„Divinity: Original Sin“ war bereits ein gefeiertes Rollenspiel, niemand hätte jedoch für möglich gehalten, was für eine Begeisterung der Nachfolger erzeugen würde. Bislang konnten Konsolenspieler nur neidisch auf den PC schauen, doch nun ist endlich die Konsolenfassung von „Divinity: Original Sin 2 – Definitive Edition“ erschienen und wir haben uns in eine fantastische Welt begeben und mehr verrückte Abenteuer erlebt, als wir in diesem Test schildern können.

Aus der Gefangenschaft in die Freiheit

Wie am Anfang eines jeden guten Rollenspieles muss der Spieler einen Charakter erstellen. Obwohl es eine große Vielfalt an Kombinationen zwischen Rasse und Spezialisierung gibt, sind die vorgefertigten Helden empfehlenswert, denn sie verfügen über eigene Hintergrundgeschichten. Das bedeutet, dass sie im Laufe des Abenteuers mitunter exklusive Dialogoptionen haben, die den Verlauf einer Quest beeinflussen können. Wer darauf verzichten kann, darf sich im etwas begrenzten aber trotzdem gelungenen Editor seinen eigenen Helden zusammenbasteln und sogar ein Instrument auswählen, dass den Siegeszug musikalisch untermalt. Besonders sind auch die untoten Versionen der Charaktere, denn diese verändern den Ablauf mitunter drastisch. NPCs erschrecken sich regelmäßig und Gift dient zur Heilung, weshalb es sich also durchaus lohnt, einen Durchlauf mit diesen Varianten zu starten.

Die Geschichte beginnt recht typisch. Der Held befindet sich in Gefangenschaft, da er ein sogenannter Quellenmagier ist. Diese locken angeblich gefährliche Monster an und werden deshalb zur Freudenfeste gebracht, um sie von der Gesellschaft abzuschotten. Die erste Aufgabe ist klar, nämlich den Grenzen des Gebietes zu entfliehen. Alleine das kann schon mehrere Stunden in Anspruch nehmen, erst danach entfaltet sich jedoch die wahre Geschichte, die mit zahlreichen Wendungen, erstklassigen Dialogen und großartigen Kulissen fesselt. An dieser Stelle wird nicht zu viel verraten, jedoch dürfen sich alle Fans von Fantasy-Welten auf eine sowohl lustige als auch dramatische Reise freuen, die auch von den erstklassigen Charakteren lebt. Alle Dialoge wurden komplett vertont, und obwohl nur englische Stimmen zu hören sind, ist die Synchronisation regelrecht perfekt gelungen.

Freunde und Feinde

Natürlich kann eine Welt nur unterhalten, wenn die Charaktere, die sie bevölkern, bei Laune halten. Glücklicherweise sind alle Gespräche sehr interessant und reichen von Klischees über absurde Wendungen bis hin zu dramatischen und tragischen Geschichten, sodass man eine Menge Zeit in Dialogfenstern verbringen möchte. Highlights sind die möglichen Begleiter, die sich wahlweise dem Helden anschließen können. Zwar kann man nur drei von ihnen mitnehmen, dafür bieten sie spannende Geschichten und bereichern auch in anderen Quests den Verlauf durch ihre Talente und Kommentare. Die Qual der Wahl steht hier an, Entscheidungen zu treffen gehört jedoch zum Kern von „Divinity: Original Sin 2“

Sowieso sind die Dialoge erstklassig geschrieben und zeigen, dass die Macher absolute Profis sind. Der Spieler wird mit Überraschungen und verrückten Situationen beworfen und kann sich kaum davor retten, jeden Winkel der Welt zu erforschen. Die wichtigste Fähigkeit, die man so schnell wie möglich erlernen sollte, ist definitiv mit Tieren zu sprechen. Diese geben nicht nur hilfreiche Tipps, sondern ermöglichen Quests. Das Geheimnis rund um einen Mord an Hühnern gehört zu den merkwürdigsten und gleichzeitig amüsantesten Momenten, die man in einem Videospiel finden kann. Das trügt jedoch nicht darüber hinweg, dass die Welt sehr brutal sein kann, weshalb wirklich alle Fassetten abgedeckt werden.

