Die Spiele von Compile Heart boten den Fans schon immer eine gute Unterhaltung. Jedoch mussten selbst die größten Fans zugeben, dass die Entwickler das Potential der Spiele nie ganz ausschöpfen konnten. Auf dem ersten Blick wirkt deshalb auch „Mary Skelter: Nightmares“ wie ein beliebiger Dungeon Crawler voller vorhersehbarer Mechaniken und mit einer typischen Anime-Geschichte. Wer dem Spiel jedoch eine faire Chance gibt, wird tatsächlich eine riesige Überraschung erleben. Ob diese positiv oder negativ ist, verraten wir euch im Test.

Das lebende Gefängnis

Die Welt von „Mary Skelter: Nightmares“ ist wohl eine der verrücktesten, die man sich vorstellen kann. Dort ist nämlich irgendwann ein gigantisches Konstrukt namens Jail erschienen, dessen Diener, die Marchants, verwirrte Bewohner entführt und dort eingesperrt haben. Das Jail ist allerdings ein lebendes Gebäude voller Dungeons. Zudem möchte es nicht nur, dass die Gefangenen gefoltert werden, sogar die Wände müssen beleckt werden. So geschieht es auch mit den Hauptcharakteren Jack und Alice, die jedoch von einer mysteriösen Dame namens Red Riding Hood gerettet werden und in einem befreiten Teil des Jails landen, in der eine mysteriöse Organisation namens Dawn einen Ausbruch plant. Dort erfahren sie auch, dass eigentlich Alice Ziel der Rettungsaktion war, denn sie ist eine der sogenannten Blood Maidens, die durch das Blut der Marchants übernatürliche Kräfte erhalten. Davon gibt es mehrere, die jedoch alle Märchennamen wie Cindarella, Gretel, Kaguya oder Snow White tragen.

Überraschend vielfältig

Die Geschichte könnte kaum japanischer klingen und weiß tatsächlich mit einer sehr bizarren Situation wunderbar umzugehen. Wirklich überrascht wird man dann aber im weiteren Verlauf, denn zahlreiche unerwartete Wendungen, tolle Charakterentwicklungen und immer mehr Geheimnisse, die auch aufgedeckt werden, fesseln an die Konsole. Selbst die noble Organisation Dawn verfolgt ein eigenes Ziel und die wichtigen Fragen werden sehr befriedigend aufgelöst. Dabei bedienen sich die Macher zwar allerlei Anime-Klischees, trotzdem gehen sie damit dezent um und verleihen dem Verlauf eine eigene Note. Man möchte also nicht nur aufgrund des Gameplays die Dungeons erforschen, sondern auch um die düstere, wendungsreiche und fesselnde Geschichte zu erleben.

Dungeoncrawler mal anders

Die größte Stärke des Spiels ist definitiv die Verbindung von Geschichte und Gameplay. Man erforscht verschiedene Bereiche klassisch im Dungeon Crawler-Stil aus der Ego-Perspektive, während man nach und nach eine Karte aufdeckt. Anstatt jedoch typische Umgebungen zu sehen, kommt ein gewisses Horror-Gefühl auf. Überall sind Augen und Organe an den Wänden, die Lichtgebung ist wunderbar und man fühlt sich permanent beobachtet und verfolgt. Tatsächlich wird man viel Abwechslung erleben, auch aufgrund kleiner Rätsel. Alle Blood Maidens haben eigene Fähigkeiten, die zum einen von den Märchen inspiriert sind, zum anderen aber neue Areale freischalten können. 

Das Muster des lebenden Dungeons beeinflusst auch das Verhalten der Spieler. Es müssen nämlich drei Bedürfnisse gedeckt werden, weshalb man Gegner besiegen, erkunden und während des Schlafzyklus von Jail agieren muss, um Boni zu erhalten. Diese reichen von Buffs bis hin zu neuen Räumen, in denen wertvolle Schätze warten. Das Vorgehen bringt frischen Wind in das Genre, denn anstatt einfach nur herumzulaufen, muss man tatsächlich planen, was man denn machen möchte. Wer klassisch vorgeht, darf sich hingegen gelegentlich auf Belohnungen freuen. Allerdings können die Erkundung und die gelegentlichen Kämpfe mit Monstern schlagartig zu einem Albtraum werden. In jedem Dungeon laufen die Bosse, genannt Nightmares, frei herum. Ist einer in der Nähe, wird die Umgebung dunkel und man sollte schnellstmöglich weglaufen. Zwar kann man diese Monster in Kämpfen für kurze Zeit außer Gefecht setzen, jedoch nicht besiegen. Das geht erst, wenn der Kern des Dungeons vernichtet wurde. Dadurch kommt ein richtiger Horror-Aspekt in das Genre hinzu und man muss tatsächlich weglaufen oder auch um die Feinde herumplanen. Gerade, wenn man friedlich erkunden möchte und dann in Panik gerät, wird man die besten Momente der Reihe erleben.

