Spätestens seit „Der Marsianer” von Andy Weir sowohl in Buchform wie auch als Kinofilm die Massen begeisterte und Elon Musk mit seinem Unternehmen SpaceX die Landung von Menschen auf dem Mars als Ziel ausgerufen hat, beflügelt eine bemannte Marsmission die Phantasie vieler Menschen. Heamimont Games geht mit „Surviving Mars” sogar noch einen Schritt weiter und bietet uns die Möglichkeit, eine selbsterhaltende Kolonie auf dem roten Planeten zu errichten. Ob das Spiel seine Mission erfüllt oder ein Problem an Houston melden muss, erfahrt ihr in unserem Review.

Koffer packen

Bereits im Menü wird klar, dass das Spiel bewusst auf großen Schnickschnack und viele Modi verzichtet. So bleibt lediglich die Wahl zwischen einem neuen und einem einfachen Spiel. Bei der Wahl eines neuen Spiels gilt es zu Beginn die Rahmenbedingungen der Marsmission auszuwählen. Hierunter fallen unter anderem der Missionssponsor, von dem Geld- und Forschungsmittel abhängen, das Kommandantenprofil, das gewisse Bonustechnologien freischaltet, und auch die Auswahl eines Geheimnisses, das es im Verlauf des Spiels zu entdecken und unter Umständen auch zu überstehen gilt. All diese Optionen haben einen großen Einfluss auf die Schwierigkeit des Spiels und erhöhen in Kombination mit dem teilweise zufallsgenerierten Technologiebaum den Wiederspielwert enorm, da man für jede Partie seine Taktik neu anpassen muss. Hat man die gewünschten Einstellungen vorgenommen oder den Zufall entscheiden lassen, können erfahrene Mars-Pioniere nun die Fracht der ersten Rakete anpassen. Neulinge sind mit der voreingestellten Fracht gut bedient.

Landeanflug

Anschließend sieht man den roten Planeten vom Weltall aus in seiner vollen Pracht. Man kann den Cursor nun über die gesamte Marsoberfläche bewegen, um eine geeignete Region zur Landung der ersten Rakete zu finden. Hierbei helfen Anzeigen, die den ungefähren Ressourcen-Reichtum, aber auch die Wahrscheinlichkeit potenzieller Bedrohungen wie Staubstürme, Kältewellen oder Meteoriteneinschläge angeben. Ist auch diese Wahl getroffen, sehen wir die ausgewählte Region stark herangezoomt, sodass Krater, Berge und Täler erkennbar sind. Über diese Karte ist nun ein zehn mal zehn Felder großes Raster gelegt, von dem lediglich ein Feld bereits gescannt wurde, sodass uns die dort zu findenden Ressourcen wie Metalle, Baumaterial oder womöglich sogar Wasser angezeigt werden. Die übrigen 99 Felder gilt es später mittels Sonden oder Sensortürmen zu erforschen. Aufgrund der vielfältigen Einstellungsmöglichkeiten empfiehlt es sich für das erste Spiel im Hauptmenü "einfaches Spiel" auszuwählen, da dann automatisch die einfachsten Einstellungen getroffen werden und auf der Karte der Marsoberfläche bereits ein vermeintlich Ressourcen-reicher Sektor gescannt und für die Landung vorgeschlagen ist. Dann kann das eigentliche Spiel beginnen.

Den Fahnenmast setzen

Ist die Rakete gelandet, so entlädt sie kleine Drohnen, die selbstständig die Rohstoffe aus der Rakete entladen. Ein kurzer Text erklärt, welche Infrastruktur nötig ist, damit später eine erste bemannte Rakete zum Mars gestartet werden kann und die Pioniere in einer Kuppel dauerhaft überleben können. Dazu muss selbstverständlich ausreichend Strom, Wasser und Sauerstoff zur Verfügung stehen. Ebenso sollte man sich Gedanken machen, wie die Nahrungsmittelversorgung der ersten Kolonisten sichergestellt werden kann. Und hier beginnt bereits die Arbeit. Da das Spiel über keinerlei Tutorial verfügt, muss man sich mit einigen sehr kurz geratenen Tooltips begnügen. Diese erläutern die Grundlagen zwar ausreichend, allerdings werden noch lange nicht alle Zusammenhänge und Optionen erklärt. Dies fällt umso mehr ins Gewicht, da das Spiel ausgesprochen komplex ist und dem Spieler sehr vielfältige Möglichkeiten bietet, aber dadurch auch ein sehr strukturiertes und taktisches Vorgehen vom Spieler fordert. Der Einstieg ist entsprechend holprig und es kann durchaus vorkommen, dass man eine Kolonie unumkehrbar in ihren Untergang stürzt, wenn man Geldmittel und Ressourcen-Vorräte aus den Augen verliert.

