Der Rückstand auf den führenden beträgt wenige Sekunden. Runde für Runde wird sich im Windschatten auf der Idealline an den Kontrahenten herangekämpft, um in einem Nerven-zerreißenden Sprint auf der Zielgerade als Sieger ins Ziel zu fahren. Jahrelanges Training hat sich nun ausgezahlt. Die Perfektion der eigenen Fahrkünste hat den Grand Prix-Sieg ermöglicht. Die aktuellen Platzhirsche im Racing-Genre sind Rennsimulationen. „Gravel” räumt mit diesem Konzept auf und bietet Arcade-Spaß im Gelände. Ob die wilde Offroad-Raserei empfehlenswert ist klären wir im Review.


Fernsehen der Zukunft

„Gravel” verpackt seinen Einzelspieler in das Gewand einer testosterongeladenen Fernsehshow. Die Off-Road Masters umfassen zahlreiche Rennen in verschiedenen Kategorien. Auf dem Weg müssen verschiedene Fahrer in ihren Kern-Disziplinen bezwungen werden, um am Ende den Champion und Meister aller Disziplinen zu bezwingen. Vor jedem Rennen leitet ein Moderator mit trashigen Sprüchen die Veranstaltung ein. Auch wenn die Grundidee Potential hat, verspielt der Entwickler mit diesem Setting viele Möglichkeiten. Eine zusammenhängende Geschichte gibt es nicht und die „Figuren“ bleiben blass, Dinge wie eine Rivalität zwischen überzeichneten Rennfahrern im Stile einer sinnfreien RTL-Show oder Interviews nach dem Rennen wurden auch nicht in die Karriere eingeflochten. Aus dem Setting entsteht so keine Motivation, die „Karriere“ abzuschließen. 

Auf dem Weg zum Off-Road Master

Auf dem Weg zum Champion wollen Rennen rund um den Globus in verschiedenen Kategorien absolviert werden. Sprintrennen durch ein Bergwerk in Canada, Rundkurse auf Dünen in Namibia oder packende Kopf-an-Kopf-Rennen in amerikanischen Stadien. „Gravel“ bietet Genretypische Modi und kann daher in diesem Bereich durchaus punkten. Die 40 Strecken teilen sich auf verschiedene Areale auf und bieten zumindest optisch ausreichend Abwechslung. Die Streckenführung ist stellenweise etwas simpel und erweckt den Eindruck von Einfallslosigkeit. Abhängig von der Perspektive kann darin auch Einsteigerfreundlichkeit und der Fokus auf schnelle Rennen für die Zeit nach der Arbeit gesehen werden. Der Fuhrpark umfasst eine ähnliche Anzahl von Boliden von durchaus namhaften Herstellern. 

Das Fortschrittssystem des Spiel ist simpel und kommt ohne Kniffe daher. Abgeschlossene Rennen geben abhängig von der Position und Bestzeit eine festgelegte Menge an Sternen. Auch wenn das Event nicht auf dem ersten Platz abgeschlossen wurde, gibt es eine Belohnung. Erreicht der Spieler einen festgelegten Wert, schaltet er die nächste Etappe der Kampagne oder neue Fahrzeuge und Lackierungen frei.

Während die genannten Faktoren also durchaus ihren Zweck erfüllen, muss an dieser Stelle eine Entscheidung der Entwickler hinterfragt werden. In allen Rennen der Kampagne ist es möglich eine Rückspulfunktion einzusetzen. Wenig überraschend lässt sich dadurch die Zeit einige Sekunden zurückdrehen und dadurch Fehler ausgleichen. Auch wenn dies sich an das Setting einer Fernsehsendung anlehnt, hat eine solche Funktion wenig in einem Rennspiel verloren. Mit dem Wissen, jeden Ausrutscher korrigieren zu können, verlieren die Rennen ihre Intensität. Am Ende steht kein Off-Road Master auf dem Treppchen sondern der Milli-Vanilli des Rennsports.

