Immer mehr namenhafte Entwickler geben PlayStation VR eine Chance und entwickeln manchmal Portierungen, manchmal Experimente für die Virtuelle Realität. Kaum jemand hätte allerdings damit rechnen können, dass ausgerechnet From Software den Schritt wagen würde. „Déraciné“ ist etwas komplett anderes als alles, was das beliebte Studio jemals veröffentlicht hat. Ob die Qualität mit der Studiogeschichte mithalten kann, haben wir deshalb für euch herausgefunden.

Geisterstunde

Obwohl der Spieler mit Objekten interagiert und Rätsel lösen muss, ist die Geschichte der zentrale Aspekt von „Déraciné“. Wer mehr Gameplay möchte, als die Geheimnisse der Geschichte aufzudecken – mehr dazu später – ist hier definitiv an der falschen Stelle. Das Abenteuer beginnt mit dem Spieler, der als Geist in einem dunklen Zimmer erwacht. Anhand von wunderbar implementierten Tutorials macht man seine ersten Schritte durch das große Gebäude, das als ein Weisenhaus, eine Schule oder auch eine Villa bezeichnet werden kann. Jeder Geist erhält ein Geschenk, nämlich einen roten Ring. Mit diesem kann man Lebewesen Lebenszeit entziehen und diese auf etwas anderes übertragen, um es wiederzubeleben. Ein zentraler Faktor sind die Kosten, denn man kann nicht einer Pflanze das Leben entziehen und einen Menschen wiedererwecken. Zusätzlich gibt es noch eine Uhr, deren Funktionen der Spieler im Laufe des Abenteuers entdeckt.

Persönlichkeiten in VR

Bereits in den ersten Szenen erweckt „Déraciné“ das Interesse der Spieler. Wieso spielt man einen Geist? Welche Stimme spricht zu einem? Warum erhalten Geister derart mächtige Gegenstände? Nichts davon wird in den folgenden vier bis fünf Stunden beantwortet, zumindest nicht direkt. Stattdessen lernt der Spieler die junge Yuliya kennen, eine Weise, die mit ihren fünf Freunden sowie dem Direktor zusammenlebt. Durch sie begegnet man den weiteren Charakteren und spielt ihnen nicht nur Streiche, sondern lebt auf eine gewisse Art mit ihnen. In VR haben schon viele Macher versucht, den Spieler eine Bindung zu menschlichen Charakteren aufbauen zu lassen. FromSoftware verdient eine ganze Menge Lob, denn man möchte unbedingt jedem dieser Kinder helfen. Egal ob die ruhige und höchst pflichtbewusste Maria, dem Bücherwurm Nils oder Freigeist Herman, der stets seinen Hut und einen Schlüssel bei sich hat. In den ersten beiden Stunden geht es vorrangig darum, den Kindern bei ihren Ideen und Aufgaben zu helfen, sie kennenzulernen und zu verhindern, dass schlimme Ereignisse stattfinden. 

Interaktive Geschichte

Dies dürfte der richtige Zeitpunkt sein zu erwähnen, dass die Zeit in „Déraciné“ etwas anders funktioniert. Normalerweise steht sie komplett still, während der Spieler sie sieht. Anstatt mit den Charakteren zu sprechen, kann er ihre Dialoge und Monologe hören, indem er kleine Lichtpunkte aktiviert, wenn er bestimmte Objekte hochhebt. In diesen Szenen gibt es auch keine Animationen, und mitunter handelt es sich nicht einmal um die richtigen Menschen, sondern Hologramme der Situationen, in denen sie wenige Minuten oder Stunden zuvor waren. Obwohl es durchweg interessant ist, mehr über die Kinder zu erfahren, ist das Gameplay in diesen Momenten überhaupt nicht spannend. Entweder man greift nach allen Objekten, mit denen man interagieren kann oder muss viel zu lange suchen, um kleine Gegenstände zu finden, die neue Informationen enthüllen. 

