Sparen wir uns das große Drumherumgerede, wie lange wir doch alle auf den dritten Teil der „Kingdom Hearts“-Reihe gewartet haben. Alleine schon deshalb, weil „Birth by Sleep“ ursprünglich die Handlung des dritten Kapitels werden sollte, ähnlich wie „Metal Gear Solid 3“. Und auch, weil „Kingdom Hearts: Dream Drop Distance“ die Geschichte bereits fortgeführt hat. „Kingdom Hearts III“ ist nicht einfach nur der dritte Teil einer Reihe, sondern der zehnt, elfte oder vielleicht sogar zwölfte Teil einer langen Geschichte, deren „Dark Seeker“-Saga als beendet gilt. Ob das Spiel die hohen Erwartungen erfüllt, haben wir in schlaflosen Nächten herausgefunden.

Emotionale Auflösung

Wo beginnt man eigentlich, wenn man über die Geschichte von „Kingdom Hearts“ sprechen will? Sora muss die sogenannte „Macht des Erwachens“ erlangen, um all die Charaktere zu retten, zu denen er eine Verbindung hat. Deshalb dauert es noch, bis er endlich Xion, Roxas, Aqua, Ventus, Terra und Naminé zur Hilfe eilen darf. Während sich das Trio bestehend aus dem Protagonisten und seinen Begleitern Donald und Goofy also durch verschiedene Disney-Welten schlägt, begegnen sie immer wieder Mitgliedern der neuen Organisation XIII, die sich für den großen Kampf der sieben Lichter und dreizehn Dunkelheiten wappnen. Währenddessen reist der frischgebackene Schlüsselschwertmeister Riku zusammen mit Mickey in das Reich der Finsternis, um dort Aqua zu suchen, während Kairi und Lea ihr Training absolvieren.

Wer die Reihe nicht verfolgt hat, oder vielleicht sogar nur die beiden Hauptteile gespielt hat, wird hier ordentlich verwirrt. Die Ereignisse der Zwischenteile sind nämlich nicht nur Nebenhandlungen, sondern spielen eine wichtige Rolle für den großen Kampf gegen Xehanort. Glücklicherweise ist das auch den Machern bewusst, weshalb die Memory Archives, die sich bereits im Hauptmenü einsehen lassen, die Ereignisse rekapitulieren, wenn auch in extrem verkürzter Form. Zudem wissen auch Sora, Riku sowie Donald und Goofy nicht über alles Bescheid, wodurch innerhalb der Geschichte diverse Themen wie Zeitreisen, die Prophezeiung oder die Funktion von Replikas erneut erklärt werden, sehr ausführlich sogar. Demnach ist „Kingdom Hearts III“ viel zugänglicher als erwartet – man kritisiert ja auch „Avengers: Infinity War“ nicht für fehlende Erklärungen, wenn man die einzelnen Filme nicht gesehen hat -, während Fans sich darauf freuen können, etwa 90% der Ereignisse zu verstehen.

Zwei Hälften eines Herzens

Das Pacing war in „Kingdom Hearts“ schon immer eigenwillig, und auch der große Abschluss der Geschichte rund um Xehanort stellt keine Ausnahme dar. Während es immer wieder zwischen den Welten Enthüllungen in Form von Zwischensequenzen gibt, kommen die eigentlichen Payoffs erst, sobald man die Disney-Welten bereist hat. Das stellt einen klaren Schnitt dar, der nicht allen gefallen dürfte. Dramatisch ist das nicht, dennoch hätten einige Ereignisse früher geschehen können, denn sobald die eigentliche Handlung vorangetrieben wird, auf die Fans so viele Jahre gewartet haben, ist die schiere Menge mitunter überwältigend. 

Dafür hat sich das Team rund um Tetsuya Nomura mit der Handlung selbst übertroffen. So viele epische Szenen, so viele wunderschöne Momente, so viele Enthüllungen – Fans werden während den letzten Stunden jegliche Emotionen durchlaufen, die ein Mensch fühlen kann. Natürlich gibt es typische Kritikpunkte, die sich insbesondere um Kairi drehen, aus Spoiler-Gründen wollen wir jedoch an dieser Stelle nicht genauer darauf eingehen. Zudem sind all diese Entscheidungen innerhalb des Universums logisch. Wer meckern möchte, wird entsprechende Gründe dafür finden, alle anderen dürfen sich auf ein mehr als großartiges Finale freuen.