Komplex

Hat man sich dann erst einmal mit den diversen Zusammenhängen, Optionen und vor allem der Steuerung vertraut gemacht, spielt „Surviving Mars” seine Stärken voll aus. Die Komplexität des Spiels sucht ihresgleichen. Zur Veranschaulichung sehen wir uns die Stromversorgung an. Zur Stromerzeugung gibt es zu Beginn vier Möglichkeiten: Kleine Solarkollektoren, große Solarkollektoren, Windräder und Stirlinggeneratoren, jede mit ihren Stärken und Schwächen. Solarkollektoren liefern nur tagsüber Strom, ein großer Energiespeicher für die Nächte wird also benötigt. Außerdem legt sich roter Marssand auf sie und ihre Leistungsfähigkeit nimmt mit der Zeit daher immer mehr ab, bis man sie von einer Drohne reinigen lässt. Windräder haben dieses Problem nicht, allerdings bedarf es zur Wartung der zu Beginn des Spiels sehr knappen Maschinenteile. Denn diese können erst dann auf dem Mars produziert werden, wenn Menschen in einer Maschinenteilefabrik Metalle weiterverarbeiten. Stirlinggeneratoren sind äußerst leistungsstark, müssen bis zur Erforschung der entsprechenden Technologie aber als teures und schweres Fertigbauteil per Rakete von der Erde importiert werden. Natürlich muss alles via Kabel verbunden werden, was wohlüberlegt verlegt werden will, da es Bauraum beansprucht und wertvolles Metall kostet, sowohl beim Verlegen als auch bei späteren Reparaturen. Denn Kabel können selbstverständlich beschädigt werden. Verlegt man diese also nicht wohlüberlegt, kann ein Defekt an der falschen Stelle ohne ausreichende Energie in den Akkus schnell den Großteil der Kolonie zum Stillstand bringen.

Nachschub

Es ist zwar grundsätzlich möglich, Nachschubraketen von der Erde mit Rohstoffen oder gar fertigen Maschinen oder Fahrzeugen zum Mars zu schicken, allerdings ist dies natürlich ein ziemlich kostspieliges Unterfangen, sodass es das Ziel sein sollte, mit so wenig irdischem Nachschub wie möglich auszukommen. Hilfreich hierfür ist die Erforschung neuer Technologien. Insgesamt stehen fünf Kategorien mit jeweils 19 Technologien zur Verfügung, die grundsätzlich nacheinander erforscht werden müssen, jedoch kann das Scannen von Anomalien mit einem Marsrover zufällige, eigentlich noch nicht erforschbare Technologien freischalten. In Abhängigkeit des Missionssponsors, der Forschungseinrichtungen oder später auch der Fähigkeiten der Kolonisten, werden Technologien unterschiedlich schnell erforscht. Damit man während der langwierigen Grundlagenarbeit zur Erschaffung einer selbsterhaltenden Zivilisation auf dem Mars nicht die Motivation verliert, existieren im Spiel einige Meilensteine wie die Entdeckung von Wasser, das Bauen einer Kuppel oder später die Geburt des ersten Kindes. Um auch zwischen den ganz großen Meilensteinen der Kolonialisierung des Mars die Motivation hochzuhalten, werden zwischendurch kleinere Nebenaufgaben, wie die Erforschung einer bestimmten Anzahl an Technologien bis zum Tag Sol X, gestellt, die bei Erfüllung einen Bonus gewähren.

Die Flagge hissen

Ist die erste Kuppel gebaut, geht es daran die Besatzung der ersten Passagierrakete zusammenzustellen, denn man will ja schließlich nicht irgendwen eine neue Zivilisation gründen lassen. Zahlreiche Filter erlauben die Auswahl der besten Ingenieure, Wissenschaftler, Botaniker oder Mediziner, jeder mit seinen eigenen Charakterzügen, Stärken und Schwächen, die selbstverständlich alle Einfluss auf die Entwicklung der Kolonie haben. So leisten Workaholics zwar mehr Arbeit, erholen sich aber deutlich langsamer. Nur in äußerst seltenen Fällen haben fähige Kolonisten keine negativen Eigenschaften. Die jeweiligen Auswirkungen der zahlreichen Charakterzüge werden durch kurze Tooltipps erläutert, die vereinzelt eine charmante Prise Humor zeigen. Mit den ersten Kolonisten können nun auch komplexe Ressourcen abgebaut bzw. hergestellt werden, wie Metalle, die zu Maschinenteilen weiterverarbeitet werden können. Auch die seltenen Metalle, das einzige Exportgut des Mars, das via Rakete zur Erde geschickt werden kann, um dringend benötigte Geldmittel zu erhalten, kann nun abgebaut werden.

