Es gibt keinen aktuellen Release von Electronic Arts, der sich von den Nachwirkungen des Battlefront II-Skandals befreien kann. Dessen ist sich der Publisher mittlerweile bewusst geworden, denn der neue Mitstreiter im Battleroyal-Kuddelmuddel Apex Legends wurde ohne Marketing-Kampagne veröffentlicht, bevor sich eine Wand aus Skepsis bilden konnte. Diesen Luxus hatte „Anthem“ nicht, sondern die Zweifel wurden durch die Veröffentlichung des mäßigen „Mass Effects: Andromeda“ angefeuert und jede Information zum Shooter wurde auf die Goldwage gelegt. Fans waren kritisch und Entwickler versuchten Schadensbegrenzung zu betreiben. Jetzt ist der Tag der Wahrheit gekommen. „Anthem“ war eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Erst wurden Kindheitsfantasien des Testers erfüllt, nur um im nächsten Moment sein Nervenkostüm mit seltsamen Designentscheidungen zu strapazieren. In letzer Instanz kamen Zweifel an der Kompetenz eines gesamten Enwicklerstudios. Die Gründe erfahrt ihr im Review.

Anmerkung: Teile des ersten Absatzes stammen aus dem von mir geschriebenen Preview-Artikel zu „Anthem“, da die Beschreibungen weiterhin zutreffend sind.

Tony Stark kann einpacken

Hauptmerkmal von „Anthem” sind die Javelin-Kampfanzüge, die es in vier Varianten gibt. Der Ranger ist der flexible Allrounder, der Colossus ist der schwerfällige Tank, der schwachbrüstige Storm beschießt Gegner mit Elementarangriffen und der Interceptor glänzt durch enorme Wendigkeit und geht mit Nahkampfangriffen auf Tuchfühlung mit den Gegnern. In diesem Bereich lässt sich „Anthem” nicht mit Konkurrent „Warframe” vergleichen, sondern orientiert sich stärker an „Destiny”. Denn in seinen Grundzügen spielt sich „Anthem” zunächst wie ein lupenreiner Third-Person-Shooter. Zwei Hauptwaffen können zu jeder Zeit mitgeführt werden, das Arsenal deckt die bekannten Schießprügel wie Sturmgewehre, Schrotflinten, Granatwerfer oder verschiedene Pistolen ab. Die Schusswechsel spielen sich allerdings nur solide. Das Design der Waffen war wenig spektakulär und hat das gebotene Setting nicht in spannende Bewaffnung umgemünzt. Die Verwendung dieser Waffen fühlt sich außerdem nicht durchgehend gut an. Während Sturmgewehre, Präzisionswaffen oder Pistolen ordentlich Durchschlag entwickeln und diesen auch akustisch glaubhaft wiedergeben, fühlen sich vorallem schwere Geschütze wie Granatwerfer und Schrotflinten eher wie Abschussvorrichtungen für Wattebällchen an.

Die Fähigkeiten der Javelin und ihre Kombination sorgen jedoch dafür, dass unterm Strich trotzdem Spaß aufkommt. Denn die Ausrüstung der Kampfanzüge ist nicht mit minutenlangen Cooldowns gesegnet, sondern kann im Sekundentakt abgefeuert werden. Der Ranger hat im rechten Arm verschiedene Raketentypen gelagert und verfügt zusätzlich über verschiedene Elementargranaten und ein Schutzschild. Neben dem Beschuss aus den konventionellen Waffen wird der Gegner im Sekundentakt von diesen Raketen und Granaten eingedeckt. Der Colossus hat stattdessen einen Flammenwerfer oder schwere Granatwerfer im Gepäck oder kann ein Schild hervorkramen, das Kugeln abfängt. Die Kombination der Fähigkeiten kommt zum Zuge, wenn ein Ranger seine Frostgranate auf den Gegner geworfen hat und ein Teammitglied mit einer Explosions oder Feuerfähigkeit einen Folgetreffer anbringt, der extra Schaden verursacht. Natürlich verfügen die Javelins auch über eine ultimative Fähigkeit, die trotz einiger feiner Unterschiede geradlinig nur einen Zweck erfüllt: Möglichst viel Schaden an den Mann zu bringen. Der Ranger feuert eine Mehrfach-Salve Raketen auf die Feinde, der Colossus kramt einen Nuklearraketenwerfer aus der Anzugtasche, der Storm ruft einen solchen herbei und der Interceptor entfesselt ein Nahkampfgewitter. 