Lecken, bis das Blut fließt

Selbst die Kämpfe weigern sich, ausschließlich klassischen Mustern zu folgen. Dabei wirken sie auf den ersten Blick noch normal, denn sie laufen rundenbasiert ab, während man mit seiner Truppe Skills verwendet und sich gegenseitig heilt. Die Damen im Bunde sind jedoch wie eingangs erwähnt Blood Maidens und bei einem normalen Angriff werden sie mit Blut bespritzt. Ist eine Leiste gefüllt, landen sie im Skelter Modus, in dem sie besonders stark sind. Tatsächlich können sie Feinde sogar ablecken, um weitere Boni zu erhalten. Das klingt eigentlich wunderbar, denn die Kämpfe erhalten eine ungewohnte, aber belohnende Dynamik. Wer das aber überstrapaziert, wird erst recht bestraft.

Die Blood Maidens können nämlich bei zu hohem Blutkonsum im Massacre Mode landen, in dem sie dann nicht mehr den Befehlen des Spielers folgen. Plötzlich greifen sie die eigene Gruppe an und löschen diese sogar in wenigen Zügen komplett aus. Zwar können die anderen sie ablecken, um die Leiste zu leeren. Effektiver ist jedoch der einzige Mann, denn Jack kann mit einer Waffe sein eigenes Blut verschießen, um den Massacre Mode zu beenden. Dabei besteht aber ebenfalls ein Risiko, denn ist er blutleer, kann er selbst keine Aktion mehr ausführen. Diese Wechselwirkung macht das Kampfsystem stets strategisch und verleiht dem Ablauf mehr Abwechslung. Selbst nach vielen Stunden funktioniert es so gut, dass man schon absichtlich Nebenwirkungen provoziert, um Kämpfe schneller zu beenden. Oft speichern ist aber Pflicht, denn die Kämpfe können bockschwer werden.

Ein gelungenes Paket

Auch abseits der Dungeons sorgen einige Nebenbeschäftigungen dafür, dass man stets vorbereitet ist. Sammelt man Blood Christals, kann man ein relativ umfangreiches Jobsystem nutzen, das man tatsächlich je nach Art des bevorstehenden Dungeons genau unter die Lupe nehmen sollte. Dadurch kann man auch bei den eigenen Charakteren einen Fortschritt sehen, was gerade in den frühen Stunden motiviert. Daneben gibt es eigentlich nur bekannte Elemente, wirklich sonderlich ist aber Purge. In diesem Minispiel muss man den Maidens das Blut wegwischen, was natürlich durch den Touchscreen geschieht und auch zur Folge hat, dass sich die Kleidung bewegt. Sowas muss man nicht mögen, schön ist es jedenfalls, dass man hier nicht zur Zensurschere gegriffen hat.

Ohrwürmer überall

Der tolle Artstyle dürfte allen Anime-Fans gefallen, doch das ist auch nötig. Ohne diese feine Gestaltung würden die Dungeons nicht so beklemmend ausfallen und die Geschichte nicht so toll herüberkommen. Trotzdem sollte man Freude am Lesen haben, denn die zahlreichen Texte sind nur spärlich vertont. Auch die englische Synchronisation ist alles andere als spektakulär, glücklicherweise ist die japanische jedoch auch enthalten. Problematisch sind vor allem einige Bugs, weshalb es sogar zum Absturz kommen kann. Das ist im Test jedoch nur einmal geschehen, dennoch mitten im Dungeon extrem frustrierend gewesen. Das Highlight ist aber der Soundtrack, der sich wunderbar von der Konkurrenz abhebt und Stücke bietet, die man immer wieder gerne hört.