„Blood & Truth“ ist ein furchtbarer Titel. Er klingt nämlich viel zu beliebig und uninteressant für das grandiose Erlebnis, das Spielern bevorsteht. Hinter dem Actionspiel steht nämlich London Studios, die bereits mit „The London Heist“ bewiesen haben, dass sie wissen, wie Action in VR aussehen muss. Seitdem arbeiteten sie an einem großen Action-Knaller, der die Grenzen der Technologie sprengen sollte. Das ist ihnen gelungen – auch wenn ein Kritikpunkt die absolute Perfektion verhindert.

Die blutige Wahrheit

Der Spieler wird dank PlayStation VR zum Soldaten Ryan Marks, der sich in einer Lagerhalle wiederfindet und von einem fremden Mann befragt wird. Der Spieler erfährt durch lange Rückblenden, wie er dahingekommen ist, denn Marks musste seinen Einsatz im Krieg beenden, um zu seiner Familie nach London zurückzukehren, die durch den Tod des Vaters in tiefe Trauer versetzt wird. Doch schon kurz nach der Trauerfeier wird die Familie von dem Verbrecherboss Tony Sharp bedroht, was sie natürlich nicht auf sich sitzen lassen können. Was folgt, ist eine Geschichte über Rache, Familie, Blut und die Wahrheit.

Die Geschichte klingt auf dem Papier wie ein klischeehafter Actionfilm, und tatsächlich trifft das auf „Blood & Truth“ genau zu. Der eigentliche Ablauf ist sehr erwartbar, wird aber durch die lebendigen Charaktere sowohl spannend als auch emotional. Ryans Geschwister sind überaus sympathisch, seine Mutter liebevoll und die Bösen natürlich völlig verrückt. Die Dialoge sind durchweg unterhaltsam und überraschend natürlich geworden, sodass die Sprüche und überdramatischen Szenen nie aufgesetzt, sondern völlig organisch wirken. Natürlich hilft es, dass der Spieler direkt angeschaut wird und sich somit komplett in Ryan hineinversetzen kann. Und auch die Sprecher leisten sowohl im Originalton als auch in der deutschen Synchronisation einen großartigen Job.

Interaktiver Action-Streifen

Die Macher wissen, dass die Charaktere die große Stärke der Handlung sind, weshalb es viele Abschnitte gibt, in denen ausschließlich geredet oder die Umgebung erkundet wird. In fast jedem Action-Spiel in VR würde dies den Spielfluss stören, doch „Blood & Truth“ schafft es, den Spieler jederzeit zu begeistern. Egal ob in ruhigen Momenten oder rasanten Kämpfen, man wird stets bestens unterhalten.

Das einzige Problem des Spiels ist lediglich das enttäuschende Ende. Es gibt nämlich einige Wendungen, die nicht komplett aufgelöst werden. Jedem Spieler wird klar sein, dass die Macher unbedingt einen Nachfolger erschaffen wollen, doch der Cliffhanger ist etwas zu extrem geraten und es bleiben zu viele Fragen offen, als dass man London zufrieden verlassen kann.

Perfektes Gunplay

Glücklicherweise bleibt das die einzige Enttäuschung, denn ansonsten ist das Spiel eines der besten VR-Erlebnisse überhaupt. In den Action-Leveln geht es nämlich nicht nur darum, alle Feinde zu erledigen, wobei das einen der spaßigsten Aspekte darstellt. Das Verhalten der Waffen fühlt sich nahezu unheimlich realistisch an, und dank eines realistischen Rückstoßes gepaart mit entsprechender Vibration lässt sich jeder Schuss präzise abfeuern, obwohl der Rückstoß nicht ignoriert wird. Zudem ist es einfach fantastisch, Waffen aus der Hüfte oder vom Rücken zu ziehen und auf alles zu schießen, was sich bewegt.

Das Gameplay ist extrem schnell und die Macher haben wohl die beste Möglichkeit gefunden, Bewegung und zwei Move Controller zu kombinieren. Man kann sich nämlich nicht frei bewegen, sondern nur zu bestimmten Punkten – zu diesen teleportiert man sich allerdings nicht. Weil die Action stets frontal abläuft, muss man sich niemals umdrehen und auch im Laufen darf man schießen, sodass das rasante Gameplay niemals unterbrochen wird. Dank einer gelungenen Gegnervielfalt, zahlreichen Waffen und kleinen Spielereien, wie dem manuellen Nachladen per Brusttasche, bleibt der Spieler durchweg in Bewegung und freut sich geradezu über die Momente, in denen es ruhiger zugeht.

Stille und laute Einsätze

Dabei wird das Spiel nicht zur reinen Ballerei, denn es gibt eine starke Vielfalt in den Leveln. Zum Beispiel darf man häufig eine schallgedämpfte Pistole nutzen, um Gegner leise auszuschalten. Dabei sollte man aber gut zielen und die restlichen Feinde im Auge behalten. Wenn man eine Passage aber ohne Lärm gemeistert hat, ist das Spielgefühl schlicht unglaublich. Glücklicherweise wird man niemals dazu gezwungen, leise zu agieren, sodass Action-Fanatiker sich austoben dürfen.