Schubdüsen aktiviert

Wirklich eigenständig wird „Anthem” erst durch die Flugfähigkeit der Anzüge und den Einfluss von Höhenunterschieden auf das Gameplay. Zunächst fühlt sich der Kampfanzug in der Bewegung nicht so flott an wie die Weltraum-Ninjas von „Warframe”, sondern lässt sich auch in dieser Hinsicht eher mit „Destiny” vergleichen. Anders als das Gefühl der Waffen wurde das Körpergefühl der Anzüge dabei gut umgesetzt. Jeder Anzug hat ein individuelles Flugverhalten, dass deren unterschiedliche Masse greifbar macht. Per Knopfdruck kann man nun für eine begrenzte Zeit fliegen oder auf der Stelle schweben. Die Level sind immer wieder von Höhenunterschieden durchzogen. Durch die Flugfähigkeiten werden solche Unterschiede überwunden, um einen Nachteil auszugleichen oder die Gegner zu flankieren. Natürlich kann sie auch schlicht dafür benutzt werden, in der offenen Spielwelt von A nach B zu gelangen. Etwas Finesse wird erforderlich, wenn die Überhitzung der Schubdüsen verhindert werden muss, indem über Wasser geflogen werden muss oder kurze Abstecher ins kühle Nass nötig werden. Insgesamt schafft sich „Anthem” durch dieses System seine eigene Nische, reduziert im Vergleich zu „Warframe” das Tempo und spielt sich flotter als „Destiny”.

Die Kombination aus diesen Aspekten sorgt zunächst für ein spaßiges Kampferlebnis. Wirklich fordernd sind die Bewegnungen nie, denn die Gegner wären selbst durch die Ausbildung der Sturmtrupler gefallen und sind nur aufgrund ihrer schieren Masse überhaupt ein Gefahrenfaktor. Auch eine echte Gegnervariation gibt es nicht wirklich. 2 verschiedene Feindfraktionen und eine handvoll Wildtiere stellen sich den Piloten entgegen. Nach wenigen Missionen ist man bereits Zeuge der gesamten Bedrohung geworden. Dieser Manko hat langfristig etwas an der Motivation genagt, doch die ersten Stunden ist es unglaublich befriedigend, wenn ein ganzer Haufen von Gegnern durch einen Mörserschlag eines schwerfälligen Colossus in Stücke geschossen wird oder ein Interceptor flink Wursterne auf Aliengewirm regnen lässt.  Doch abseits des spaßigen Gameplaykerns ist „Anthem“ voller Schwachpunkte.