Actiongeladenes Feuerwerk

„Kingdom Hearts III“ kann sich stellenweise wie ein Film anfühlen, schließlich gibt es extrem viele Zwischensequenzen, deren Laufzeiten definitiv nicht zu kurz ausgefallen sind. Steuert der Spieler Sora direkt, darf er sich allerdings auf das bislang flüssigste und Action-reichste Kampfsystem der Reihe freuen. Diverse Elemente wie der Free Flow aus „Dream Drop Distance“ wurden entschärft, dennoch macht es gewaltig viel Spaß, mit Sora an eine Wand zu springen, sich von dieser abzustoßen und mächtige Angriffe loszulassen, und sogar um verschiedene Gegenstände darf sich der Held drehen, um diverse Attacken auszuführen. Dabei ist das eigentliche System sehr simpel, denn der Spieler kann lediglich angreifen, einige Zauber wie Feuer oder Eis ausführen, blocken und eine Ausweichrolle vollziehen. Weil das so wunderbar flüssig ineinander geht und Sora ziemlich agil ist, werden die meisten Kämpfe zu spektakulären Effekt-Feuerwerken. 

In der Fanszene umstritten ist die Tatsache, dass die Kämpfe etwas zu leichtfüßig sind. Sora kann im Laufen Zauber anwenden, überwindet mit jedem Schlag große Distanzen und der Spieler sieht manchmal gar nicht, welchen Gegner er angreift, da die Schläge meist mehrere treffen. Die Kämpfe sind deshalb weniger präzise als in „Kingdom Hearts 2“, das ist allerdings nichts Schlechtes. Vielmehr werden die vielen Begegnungen mit den Herzlosen, Niemanden und Unversierten dadurch weitläufiger und der Spieler darf die volle Macht des Helden nutzen. Deshalb wurden auch die Lebensanzeigen der Gegner stark erweitert, denn schon zu Beginn macht ein Schlag so viel Schaden wie am Ende vieler Spiele. Nicht außer Acht lassen sollte man die Tatsache, dass der Schwierigkeitsgrad dadurch allgemein niedriger liegt. Wer nicht durch das Abenteuer spazieren möchte, sollte deshalb direkt die höchste Stufe wählen, was gerade für „Kingdom Hearts“ ungewöhnlich ist.

Größer, spektakulärer, besser

Sora kann nicht nur seine bekannten Manöver nutzen, sondern auch seinen Kampfstil völlig verändern. Trifft der Spieler bestimmte Feinde innerhalb eines Zeitlimits, erscheint die Option, eine von mehreren Disney Land-Attraktionen direkt auf das Schlachtfeld zu rufen. Egal ob die ikonischen Teekessel oder ein riesiges Piratenschiff, die beschworenen Werke sind gigantisch, spektakulär und durchaus mächtig, insbesondere gegen Gegnermassen. Glücklicherweise lassen sich die Start-Animationen ausstellen, denn obwohl sie sehr ansehnlich sind, sind sie etwas lang geraten.  

Noch wichtiger sind die Schlüsselschwertransformationen, die jedes Mal aufs Neue begeistern. Der Spieler erhält wie gehabt nach dem Abschluss einer Welt ein Schlüsselschwert, das sich diesmal nicht nur in den Werten unterscheidet. Die Schwerter können sich nämlich verwandeln, manchmal sogar zweifach. Aus dem eisigen Schlüsselschwert werden erst zwei Klauen, durch die Sora besonders im Nahkampf stärker wird, bevor er in der dritten Form sogar passende Schlittschuhe erhält. Jede Transformation ist einzigartig und begeistert, denn die spielerischen Unterschiede sind spürbar – manchmal sind es auch defensive Fähigkeiten, die nützlich werden. Zudem lassen sich alle Schlüsselschwerter mehrfach verbessern, es gibt also keine eindeutig besseren mehr. Passenderweise kann der Spieler gleich drei Stück ausrüsten, sodass man auch die verschiedenen Vorteile nutzen kann, ohne ständig zwischen den Kämpfen ins Menü zu springen.

