„Assassin’s Creed Origins“ stellte einen kleinen Bruch mit den Konventionen der Reihe dar. Zwar blieb das Grundkonzept gleich, die Welt war jedoch größer, die Kämpfe endlich spannender und diverse Rollenspiel-Elemente haben selbst den klassischen Nebenaufgaben einen ordentlichen Motivationsschub verliehen. „Assassin’s Creed Odyssey“ nimmt sich das alles als Vorlage, um das Konzept noch weiter auszubauen. Ob dieser Ansatz gelungen ist, haben wir für euch herausgefunden.

Hat jemand „Rache“ gesagt?

Erstmals in der Geschichte der Reihe darf der Spieler seinen Hauptcharakter selbst wählen, mit dem er das gesamte Abenteuer bestreiten kann. Egal ob man Alexios oder seine Schwester Kassandra wählt, die Ereignisse und Quests bleiben gleich, einige Antworten sind jedoch anders und die Charaktere reagieren natürlich auf eine Frau in der damaligen Zeit anders als auf einen Mann. Die Hauptgeschichte dreht sich um den Peloponnesischen Krieg, die Familie der Geschwister sowie eine mysteriöse Sekte, an der man sich rächen will. Ja, die Rachegeschichte ist durchweg präsent, wird aber durch die starken Hauptcharaktere wesentlich interessanter als zuvor. Die Protagonisten erhalten endlich eine ausgefeilte Hintergrundgeschichte, charakterzeichnende Momente und überraschende Wendungen, die nicht wie aus einem Klischeehandbuch wirken, sondern emotional fesseln. Im Gegensatz zu Bayek, dessen Charakterentwicklung nach den Flashbacks nicht mehr stattgefunden hat, ist das ein großer Schritt in die richtige Richtung und macht die Ereignisse wesentlich spannender.

Der Spieler wird diesmal sogar noch stärker in die Geschehnisse eingebunden. Die Entscheidungen kehren zurück, können aber einen noch viel größeren Einfluss auf die Handlung haben. Je nach Wahl in Dialogen oder Aktionen ist es möglich, dass wichtige Charaktere vor dem Finale sterben und Ereignisse in Gang gesetzt werden, die sich erst nach einigen Spielstunden auszahlen. Deshalb gibt es auch mehrere Enden und der Spieler hat erstmals das Gefühl, etwas in einem „Assassin’s Creed“ zu bewirken anstatt nur den Pfad abzuwandern. Dank starker Nebenmissionen und der wohl interessantesten Geschichte der Reihe entfalten die Entscheidungen ihre Wirkungen kontinuierlich, während man die Facetten des Krieges miterlebt. Von kleinen Liebesgeschichten bis hin zu politischen Diskussionen ist so ziemlich alles vorhanden, was dem Spieler das Griechenland der damaligen Zeit näher bringen kann. Eine derart authentische Welt erlebt man selten in derart riesigen Open Worlds, und hier krönt sich die Reihe erneut selbst.

Atemberaubend

Die Welt ist schlicht gigantisch und mehr als doppelt so groß wie im Vorgänger. Selbst, wenn man die größeren Meere abzieht bleiben derart viele Orte übrig, dass man mehrere Stunden benötigt, um alleine die Karte aufzudecken. Glücklicherweise besteht Griechenland nicht nur aus leeren Flächen und so gibt es überall etwas zu entdecken, von alten Verließen über ikonische Plätze bis hin zu versunkenen Schätzen. Kein Ausflug endet ohne eine Belohnung und somit bleibt der Spieler durchweg motiviert, alles zu erkunden, was das Spiel zu bieten hat. So detailliert und abwechslungsreich hat sich die Reihe noch nicht präsentiert, selbst wenn der Vorgänger mehr erinnerungswürdige Kulissen geboten hat, was den Oasen und Pyramiden geschuldet war.

Gleichzeitig vergisst sich die Reihe nicht und bleibt in ihrem Aufbau sehr klassisch. Man kann erneut die einzelnen Symbole auf der Karte abwandern und zahlreiche Sammelobjekte finden, Feindeslager auslöschen und anderen Aktivitäten nachgehen, die überall verteilt sind. Durch das fantastische Welt-Design sowie den Belohnungen bleibt selbst dieser Ablauf motivierend und wer nicht unbedingt die 100% erreichen möchte, die glücklicherweise für die Trophäen nicht benötigt wird, kann immer wieder solche Beschäftigungen mitnehmen und bleibt gut unterhalten.

Noch schneller

Das Kampfsystem aus dem Vorgänger wurde weiter ausgebaut. Während die wenigen Angriffe durch die Waffenvielfalt unterhaltsam bleiben, wurde das Blocken entfernt, da es keine Schilde mehr gibt. Man muss mehr ausweichen und auf Timing achten, was die relativ simplen aber spaßigen Kämpfe noch dynamischer gestaltet. Besonders interessant sind die Spezialmannöver, die sich auf Knopfdruck ausführen lassen und Gegner mit starken Tritten durch die Luft schleudern oder mit einem Schlag erledigen. Diese Fähigkeiten gibt es dank dem Fertigkeitenbaum in drei Kategorien und somit darf man genau die auswählen, die zum eigenen Spielstil passen.

Ansonsten hat sich wenig getan, denn das Schleichen bleibt angenehm und durch die zahlreichen Arten von Pfeilen sowie Gadgets vielfältig. Auch Tiere kann man wieder zähmen oder sie freilassen, damit sie Aufmerksamkeit auf sich ziehen und vielleicht sogar Feinde ausschalten. Hier gibt es keine Überraschungen und Fans werden genau das erhalten, was sie erwarten. Gleichzeitig bedeutet das leider auch, dass diejenigen, denen das bereits in den vorherigen Teilen nicht gefallen hat, auch in „Assassin’s Creed Odyssey“ nicht zusagen wird.

