Videospielreihen liefern häufig Spin-offs ab, wenn sie alt genug sind. Dabei wird die Entscheidung nicht immer gut aufgenommen, denn während sich diese Spiele einigen Fans zu sehr von bekannten Formeln absetzen, wollen andere noch größere Unterschiede. Genau diesen schmalen Grad möchte „Wolfenstein: Youngblood“ gehen und liefert ein klassisches „Wolfenstein“, gepaart mit kooperativer Action und Rollenspielelementen. Wieso das ein gutes Spiel ergibt, verraten wir im Test.

Eine neue Ära

Die Geschichte spielt 19 Jahre nach „The New Colossus“ und dreht sich um die Töchter von Blazkowicz, Jessie und Sophie. Diese suchen nach ihrem vermissten Vater in Neu-Paris und werden dabei von Abby, der Tochter von Grace Walker unterstützt. Natürlich bedeutet das einmal mehr eine Nazi-Jagd, denn der französische Widerstand kämpft gegen eine Bedrohung, die die Nazis stärker machen und das Vierte Reich einleiten könnte.

Die Geschichte selbst ist leider lange nicht so spannend und kreativ geraten wie im Vorgänger. Das liegt an den eher typischen Antagonisten sowie einer sehr dramatischen Handlung, die sich wenig Zeit zum Atmen nimmt und stattdessen einen ernsten Ton einschlägt. Glücklicherweise haben die Macher bei den Heldinnen eine Punktlandung getroffen, denn diese bringen eine große Portion Humor mit, können immer lockere Sprüche ablassen und liefern tolle Dialoge. Auch Abby kann häufig brillieren, denn obwohl sie eine typische Helferin aus der sicheren Zone ist, können ihr geniales Auftreten sowie die hilfreichen Vorschläge dafür sorgen, dass sie nicht austauschbar, sondern wie ein integraler Bestandteil des Teams wirkt. Die Dynamik zwischen den drei Heldinnen wertet somit die Geschichte auf und rettet „Youngblood“ davor, zu einer langweiligen Suchaktion zu werden.

Mitten in Paris

Optisch überzeugt das Spiel natürlich, auch wenn die Orte nicht so spektakulär ausgefallen sind wie im letzten Hauptteil der Reihe. Die Straßen des von Nazis besetzten Paris sind mitunter eindrucksvoll und die verlassenen Gebäude erzählen ihre eigenen Geschichten von schweren Schicksalen derjenigen, die ihre Leben durch den Krieg verloren haben. Zwar ähneln sich einige Orte, das macht sie aber nicht weniger eindrucksvoll. Auch die Bildrate spielt bei der Action mit, leider sind im Test einige Bugs aufgetreten. Bereits im ersten Areal kann ein Spieler in einem Schacht stecken bleiben, während in einem späteren Level ein Fenster zu einer Todesfalle wurde. Das sind kleine Probleme, die aber natürlich stören. Die Musik passt zum Geschehen, fällt aber wenig auf. Die Soundeffekte der Waffen, schweren Rüstungen und Explosionen machen das glücklicherweise wett, und auch die Sprecher überraschen positiv.

Neue Dimensionen

Die Macher wollen sich eindeutig von der Hauptreihe abgrenzen und bieten deshalb einen ungewöhnlichen Aufbau. Anstatt den Spieler durch lineare Level zu schicken, bedienen sich die Macher einer semi-offenen Welt. Vom Hauptquartier in den Katakomben aus geht es in die verschiedenen Einsatzgebiete und immer wieder zurück, um Quests anzunehmen und Belohnungen abzuholen. Die einzelnen Orte in Paris sind ebenfalls nicht wie von der Reihe gewohnt aufgebaut, sondern deutlich offener. Hier macht sich die Zusammenarbeit mit Arkane Studios bemerkbar, denn Gefechte finden in komplex gestalteten Arenen statt.

Fast immer ist es möglich, sich durch die Gegnermassen zu schießen, dann würde man aber den spaßigsten Teil verpassen. Es gibt nämlich viele Häuser, alternative Pfade und sogar Vertikalität, die nur darauf warten, ausgenutzt zu werden. Anstatt sich in die Massen zu stürzen, dürfen die Spieler ein Haus stürmen, sich durch dieses bis ins oberste Geschoss kämpfen und anschließend von sicherer Position aus den Angriff starten. Gleichzeitig bietet eine Seitengasse die Gelegenheit, Feinde in eine Falle zu locken oder sie gar von hinten zu überraschend. Die Heldinnen können sich sogar temporär unsichtbar machen und einige Kämpfe vollkommen umgehen – auch, wenn das eher selten der Fall ist. Wer die Augen auf hält, wird in nahezu allen Arealen diese Vielfalt entdecken, und somit spielen sich die Kämpfe durchaus unterschiedlich.