Genug zu tun

Die Quests selbst sind durchgehend abwechslungsreich und stellen die Entscheidungsfreiheit in den Mittelpunkt. Nahezu jede Aufgabe lässt sich über mehrere Arten lösen. Manchmal reicht ein gutes Gespräch, andere wollen jeden möglichen Kampf mitnehmen. Dem Spieler wird selbst überlassen, wie er den eigenen Charakter formen möchte, und das Spiel zwingt einen selten in eine bestimmte Richtung, solange es die Hauptquest nicht erfordert. Bemerkenswert ist, dass jeder Pfad durch eine Quest unterhaltsam ist und man nicht für einen bestimmten Spielstil bestraft wird. Durch die verschiedenen Auflösungen der Situationen lohnt es sich, den Titel mehr als nur einmal durchzuspielen. Da man gut und gerne bis zu 100 Stunden in einen Durchlauf investieren kann, wenn man wirklich alles macht, erhalten Käufer ein Monster von einem Paket.

Genre Highlight

Wer nicht immer nur quasseln möchte darf sich in den Kämpfen beweisen, die zu dem besten gehören, was das Genre zu bieten hat. Wie schon im Vorgänger laufen diese rundenbasiert ab und jede Aktion erfordert entsprechende Punkte, um ausgeführt zu werden. Einfach nur loskämpfen ist nie die Lösung, denn die Umwelt muss betrachtet werden. Höhenunterschiede oder Wetterbedingungen sowie andere Hindernisse wie Ölfässer müssen in die Planung mit einbezogen werden, um selbst die härtesten Schlachten siegreich zu verlassen. Tolle Fähigkeiten wie Blutregen gibt es zuhauf und man kann alles von klassischen Angriffen bis hin zu visuell beeindruckenden Verzauberungen erlernen. Natürlich bedarf das Einarbeitung, um die verschiedenen Effekte und Vorteile zu begreifen, das Spiel macht jedoch in den frühen Stunden einen guten Job und erklärt die grundlegenden Strategien durch ein praktisches Tutorial, ohne dem Spieler bestimmte Spielstile aufzudrängen. Der Hintergedanke, dass die Freiheit im Mittelpunkt stehen soll, ist hier genauso gegeben wie bei den eigentlichen Quests.

Manchmal ist das Spiel sogar unfair und schickt überraschend mehr Gegner in das Kampfgebiet, doch diese Überraschungen fügen sich dynamisch ein und erfordern schnelles Umdenken, damit der Tod nicht folgt. Glücklicherweise ist der Schwierigkeitsgrad anpassbar und es gibt alles vom Storymodus, in dem die Kämpfe kinderleicht sind bis hin zur höchsten Stufe, in der ein Tod den gesamten Fortschritt zurücksetzt. Es gibt übrigens keine Einschränkungen oder Nachteile, sollte man auf einem geringen Schwierigkeitsgrad spielen, sodass man auch nur die Geschichte genießen kann, ohne sich zu sehr mit den unfassbar vielfältigen Mechaniken in den Kämpfen auseinanderzusetzen. Wer die Zeit investieren möchte, wird jedoch eine Menge Spaß haben und immer wieder vor eine neue Herausforderung gestellt. Das Spiel motiviert, immer wieder neue Strategien auszuprobieren und bestraft einen dank Speicheroptionen nicht dafür, wenn man dies ausnutzen möchte.

