In einer Woche, in der zahlreiche Hits erschienen, haben einige möglicherweise „Mutazione“ übersehen. Das Spiel beschreibt sich selbst als Mutanten-Seifenoper, das wird dem neuesten Werk von Die Gute Fabrik aber nicht gerecht. Hinter dem Titel versteckt sich nämlich eine ebenso nostalgische wie magische Reise voller Charme, Humor und Melancholie. Wieso der nächste Urlaub nach Mutazione gehen sollte, verraten wir im Test.

Willkommen in Mutazione

Der Spieler schlüpft in die Schuhe der 15-jährigen Kai. Diese soll ihren Sommer in Mutazione verbringen, da ihr Großvater, den sie gar nicht richtig kennt, sterbenskrank ist. Ihre Mutter ist dort aufgewachsen, hat sich aber für ein Leben abseits der kuriosen Insel entschieden. Einst war der Ort eine strahlende Großstadt, doch 100 Jahre vor dem Beginn der Handlung schlug ein Meteor ein, tötete Tausende und ließ die Überlebenden mutieren. Einigen ist dies nur wenig anzusehen, andere sind kaum noch als Menschen zu identifizieren.

Die Prämisse ist bereits erfrischend interessant. Während ähnliche Genrevertreter wie „Night in the Woods“ eine recht normale Welt nachbauen, die die tierischen Bewohner lediglich für Witze nutzen, sind die Mutanten überaus wichtig. Schließlich hat sich auf Mutazione eine eigene Ökologie entwickelt, und auch die Gemeinde ist eng zusammengeschweißt. Zudem wird auch immer wieder auf herzzerreißende Weise thematisiert, dass nicht alle Bewohner das Leben abgeschieden der Gesellschaft genießen und lieber in die Welt wollen, die sich vor ihnen fürchtet. All das wird vor allem durch das Auftauchen von Kai zum großen Thema.

Familientirade

Kai ist eine großartige Protagonistin. Sie hat zwar keine Angst vor den Mutanten, von denen fast alle ihre Mutter haben aufwachsen sehen, braucht aber dennoch ein paar Tage, um die Regeln auf Mutazione zu verstehen. Zudem ist sie durchweg beschäftigt, denn sie möchte ihrem Großvater in seinen schweren Zeiten helfen. Dabei wird immer wieder angedeutet, dass etwas Tragisches vorgefallen ist, genaue Details gibt es aber in den ersten Stunden nicht. Das ist für den Spieler ebenso frustrierend wie für Kai, die sich deshalb auch etwas verloren fühlt. Die Geheimniskrämerei lässt sich schon eher in die Seifenoper-Kiste stecken, behält aber gleichzeitig eine immense Spannungskurve.

Ein Dorf mit Charakter

Kai als Charakter kann sich derweil in zahlreichen Situationen beweisen, insbesondere aber in den Gesprächen mit den Bewohnern von Mutazione. Diese wurden allesamt realistisch geschrieben, und jeder Spieler wird seine Lieblinge finden. Da wäre zum Beispiel Tung, dessen Vater ihn verlassen hat. Er streitet sich manchmal mit seiner Großmutter, schließlich möchte er die Insel eines Tages verlassen, gleichzeitig steht er kontinuierlich im Konflikt mit sich selbst und sieht sich als Außenseiter unter Außenseitern. Seine Mutter Claire war einst die beste Freundin von Kais Mutter und kann sich anfangs die Tränen gar nicht zurückhalten. Erst später erfährt der Spieler, wieso ihre Emotionen derart hochkochen, denn verdrängte Erinnerungen sowie schmerzhafte Ereignisse zeichnen sie deutlich komplexer, als der Spieler es anfangs vermuten würde.

Mit all diesen Charakteren führt der Spieler leichtherzige sowie emotionale Gespräche, insbesondere in Miu wird das deutlich, deren Vergangenheit nicht leicht zu verdauen ist. Gleichzeitig gibt es herrlich verrückte Figuren, zum Beispiel Jell-A, einen aus Gelee bestehenden Wissenschaftler, oder zwei Völker aus Kreisen und Würsten, die stets im Krieg stehen. Obwohl „Mutazione“ häufig emotional und mysteriös sein kann, gibt es haufenweise lustige Momente, deren Leichtherzigkeit einen perfekten Mix erschafft. Die Macher setzen die Messlatte in Sachen Erzählung weit oben, und leisten sich bis auf einige Geschichten, die über einen längeren Zeitraum hätten erzählt werden können, keine Patzer.

Lesen, lesen und lesen

Wie die bisherigen Zeilen bereits verdeutlicht haben, stehen die Handlung und die Charaktere im Mittelpunkt. Deshalb halten sich die spielerischen Elemente im Hintergrund. Der Spieler steuert Kai durch die Kulissen und sucht meist den nächsten Gesprächspartner. Das ist durch Anweisungen in ihrem Tagebuch recht einfach und bei der Suche gibt es haufenweise zusätzliche Gespräche. Das liegt am Tagesablauf, denn nachdem alle Aufgaben erledigt wurden, vergehen einige Stunden, und die Charaktere haben neue Unterhaltungen parat. Eine Schnellreise wäre zwar wünschenswert gewesen, um insbesondere schneller ins zerstörte Gebiet zu gelangen, doch der Ablauf funktioniert gut und unterhält alle, die vor allem ein narratives Erlebnis erwarten.

Gardening Papa

Ein überraschendes Highlight stellen die Gärten dar. Kai kann überall auf der Insel Samen finden, die sich in diversen Gärten anpflanzen lassen. Jede Pflanze erzeugt eine andere Emotion, die auch anzeigt, welche Melodie Kai auf Trommeln spielen muss, damit sie wachsen. Diese Portion Magie wirkt anfangs stark aufgesetzt, denn während manchmal bestimmte Pflanzen benötigt werden, haben die Gärten wenig zu bieten. Überraschenderweise dienen sie aber als wunderbare Entspannung, denn gute Kombinationen zu finden und die Insel schöner zu gestalten macht durchaus Spaß. Zudem gibt es eine Enzyklopädie, in der haufenweise Informationen stehen. Gepaart mit der Bedeutung für die Geschichte, die jeder selbst herausfinden soll, ergibt sich eine schöne Nebenbeschäftigung.

Kunstwerk

Man braucht sich nur ein Bild von Mutazione bei Tageslicht anschauen, um von der Schönheit gefesselt zu werden. Das Spiel wurde wunderschön gezeichnet und gibt somit auch die Botschaft der Handlung wieder. Trotz der Zerstörung und Tragik lässt sich etwas Schönes daraus machen, von den vielfältigen Charakterdesigns bis hin zu den absichtlich abgehackten Animationen. Die Musik untermalt die Stimmung perfekt, bleibt derweil aber dezent im Hintergrund. Zwar handelt es sich hier nicht um einen Soundtrack, den man abseits des Spieles hören würde, doch gerade die Kombination funktioniert so gut.