Kooperativer Fokus

All das lässt sich am besten im kooperativen Modus genießen. Zwar können sich auch Solisten durch Paris kämpfen, dann übernimmt allerdings eine KI Jessie oder Sophie. Diese ist durchaus intelligent und verhält sich geschickt, sogar was das Wiederbeleben des gefallenen Spielers angeht, wahre Spieltiefe kommt aber nur zum Vorschein, wenn man sich online mit einem Mitspieler unterhalten kann. Dann ist plötzlich nicht nur eine Option möglich, die Spieler können sich nämlich aufteilen. Dadurch werden Feinde abgelenkt und plötzlich gibt es die Möglichkeit, mehrere Vorangehensweisen zu kombinieren. Das ist auch dringend notwendig, denn einfach ist „Wolfenstein: Youngblood“ definitiv nicht.

Schon in der Einleitung gab es im Test mehrere Tode, weil Spieler sich zuerst daran gewöhnen müssen, dass hier die Welt von „Wolfenstein“ geboten wird, nicht aber das bekannte Gameplay der Reihe. Gegner verhalten sich eher wie in Rollenspielen und eine Lebensanzeige gibt an, wie oft auf sie geschossen werden muss. Sind die Kontrahenten gut gepanzert, reicht auch ein Kopfschuss nicht aus und es kann Minuten dauern, bis mechanische Rüstungen durchbrochen werden – natürlich inklusive Flucht vor dem Kugelhagel. Spielerisch erinnert das Spin-off deshalb häufig an „Destiny“ und verbindet dieses Kampfprinzip mit einem großartigen Gunplay, das die Eingewöhnungszeit wert macht.

Das kleine Rollenspiel

Diese Rollenspiel-Elemente ziehen sich durch das gesamte Spiel, denn neue Fähigkeiten werden durch entsprechende Punkte freigeschaltet, und die Schwestern steigen auch im Level auf, wodurch neue Kampfoptionen verfügbar werden. Der Doppelsprung ist direkt verfügbar, doch wer den Tarnmodus nicht zu Beginn wählt, muss diesen ebenso erwerben wie eine größere Lebensanzeige. Hinzu kommen zahlreiche Gesten, die die Schwestern heilen oder sogar unverwundbar machen, wenn aktiviert. Wer derweil Waffen verbessern möchte, benötigt das entsprechende Kleingeld, um jeden Aspekt zu verbessern – mehr Munition, weniger Gestreu sowie hilfreiche Visiere gehören zu den hilfreichsten Upgrades.

Ansonsten kann der Spieler Punkte ausgeben, um Fähigkeiten selbst zu erlernen und zu verbessern. Neben der typischen Erhöhung der Lebensanzeige gibt es auch die Möglichkeit, die Schwestern schwere Waffen tragen zu lassen oder Gegner besonders schnell leise auszuschalten. Hier kommt ein wenig Taktik ins Spiel, denn wer eher an den Hauptmissionen als an den Nebenmissionen interessiert ist, muss sich genauestens überlegen, für welche Fähigkeiten er die wertvollen Punkte, die es nur beim Levelaufstieg gibt, ausgeben möchte. Dem Spieler wird dadurch nicht alles geschenkt und die Wahl der Boni erhält eine größere Bedeutung.

Masse statt Klasse?

Was die Inhalte angeht, ist „Wolfenstein: Youngblood“ auf dem Papier beeindruckend. Die Hauptmissionen sind definitiv unterhaltsam gestaltet, drehen sich aber schlichtweg darum, sich durch verschiedene Gegenden zu kämpfen. Das wird durch die Offenheit zu einem großen Spaß, gleichzeitig enttäuschen die Nebenmissionen. Diese werden nebenbei erledigt und führen die Spieler häufig an Orte, die sie bereits in der Kampagne besucht haben. Dieses Backtracking ist leider alles andere als unterhaltsam, weil es kaum Abwandlungen gibt und sich somit der Ablauf wiederholt statt sich abzuwechseln. Zwar bleiben die Schießereien durch den komplexen Levelaufbau interessant, dennoch handelt es sich um einen Fall von Quantität vor Qualität.