Lebendig und überraschend

In Sachen Vielfalt kann kaum ein anderer Genrevertreter „Divinity: Original Sin 2“ das Wasser reichen. Spätestens wenn man herausfindet, dass man als Untoter die Gesichter von Toten abreißen kann um unbedenklich unter den Lebenden zu weilen merkt man, wie viel es eigentlich zu entdecken gibt. Das beeindruckendste ist, dass die Macher nicht nur Wert auf Quantität, sondern vor allem Qualität legen und kaum ein Moment wurde nur als Pausenfüller hinzugefügt. Alle Aktionen und Handlungen haben ihren Platz und machen das Spielgeschehen aus. Vor allem wenn es merkwürdig und abstrus wird, macht es unglaublich viel Spaß, in die Welt einzutauchen. Genau so muss ein Rollenspiel aussehen und in diesem Bereich setzt „Divinity“ neue Maßstäbe, an denen sich die Konkurrenz in Zukunft messen muss.

Einziges Manko an der Konsolenfassung in Bezug auf den Inhalt ist leider der fehlende Game Master Modus. Hier können PC-Spieler eigene Geschichten erstellen und sogar das Spiel als GM begleiten. Natürlich erfordert das komplexe Menüs, die auf der Konsole nicht gut umzusetzen sind. Leider lassen sich aber auch nicht die Geschichten, die PC-Spieler erstellt haben, herunterladen.

Das kooperative Abenteuer

Obwohl man das Spiel komplett alleine beenden kann und dies bereits sehr viel Spaß macht, ist der Multiplayer einer der größten Pluspunkte. Bis zu drei weitere Freunde können der Sitzung beitreten, sowohl lokal als auch online. Das macht die Kämpfe nicht nur spaßiger, auch der gesamte Verlauf der Abenteuer kann sich ändern. Müssen zum Beispiel zwei Orte durchforstet werden, kann sich die Gruppe aufteilen. Die Freiheit, trotz gemeinsamem Spiel in völlig unterschiedlichen Teilen der Welt zu sein, gleichzeitig jedoch miteinander kommunizieren zu können und die Geschichte voranzutreiben, macht den Reiz aus. Zwar lassen sich auch unbekannte Spieler finden, es macht jedoch aufgrund der Länge und Komplexität mehr Sinn, wenn man eine feste Gruppe hat. Solche Möglichkeiten erwartet man von einem MMO, „Divinity: Original Sin 2“ bietet all das jedoch in einem narrativen Rollenspiel.

Auch auf Konsole stark

Die Entwickler haben bei der Portierung besonders stark darauf geachtet, dass sich das Abenteuer gut mit dem Controller steuern lässt. Glücklicherweise gibt es deshalb eine generalüberholte Benutzeroberfläche, die nicht überladen wirkt und trotzdem alle wichtigen Objekte anzeigt. Leider ist die Schrift etwas zu klein geraten, was je nach TV-Größe die Lesbarkeit einschränkt. Die Steuerung ist alles andere als zugänglich und das Tutorial sowie die darauf folgenden Quests wird man damit verbringen zu erlernen, wie man die zahlreichen Aktionen überhaupt ausführt. Obwohl der Controller überladen wirkt, kann man sich im Laufe des Abenteuers daran gewöhnen und es fällt den Spielern immer leichter, sowohl im Kampf als auch in der Welt die richtigen Menüs anzusteuern. Lediglich die Navigation im Inventar dürfte besser sein, jedoch ist das alles im akzeptablen Bereich.

Ansonsten sieht das Spiel auch auf dem TV sehr gut aus und punktet durch die zahlreichen Details sowie dem wunderbaren Artstil. Während die Effekte imponieren, sind nicht alle Texturen scharf und mitunter wirken die Kulissen leicht verschwommen, was der Atmosphäre nicht schadet. Im Gegensatz zur Genrekonkurrenz ist die Bildrate jedoch überraschend stabil und, obwohl es Ruckler gibt, fallen diese nicht unbedingt auf und stören durch den langsamen Spielablauf nie. Natürlich ist das Gesamtpaket am PC besser, an der Konsole muss man jedoch mit überraschend wenig Einschränkungen leben.