Im vergangenen Jahr verwöhnt uns Netflix mit der ersten Staffel „Castlevania“. Basierend auf dem dritten Teil der sich im Tiefschlaf befindenden Reihe wurden vier Episoden veröffentlicht, die sowohl Fans als auch diejenigen ohne Erfahrung begeisterten. Der Mix aus fantastisch geschriebenen Charakteren, der starken Animation und einer Geschichte voller Potential konnte punkten wie nur wenige Videospiel-Verfilmungen zuvor, weshalb die doppelt so lange zweite Staffel in überraschend große Fußstapfen treten muss. Wieso alle Bedenken umsonst waren, wollen wir an dieser Stelle besprechen. Dabei wird eine große Spoiler-Warnung ausgesprochen. Während unser Bericht aus dem vergangenen Jahr noch Interessierte dazu bewegen sollte, der Serie eine Chance zu geben, ist die zweite Staffel lange vor jedem Bericht Pflicht!

Die neuen Stars

Die Macher von „Castlevania“ nutzen die zusätzlichen Episoden, um das Pacing grundsätzlich zu verändern. Der gesamte Verlauf nimmt sich mehr Zeit, die ruhigen Momente können weitaus stärker ausgedehnt werden, um die Welt vielfältiger zu machen. Hier findet man auch bereits den ersten Bruch mit den Erwartungen, denn obwohl es im Zentrum weiterhin um den Kampf von Trevor, Sypha und Alucard gegen Dracula geht – ebenso viel, vielleicht sogar mehr Zeit wird dem Konflikt innerhalb Draculas Armee geboten.

Im Zentrum stehen Hector und Isaac, die Fans bereits aus „Castlevania: Curse of Darkness“ kennen. Während Hectors Design an das Spiel erinnert, wurde Isaac komplett neu gezeichnet. Glücklicherweise erlaubt sich die Serie eine Menge Freiheiten und somit sind die beiden weitaus interessanter als im PlayStation 2-Spiel. Es handelt sich nämlich um Schmiedemeister, die die Toten zum Leben erwecken können und somit Draculas wichtigste Komplizen in seinem Plan, die Menschheit auszulöschen. Als der Obervampir ihnen das Vertrauen ausspricht, sind die anderen Kreaturen alles andere als glücklich, das Chaos beginnt jedoch erst mit der Einführung von Carmilla so richtig, die viel lieber selbst Draculas Position einnehmen würde.

Böse mit Gefühl

Natürlich fragt man sich, wieso zwei Menschen das Ziel verfolgen, ihr eigenes Volk auszulöschen. Hier beweist sich dann, wieso die Serie ab 18 Jahren freigegeben ist. Insbesondere Isaacs Rückblende ist dermaßen grausam, dass selbst hartgesottene Zuschauer nachvollziehen können, wieso sein Hass dermaßen tiefgreifend ist. Genau in diesem Punkt steigert sich die Serie enorm, denn insbesondere die Neuzugänge werden dermaßen tief charakterisiert, dass man mit ihnen fiebert, egal auf welcher Seite sie sich befinden. Diverse Ereignisse zeigen, wie unterschiedlich die beiden menschlichen Verbündeten von Dracula sind und da relativ schnell deutlich wird, dass sie nur von den Spielen inspiriert wurden könnte es kaum spannender sein zu sehen, wie sie sich über die acht Folgen hinweg entwickeln.

Auch ansonsten weiß die Seite der Schurken zu überzeugen. Zugegeben, Carmillas Absichten und ihr Verhalten sind vorhersehbar und alles andere als originell, dennoch macht es Spaß zu sehen, wie sie mehr Macht gewinnt als man glaubt. Hektor kann einem dank seiner Naivität schon leidtun und man vergisst ziemlich schnell, dass er die gesamte Menschheit auslöschen möchte. Insbesondere in der finalen Episode zeigt Carmilla dann aber eine furchtbar brutale Seite und beweist, dass man sie nicht zu früh abstempeln sollte.

