Lange mussten wir darauf warten. Vor zehn Jahren wurde „Final Fantasy XV” angekündigt, wobei es damals noch zum Kanon von „Final Fantasy XIII” gehören sollte. Jetzt ist es als Hauptteil der Reihe erhältlich, und die alles entscheidende Frage ist natürlich: Kann es die Erwartungen erfüllen?

Road Trip

Schon seit ihrer Kindheit sind Prinz Noctic und Lady Lunafreya einander versprochen. Dies ist die Entscheidung zweier Königreiche, um das gute Verhältnis zu besiegeln. Der Tag der Hochzeit naht, und Noctis verabschiedet sich von seinem Vater, um mit seinen Freunden Gladiolus, Ignis und Prompto ins Auto zu steigen und zu seiner versprochenen Prinzessin Lunafreia zu fahren. Doch bevor sie mit der Fähre übersetzen können, geschieht das für Noctis und seine Freunde unerwartete, für JRPG-Fans jedoch fast schon vorhersehbare: Noctis' Heimat wird angegriffen und sein Vater getötet. Die Geschichte überrascht an der Stelle also nicht und das große Schicksal der Welt nimmt in manchen Kapiteln auch sehr seltsame Züge an, so dass bereits angekündigt wurde, diese per Patch zu überarbeiten und neue Szenen hinzu zu fügen. Dennoch gibt es viele grandiose Momente, die einem in Erinnerung bleiben werden, auch wenn die Highlights der Reihe, wie Aeris' Schicksal oder Yunas berühmt-berüchtigtes "Danke", nicht erreicht werden.

Untypischer Fokus

Wenn man von der Geschichte nun die klassische Auslegung auf das große Übel erwartet, wird man vielleicht von diesem Punkt bereits ein wenig enttäuscht sein. Natürlich gibt es wieder das böse Imperium, das für jede Menge Ärger und Leid verantwortlich ist. Aber das zentrale Element sind die vier Kerle, die zusammenhalten, komme was wolle. Wenn man das Intro auf sich wirken lässt, wird dies schon sehr deutlich. Sie starten ihren Road Trip und direkt bleibt das Auto liegen. Nun müssen sie gemeinsam die Karre bis zur nächsten Werkstatt schieben. Dabei setzt das Lied "Stand by me" ein und der Schriftzug „Final Fantasy XV” wird eingeblendet. Damit lassen sich dann auch zwei weitere Punkte erklären, die viele als Manko ansehen werden. Zum einen haben wir hier vier Jungs, wo sonst auch immer Damen mit in der Party sind. Dies soll nicht sexistisch klingen, aber: reine Männerabende laufen halt auf einer ganz anderen Ebene ab. Der anderen Punkt ist, dass die Heldentruppe direkt zu Beginn feststeht und abgesehen von kurzen Ausflügen niemand hinzu kommt. Für mich war das kein Kritikpunkt, sondern eben ein weiteres Element, das zeigt, wo der Fokus liegt.

Nahtlos

„Final Fantasy XV” ist nicht das erste JRPG mit einer offenen Spielwelt. Aber es ist das vielleicht beste Beispiel dafür, wie nahtlos man so eine Welt umsetzen kann. Man kommt an einer Tankstelle an, tankt sein Auto, geht weiter in das kleine Diner, quatscht mit dem Kellner, der einem interessante Punkte in der Umgebung verrät, nimmt einen Jagd-Auftrag an, geht im Tankstellen-Shop Vorräte einkaufen, verlässt die Tank-Stelle mit einem gekonnten Sprung über die Leitplanke, erledigt den Jagd-Auftrag und schließt den Tag mit Zelten am Lagerfeuer ab. Dabei wurde sehr liebevoll darauf geachtet, dass alles wirklich lebendig wirkt. Beim Feierabend quatschen die Jungs, mal klickern sie auf ihren Handys rum, und je nachdem wo man die Nacht verbringt, setzt sich dann auch mal ein NPC mit dazu. Solche Details machen die Spielwelt und die vier Kerls, die auch unterwegs stets etwas passend zur Situation oder zur Umgebung zu bequatschen haben, zum eigentlich Star des Spiels.