Hymne der Schöpfung

Im Gegensatz zu anderen Loot-Shootern möchte sich „Anthem“ durch eine hochwertige Geschichte von seiner Konkurrenz abgrenzen. Die Ausgangssituation ist dabei vielversprechend. Göttliche Wesen haben den Planeten durch Artefakte geformt und später auch die Menschen erschaffen. Aus nicht näher erläuterten Gründen haben sie die Welt jedoch verlassen und ihre Artefakte zurückgelassen. Instabile Überreste und eine nicht greifbare Göttliche Kraft, die Hymne der Schöpfung verändern nun permanent das Aussehen der Welt und erzeugen ständige Gefahren. Daher haben sich die Menschen hinter dicken Mauern zurückgezogen. Freelancer, heldenhafte Freigeister in den Javelins sorgen für dafür, dass die Bedrohungen nicht die Sicherheit der Städte gefährden.  Bioware verbindet gekonnt in „Anthem“ Sci-Fi Elemente in Gestalt der Mech-Anzüge mit Fantasy-Aspekten. Optisch wird diese Spielwelt dabei durch eine Mischung aus fernöstlichen, orientalisch angehauchter Ästhetik mit einem mittelalterlichen Touch und greifbaren, bodenständigen Kampfanzügen dargestellt. Die offene Spielwelt enthält eine weitläufige Dschungellandschaft, überzogen von Ruinen und verlassenen Maschinen oder Dörfern von Aliens. Die Ausgangsposition für „Anthems“ Spielwelt ist daher grandios, da sie sich frisch anfühlt und Spuren von Biowares Talent erkennen lässt. Wenig von dieser Qualität ist in die Handlung eingeflossen.

Bereits im Prolog wird ein Grundproblem der Kampagne deutlich, dass die Welt unglaubwürdig erscheinen lässt: „Anthem“ erzählt viel, doch zeigt nichts. In besagter Mission macht sich eine Armada von Freelancern auf den Weg in einen von einem instabilen Artefakt ausgelösten Sturm, um die Bedrohung einzudämmen. Während dieser Mission berichten Funksprüche, dass unzählige Freelancer bei der Mission sterben. Eine Cutscene zeigt lediglich, dass zwei Mitglieder des eigenen Teams umkommen. Der Auftrag wird abgebrochen und eine Texteinblendung gibt zu erkennen, dass die Bevölkerung nach diesem Fehlschlag den Glauben an ihre Heldenfiguren verloren hätte. Seitdem seien zwei Jahre vergangen und die Freelancer hätten sich nie von diesem Tag erholt. Da jedoch dieser Fehlschlag nicht durch die Mission greifbar gemacht wurde, wirkt die Ausgangssituation für die eigentliche Handlung überhaupt nicht glaubwürdig. Auch der mythologische und soziale Hintergrund bleibt verborgen und wird im Rahmen der Haupthandlung nur sporadisch angerissen, ohne ausreichend erläutert zu werden. Als Spieler fühlt man sich nie komplett in diese Welt hinein versetzt. 

Lieblos abgearbeitet

Ausgehend von diesen Prolog versetzt „Anthem“ den Spieler in die Rolle eines Freelancers, der nach einigen Aufträgen für eine hochrangige Spion herausfindet, dass eine Fraktion mit der Bezeichnung „Dominion“ wieder auf den Plan getreten ist und unter der Leitung des „Monitors“ nach unglaublicher Macht strebt und daher natürlich aufgehalten werden muss. Ähnlich inspirationslos wie die Grundhandlung präsentiert sich dann auch ihr Bösewicht, der während der gesamten Spieldauer überhaupt nur einige sporadische Auftritte hat. Welche Motive er und das Dominion verfolgen wird nicht weiter dargestellt. Eine eindrucksvolle einleitende Sequenz, die den einzigen Höhepunkt der Handlung verkörpert, kann zwar einen spannungsgeladenen Auftakt inszenieren, doch davon später nicht zehren. Dementsprechend kümmert der Spieler sich nicht um sein späteres Schicksal. 

