keinerlei Chance. Die gesamte Handlung fühlt sich gehetzt an und man kann keine Sympathien zu den Charakteren aufbauen. Diese blasse Charakterzeichnung hat in „Until Dawn“ wunderbar funktioniert, weil dort Horror-Klischees bewusst und geschickt eingesetzt wurden. Dasselbe wurde hier im Falle der Krimis getan, was leider in diesem Genre schlechter nicht funktionieren könnte.

Eine große Fehlentscheidung

Weiter getrübt wird die Handlung durch den größten Pluspunkt, der Entscheidungsvielfalt. Der Grund dafür liegt in wenigen Entscheidungen, die zwar eine große Auswirkung haben, allerdings unscheinbar sind. Das kann dazu führen, dass man das Ende gar nicht erst sieht. Im dritten Akt gibt es nämlich eine Szene, bei der man dann nur mit den perfekten Entscheidungen einen Ausweg findet. Gelingt das nicht, läuft der Abspann mit einem völlig unbefriedigten Ende über den Bildschirm. Das mag nicht schlimm klingen, im Test ist dies allerdings gleich drei Mal hintereinander geschehen, vor allem in der Runde mit Freunden kann das die Laune vernichten.

Dieser Moment ist besonders schwerwiegend, da dieselbe Speichermechanik wie auch in „Until Dawn“ genutzt wird, man kann also nicht einfach das Spiel beenden und die Szene neustarten, denn jede Entscheidung wird direkt abgespeichert. Im Gegensatz zum Hit-Spiel der Entwickler kann man aber nach dem Ende nicht zu einem Punkt zurückkehren, sondern muss von Vorne anfangen. Nach dem Abspann wird dann aber sogar die Identität des Mörders verraten, weshalb jegliche Motivation durch diese kleine Szene komplett vernichtet wird. Das ist schade, denn diese Katastrophe hätten die Entwickler durch zwei kleine Mechaniken vermeiden können, wodurch „Hidden Agenda“ ein besseres Spiel geworden ist.

Das Geheimnis der Spieler

Spielen kann man den Titel nur mit einer entsprechenden App auf dem Smartphone, was zu weiteren Problemen führt. Durch die Verzögerung fällt es nämlich schwer, die schnellen Reaktions-Szenen oder die Aufgaben mit Zeitbeschränkung auszuführen. Während des restlichen Spieles zeigt sich dann aber die Stärke, denn zusammen im Team die Entscheidungen zu treffen, zusammen mit einigen Fragen, bei denen man seine Mitspieler einschätzen muss, resultieren in einem spannenderen Spiel.

Das wahre Highlight ist aber tatsächlich der kompetitive Modus. Hier erhält ein Spieler in jeder Runde einen Geheimauftrag, zu dem er die Mitspieler überreden muss. Das sollte allerdings geschickt angestellt werden, denn die Punkte bekommt man nur bei richtiger Durchführung, die Mitspieler dürfen die Identität des Spielers mit Geheimauftrag nicht herausfinden. Diese Idee geht völlig auf und führt zu mitunter lebhaften Diskussionen in der Gruppe. Es macht also wirklich am meisten Spaß, „Hidden Agenda“ so zu erleben. Problematisch ist es nur, falls ein Spieler die Geschichte schon kennt und sich demnach besser auf Ereignisse vorbereiten kann, was zu einem unfairen Vorteil führt.

Wie im Film?

Optisch darf man die Qualität erwarten, die man auch schon bei „Until Dawn“ gesehen hat. Die Charaktere sehen fantastisch aus, und die Umgebungen sehr detailliert und realistisch. Jedoch lassen sich auch zahlreiche Grafikfehler finden, die das Gesamtbild herunterziehen. Auch die Animationen sind nicht immer ganz flüssig und es kommt zu deutlichen Rucklern. Zudem ist die deutsche Synchronisation eher unbefriedigend, obwohl die Qualität gerade so reicht. Dass sich zu dieser aber die Lippen zu oft gar nicht oder zu viel bewegen, hätte bei der Qualitätsprüfung auffallen müssen. Im originalen Ton hingegen leisten die Sprecher einen tollen Job, allen voran Katie Cassidy, bekannt aus „Supernatural“ und „Arrow“, als Becky.

Die App, die man zum Spielen benötigt, ist gut geworden. Während man hier seinen Punkt steuert, um Elemente auszuwählen, darf man auch Hintergrundinformationen zu den Charakteren und vergangene Ereignisse nachlesen. Das benötigt man zwar in den seltensten Fällen, dennoch ist das Extra, das regelmäßig im Spielverlauf geupdatet wird, schön anzusehen. Lediglich die bereits erwähnte Verzögerung stört maßgeblich.