Zufriedenheit

Und ab hier spielt „Surviving Mars” nun seine Stärken voll aus. Das ohnehin komplexe Ressourcengeflecht wird nun deutlich umfangreicher, bietet viel mehr Möglichkeiten, erfordert allerdings auch deutlich mehr Aufmerksamkeit und Planung vom Spieler. Denn es gilt nun auch die vier Attribute der Kolonisten Gesundheit, Besonnenheit, Komfort und Moral zu befriedigen und auf einem hohen Level zu halten, denn nur rundum zufriedene Bewohner arbeiten effizient und sorgen bald für das erste auf dem Mars geborene Kind. Hierfür kann es nötig sein, eine Bar, einen Elektronikladen oder gar eine Kunsthandlung in der Kuppel zu eröffnen, die selbstverständlich in jeder Arbeitsschicht einen oder mehrere Kolonisten benötigen. Werden diese allerdings entgegen ihrer Ausbildung und ihrer Stärken eingesetzt, sinkt ihre Zufriedenheit, denn welcher Arzt schürft schon gerne nach Metallvorkommen in der Erde. Ist die Zufriedenheit der Bewohner über einen längeren Zeitraum sehr gering, arbeiten sie nicht nur weniger, sondern in Extremfällen können sie sogar Suizid begehen oder vom Mars zu fliehen versuchen.

Die Krone der Zivilisation

Nun bleibt es dem Spieler selbst überlassen, welchem Ziel er sich zuwendet. Man kann alle 100 Sektoren erforschen, die Population über 1000 Marsianer bringen, alle Meilensteine erreichen oder ein Weltwunder bauen, was für die Entwickler die Krone der Zivilisation zu sein scheint. Was den Wiederspielwert von „Surviving Mars” allerdings trotz fehlender Kampagne oder Szenarios enorm steigert, sind die Geheimnisse, die jedes neu angefangene Spiel bietet. Es stehen insgesamt neun zur Auswahl, die beim Erstellen eines Spiels ausgesucht werden oder dem Zufall überlassen werden können. Ihre Erforschung und die daraus resultierenden Errungenschaften oder auch die ihr innewohnenden Bedrohungen geben jeder Partie neuen Reiz.

High-Tech-Equipment

Die Technik von Surviving Mars ist nicht herausragend, allerdings überaus atmosphärisch und stimmig. Die Drohnen sind liebevoll designt und erinnern ein wenig an Wall-E, die Gebäude wirken realistisch und plausibel, ihre Verschmutzung nimmt mit der Zeit deutlich sichtbar zu und sogar die Nieten an Tanks sind in der größten Zoomstufe erkennbar. Lediglich die Texturen der Marsoberfläche schwächeln aus der Nähe etwas, abgesehen davon ist der Mars authentisch und erstaunlich abwechslungsreich gestaltet und das Spiel läuft stets flüssig. Besonders hervorzuheben sind Details wie die an den Tanks durch Manometer angezeigten Füllstände oder in Lagern anhand der Anzahl der Fässer oder Paletten ablesbare Menge an verfügbaren Ressourcen. Dadurch kommt der Bildschirm mit erstaunlich wenig Anzeigen aus und ist sehr übersichtlich. Der atmosphärische Soundtrack und die gelegentlichen kurzen Informationen via Sprachausgaben lassen wahrhaftige Pionierstimmung aufkommen. Die Steuerung muss an dieser Stelle differenziert betrachtet werden. Trotz der sehr vielfältigen Optionen gehen die allermeisten Befehle nach den ersten Stunden routiniert von der Hand. Allerdings entdeckt man einige Möglichkeiten nur durch Zufall oder via Netzrecherche, wie das Festlegen einer ständigen Transportroute für den Transporter um eine Rohstofflieferkette zu bilden. Hier fehlt eindeutig ein Tutorial. Das können andere Aufbaustrategiespiele deutlich besser. Der zu Beginn äußerst atmosphärische Soundtrack lässt mit zunehmender Spieldauer etwas Abwechslung vermissen und kann zeitweise sogar nervig werden. Außerdem kam es trotz der aktuellsten Softwareversion zu mehreren (Teil-)Abstürzen während des Tests. Hier besteht dringend Nachbesserungsbedarf!