Natürlich treten im Rahmen der Handlung noch einige Nebenfiguren auf es gibt eine handvoll Wendepunkte. Copilot Owen oder der alte Freund Haluk sind durchaus sympathisch, doch nimmt sich die Geschichte nicht die Zeit die Beziehung zwischen den Figuren darzustellen. Alles wird hektisch abgearbeitet, wodurch die wenigen Wendepunkte absolut nicht glaubwürdig sind. Gelegentlich aufkommende Momente der Spannung werden sofort niedergemacht ohne dass sie der Spieler genießen kann. Aufgrund dieser Macken Gipfelt die Handlung von „Anthem“ in einem lustlosen und langweiligen Finale, dass kurz angebunden die Handlung abschließt nur um eine neue Bedrohung ohne jeglichen Bezugspunkt für die Zukunft zu Teasern. Die Inszenierung der Handlung durch einige Zwischensequenzen ist durchaus gelungen, doch kann auch sie aufgrund kleiner Macken nie ihre vollständige Wirkung entfalten. Vor Beginn der Handlung kann der Spieler zwar ein Gesicht wählen, doch hat nur die Wahl aus vorgegebenen Mustern. Nun ist dieses Gesicht mehrmals in einer Zwischensequenz zu sehen, doch fühlt sich dieses Gesicht nie nach der eigenen Figur an und es ensteht keine echte Verbindung oder Spannung. 

Was nicht passt, wird einfach so gelassen

Im Rahmen eines grindlastigen Titels ist eine Handlung nicht unbedingt nötig und auch eine schwache Handlung ist eigentlich zu verkraften. Bioware schafft es jedoch nicht, die Geschichte von „Anthem“ auch sinnvoll in die Gameplay-Spirale einzubinden. Nach jeder abgeschlossenen Mission wird der Spieler zurück nach Fort Tarsis geschickt, um ein Gespräch oder eine Zwischensequenz anzuschauen, nur um anschließend wieder zurück zur Startrampe zu laufen. Ist der Spieler also nun mit einer Gruppe von Freunden unterwegs, muss nach jeder Mission eine pause eingelegt werden, damit jeder Spieler für sich alleine durch Fort Taris laufen kann, die Zwischensequenzen anschaut und wieder zurückkehrt. Dadurch wird der eigentliche Spielfluss immer wieder unterbrochen, um die Handlung voranzutreiben. Wäre die storylastigen Missionen nicht zwingend nötig für den frühen Spielfortschritt, sondern könnten nach eigenem Wunsch abgearbeitet werden, wäre dieser Faktor kein Problem gewesen. So blockiert er nur immer wieder den Spielfluss in Gruppen und führt dazu, dass „Anthem“ sich besser mit zufälligen Mitspielern erleben lässt, da diese nach jeder Mission ausgetauscht werden und sich nicht über Wartezeiten beschweren. 

Als Alternativbeschäftigung kann der Spieler zwischen den Missionen Fort Tarsis erkunden, mit Bewohnern sprechen und Sammelgegenstände finden. Die verschiedenen Gespräche sind dabei komplett überflüssig und gaukeln tiefgründige Inhalte vor und reduzieren den Spieler auf einen Statisten und stummen Zuschauer. Zwar darf er zwischendurch Antworten auswählen, doch haben sie keinerlei Einfluss auf die Geschichte. Die Bewohner haben dabei nur Lächerlichkeiten zu berichten und die Gespräche haben den Spaßfaktor von unliebsamen Smalltalk mit ehemaligen Schulkameraden, denen man auf der Straße nicht mehr ausweichen konnte. Auch die Suche nach Sammelgegenständen macht wenig Spaß, da Fort Tarsis ein lebloser, langweiliger Hub ist, durch den es sich nicht zu streifen lohnt und die Gegenstände offensichtlich an jeder Ecke herum liegen.