Und Action

Actionreich wie nie zuvor in der Hauptreihe kommt das Kampfsystem daher. Die Gegner sind stets zu sehen, womit man dem Kampf auch gut aus dem Weg gehen kann wenn. Aber dafür macht das Kämpfen zu viel Spaß. Wo heutzutage viele JRPGs mit unzähligen Möglichkeiten daher kommen, bietet „Final Fantasy XV” ein sehr gerafftes System, das dem Spielfluss zugute kommt. Mit Angreifen, Ausweichen und Warpen stehen Noctis im Prinzip drei Aktionen zur Verfügung. Die Magie wird sehr praktisch wie eine Waffe ausgewählt, was über die vier Richtungen des Steuerkreuzes sehr komfortabel auch Mitten in der dicksten Auseinandersetzung funktioniert. Taktischer wird das Ganze dadurch, dass man die Möglichkeiten unterschiedlich einsetzen kann. Ein Warp-Angriff aus der Ferne macht mehr Schaden, im letzten Augenblick blocken bringt mehr als den Button dauerhaft zu halten, und ein Angriff von hinten macht ebenfalls mehr Schaden. Die drei Team-Kollegen agieren selbstständig, man kann aber für jeden von ihnen einen Spezialangriff aktivieren, sobald sich eine Leiste dafür gefüllt hat. Mein erster Durchgang hat 35 Stunden gedauert, und ich kann nicht sagen, dass ich Mal keine Lust auf den nächsten Kampf hatte. Wer es dagegen taktischer mag kann auch den Warte-Modus aktivieren, der das Spiel anhält und die nächste Aktion wählen lässt. Da der Fokus aber eindeutig auf der Action liegt hatte ich damit nur bedingt Freude. Es gibt zwar ab und an mal Situationen, die aufgrund großer Gegnermengen in engen Bereichen etwas unübersichtlich werden und damit im Warte-Modus leichter zu managen sind, aber wer bei der Action bleibt und sich kurz raus warped um die Übersicht zurück zu erlangen, wird damit schon nach kurzer Zeit keine Probleme haben.

Räder & Flügel

In einer großen Open World kann man natürlich nicht nur zu Fuß unterwegs sein. Von Beginn an steht die Luxus-Karre Regalia zur Verfügung. Was auf den ersten Blick einschränkend klingen mag, macht schon nach kurzem Überlegen Sinn: Das Auto kann nur auf den Straßen fahren, und dies macht es wie auf Schienen. Wenn man selbst das Steuer übernimmt, muss man nur Gas geben und bei Abzweigungen die Richtung vorgeben. Rennspiel-Fans würden ihr Fahrzeug wahrscheinlich lieber direkt steuern, doch diese gemütliche Art der Fortbewegung macht in einem JRPG deutlich mehr Sinn. So kann man in Ruhe die Umgebung im Auge behalten, interessante Punkte suchen oder auch einfach nur die tollen Landschaften genießen. Für beschleunigte Ausflüge ins Gelände eignen sich dagegen die Reit-Vögel Chocobos, die man recht früh im Spiel freischalten kann. Durch die Ausritte steigt auch das treue Ross im Level auf und wird schneller oder kann dann sogar im Kampf gerufen werden, wodurch die Riesen-Vögel so interessant wie noch nie zuvor bei einem „Final Fantasy” werden. Und wie auch beim Regalia darf man sie optisch den eigenen Wünschen anpassen. Alternativ zu Auto und Vogel kann man auch die Schnellreise-Funktion nutzen, die jedoch mit barer Ingame-Münze bezahlt werden will.

Nebenbeschäftigungen

Wie eingangs erwähnt ist die Story zum Teil eher durchwachsen, was jedoch an anderer Stelle mehr als nur ausgeglichen wird. Die Nebenaufgaben sind sowohl zahlreich als auch sehr unterschiedlich. Natürlich gibt es die Standards wie "Töte dies" und "Sammle das", doch durch das tolle Kampfsystem und die grandiose Spielwelt kann man dies durchaus verzeihen. Darüber hinaus stehen unter anderem mit Angeln, Chocobo-Rennen und Justice Monsters Five genug Aufgaben zur Verfügung, dass man die Hauptgeschichte für unzählige Stunden beiseite schieben kann. Bei der zuletzt erwähnten Tätigkeit handelt es sich um eine Art Flipper. Dieser macht zwar auch immer wieder Laune, jedoch kann er nicht mit großartigen Mini-Spielen wie dem Kartenspiel Tetra Master aus „Final Fantasy IX” mithalten. Und wenn man seinen Spielstand nach dem Abspann lädt, wird man direkt von einem neuen, monströsen Ereignis in der Welt begrüßt, was aber nur eine von vielen neuen Möglichkeiten ist, die den Spieler auch nach Beendigung der Story fesseln.

Dungeons?

Diesen klassischen Moment des Betretens eines Dungeons, der für sich allein abgeschottet von der Welt zu existieren scheint, gibt es nicht mehr. Auch sie fügen sich nun nahtlos in die Spielwelt ein, keine Ladezeit oder Zwischensequenz deutet an "Jetzt bist du in einem Dungeon". Natürlich gibt es dunkle Höhlen, aber auch verwinkelte Wege mitten in einem Wald oder Fabrikgelände stellen Dungeons dar ohne dass man es wirklich merkt. In ihrem Aufbau sind die viele recht simpel gehalten, so dass sich auch Genre-Neulinge nicht verlaufen werden. Eine Ausnahme bildet ein besonders knackiger, optionaler Dungeon bei dem man schon mehr als nur einmal überlegen muss wie es weiter geht.