Zu einfach?

All die Möglichkeiten, die Sora zur Verfügung hat, lassen ihn mitunter größere Gegnermassen vernichten. Das spielt sich extrem unterhaltsam und wahnsinnig flüssig, der Schwierigkeitsgrad wurde allerdings nicht entsprechend an diese Tatsachen angepasst. Zusätzlich erhält Sora noch in regelmäßigen Abständen viele Fähigkeiten, durch die sofortige Gegenangriffe ermöglicht werden. Der vierte Schwierigkeitsgrad ist dringend nötig, um Serienveteranen eine Herausforderung zu bieten, noch allerdings nirgends im Spiel zu finden. Hartnäckige Spieler hingegen dürfen die Aufladung der MP-Leiste und sogar den Erhalt von Erfahrungspunkten blockieren, sodass zumindest über diese Wege eine knackige Herausforderung bevorsteht. Der niedrigere Schwierigkeitsgrad wirkt sich für die meisten glücklicherweise nicht auf den Spielspaß aus. Im Test hat sich das Kampfsystem als das unterhaltsamste der Reihe bewiesen. Vielmehr ist das Spielgefühl dermaßen flüssig und vielfältig, dass kaum ein anderes Spiel mit ständigen Konfrontationen dermaßen Freude bereitet.

Never Let You Have A Friend In Me Go

Obwohl das Trio diesmal nicht die meisten Welten besucht, hat das Team rund um Nomura wohl die beeindruckendsten Orte der Reihe erschaffen. Das beginnt bereits bei den erzählten Geschichten, die entweder während den Handlungen der Filme oder im Anschluss spielen. Ein besonders starkes Beispiel für die tolle Umsetzung ist „Die Eiskönigin“, wo die Spieler einmal mehr den legendären Hit „Let It Go“ hören dürfen, während eine beeindruckende Rekreation der Filmszene folgt, die derart nah am Original ist, dass man nicht anders kann als zu staunen. „Toy Story“ hingegen spielt nach dem ersten Film und erzählt eine Geschichte, die in dieser Form nur in „Kingdom Hearts“ möglich ist. Zudem werden die Handlungen gehörig auf den Kopf gestellt, da neben den Helden auch jeweilige Gegenspieler von Sora auftauchen. Interessanterweise sind es nicht die Bösewichte aus Teil eins und zwei, sondern bis auf eine Aufnahme Kontrahenten aus den Zwischenteilen, die im Zentrum der Welten stehen. Vanitas lässt seine Unversierten in der Monster AG frei, während Marluxia der Hexe dabei hilft, Rapunzel im Turm einzusperren. 

Obwohl die Handlungen der Welten in sich geschlossen sind und nur wenige Auswirkungen auf die Hauptgeschehnisse haben, erwärmen sie stets das Herz. Egal ob ein gigantisches Schiff in der Wüste, Buhs Reaktionen auf Donald oder Woodys Appell an den jungen Xehanort (ja, das passiert wirklich), das Spiel schafft es, die Vorlagen einmal mehr zum Leben zu erwecken. Da es haufenweise Zwischensequenzen gibt, darf man sich zurücklehnen und erneut die Geschichten und Charaktere beobachten, die einen so großen Einfluss auf so viele Generationen hatten.

Raus aus dem Kasten in die Welt

So schön die Disney-Welten auch immer schon waren, der Aufbau ähnelte sich stark. Zwar öffnete „Dream Drop Distance“ das Weltendesign, dennoch stellten sie jeweils einzelne Räume dar statt lebendige Umgebungen, in einer Art Block-Muster. Glücklicherweise ermöglicht die heutige Technik neue Erlebnisse, weshalb die Welten viel, viel größer und offener gestaltet wurden als jemals zuvor. Egal ob der Sprung von einem Berg im Olymp oder eine Schlittenfahrt in Arendelle, die Macher haben bewiesen, dass sie endlich authentische Disney-Welten umsetzen können. Dabei hat jede Welt ein anderes Muster, zum Beispiel bleibt die Monster AG recht linear, während die Welt von „Toy Story“ aus einem einzigen Einkaufszentrum besteht, das fast frei begangen werden kann. Die ultimative Krönung sind allerdings San Fransokyo sowie die Karibik. Wir wollen nicht verraten, was diese Welten so besonders macht, doch Staunen ist garantiert. Selbst Andys Zimmer ist derart detailliert, dass man mehrere Minuten damit verbringt, jedes Detail zu begutachten, Buzz Lightyear-Bettwäsche inklusive.