Eintöniges Missionsdesign

Neben den Story Missionen kann die Spielzeit mit weiteren Aktivitäten verbracht werden. Im Freeplay kann der Spieler durch die Spielwelt fliegen und verschiedenen Weltereignisse abarbeiten, Crafting-Materialien sammeln und Schatzkisten suchen. Contracts sind klassische Quests mit festgelegten Zielen und einer kleinen Geschichte. Als besonders anspruchsvolle Herausforderung gibt es Strongholds, die als „Anthems“ Version von Instanzen fungieren und an deren Ende ein knackiger Endboss bezwungen werden muss. Die offene Spielwelt bietet nicht übermäßig viele verschiedenen Settings, doch als Ausgangssituation für die verschiedenen Aufträge ist sie mehr als geeignet und bietet ausreichend einzigartige Kulissen. Auf den Papier gibt es nun viel zu erledigen, doch bauen alle Missionen auf wenigen Mechaniken auf und verfügen über einen ähnlichen Aufbau. Gegner werden immer in Wellen gespawnt, die wahllos über das Einsatzgebiet platziert werden und in Horden auf den Spieler einströmen und abgearbeitet werden. Die einzelnen Kampfsituationen variieren daher nur selten. Darüber hinaus gilt es mal ein Relikt zusammenzusetzen und verschiedenen Teile zu einem Punkt zu bringen, einen festgelegten Bereich eine vorgegebene Zeit zu verteidigen, Gefangene zu befreien, Ausrüstung zu einem Punkt zurückzubringen. Monotonie kommt nun besonders durch die kleinschrittige Natur der Aufträge zustande. 

Während die verschiedenen Mechaniken trotz ihrer Ähnlichkeit für Abwechslung gesorgt hätten, werden mehrere von diesen Mechaniken immer gemeinsam in einen Auftrag gezwängt. Fliege zu Punkt X, rette einige Bürger und besiege Horden von Gegnern, danach flieg zu Punkt Y und berge verlorene Ausrüstung, danach geht es zu Punkt Z und ein Punkt muss verteidigt werden. Anschließend noch zum Endpunkt und ein Artefakt samt Gegnerwelle bezwingen und zurück zur Basis. Aus diesem Grund fühlt sich kein Auftrag einzigartig an und schnell bleiben die Überraschungen aus. In der offenen Spielwelt setzten sich die Ereignisse meist nur aus einer der genannten Mechaniken und einer Gegnerhorde zusammen, doch da diese so oft wiederholt wurden, setzt auch dort trotz der kompakten Struktur schnell Monotonie ein. Aufgrund des ähnlichen Aufbaus jeder Mission verlieren auch die kleinen Geschichten der Contracts schnell jeden Reiz, da sich zwar die Ausganssituation, die teilnehmenden Figuren und Gegner ändern, doch der Aufbau immer identisch ist und dementsprechend keinerlei Überraschung bei dem Ablauf ergeben. Auch die Strongholds können sich nur optisch von den restlichen Missionen abgrenzen, da sie mechanisch keinerlei Unterschiede bieten. So gibt es zwar bessere Belohnungen nach jedem Abschnitt, aber spielerisch sind auch diese Missionen Nahrung für die aufkommende Monotonie. Auch die Bosse sind überflüssige Schwämme, die nur absolute Standardfähigkeiten abfeuern, Adds spawnen und nach unzähligen Einschusslöchern einfach sterben.

Dünnes Endgame

Während der Storymissionen steigert der Spieler seine Pilotenstufe. Mit Erreichen der Maximalstufe von 30 erhält er Zugriff auf die letzen Inhalte von „Anthem“ und schaltet verschiedenen Herausforderungen frei. Nach beenden der Haupthandlung hat der Pilot nur eine Stufe von ungefähr 20 erreicht und muss noch 10 Level mit den oben genannten Inhalten abarbeiten, um Zugriff auf die neuen Inhalte zu erhalten. Hat er diese Aufgabe abgeschlossen erhält er Zugang zu zwei weiteren Strongholds und Fraktionsherausforderungen, sowie hochstufigen Contracts.  Wieder wird der Anschein erweckt, dass nun viele Inhalte auf den Spieler warten. Doch bei einem Stronghold handelt es sich um die wiederverwertete letze Mission der Story, die ohne Anpassung übernommen wurde. Nur der dritte Stronghold bietet optisch ein neues Umfeld, mechanisch bleibt er ohne Neuerungen. Fraktionsherausforderungen und die hochstufigen Contracts sind ebenfalls nur die bekannten Missionen auf einem höheren Schwierigkeitsgrad. Genretypisch wartet bei diesen Aufgaben auch bessere Belohnung. Der Ablauf bleibt jedoch identisch. Nach Abschluss der Geschichte muss also sinnlos weiter gespielt werden, nur um die identischen Inhalte auf einem höheren Schwierigkeitsgrad spielen zu dürfen. Der erhöhte Schwierigkeitsgrad kommt nicht zustande, indem Gegner neue Fähigkeiten erhalten, sondern jegliche Statuswerte werden einfach um einen fixen Prozentbetrag erhöht. Zwar müssen nun mehr Kombinationsangriffe genutzt werden, doch der eigentliche Ablauf ändert sich weiterhin nicht. Zum jetzigen Zeitpunkt bietet „Anthem“ bei weitem nicht genug Inhalte, um langfristig fesseln zu können.  

