Die Tradition der „Far Cry“-Spin-Offs wird mit „Far Cry New Dawn“ fortgeführt. Dabei geht es diesmal nicht in die Vergangenheit, denn das Spiel ist tatsächlich ein Sequel zu den Ereignissen von „Far Cry 5“, weshalb eine Spoiler-Warnung ausgesprochen werden muss – wobei alle, die etwas zum neuesten Ableger gesehen haben bereits wissen dürften, wie das Hauptspiel ausgeht. Ist der neue Teil aber nun lediglich ein etwas längerer DLC oder wirklich ein Abenteuer mit einer eigenen Identität? Wir haben das etwas andere Hope County bereist, um euch die Antwort abzuliefern.

Die späten Jahre

Das gute Ende von „Far Cry 5“ leitete die Apokalypse ein, weshalb die Welt eine andere ist. Nach den Auswirkungen der Atombomben und der Flucht der Menschen in den Untergrund entstand irgendwann wieder neues Leben und die Bevölkerung organisierte sich neu, weshalb einem Neustart eigentlich nichts im Wege stehen sollte. Erneut spielt die Handlung in Hope County, diesmal allerdings hat die Natur viele Gebiete zurückerobert und bekannte Orte sind zerstört. Leider wird diese postapokalyptische Idylle durch eine Gruppierung gestört, die eher das Chaos genießt und von Zwillingen angeführt wird, die wie für diese Verhältnisse geboren wurden. Der Spieler möchte den Überlebenden helfen, wird allerdings von der bösen Gruppierung bereits bei der Ankunft abgefangen und erlebt herbe Verluste. Grund genug, den Gegenschlag vorzubereiten.

Auch ohne zu viel vorwegzunehmen lässt sich nicht allzu viel Positives über die Geschichte sagen. Es gibt interessante Szenen, die Schwäche liegt aber in den Dialogen. Diese sind so flach, klischeehaft und uninspiriert gehalten, dass man sich mehr langweilt als mit den Charakteren mitzuleiden. Diese leiden ebenfalls unter den Gesprächen und entfalten niemals ihre Persönlichkeiten. Charakterentwicklung gibt es fast keine und nicht einmal die Bösewichte können glänzen, was auch daran liegt, dass sie kaum vorkommen. Niemand sollte Erwartungen an die Geschichte haben, sondern sie eher als Beiwerk ansehen, um die Welt zumindest etwas authentischer zu gestalten.

Rollenspiel-Revolution?

Anders als im Vorgänger, wo dem Spieler die Freiheit geboten wurde, die Welt nach der Einleitung frei zu erkunden, gibt es diesmal eine recht interessante Limitierung. Wie auch schon bei „Assassin’s Creed“ wurden nämlich RPG-Elemente eingeführt, die den Ablauf aufmischen wollen. Der Spieler erhält immer bessere Waffen, Gegner haben nun eine Lebensanzeige inklusive Schadensnummern bei erfolgreichen Treffern, und wer versucht, mit einer schwachen Waffe gegen starke Feinde anzutreten, darf unzählige Geschosse dafür verwenden. Dieser neue Ansatz erzeugt eine völlig andere Gameplay-Spirale, schließlich motiviert es sehr, ständig neue Waffen einzusammeln und zu verbessern, um in gefährlichere Gebiete vorzudringen. 

Dafür wird dem Spieler in den ersten Stunden ein ganzes Stück Freiheit weggenommen. Wer zu weit voranschreitet, wird nämlich durch starke Feinde gebremst, die er zu diesem Zeitpunkt schlichtweg nicht besiegen kann. Deshalb folgt man eher den Aufgaben, erforscht Gebiete der Reihe nach und Kämpft sich von Süden bis nach Norden mit vielen Zwischenstops in der eigenen Basis, die ebenfalls verbessert werden kann. Das macht die Erkundung nicht schlechter, lediglich das Spieltempo, das Fans der Reihe ansonsten so gewohnt sind, wird verändert. Die Waffen selbst sind durchaus vielfältig, aber leider gibt es nur wenige wirklich verrückte oder ausgefeilte, weshalb Standartware dominiert.

Verrückte Welt

Die Weltkarte ist kleiner als in „Far Cry 5“, was gar nicht so schlecht ist. Wichtige Orte kommen ebenso vor wie die weiten Landschaften, die erneut genug zum entdecken bieten. Besonders spannend ist es, die bekannten Ortschaften aufzusuchen und zu sehen, wie diese sich verändert haben. Sie erzählen ihre Geschichten nicht durch Zwischensequenzen, sondern durch die starke Umwelt, die zahlreiche Hinweise bereithält. Wer den Vorgänger gespielt hat, wird diese Momente zu schätzen wissen, alle anderen dürfen sich derweil auf interessante und atmosphärische Kulissen freuen, die nun eben zerstört sind.