Auch nach dem Abschluss einer Welt gibt es neue Orte zu begehen sowie Nebenmissionen zu erledigen, erneute Besuche zahlen sich also aus. Sollte man etwas kritisieren, sind es wohl die manchmal zu ungleichmäßig verteilten Speicherpunkte oder die Tatsache, dass nicht alle Gebiete innerhalb der Welten die Erkundungstouren belohnen. Zudem fehlen einige Traditionswelten, unter anderem die Stadt Traverse, sowie Radiant Garden, das lediglich in Zwischensequenzen auftaucht. Ebenso bitter ist Twillight Town, dessen ikonischer Bahnhof ebenso wenig betreten werden kann wie der Unterschlupf. Dafür trifft Sora in den Welten nun endlich auf die Bevölkerung, sodass die Städte gefüllt sind, und das nicht zu wenig. Auch die Mini-Spiele sind interessant, wenn sie auch kein Suchtpotential auslösen.

Xehanort kann warten!

Es gibt so viel zu tun, dass ein Testbericht gar nicht alle Bereiche abdecken kann. Sei es das Klassische Königreich, bestehend aus Spielen im „Game & Watch“-Stil, oder das Kochen mit dem kleinen Chef aus „Ratatouille“. Leider ist der 100-Morgen-Wald keine Oase der Nebenbeschäftigung geworden, was insbesondere einen herzzerreißenden Moment ein Stück weit entwertet. Zusätzlich werden nach dem Ende weitere Herausforderungen und Kämpfe freigeschaltet, doch obwohl der Inhalt also definitiv respektabel ist, werden hier nicht die Mengen eines „Kingdom Hearts II Final Mix“ erreicht, was durchaus verständlich ist.

Komplett umgebaut wurden die Gummischiff-Segmente. Anstatt vorgefertigte Level abzufliegen, bereist das Team drei verschiedene offene Welten, die der Spieler frei erkunden darf. Eine Karte hilft dabei, Schätze zu finden, kleinere Missionen zu erledigen oder die verschiedenen Welten anzusteuern. Obwohl die Steuerung etwas präziser hätte sein können, ist die Offenheit ein extrem wichtiger Schritt, auch, weil niemand mehr zu ständigen Missionen gezwungen wird, da nur wenige Kämpfe zur Pflicht gehören.

Kein perfektes, dennoch ein wunderschönes Paket

Optisch ist „Kingdom Hearts“ eine Wucht, und das ist in jeder einzelnen Welt ersichtlich. Eine genaue Analyse über die Probleme gibt es bei Digital Foundry, die meisten Spieler dürfen sich auf PlayStation 4 Pro allerdings auf ein sauberes Bild und eine extrem stabile Bildrate freuen, die nur wenige Aussetzer hat. Im Test genossen wir das Abenteuer mit einer PlayStation 4 Pro an einem HDTV mit ausgeschaltetem Supersampling, im 4K-Modus soll die Bildrate deutlich instabiler sein. Die in der Analyse beschriebenen Probleme fallen zumindest in unserem Szenario deutlich weniger auf, als man denkt, sodass sich jeder Spieler auf einen unvergesslichen Trip freuen kann.

Der Soundtrack gehört zu den besten der Videospielgeschichte. Alle Themen der Reihe sowie zahlreiche neue Stücke sind so großartig, dass man sie stundenlang am Stück hören könnte. Zudem verleihen neu arrangierte Versionen bekannter Themen bestimmten Momenten so viele Akzente, dass die Emotionen regelrecht überwältigend sein können. Da sich die Macher auch an Disneys Songkatalog bedienen durften, wurde absolute Perfektion erreicht. Auch die Sprecher leisten einen fantastischen Job. Für die meisten Disney Welten wurden sogar die Originalsprecher angeheuert, alle anderen können ihre Figuren allerdings ebenso überzeugend verkörpern. Auch, wenn Terra einmal mehr mechanisch klingt.