Hurra..das Item hab ich doch schon

Herzstück eines Loot-Shooters ist natürlich die Jagd nach immer besserer Ausrüstung und die Optimierung des eigenen Charakters. In diesem Punkt ist „Anthem“ jedoch ebenfalls nur Mittelmaß. Genretypisch werden Gegenstände in verschiedene farblich codierte Stufen eingeteilt, die es für erfüllte Aufträge gibt, oder die sich herstellen lassen. Bis zum Erreichen der Maximalstufe erhält der Spieler immer wieder neue Gegenstände und wird regelrecht mit Ausrüstung überschüttet. Die Anzahl der unterschiedlichen Gegenstände für jede Klasse ist dabei nicht wahnsinnig groß, doch wird für den Anfang ausreichend Auswahl geboten. Der Fortschritt soll nun dadurch gewährleistet werden, dass der Spieler bessere Versionen der gleichen Waffe mit unterschiedlichen zufälligen Zusatzeffekten sammelt, etwa höhere Schussrate oder ein größeres Magazin. Doch kann jede Waffe jeden verfügbaren zufälligen Zusatzeffekt erhalten, auch wenn dieser komplett nutzlos für den entsprechenden Gegenstand ist. Schrotflinten mit Zusatzmunition für Pistolen oder Granatwerfer mit erhöhten Gewehrschaden sind keine Seltenheit. Aus diesem Grund ist es komplett irrelevant auf diese Effekte zu schauen und Spieler wählen einfach nur eine höherlevelige Version einer identischen Waffe, die einen marginalen Bonus darstellt.  Eine motivierende Jagd nach besseren Waffen findet vor Level 30 überhaupt nicht statt. Verstärkt wird dieser Aspekt durch die Tatsache, das keine der niedrigstufigen Gegenstände Sondereffekte besitzen, die das Spielverhalten beeinflussen. Etwa erhöhter Schaden oder Statuseffekte, sollten bestimmte Bedingungen erfüllt werden. Nach Erreichen der Maximalstufe lassen sich nun auch besonders mächtige Gegenstände der Stufe Legendär oder Masterwork finden. Im Gegensatz zu den niedrigstufigen Gegenständen verfügen sie über charakteristische Eigenschaften, die das Gameplay beeinflussen und individuellere Spielstile ermöglichen.  

