Wunderschöne, emotionale Videospiele müssen nicht immer von einem großen Team erschaffen werden. Oftmals sind es die kleinen Entwickler, die mit beeindruckenden Titeln auf sich aufmerksam machen können. Leider hat Thomas Brush nicht die Aufmerksamkeit bekommen, über die sich einige Kollegen erfreuen konnten, als er 2017 „Pinstripe“ für den PC und ein Jahr später für Konsolen veröffentlichte. Ob das an der Qualität des Spieles liegt, wollen wir euch verraten.

In der Hölle?

An dieser Stelle soll nur ein kleiner Einblick in die Handlung gewährt werden, sie lebt nämlich von ihren mysteriösen, scheinbar unlogischen Elementen sowie starken Entwicklungen. Anfangs sitzt der Priester Teddy mit seiner dreijährigen Tochter Bo in einem Zug – wieso sie dort sind, und wohin es geht, wird nicht verraten. Außer ihnen ist nur der mysteriöse Mr. Pinstripe anwesend, der heimtückisch das kleine Mädchen entführt und Teddy auf eine Reise durch eine Welt führt, die Thomas Brush als von „Nightmare Before Christmas“, „Coraline“ und „Alice im Wunderland“ beeinflusst beschreibt - die Inspirationsquellen sind deutlich zu sehen. Nicht nur sein treuer Hund George leistet ihm bei der Rettungsaktion Gesellschaft. Weitere Charaktere wissen augenscheinlich mehr über Teddy, als er über sich selbst, dabei erkennt er die bunte Riege an Charakteren gar nicht.

Perfektion

Das Spiel lebt von den mysteriösen Umständen, vagen Dialogen und der schier atemberaubenden Atmosphäre. Als Spieler wird sich jeder mehrfach fragen, was überhaupt geschieht. Wieso will Mr. Pinstripe unbedingt Bo für sich haben? Was ist in Teddys Vergangenheit geschehen, die so oft angesprochen, nie aber detailliert wird? Und wer sind all die verrückten Charaktere, denen man begegnen kann? Das Wunderland, das Brush erschaffen hat, fasziniert im Minutentakt und lässt den Spieler erst wieder los, wenn das Ende erreicht ist. Mit einer Spiellänge von zwei bis drei Stunden geht das auch ohne Probleme in einem Durchlauf, der mit der Beantwortung aller wichtigen Fragen endet – über ein offenes Ende braucht sich also keiner ärgern.

Ebenfalls bemerkenswert sind die Charaktere, die bereits fantastisch geschrieben wurden. Die Persönlichkeiten wirken meist befremdlich und gleichzeitig anziehend, weshalb sie die Wirkung der Vorbilder erstklassig erreichen. Besonders beeindruckend ist die perfekte englische Synchronisation – wir übertreiben nicht mit der Behauptung, dass kaum ein Indie-Spiel eine derart authentische Vertonung vorweisen kann. Die Sprecher verleihen den Charakteren erst die Persönlichkeit, die sie in Textform niemals haben könnten. Besonders die emotionalsten Sätze von Bo sowie Mr. Pinstripe sorgen für Gänsehaut! Dass auch viele Youtuber beteiligt waren, dürfte dabei sicher einige verwundern.

Ziel erreicht

Die Welt ist ebenso wie die Geschichte überragend. Sie glänzt durch den wunderschönen Zeichenstil, in den man sich schnell verguckt hat. Die fantastischen Elemente halten sich in Grenzen, dafür entfalten sie ihre wahre Stärke, wenn sie im Fokus stehen. Seien es Säcke, die mit berauschender Flüssigkeit gefüllt sind, die dämonischen Auftritte von Mr. Pinstripe oder alles, was im letzten Abschnitt geschieht: „Pinstripe“ ist bizarr, überdreht und bodenständig zu gleich. Trotz der verrückten Elemente ist nichts deplatziert und alles fügt sich perfekt in ein Gesamtwerk ein, an das man sich noch lange nach dem Finale erinnern wird. Nicht selten möchte man in der Kulisse stehen bleiben, den Schnee fallen sehen, in die Ferne schauen und den großartigen Soundtrack genießen. 

Gute, nicht überragende Spielmechaniken

Natürlich steuert der Spieler Teddy und wird mehr als nur einmal aus der Atmosphäre herausgerissen, denn die Spielmechaniken sind der Kritikpunkt an einem ansonsten nahezu perfekten Werk. Das Navigieren funktioniert noch gut, denn obwohl sich Teddy etwas ungenau steuert, werden nie präzise Sprünge vom Spieler verlangt. In den insgesamt fünf Gebieten sucht man nach Hinweisen und löst kleinere Rätsel, die mal mehr, mal weniger fordernd sind. Manchmal muss eine Blockade mit einer Steinschleuder abgeschossen werden, manchmal müssen Schalter aktiviert werden. Nichts davon wird einen groß vom Fortschritt abhalten, die simplen Rätsel sind allerdings spaßig und unterhalten gut. Weniger gelungen ist die Steuerung, denn ist die Steinschleuder einmal rausgeholt, steuert man einen Cursor über den Bildschirm, was genau so schlecht mit einem Controller funktioniert, wie es sich anhört. Zugegeben, auch das wird einen nicht daran hindern, die fliegenden Gegner zu treffen, dennoch geht das Schießen zu keinem Zeitpunkt intuitiv von der Hand. 

Wirklich katastrophal ist das Backtracking, das zu einem bestimmten Zeitpunkt verlangt wird. Überall in der Welt kann man Objekte zerstören, um an gefrorene Öltropfen zu gelangen. Die benötigt man lediglich für einen wichtigen Gegenstand – dafür gleich 300 davon. Der Spieler darf also ohne Schnellreise alle zurückgelegten Wege ablaufen und kleine Rätsel lösen und die Umgebung absuchen, da es überhaupt nur etwas mehr als 300 Einheiten gibt. Das geht auch nicht schon zu Beginn, da erst etwas aktiviert werden muss, was entsprechende Interaktionen in den Gebieten erlaubt. Das ist überaus ärgerlich, denn obwohl die Spielzeit erhöht wird zieht es den Spieler geradezu aus der dichten Atmosphäre heraus und fördert in keiner Weise den Spielspaß. Das zerstört das grandiose Gesamtpaket zwar nicht, bleibt einem jedoch als nerviges Hindernis in Erinnerung. Und auch die Möglichkeit, nach dem Ende erneut zu starten, wodurch bestimmte Türen geöffnet werden können, motiviert nicht gerade nach dem perfekten Finale.