Über Stock und Stein

Im Kern ist „Gravel” ein Arcade Racer. Die Steuerung geht einfach von der Hand und benötigt keine Einarbeitungszeit. Die verschiedenen Untergründe beeinflussen das Handling nur in geringen Ausmaßen, wodurch hier ein Racer für jedermann an den Start geht. Das Geschwindigkeitsgefühl ist gut und die wilde Hatz abseits der Straße macht durchaus Spaß. Aufgrund dieser Ausrichtung ist es unverständlich, weshalb dem Spieler vor jedem Rennen zahlreiche Einstellungsmöglichkeiten gegeben werden. Bremskraft, Reifentyp, Radaufhängung oder ein Schadensmodell und weitere Faktoren können den eigenen Wünschen angepasst werden. Die Auswirkungen lassen sich jedoch nur marginal feststellen und wirken deplatziert. Auch wenn kurz der Anschein einer Simulation aufkommt, sollte man sich davon nicht blenden lassen. Bis auf das optische Schadensmodell haben die ausgewählten Faktoren keine Relevanz für das Spiel. Die KI macht einen anständigen Job, beharrt jedoch teilweise auf die Ideallinie und wirkt nicht immer menschlich. Ein leichtes Gummiband ist in ihren Fahrzeugen eingebaut, zerstört in einem Arcade Racer jedoch nicht den Spielspaß und geht daher in Ordnung.

Mehrspieler

Abseits der Kampagne können alle verfügbaren Spielmodi auch Online oder mit Freunden angegangen werden. Zusätzlich gibt es wöchentliche Herausforderungen mit Bestenliste. Während der Umfang überzeugen kann, ist die Gestaltung und Bedienung des Mehrspielermodus ein Witz. Erstellt man nicht selbst eine Lobby mit festgelegten Parametern, verfügt „Gravel” über kein eigenes Matchmaking. Der Spieler wird in eine zufällige Begegnung geworfen, die Kurse werden nach dem Rennen per Abstimmung beschlossen. Festgelegte Ligen gibt es nicht, an dieser Stelle wird massiv Potential verschenkt. Langfristig bietet der Mehrspieler dadurch zu wenige Inhalte, um die Spieler zu binden. Zum Testzeitpunkt waren wenig Spieler auf den Servern, sodass die fehlenden Plätze mit KI-Kollegen aufgefüllt wurden. Ohne Mechanismen, die unfaire Fahrweise bestrafen, hat „Gravel” auch ein altbekanntes Problem. Frustrierte Fahrer tendieren ab und an dazu, ein ordentliches Rennen in ein Fest für Crash-Test-Dummies zu verwandeln und den Spielspaß gehörig in den Keller zu treiben. 

Technik

Zur Freude des geneigten Rennfans kann bestätigt werden, dass ein flüssiger Spielablauf gewährleistet ist. Nervige Ruckler oder eine Diashow sind nicht aufgetreten. Abgesehen davon gibt es einige technische Macken, die den Spielspaß trüben. Die Fahrzeugmodelle sind trotz der Unreal-Engine erschreckend Detailarm, weder die Cockpit-Ansicht noch die Karosserie sind besonders ansehnlich gestaltet. Aufgrund dessen geht viel Rennspielgefühl verloren. Die Motoren der Boliden scheinen durch Rasenmäher ersetzt worden sein, zumindest wenn man dem kraftlosen und künstlichen Sound glauben möchte. Auf der Strecke werden permanent Objekte nachgeladen, die Vegetation ploppt während des Rennens immer wieder in das Blickfeld. Die Physik ist stellenweise lachhaft. Ein Crash mit realitätsfernen Reaktionen des Fahrzeugs mögen auf der Flimmerkiste für Unterhaltung sorgen, zerstören jedoch die Illusion eines dreckigen Rennens durch die Wildnis.