Neben diesen Szenen gibt es immer wieder kleine Rätsel, bei denen es sich eher um Suchaufgaben handelt. Wo könnte zum Beispiel ein Schlüssel sein, der eine Box öffnet, in der sich Gewürze befinden? Die entsprechenden Informationen gibt es durch Gespräche zwischen den Charakteren. Diese Rätsel lassen sich am besten als eine Art simples Point and Click-Adventure beschreiben, schließlich nimmt man Objekte auf, verstaut sie im Inventar und setzt sie an anderen Orten ein. Die entsprechenden logischen Sprünge sind leider ebenfalls vorhanden, im Falle eines verlorenen Zahnrades werden einige durch ausprobieren die etwas makabere Lösung finden. Allgemein kann es nervig sein, ständig das Haus nach gewissen Gegenständen abzusuchen, nur um dann zu entdecken, dass die Lösung viel simpler war als gedacht. Spielerisch ist das Werk von FromSoftware deshalb lediglich akzeptabel und ein Mittel, den Spieler in die Geschichte eingreifen zu lassen.

Herzzerreißend und wunderschön

Die heile Welt bleibt nicht für immer sorgenlos und entsprechende Twists laden dazu ein, die eigentlichen Hintergründe herauszufinden. Insbesondere in der zweiten Hälfte überschlagen sich die Ereignisse und man ist regelrecht schockiert, was sich die Macher trauen. Die emotionalen Momente funktionieren erstklassig, weil man zuvor eine Beziehung zu den Handlungsträgern aufgebaut hat und dementsprechend mitfiebert, wenn etwas Schlimmes geschieht. Nach vier bis fünf Stunden erreicht man das Finale, und wird wahrscheinlich nur die Hälfte wirklich verstanden haben. Jeder sollte selber seinen Schluss daraus ziehen, wieso nur eine Trophäe nicht im Handlungsverlauf freigeschaltet wird, denn mehr wollen wir gar nicht verraten.

Der From Software-Faktor

Stellt das Spiel eine komplette Kehrtwende für FromSoftware dar? Nicht unbedingt, denn viele der wichtigen Informationen, die mehr über die Hintergründe der Welt sowie der Ereignisse verraten, werden einem gar nicht erzählt. Zu jedem Gegenstand, den man in seinen Händen halten kann, gibt es dafür eine Itembeschreibung. Seien es Briefe, die dadurch lesbar werden, Zusammenfassungen von Büchern oder der Fakt, dass eine Vase schlicht eine Vase ist. Es lohnt sich, die Funktion ständig zu nutzen, denn für die Theorien, die man nach dem Ende aufstellen wird, sind die Informationen enorm wichtig. Natürlich bleiben dennoch viele Fragen offen, die man sich gerne stellt. Man verlässt „Déraciné“ mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Die Freude über den Abschluss wird nämlich dadurch getrübt, dass man sich von den Charakteren, die einem ans Herz gewachsen sind, verabschieden muss.

Eine beeindruckende Welt

Musst es VR sein, um die Geschichte zu erzählen? Unsere Antwort lautet Ja! Die Interaktionen mit der Welt erzeugt eine unglaublich starke Atmosphäre, und selbst auf der normalen PlayStation 4 überzeugt die Grafik durch schöne Ortschaften, sehr detaillierte Räume und großartigen Charaktermodellen, selbst wenn das mangelhafte Anti-Aliasing wie bei jedem VR-Titel stört. Auch über die Bildrate braucht man sich keine Gedanken machen, und Tracking-Probleme sowie Bugs sind zu keinem Zeitpunkt aufgetreten. Lediglich die Ladezeiten dürften etwas kürzer sein, insbesondere gegen Ende stören sie durch. An dieser Limitierung ist aber wohl die Konsole selbst Schuld.

Die Steuerung funktioniert ausschließlich über Move-Controller. Anfangs fühlt sie sich etwas merkwürdig an, denn man kann nur zu bestimmten Stellen teleportieren, sich mit Blenden drehen und an bestimmten Orten ändert sich die Ausrichtung, sodass sich der Geist nicht per Knopfdruck dreht, sondern sich der Spieler um ein Objekt herum bewegt. Überraschenderweise gewöhnt man sich sehr schnell an die Tastenbelegung und bereits nach einem Kapitel hat man kein Problem mehr damit, sein Inventar aufzurufen und sich frei durch die Kulissen zu bewegen. Die Mitarbeit der Japan Studio macht sich bemerkbar, denn somit steht der Immersion nichts im Weg.