Die Spirale, die nun in Gang gesetzt werden soll, fordert vom Spieler, dass er die identischen Inhalte, die er bereits bis Level 30 absolviert hat auf einem der höheren Schwierigkeitsgrade zu wiederholen, um Waffen oder Crafting-Materialien zu erhalten. Alternativ können diese Materialien auch durch das Zerlegen hochstufiger Ausrüstung gesammelt werden oder für Münzen, die es für alle genannten Aktivitäten oder wöchentlichen Herausforderungen gibt, gekauft werden. Momentan ist die Balance zwischen verdienten Münzen und erhaltenen Materialien außerdem noch nicht gegeben und es dauert zu lange, bis nützliche effektive Ausrüstung hergestellt werden kann. Doch auch diese Waffen leiden unter den zufälligen Stats und es kann dazu kommen, dass mächtige Waffen mit nutzlosen Werten droppen. Durch die genannten Faktoren ensteht nun jedoch keine Motivation, sondern Frust. Todesstoß ist nun die Tatsache, dass der Grind an die immer identisch aufgebaute Mission gekoppelt ist, die ohne Variation immer wieder seit Beginn des Spiels abgespult wurden, wodurch die Langzeitmotivation nicht gegeben ist. Bereits nach Abschluss der Kampagne hat man den Großteil aller Inhalte bereits gesehen und wiederholt diese immer wieder. So führt der Grind letztlich zu nichts, da die verbesserten Javelins für keine neue Herausforderung nützlich sind. 

Keine Abzocke, aber nicht zu Ende gedacht

Bei der Farbanpassung hat Bioware in Teilen vieles richtig gemacht. Für zahlreiche Teile des Javelins können zunächst die Materialien gewählt werden, wodurch sich folgerichtig die Beschaffenheit der Oberfläche verändert. Anschließend kann diese in unterschiedlichen Farben getaucht werden. Allein durch die zahlreichen Kombinationsmöglichkeiten lässt sich der Javelin individuell einfärben. Zusätzlich ließen sich neue Bauteile freischalten. Momentan gibt es nur derart erschreckend wenig kosmetische Inhalte, die für Münzen oder Echtgeld erhältlich sind, sodass eine Anpassung abseits der Farbe nicht in einem befriedigenden Umfang möglich ist. Mehr Bauteile zu einem fairen Preis müssen unbedingt nachgereicht werden. Auch die Kosten der wenigen  Gegenstände für die Ingamewährung ist momentan etwas hoch angesetzt und es bleibt abzuwarten, wie viele von diesen Münzen in Zukunft verdient werden können. Zumindest der Echtgeldpreis der kosmetischen Inhalte hält sich momentan mit ca. 8 Euro pro Skin oder Emote noch in einem branchenüblichen Rahmen, doch gibt es einfach keinerlei Inhalte, die dieses Geld wert wären.

6 Jahre waren nicht genug

Zunächst sollten die positiven Aspekte genannt werden. „Anthem“ sieht durch die hauseigene Frostbite-Engine hübsch aus und vorallem die wuchtigen und farbenfrohen Partikeleffekte sind ein Augenschmaus, auch wenn ihre Masse stellenweise jegliche Übersicht auslöscht. Der Soundtrack ist ebenfalls nicht zu beanstanden und untermalt gekonnt das Geschehen. Auch die Spielwelt punktet mit einigen schönen Gebieten mit eindrucksvollen Vistas. Auch die Steuerung geht auf dem Controller problemlos von der Hand und der Spieler hat zu jedem Zeitpunkt die Kontrolle über den Javelin. Doch vorallem in der offenen Spielwelt kann es auf der Standard Playstation durchaus vorkommen, dass die Texturen von großen Arealen sichtbar nachgeladen werden, wenn der Spieler zu schnell umherfliegt. Abseits dessen werden auch im normalen Spielbetrieb durchgehend Büsche oder andere kleinere Objekte nachgeladen, wenn der Spieler durch die Welt wandert. Im Gefecht verliert man im Effektgewitter schnell das Gefühl dafür, doch sobald die Gegner weg sind, fällt es sofort wieder ins Auge. Dafür bleibt die Bildrate durchgehend stabil und sorgt für keinerlei Probleme.

