Die Spiele der „Wolfenstein“-Marke sind in Videospielkreisen seit jeher berühmt-berüchtigt. Seit über zwei Jahrzehnten sorgt die Serie für blutverschmierte Bildschirme und reichlich Kontroverse, besonders in Deutschland. Im vergangenen Jahrzehnt ist die Serie ein wenig in eine Identitätskrise gekommen, ehe man mit „Wolfenstein: The New Order“ unter der Federführung von Entwickler MachineGames der Serie neues Leben eingehaucht hat und einen Überraschungshit im Jahre 2014 landen konnte. Mit „Wolfenstein II: The New Colossus“ will man nun an diesen Erfolg anknüpfen und die Geschichte von Serienprotagonisten B.J. Blazkowicz weiterschreiben, der einmal mehr in den Krieg gegen das Regime zieht. Ob uns das Actionfeuerwerk auch in seiner Fortsetzung begeistern konnte oder der frischen Formel doch nur ein einmaliges Erfolgserlebnis vergönnt bleibt, erfahrt ihr in unserer Review.

Der Widerstand lebt

In Hinblick auf die Geschichte, setzt „Wolfenstein II: The New Colossus“ dort an, wo „Wolfenstein: The New Order“ aufgehört hat. General Totenkopf wurde zwar vernichtend geschlagen, doch in der alternativen Welt des Spiels, herrscht das Regime mit eiserner Faust über die USA der 1960er-Jahre. Für wen das alles Neuland ist, sei gesagt, dass das Spiel einen kurzen Überblick gewährt, um euch mit den Vorereignissen im aktuellen „Wolfenstein“-Universum vertraut zu machen. Überflüssig zu erwähnen, dass diejenigen, welche die beiden Vorgänger gespielt haben, dennoch einen Vorteil genießen. Der Protagonist B.J. Blazkowicz muss einmal mehr zum Beil und zur Schusswaffe greifen, um den Kampf gegen die brutalen Unterdrücker aufzunehmen und den USA die Freiheit zurückzugeben. Einfacher gesagt, als getan, hat der Serienheld doch einige schwerwiegende Verletzungen einstecken müssen, die ihn an einem vernünftigen Kampf gegen die Schergen des Bösen hindern – doch mit Hilfe der Technik lässt sich auch das übergehen. Nichtsdestotrotz, anders, als in vielen anderen Spielen, wird diesmal auch ein stärkerer Fokus auf die seelische und körperliche Verwundbarkeit des Protagonisten gelegt. Für B.J. ist außerdem der Kampf gegen das Regime diesmal persönlicher denn je, erwartet ihn doch das Vaterglück. Wenn man dann jedoch wie ein Supersoldat durch Horden von Gegnern ballert und schnetzelt, tut sich zwangsweise eine gewisse Diskrepanz zwischen dem auf, was von dem Charakter vermittelt werden soll und dem, was im eigentlichen Gameplay vonstatten geht.