Wer von einer Postapokalypse spricht, denkt an völlig zerstörte Welten wie in „Fallout“, „Far Cry New Dawn“ ist aber regelrecht idyllisch. Bis auf die überwucherten Orte und zerstörte Gebäude sieht man der Umwelt nicht gerade an, dass Atombomben losgelassen wurden. Auch den Menschen schadet die Umgebung nicht, was natürlich nicht unbedingt realistisch ist. Glücklicherweise ist das nicht schlimm, denn das Spiel lebt von seiner Verrücktheit, seinen kräftigen Farben sowie dem Drang, die zerstörte Welt zu erkunden. Es muss nicht immer trist sein, und ebenso wie bei der Geschichte sollten die Spieler die Ernsthaftigkeit der Situation vergessen und viel lieber die Schönheit einer Welt genießen, die zum zweiten Frühling ansetzt. Dann machen nämlich auch die klassischen Gameplay-Aktivitäten Spaß, wie zum Beispiel das Gunplay, das sich sogar noch besser anfühlt als im Vorgänger. Auch die normalen Missionen wie Verbündete zu rekrutieren oder Basen einzunehmen ist sehr unterhaltsam. Wer möchte, kann diese sogar erneut in einer schwierigeren Version angehen. Trotz der kleineren Karte und einer geringeren Dichte an Aktivitäten, ist es extrem Unterhaltsam, Hope County erneut zu bereisen.

Abwechslungsreiche Ausflüge

Regelrecht unerwartet sind die Expeditionen, die den Spieler raus aus Hope County und an andere Ortschaften in Amerika befördert. Diese Missionen sind vor allem optisch sehr abwechslungsreich und bieten dann auch wirklich neue Kulissen, die teilweise beeindruckend inszeniert wurden. Das Gameplay erinnert an Raids, denn man muss möglichst viele wertvolle Gegenstände sammeln und anschließend wieder zum Helikopter zurückkehren, wobei einem zahlreiche Feinde begegnen. Diese Missionen kann man immer wieder angehen, und da es verschiedene Wege gibt und man sowohl leise als auch rasant agieren kann, bieten selbst die Wiederholungen Vielfalt. Einige der besten Momente finden auf den Missionen statt und der Spielfluss wird angenehm aufgebrochen, sodass man nicht einfach nur Questmarkern hinterherläuft.

Verbesserungen ahoi!

Die Fähigkeiten sind weiterhin ein wichtiger Aspekt von „Far Cry“ und erweitern die Angriffsmöglichkeiten in regelmäßigen Abständen. Die besten gibt es leider erst gegen Ende, diese verwandeln den Spieler dafür in einen Superhelden. Egal ob Doppelsprung oder ein Wut-Modus, die Macher gestalten das Gameplay ab diesem Zeitpunkt endlich so verrückt, wie man es sich von einem Spiel in der Postapokalypse mit bunten Farben wünscht. Auch das Gameplay wird dann nochmal ordentlich aufgemischt und teilweise so rasant, dass sich „Far Cry New Dawn“ innerhalb des Abenteuers wie ein neues Spiel anfühlt.

Leider geschieht diese Wende zu spät und viele werden bereits zahlreiche Nebenmissionen absolviert haben, bevor die Fähigkeiten verfügbar werden. Es gibt dennoch genug zu tun, schließlich wird das Wiederholen von Missionen belohnt und durch diese Neuerungen auch unterhaltsam gestaltet. Dennoch hätte es dem Pacing gut getan, wenn der Mix aus normalen und besonderen Fähigkeiten ausgeglichener gewesen wäre. Trotzdem kann das dem Spaß nicht schaden und „Far Cry New Dawn“ ist dann am besten, wenn es die Logik hinter sich lässt und auf puren Spielspaß setzt. Deshalb ist die mit zehn Stunden recht kurz geratene Kampagne auch kein allzu negativer Aspekt, schließlich gibt es genügend Nebenaktivitäten, die noch länger bei Laune halten. Gemessen daran, dass das Spiel keinen vollwertigen Ableger darstellt, ist die kürzere Spieldauer akzeptabel.

Bunt!

In den besten Szenen sieht "Far Cry New Dawn" atemberaubend aus. Die Farbgebung ist sehr gelungen und verleiht den Landschaften einen völlig anderen Charakter als im letzten Teil der Reihe. Beim genauen Hinsehen sind leider nicht alle Texturen gestochen scharf, das stört glücklicherweise nur in den wenigsten Fällen. Die Bildrate bleibt meist auf PlayStation 4 Pro stabil, wobei gerade die Ladebildschirme durch heftige Ruckler auffallen, das Geschehen aber natürlich nicht beeinflussen. Die deutschen Synchronsprecher sind einmal mehr nur solide und rattern ihre Sätze teilweise viel zu schnell herunter, was übertrieben künstlich wirkt. Ansonsten ist die Soundkulisse spitze und beeindruckt durch atmosphärische Stücke sowie Geräusche, die der Natur einen eigenen Charakter verleihen.