Im TV ist es schon Alltag. Kaum einer möchte noch Serien mit abgeschlossenen Episoden nach dem Schema „Villain of the Week“ sehen. Stattdessen fordert der moderne Zuschauer zusammenhängende Handlungsstränge mit unerwarteten Wendungen und stark geschriebenen Charakteren, die dazu motivieren, Woche für Woche wieder einzuschalten und die Ereignisse weiter zu verfolgen. Dass sich das Episoden-Format auch als erzählerisches Mittel für Videospiele eignet, hat Telltale Games spätestens mit „The Walking Dead“ eindrucksvoll bewiesen. Nun steigen auch andere Publisher wie Capcom und Square Enix mit auf den Zug auf. Auch Nintendo liebäugelt laut Miyamoto damit rum, das neue „Star Fox“ in mehreren Episoden zu veröffentlichen. Doch warum hat das Episoden-Format einen ganz eigenen Reiz und bringt die Erzählung in Videospielen auf das nächste Level?

Der Cliffhanger ist wohl das effektivste Mittel, um TV-Zuschauer auch in der nächsten Woche wieder vor den Fernseher zu bannen. Wird der Held tatsächlich überleben? Wie soll er aus dieser Situation noch einmal heil herauskommen? Mit Serien wie „24“ bis zum Maximum ausgereizt, hat der Cliffhanger mit der Zeit seinen Reiz verloren. Denn meist konnte man sich sicher sein, dass der Held dank eines Wunders lebend aus der Höhle des Löwen entkommt. Spätestens seit „Game of Thrones“, „Breaking Bad“ oder „Walking Dead“ haben wir aber wieder um unsere Lieblingsfiguren zu fürchten gelernt.

Auch in den Episoden-Spielen von Telltale Games wird mit der Ungewissheit über das Schicksal der Figuren gespielt. Da wir uns aber nicht im linearen Fernsehen befinden, sondern dem dynamischen und interaktiven Medium Videospiel, stehen ganz andere Türen offen. Telltales Spiele lassen uns an der Entwicklung der Handlung und Figuren selbst teilhaben. Wir selbst bestimmen, welche Entscheidungen die Figuren treffen, und müssen anschließend die Konsequenzen tragen, wobei „Walking Dead“ deswegen so gut ankommt, weil es insbesondere mit unseren Moral-Vorstellungen spielt. Wie es in der nächsten Episode weitergeht, hängt ganz von uns selbst ab. Der Reiz, mit anderen über den weiteren Verlauf zu spekulieren und die eigenen Erlebnisse zu diskutieren, liegt also besonders hoch. Gleichzeitig bleibt das Spiel über längere Zeit im Gespräch. Ein besonders großer Vorteil für Publisher, die hier von kostenlosem viralem Marketing profitieren können.

„The Walking Dead“ ist der populärste Episoden-Vertreter

In diesem Punkt tut sich Telltale Games bislang noch etwas schwer. So sind die Abstände zwischen den Veröffentlichungen der einzelnen Episoden noch viel zu groß und unregelmäßig. Im schnelllebigen Internet bleiben die neuen Episoden also nur wenige Tage vor und nach ihrer Veröffentlichung im Gespräch. Capcom hingegen plant mit „Resident Evil: Revelations 2“, jede Woche eine neue Episode zu veröffentlichen. Es ist offensichtlich, dass man sich davon verspricht, über einen längeren Zeitraum konstant im Gespräch zu bleiben und für einen gewissen Event-Faktor zu sorgen.

Dennoch warten viele Spieler lieber ab, bis alle Episoden veröffentlicht wurden, um diese dann an einem Stück spielen zu können. Das passende Äquivalent in der TV-Landschaft nennt sich Binge-Watching. Der Begriff kam mit der Netflix-Serie „House of Cards“ auf, deren Staffeln direkt komplett veröffentlicht werden und so an einem Stück, beziehungsweise im Rausch, geguckt werden können. Natürlich geht hier aber die ein oder andere erzählerische Wirkung durch die direkte Auflösung von Cliffhangern verloren. Ein anderer Aspekt, der vielen gar nicht unbedingt bewusst ist, dass Episoden-Spiele auch hervorragend als Demo funktionieren. Als Spieler kann ich zunächst eine Episode ausprobieren und danach entscheiden, ob ich die weiteren Episoden noch spielen möchte.

Capcom springt mit „Resident Evil Revelations 2“ auf den Episoden-Zug mit auf

Fakt ist, dass Episoden-Spiele nur dann Sinn machen, wenn sie von einer starken Erzählung leben. Ob „Resident Evil: Revelations 2“ von Capcom tatsächlich handlungsstark genug ist, um von dem Format zu profitieren, wird sich erst noch zeigen müssen. Der Vorgänger wurde zwar bereits in mehrere Episoden unterteilt und erzählt, dennoch müsste die Erzählung genauer auf die einzelnen Episoden ausgerichtet sein. Gleichzeitig gilt es, den richtigen Spagat zwischen Spielanteil und Erzählung zu treffen. Während in einem reinen Adventure der Spielanteil sowieso gering ist und die Geschichte im Fokus steht, möchte man in einem „Resident Evil“ noch immer auf Mutanten und Zombies ballern.

Das Episoden-Spiel eröffnet nicht nur neue Wege der Erzählung, sondern ist auch als Distributionsmöglichkeit ein spannender Ansatz in der Videospielbranche. Die Entwickler können mit ihren Spielen auf neue Weise Geschichten erzählen und sich näher an großen TV-Bildern orientieren, während Publisher davon profitieren, dass ihre Spiele länger Gesprächsthema bleiben und viral beworben werden. Wir Spieler hingegen können in ein Spiel zunächst reinschnuppern und nach wenigen Episoden entscheiden, einfach auszuschalten, ohne sechzig Euro für einen Vollpreistitel in die Luft geblasen zu haben. Das Episoden-Spiel ist somit einer der spannendsten Ansätze der letzten Jahre, mit dem es sich lohnt, weiter zu experimentieren.

Mit „Moon Chronicles“ gibt es auch auf dem 3DS bereits ein Spiel mit Episoden-Ansatz


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