Die verrückten 60er

Einer der spannendsten Aspekte von „Wolfenstein II: The New Colossus“ ist zweifelsfrei die Alternativwelt, die Entwickler MachineGames geschaffen hat. Nicht nur, zählt das Szenario „Was wäre, wenn die Alliierten den Zweiten Weltkrieg verloren hätten?“ bis heute zu den mindestens so spannenden, wie sträflich vernachlässigten Szenarien für Videospielen, sondern auch die detaillierte Gestaltung dieser Bizarrowelt ist etwas, das den schwedischen Entwicklern äußerst gelungen ist. Die Gesellschaft der Nachkriegs-USA ist tief gespalten, zwischen denjenigen, die sich mit dem Regime arrangiert haben oder es gar unterstützen und alldenjenigen, die als klare Verlierer ausgestiegen sind, von religiösen bis ethnischen Minderheiten bis hin zu politisch Andersdenkenden, aus dem sich auch der Widerstand rekrutiert. Die Welt von „Wolfenstein II: The New Colossus“ stürzt den Spieler in ein Wechselbad voller Gefühle. Von äußerst brutal und gewalttätig über herzzerreißend und traurig bis hin zu geradezu bekloppt und zum schießen – im doppelten Sinne. Von der Superheldenfigur „Der Blitz“, der als Propagandafigur des Regimes im Stil der US-amerikanischen Comichelden der 30er- und 40er-Jahre gegen US-amerikanische „Bösewichte“ kämpft über zahlreiches weitere Propagandamaterial in Bild und Ton, hat MachineGames es geschafft, eine unfassbar interessante, eigene Popkultur in dieser Alternativwelt geschaffen, die mindestens so abstrus wie spannend anmutet. Den Entwicklern mag dabei nicht immer der Spagat zu einhundert Prozent gelingen, nichtsdestotrotz punktet der Egoshooter mit einem herrlich erfrischenden Zugang und einem, für ein geradliniges Ballerabenteuer, ungewöhnlichen Tiefgang in der Geschichte und spannenden, manchmal sogar irrwitzigen Wendungen und Enthüllungen. Ebenfalls gut gelungen, ist die Charakterentwicklung und -bindung, die primär zwischen Missionen auf dem U-Boot „Hammerfaust“ vorangetrieben wird, in denen ihr euch den Dialogen und Sorgen der Spielfiguren hingeben könnt. Sehr angenehm ist auch, dass, obwohl es sich bei dem Spiel um ein Actionfeuerwerk handelt, in dem gefühlt alle paar Sekunden die Explosionen und Kugeln um die Ohren fliegen, sich genug Zeit für die Charaktere genommen wird. Außerdem scheut „Wolfenstein II: The New Colossus“ nicht davor zurück, brisante und schwierige Themen wie Rassismus in den USA in den Fokus zu rücken, dass durch aktuelle Ereignisse in der „echten Welt“ zusätzlich an Brisanz gewinnt.

Rambo oder Solid Snake?

Wer bereits „Wolfenstein: The New Order“ gespielt hat, wird sich im direkten Nachfolger gewiss schnell zuhause fühlen. In guter, alter Manier, muss B.J. von Punkt A nach Punkt B kommen und alles wegballern, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Hier dürften so einige Spieler ihre Schwierigkeiten haben, denn „Wolfenstein II: The New Colossus“ ist im Geiste ein ziemlich geradliniger Shooter aus „alten Tagen“. Dementsprechend sind Themen wie großräumige Levelerkundung, Looten & Leveln, Fahrzeuge und Compagnie, sprich, alles, was man von einem Teil der modernen, offenen Shootern der Klasse „Far Cry 4“ kennt, marginal bis gar kein Thema. Das ist weder positiv, noch negativ, es ist nur ein anderer Ansatz, aber einer, den man sich bewusstmachen sollte, bevor man sein Geld zückt und erst danach merkt, dass man vielleicht doch mit der klassischen Formel nicht mehr großartig etwas anfangen kann. Wer jedoch dem Offen gegenübersteht, kann im Kampf gegen das Regime auf verschiedene Wege zurückgreifen, um die bösen Soldaten auszulöschen. B.J. kann entweder in guter, alter Rambo Manier mit der größten Wumme, die er findet, über das Schlachtfeld rasen oder er schneidet sich eine Scheibe von der Videospielikone Solid Snake ab, und erledigt seine Gegner klammheimlich aus den Schatten heraus mit leisen, aber nicht minder tödlichen Angriffen. Wenn es zum offenen Schlagabtausch kommt, sind die Feuergefechte schnell und beeindruckend inszeniert – das Tempo ist auf ähnlichem, wenn nicht ganz auf demselben Geschwindigkeitslevel, wie bei „DOOM“. Die Steuerung trägt zusätzlich zum runden Gesamteindruck ein, sie ist weder überladen, noch träge oder wenig responsiv.

Kritik müssen wir jedoch an der künstlichen Intelligenz der Gegner üben, die oft simple taktische Vorgehensweisen vermissen lassen und viel zu oft kein Kapital aus ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit schlagen können, gerade, wenn B.J. eigentlich schon stark verwundert ist und in der Deckung um sein letztes Stück Leben kämpft. In höheren Schwierigkeitsgraden wird dies jedoch dadurch kompensiert, dass die Gegner mehr Schaden austeilen und alleine durch ihre Menge an Gefährlichkeit dazugewinnen. Im Schleichmodus zeichnet sich ein ähnliches Bild, in Hinsicht auf die Intelligenz der Regimesoldaten. „Wolfenstein II: The New Colossus“ will kein Stealth-Shooter sein und das merkt man auch. Die Möglichkeiten, aus den Schatten herauszuagieren sind beschränkt und durch die nicht sonderlich hoch ausgeprägte Intelligenz der Gegnerscharen macht das Schleichen auch deutlich weniger Spaß. Zugegeben, gerade anfangs kann ein Kill mit dem charakteristischen Hackerbeil noch eher dazu verleiten, den Schutz der Dunkelheit zu nutzen. Wer jedoch das Maximum an Spielspaß aus „Wolfenstein II: The New Colossus“ herausholen will, sucht den offenen Kampf mit dem breiten Arsenal an Waffen, solo oder im Akimbo-Modus, und ballert ein Magazin nach dem anderen heraus – so war das Spiel primär gedacht und so funktioniert es auch am besten. Simpler, kompromissloser Actionspaß.