Zudem gibt es immer wieder Abzweigungen, die zwar nie allzu stark ausufern, dafür unterschiedliche Herausforderungen bieten. Das erzeugt Wiederspielwert, auch weil überall Sammelgegenstände versteckt sind, die man in nur einem Durchlauf gar nicht vollständig einsammeln kann. Auch die Kulissen begeistern durchweg, von Lagerhallen über die Straßen Londons bis hin zu einem Casino gibt es immer wieder auch optisch Abwechslung.

Wahrlich atemberaubend!

Eine der spaßigsten Mechaniken ist definitiv das Klettern. Wie in „Uncharted“ oder „Tomb Raider“ darf man an Wänden entlang klettern, dank VR ist das Spielgefühl aber deutlich intensiver. Wenn man an einer Wand hängt und nach unten schaut, kann durchaus die Höhenangst einsetzen, und auch wenn man an Stangen entlang klettert greift man die Controller fest zu, um nicht in die Tiefe zu fallen, obwohl das rein spielerisch überhaupt nicht notwendig ist. Noch besser wird das, wenn man sich mit einer Hand festhält, mit der anderen eine Waffe zieht und im Hängen auf Gegner schießt – mehr Action ist kaum möglich.

Und dennoch schafft es „Blood & Truth“, sich immer wieder zu überbieten. Natürlich sollen die besten Momente nicht vorweggenommen werden, jeder Spieler darf sich aber auf bombastische Momente freuen, die man so noch nicht in VR erleben durfte. Vor allem die perfekte Ausführung ist schlichtweg unfassbar, denn technische Fehler, Ausblendungen oder Tracking-Probleme tauchen in diesen Passagen niemals auf. Es ist schwer, diese Faszination vernünftig zu erläutern, ohne zu viel zu verraten, doch die spektakulärsten Momente wird jeder genießen.

Perfektion in den ruhigen Momenten

Dabei sind auch die Level überzeugend, in denen man gar nicht schießen muss. Insbesondere ein Museum birgt einige der schönsten Szenen, die man bislang in VR erleben durfte. London Studios haben es geschafft, dass selbst die ruhigen Level, in denen es um Erkundung geht, bestens unterhalten. Zudem müssen die Spieler kleinere Rätsel in Form von Kästen lösen, in denen diverse Werkzeuge zum Einsatz kommen. Dietrich, Schraubenzieher oder Zange, obwohl die Pausenfüller keine Herausforderung darstellen, machen auch diese kurzen Einlagen Spaß.

Zudem gibt es Belohnungen für Gründlichkeit. Das gilt nicht nur für die eigene Basis, in der man sich die Sammelgegenstände genauer anschauen darf. Auch die Waffen dürfen angepasst werden, sei es durch ein Laser-Visier oder Lackierungen. Gerade deshalb lohnt es sich, Level zu wiederholen, was zudem die Spielzeit des fünf bis sechs Stunden langen Trips erhöht. Herausforderungen, die durch zukünftige Updates erweitert werden, laden zudem zur Highscore-Jagd ein.

Voller Details

Die Liebe zum Detail ist schlichtweg beeindruckend. Jedes Level wurde extrem authentisch gestaltet, und selbst Räume, in denen der Spieler nur wenige Sekunden verbringt, wirken nicht konstruiert. Auch kleinere Mechaniken, wie das automatische Ducken, Öffnen von Schubladen oder die Zeitlupe, die per Knopfdruck ausgelöst wird, ergeben eines der immersivsten Erlebnisse, die die Technologie zu bieten hat. Selbst in einem Raum zu stehen und Charakteren zuzuhören begeistert, ganz abgesehen davon, dass sich die Macher wunderbare Tricks ausgedacht haben, um auch hier nicht in eine Formel zu verfallen. Man kehrt gerne per Level-Auswahl in bereits gemeisterte Level zurück, um nach noch mehr Details Ausschau zu halten und die Atmosphäre aufzusaugen.

Mehr als nur eine Tech-Demo

Auch optisch überzeugt das Spiel. Die Texturen sind für VR-Verhältnisse sehr klar und auch die Animationen sind beeindruckend realistisch gelungen. Natürlich gibt es bei der Bildrate niemals Probleme, sogar bei riesigen Explosionen oder wenn Gebäude zusammenstürzen. Passenderweise sind die Ladezeiten kurz, wobei hier die Kombination aus PlayStation 4 Pro und einer externen Festplatte getestet wurde. Es ist kontinuierlich beeindruckend, wie viel passiert und wie perfekt das Spiel dabei abläuft.

Auch die Steuerung spielt mit, wobei die typischen minimalen Tracking-Probleme nie zum Problem werden. Die Move-Controller sind weitaus empfehlenswerter, doch das Abenteuer lässt sich auch per DualShock 4 steuern. Perfekt wird das Paket durch einen bombastischen Soundtrack und grandiosen Synchronsprechern. Die kleinen visuellen Glitches stören nicht und können durchaus durch Patches behoben werden.