Die Weiten des Meeres

Die Rückkehr der großen Seeschlachten wurde sehnlichst erwartet. Im Vorgänger waren diese noch auf einige Missionen beschränkt, nun darf man aber mit seiner Crew, die der Spieler selbst zusammenstellt, die Weiten der Meere jederzeit bereisen und dabei feindliche Schiffe mit diversen Angriffsmöglichkeiten ausschalten. Das bleibt sehr unterhaltsam, wuchtig und eine der besten Beschäftigungen im Spiel. Gerade die größeren Kämpfe werden zu bombastischen Schlachten, in denen man spielerisch angenehm gefordert wird. Besonders die eigene Crew anzupassen und das Schiff zu verbessern gehören zu den Highlights des Spieles.

Das Leben eines Söldners

Zwar gab es in Griechenland keine Phylakis, dafür ist man als Söldner kein unbekannter. Alle Taten nehmen Einfluss auf den eigenen Ruf und somit kann man es nicht vermeiden, dass ein Kopfgeld auf die Helden ausgesetzt wird. Deshalb erscheinen immer wieder entsprechende Kopfgeldjäger, und das oft in unangenehmen Situationen. Dieses gewollte Chaos bringt Überraschungen in das Spiel und sorgt dafür, dass man sich niemals zu sicher fühlt. Zudem erscheinen stärkere Feinde je nach Höhe des Kopfgeldes. Daraus kann der Spieler einen Vorteil ziehen. Besiegt man sie, kann man sie töten oder in die eigene Crew aufnehmen. Letztere Option bringt auch guten Loot mit und somit ist in den meisten Situationen klar, worauf die Wahl fällt. Das Prinzip funktioniert gut und bereichert das Crew-System um eine dynamische Komponente.

Etwas weniger Gelungen sind die Schlachten für die zwei Fraktionen, die im Krieg miteinander stehen. Man kann sich von ihnen bezahlen lassen und dann in großen Schlachten mit Hunderten Teilnehmern bestimmte Ziele erledigen, um diese für die entsprechende Seite zu gewinnen. Das spielt sich leider nicht besonders interessant und wahnsinnig monoton, obwohl die Inszenierung gut gelungen ist. Vielmehr fügt es sich nicht in das Spiel ein und abseits entsprechender Missionen hat es keinen Einfluss darauf, welche Lager oder Nebenmissionen anvisiert werden.

Ausbau der Ursprünge

Ansonsten ist alles dabei, was „Origins“ eingeführt hat. Crafting geht schnell von der Hand und beweist sich als gute Nebenbeschäftigung, um die Ausrüstung zu stärken. Die Menge an Loot ist ebenfalls großartig und man verbessert sogar alte Waffen, da sie später durchaus mächtig werden können. Zwar verbringt man deshalb viel Zeit in den Menüs, da man aber ständig gute Objekte findet fühlt sich das nicht wie eine Bestrafung an. Es gibt auch wieder Mikrotransaktionen, auf die die Macher hätten verzichten können. Unzählige Gegenstände lassen sich mit der entsprechenden Wertung kaufen, wer hier zuschlägt ist aber selbst Schuld. Es macht viel mehr Spaß, als Belohnung tolle Waffen oder Ausrüstung zu erhalten als durch die eigene Geldbörse, vor allem da mit gutem Loot nie gespart wird. Trotzdem ist das entsprechende Menü durchweg ein Dorn im Auge.

Etwas weniger gelungen sind die Level-Begrenzungen. Der Held oder die Heldin steigt entsprechend im Level auf, und Missionen geben auch vor, wie stark man sein sollte. Für die Hauptmissionen ist man aber noch öfter unterlevelt als im Vorgänger, weshalb selbst dann etwas Grinding angesagt ist, wenn man regelmäßig Nebenbeschäftigungen nachgeht. Deshalb zieht sich die Geschichte mitunter und anstatt zum nächsten spannenden Moment zu kommen muss der Spieler stundenlang etwas anderes tun. Bei einer Spieldauer von 40 bis 50 Stunden alleine für die Kampagne ist das übertrieben, denn selbst auf dem leichten Schwierigkeitsgrad braucht man unterlevelt gar nicht in die Missionen gehen.

Gut auf der originalen PlayStation 4

Optisch beweist Ubisoft, dass ihnen nicht viele Studios das Wasser reichen können. Die Landschaften, die Meere, die Charaktere sowie deren Animationen, alles sieht atemberaubend aus, selbst auf der normalen PlayStation 4. Man kann sich an den Kulissen gar nicht satt sehen, wird aber wieder auf den Boden der Tatsachen gezogen. Die Bildrate schwankt in spannenden Momenten merklich, die Ladezeiten sind viel zu lang und Bugs gibt es auch nicht zu wenige. Zwar sind diese bei einem Spiel dieser Größe kaum zu vermeiden, einmal ist das Spiel aber komplett abgestürzt und drei Male musste eine Mission von Vorne begonnen werden, da wichtige Gegenstände nicht erreichbar waren oder Events nicht ausgelöst wurden.

Wer darüber hinwegsehen kann, wird sich in Griechenland wie zuhause fühlen. Die Wellen auf dem Meer, die gute deutsche Vertonung und der ergreifende Soundtrack verleihen dem Abenteuer eine Identität, die sowohl eigenständig ist, als auch die Reihe verkörpert. Besonders aber die ausdrucksstarken Gesichter versprühen Emotionen, leider nur bei den wichtigen Charakteren, denn in Nebenmissionen wurde hier oftmals gespart, doch selbst diese Personen sehen noch immer sehr gut aus.