Verbessern

Was natürlich in keinem JRPG fehlen darf, sind Fortschritt und Ausrüstung der Charaktere. Ungewöhnlich verhält es sich mit den Erfahrungspunkten. Durch erledigte Quests und besiegte Gegner werden diese angesammelt, jedoch noch nicht auf die Charaktere angerechnet. Erst wenn man übernachtet können die Charaktere im Level aufsteigen, wobei je nach Qualität und damit auch Preis der Unterkunft ein Multiplikator nochmal nachhilft. Dieses System macht das bei anderen Spielen beiläufige Sammeln von Erfahrungspunkten zu einem kleinen Taktik-Thema: Gehe ich direkt kostenlos übernachten für einen kleinen Bonus und steige direkt im Level auf, oder bleibe ich beim aktuellen Level, sammle noch mehr Erfahrungspunkte und gebe Geld für einen dicken Bonus aus? Darüber hinaus bringen diverse Aktionen noch Aktionspunkte, die man auf verschiedenen Feldern, die entfernt an das Sphärobrett aus „Final Fantasy X” erinnern, gegen Verbesserungen eintauschen kann. Diese reichen von besseren Statuswerten über Spezialangriffe bis hin zu verbesserter Magie, und so kann man unterschiedliche Spielweisen unterstützen. Ob man mehr Magie einsetzt, sich auf Warp-Angriffe spezialisiert oder eher Kombos in der Luft ausführt, alles lässt sich mit genug gesammelten Aktionspunkten verbessern. In Sachen Ausrüstung gibt sich das Spiel auch eher gestrafft. Andere Klamotten für die Jungs gibt es kaum und nur zum Teil wirken die sich auf die Charakterwerte aus, bei den Waffen dagegen darf man regelmäßig ein neues Modell schwingen.

Hobbies

Die vier Kerls wollen nicht nur die Welt retten und Noctis' Zukünftige finden, sondern nebenbei auch ihren Hobbies nachgehen. Noctis darf sich beim Angeln einer Vielzahl an Ködern und Co. bedienen, um auch die dicksten Fische an Land zu ziehen, Ignis kocht für Charakterwerte und auch andere Bereiche vorteilhafte Mahlzeiten, Gladiolus dagegen wird durch simples Rumlaufen in Sachen Survival besser und findet nach Kämpfen immer bessere Gegenstände für die Gruppe. Am interessantesten ist aber definitiv Prompto. Dieser schießt wirklich sehr gute Fotos, auch in den actionreichsten Situationen wie Boss-Kämpfen. Diese kann man sich beim Rasten anschauen und im Fotoalbum sammeln.

Bombastisch

Ohne Zweifel grandios ist der optische Aspekt des Spiels. Vor allem die wichtigen Charaktere und die Gegner stechen durch einen unglaublichen Detailreichtum und nicht weniger beeindruckende Animationen hervor. Doch erst das Gesamtbild macht den Eindruck perfekt. Vor allem die tolle Weitsicht über die Landschaften, und dazu der Tag-/Nacht-Zyklus und Wettereffekte sind stets ein Genuss für das Auge. Und auch in Sachen Effekte kann das Spiel sich zum Besten zählen, was man bisher auf der PlayStation 4 gesehen hat. Wenn sich nachts ein Red Giant aus dem Boden schält, um dann mit seinem flammenden Schwert auf einen zuzukommen, sieht das nicht nur cool aus, sondern wirkt auch verdammt einschüchternd. Eine besondere Erwähnung hat der Stil der Spielwelt verdient. Im Gegensatz zu den bisherigen Spielen der Reihe sind die Landschaften ungewöhnlich realistisch gehalten. Natürlich gibt es immer noch fantastische Elemente, wie einen Kometen, der mysteriös leuchtet und einen riesigen Krater hinterlassen hat. Von diesen Elementen abgesehen, könnte man viele Gebiete realen Vorbildern auf unserem Planeten zuordnen, wie den steinigen Landschaften Nevadas oder den Sümpfen von New Orleans. Eine Änderung beim Stil kann man auch beim Soundtrack erkennen. Bisher konnten Fans schon nach wenigen Tönen sagen „Ja, das ist Final Fantasy!“; dieses Mal ist dem nicht so, was jedoch keineswegs negativ aufgefasst werden darf. Mit der Modernisierung vieler anderer Elemente hat eben auch der Soundtrack eine Generalüberholung erhalten, die sich in der Qualität keinesfalls vor den Klassikern verstecken muss. Und wer es doch klassischer mag, kann sich die Soundtracks vieler anderer Ableger der Reihe in den Ingame-Shops für ein paar Gil zulegen und im Autoradio oder dem tragbaren Player unterwegs hören. Ein weiteres Novum in der Reihe ist die deutsche Sprachausgabe, die wirklich sehr gut gelungen ist. Doch natürlich ist auch englisch auswählbar, und auch hier sind die Sprecher fast perfekt. An dieser Stelle gibt es ausnahmsweise mal keine Empfehlung der besten Vertonung, denn beide sind vollkommen zufriedenstellend.