A blast from the past

Wie bereits erwähnt, kann „Wolfenstein II: The New Colossus“ sicherlich nicht mit einer besonderen Offenheit in den einzelnen Spielabschnitten punkten. Unabhängig davon, bieten viele Spielabschnitte jedoch die Möglichkeit, einen von mehreren Wegen einzuschlagen und sie Situationen zu verändern oder zu vermeiden. Diese sind jedoch oftmals marginal implementiert. Im Grunde folgt man dem typischen Levelschlauch von Punkt A nach Punkt B, typisch den Wurzeln der Serie als Arcadeshooter der alten Schule. Der Vorteil davon ist, dass jedes Level vom Entwickler entsprechend kontrolliert wird und die ein oder andere gescriptete Überraschung für Abwechslung im blutigen Alltag sorgt. Zusätzlich lassen sich die Waffen mit dem Abschließen von Herausforderungen, wie beispielsweise einer bestimmten Anzahl an Kopfschüssen, verbessern, so dass das Spiel dem eigenen Spielstil auch Rechnung trägt. In puncto Leveldesign und Abwechslungsreichtum hätte Entwickler MachineGames definitiv noch Luft nach oben gehabt, viele Levelabschnitte unterscheiden sich visuell nicht allzu stark und nutzen beispielsweise nicht die Möglichkeit, die eigens geschaffene Popkultur, die für das Spiel geschaffen wurde, um die Spielabschnitte in ihrer audiovisuellen Gestaltung einzigartiger zu machen. Nachdem das Spiel sehr geradlinig ist, fällt der Umfang mit circa acht Stunden Spielzeit nicht allzu hoch, aber ausreichend aus. Leider gibt es nach dem Beenden der Story, abseits von Kopfgeldjagden, die leider, aufgrund der monotonen Natur, nicht sonderlich spaßig sind, wenig Anreize, weiterzuspielen. Anders, als viele andere zeitaktuelle Spiele, verzichtet „Wolfenstein II: The New Colossus“ auf einen zwanghaft, nicht durchdachten Multiplayer-Modus um den Multiplayer-Modus willen, sowie auf Mikrotransaktionen und tausenden erwerbbaren (kosmetischen Items) – in dieser Hinsicht weht tatsächlich ein frischer Wind vergangener Zeit durch das Spiel, von dem sich viele andere Spiele der heutigen Zeit durchaus etwas abschauen können.

Technik

Optisch kann das Actionfeuerwerk durchaus punkten. Während das Spiel auf der gewöhnlichen PlayStation 4 in 1080p läuft, kriegt es auf der PlayStation 4 Pro einen schönen Boost auf 1440p. Beide Versionen peilen die 60 Bilder pro Sekunde als Standard an, können diese auch meist, bis auf kleinere Abweichungen in besonders chaotischen Szenen, durchaus halten. Das sorgt dafür, dass der schnelle, flüssige Shooter auf wirklich schnell und flüssig sein kann. Die Charaktermodelle sind ansehnlich, wenn nicht auch nicht „state of the art“. Besonders positiv sind uns außerdem die visuell beeindruckenden Partikeleffekte aufgefallen. Enttäuscht sind wir jedoch im Bereich „Sound“, hier tut sich eine kleine Diskrepanz zwischen der visuellen Imposanz wuchtiger Knarren und dem doch eher halbgaren akustischen Feedback auf. Hier sollten die Entwickler bei den schwedischen Kollegen von DICE Games vorbeischauen, die bereits in Spielen wie „Battlefield 4“ oder „Star Wars Batllefront“ für beeindruckenden Sound, bei Waffen und Umgebung, gesorgt haben. Außerdem stört die mangelnde Lippensynchronität in der, insgesamt aber ordentlichen, deutschen Übersetzung, die Immersion des Spiels unnötig.