Ein Trio auf kurzer Reise

Und wie sieht es nun bei den Helden aus? Ihre Reise ist gar nicht so groß, denn früh ist das Ziel das verlassene Anwesen der Belmonts, in dem sie dann auch mehrere Episoden lang nach Büchern suchen, die ihnen wichtige Informationen zu Draculas Schloss liefern. Anstatt am laufenden Band zu kämpfen lassen die Macher die Gruppe miteinander interagieren und besonders die Beziehung zwischen Trevor und Alucard wird von gegenseitiger Verachtung und Respekt zugleich gezeichnet. Ihre Persönlichkeiten entwickeln sich genauso, wie man es erwartet. Besonders schlimm ist das nicht, denn die Serie beweist Charme in einigen mal mehr, mal weniger gut geschriebenen Dialogen. Es wäre jedoch gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich mir eine längere Reise für die drei gewünscht hätte, inklusive Treffen mit Grant.

Es ist nämlich die siebte Episode, die zum Feuerwerk mutiert. Hier zeigen sich alle von ihrer besten Seite und die Animationsqualität in den Kämpfen könnte nicht besser sein. Die Vielfalt an Ideen ist grandios und keiner, wirklich niemand, wird für nur eine Sekunde wegschauen, während das große Payoff stattfindet. Die Folge fühlt sich wie ein Finale an, und das ist sie auch. Obwohl es sicherlich klassischer gewesen wäre, wenn der Kampf gegen Dracula erst am Ende der Serie stattfinden würde, findet die finale Konfrontation genau an der richtigen Stelle ihr Ende. „Castlevania“ lebt nicht durch Dracula, sondern durch die Welt und die Charaktere, die Staffel 2 eingeführt hat.

Die Tragik in Person

Der mächtigste aller Vampire erhält viele der besten Szenen der gesamten Staffel. Er ist nämlich nicht der mächtige Kriegsführer, sondern ein gebrochener Mann, der die gesamte Menschheit dafür bestrafen möchte, dass ihm die Liebe seines Lebens genommen wurde. Dracula ist schwach und verfällt nicht dem Wahnsinn, er befindet sich bereits in ihr. Seine Depressionen werden von fast allen Protagonisten anerkannt und genau deshalb kommt es zu dem Chaos, das hätte verhindert werden können. Dem Count ist das alles egal, denn er will nur sein Ziel erreichen. Alucard fasst es in den letzten Momenten mit seinem Vater perfekt zusammen, denn Dracula befindet sich auf einer Selbstmordmission, auf die er alle mitnehmen will, die er verachtet. Der Umstand, dass Vampire kein Menschenblut trinken könnten, ist ihm sogar egal, denn er plant nicht, diese Situation mitzuerleben. Demnach ist das Ende der siebten Episode umso emotionaler. Der Bösewicht hätte nicht noch über weitere Staffeln handeln können, oder wie er selbst so gut zusammenfasst, er ist bereits seit der ersten Folge tot.

Eine rosigere Zukunft als für die Spiele

Eine dritte Staffel von „Castlevania“ befindet sich bereits in Produktion und sie wird grundlegend anders ablaufen. Trevor und Sypha reisen nun allein, Alucard tritt in die Fußstapfen seines Vaters – zumindest in Sachen Wissenschaft. Hector erleidet das wohl schwerwiegendste Schicksal, aus dem er sich befreien muss, und Isaac wird seine Fähigkeiten nutzen, um selbst Draculas Wunsch umzusetzen. Die Serie wird sich verändern, kann dafür aber neue, unglaublich spannende Geschichten erzählen. Vielleicht ist sogar ein Zeitsprung zu einem Belmont-Nachfolger möglich, es gibt kaum Grenzen in dieser großartigen, blutigen Welt. Eines ist definitiv sicher: es wird grausam, tragisch und spannend.

Ein Traum für Fans

Danke Netflix, danke an das ganze Team von „Castlevania“ für eine großartige zweite Staffel. Obwohl die Handlung anders verläuft als gedacht, sind es gerade die neuen Charaktere, die einen in den Bann ziehen. Kombiniert mit den fantastischen Animationen, einer spektakulären siebten Folge und der Aussicht auf düstere Zeiten für die Welt können wir es gar nicht abwarten, wenn die sich in Produktion befindende dritte Staffel erscheint. Denn eines ist klar: Wir waren noch nie so hungrig auf eine Videospiel-Umsetzung.