Viel schlimmer sind die absurd langen Ladezeiten, die bei jeglichen Aktivitäten durchgeführt werden. Nicht nur gibt es eine verständliche Ladepause zu Beginn einer Mission, sondern auch während Missionen wird nachgeladen, wenn verschiedene Höhlengebiete betreten werden. Besonders diese überflüssigen Pausen während des laufenden Spiels lassen die „offene“ Welt lächerlich wirken. Doch „Anthem“ lädt auch überflüssig lange, wenn in der Schmiede die Ausrüstung der Javelins angepasst wird. Nur schnell eine andere Waffe ausrüsten, die es in der Mission als Belohnung gab? Ladezeit. Vergessen die Granate anzupassen? Ladezeit. Die Frustration dieser ewigen Wartepausen lässt sich mit einem Vergleich greifbar machen. Ähnlich genervt wäre der geneigte Spieler wenn sich der Inhalt des Kühlschranks oder des Badezimmers erst Sekundenlang aufbauen müsste, nachdem die Tür geöffnet wurde.

Neben den unfreiwilligen Wartepausen hat „Anthem“ noch eine unverständliche Masse an Bugs und Problemen im Gepäck. So kann es beispielsweise passieren, dass der Spieler nichtmehr mit Gegenständen interagieren kann, egal ob das Lootkisten, Questgegenstände, oder Teammitglieder, die auf ihre Wiederbelebung warten sind. In solchen Fällen konnte nur ein Neustart der Mission Abhilfe schaffen, die mit weiteren Ladezeiten einherging. Weiterhin kommt es vor, dass der Fortschritt einer Mission nicht ausgelöst wird, Türen in Strongholds nicht mehr geöffnet werden konnten und daher ein Abschluss der Mission nicht möglich war. Auch Glitches durch Wände oder verschwundene Gegner oder diverse Anzeigefehler lassen sich der Bugliste hinzufügen. Zu allem Überfluss bleibt Anthem auch nicht vor Abstürzen und Disconnects verschont. 

Neben diesen technischen Probleme gibt es noch weitere Designfehler, die dem Spielfluss schaden. Die Menüs sind unnötig verschachtelt und relevante Informationen sind zwischen Randinformationen zur Lore versteckt. Die Mini-Map ist komplett nutzlos und zeigt außer einen hübschen Luftaufnahme der Spielwelt nur wenige relevante Informationen. Es lässt sich keine verkleinerte Version während des Spiels einblenden, keine Wegpunkte setzen und zur Orientierung in der Spielwelt kann diese Karte nur einen marginalen Teil beitragen. Neben Fort Tarsis gibt es einen Hub, in denen zwar Missionen gestartet werden können und mit Spielern interagiert werden kann, doch nicht alle Missionen können überhaupt dort angenommen werden. Dadurch wird dieser Hub praktisch nutzlos. Im eigentlichen Hub Fort Tarsis sind die Laufwege zwischen der Startrampe und den Questboards überflüssig lang. Die Kommunikation zwischen den Spielern wird zwar durch einen Sprachchat ermöglicht, doch ist es nicht möglich Kommandos oder Pings zu verwenden, um schnell Informationen mit dem Team zu teilen.  Im Rahmen eines Looter Shoters ist besonders das Fehlen einer aufgeschlüsselten Tabelle aller Statuswerte und eine unhandliche Funktion, um die Gegenstände zu vergleichen, nervig. Diese Faktoren sind alleinstehend nicht dafür verantwortlich, dass „Anthem“ kein gutes Spiel ist. Doch ähnlich wie andere genannte Faktoren sind sie hochgradig überflüssig und in diesen Bereichen wurde einfach nicht nachgedacht.

Der technische Zustand von „Anthem“ ist allerdings eine Frechheit und nicht damit entschuldbar, dass es sich hierbei um ein „Games as a Service“ handle. Ein renommiertes und erfahrenes Studio wie Bioware , das auf die Ressourcen eines der größten Publishers in dieser Branche zurückgreifen konnte, hätte in sechs Jahren Entwicklungszeit ein technisch einwandfreies Produkt abliefern können. Doch diese Entscheidung wurde nicht getroffen, sondern jetzt wird erst in Kleinstarbeit Patch nach Patch veröffentlicht, um die unnötigen Probleme aufzuarbeiten.