Neben großen Krachern wie „The Last of Us“ und „God of War“ agiert Sony gerne als Publisher für bizarre, liebevolle Spiele. Das neueste Werk aus diesem Bereich hört auf den Namen „Concrete Genie“ und versteht sich als malerisches Abenteuer – im wahrsten Sinne des Wortes. Ob der magische Pinsel aber auch Spielspaß garantiert, verraten wir im Test.

Goldene Zeiten

Der Junge Ash liebt es, sich in seiner ehemaligen Heimat Denska, die nun einer Geisterstadt ähnelt, zu verkriechen und dort in einem Notizbuch allerlei Kreaturen zu zeichnen. Leider findet er dort keine Ruhe, denn eine Gruppe Jugendlicher macht sich über ihn lustig, zerstört sein geliebtes Buch und sperrt ihn in einem Wagon ein, der Ash zu einem alten Leuchtturm bringt. Dort findet er nicht nur einige der im Winde verwehten Seiten seines Buchs, sondern begegnet einem Wesen, das er selbst gezeichnet hat. Kurzerhand erhält er einen Pinsel – und die Aufgabe, Denska zu erleuchten.

Die Geschichte ist überraschend emotional, obwohl hier nicht stark auf die Tränendrüse gedrückt wird. Vielmehr ist es die Melancholie der Spielwelt, die beeindruckt. Jedes verlassene Haus, jede triste Landschaft erzählt eine eigene Geschichte, während es traurige Hintergrundinformationen durch Zeitungsartikel gibt. Zudem steckt auch mehr hinter der fiesen Gruppe, als es anfangs den Anschein hat – selbst, wenn hier recht typische Geschichten abgedeckt werden.

Meisterwerke

Die Handlung funktioniert aber nur, weil das Gameplay entsprechend großartig ist. Im Grunde spielt sich „Concrete Genie“ wie ein Action-Adventure mit einer kleinen, offenen Welt. Bis auf kleine Rätsel, die niemals zu Kopfnüssen werden, muss Ash mit seinem Pinsel Wände bemalen, an denen Lichterketten hängen, damit diese aufleuchten. Dabei braucht niemand Angst davor haben, dass er gut malen können muss. Ich würde mich als einen der schlechtesten Zeichner auf diesem Planeten beschreiben, und dennoch war es mir möglich, wunderschöne Kreationen zum Leben zu erwecken.

Das funktioniert durch die unglaubliche Zeichen-Engine. Anstatt frei zu malen, wählt der Spieler eine Vorlage aus, zum Beispiel Gras. Fortan muss lediglich L2 gedrückt werden, während der Pinsel mit der überraschend präzisen Bewegungssteuerung gesteuert wird. Ein Strich über eine Wand ergibt eine lebendige, vollständig animierte Wiesenfläche, die vergrößert werden kann, wenn der Spieler häufiger über die Fläche fährt. Ein paar Bäume, Äpfel, Sterne und Polarlichter sind in weniger als einer Minute platziert und ergeben ein wunderbar schönes Bewegtbild, das in solch einer Schönheit nur die wenigsten aufs Papier bringen könnten.

Der Künstler in dir

Es ist diese Zugänglichkeit, die immer wieder aufs Neue beeindruckt. Da nahezu jede Wand jederzeit bemalt werden kann, wird die gesamte Stadt zur Leinwand für großartige Kreationen. Selbst wenn es abstrakter zugeht, sieht das Ergebnis niemals schlecht aus. Gleichzeitig fühlt man sich nicht eingeschränkt, denn die Platzierung und Verformung der Vorlagen liegt beim Spieler, der sich austoben kann. Anfangs ist das Arsenal noch relativ begrenzt, doch wer die herumfliegenden Seiten einsammelt, erweitert die Möglichkeiten und somit auch die Vielfalt.

Rein spielerisch würde es reichen, unter alle Lichterketten ein paar Schmetterlinge zu platzieren, die fortan wild umherfliegen. Doch genau hier kommt die große Stärke zum Tragen, denn man möchte es sich gar nicht einfach machen. Vielmehr wird der Spieler dazu ermutigt, einen Gang zurückzuschalten und in aller Ruhe immer neue Werke zu zeichnen, anstatt möglichst schnell das nächste Gebiet freizuschalten. Wenn eine Spielmechanik so stark ist, dass man lieber stehen bleibt und Dinge tut, die keinen Fortschritt mit sich bringen, könnte das Lob nicht größer ausfallen.

Entspannendes Abenteuer

Die meisten Rätsel müssen mit der Hilfe von sogenannten Dschinns gelöst werden, die in den Wänden leben. Diese kommen mit einigen Fähigkeiten daher, zum Beispiel Elektrizität oder Feuer, und können Objekte zerstören oder aktivieren. Die Kreaturen darf der Spieler ebenso selbst erschaffen, sodass sie stets unterschiedlich aussehen. Die Animationen sind erneut eine Klasse für sich, denn niemand kann sich ein breites Grinsen verkneifen, wenn die Monster den Schmetterlingen hinterherjagen.

Zudem sollte man ihre Bedürfnisse erfüllen, denn manchmal wollen sie bestimmte Zeichnungen in ihrer Welt haben. Belohnt wird das mit der Füllung einer Super-Pinsel-Leiste, die überaus wichtig ist. Nur damit kann die Finsternis besiegt werden, die Wände blockiert. Auch das ist keine große Herausforderung, doch immer wieder mit den Dschinns zu interagieren, wird niemals langweilig und sorgt für eine überraschend emotionale Bindung an die künstlerischen Begleiter. Einzig die Stealth-Elemente fallen aus der Reihe, sind aber dermaßen einfach ausgefallen, dass niemand damit Probleme haben wird. Zudem ist die Strafe sehr gering, sollte man von den Fieslingen erwischt und in eine Mülltonne gestopft werden.

Deplatzierte Action

Etwas kurios ist eine Kehrtwende in der Mitte des Abenteuers. Nach einigen Entwicklungen kämpft der Spieler nämlich gegen dreidimensionale Monster, woraufhin der Pinsel zu einer Waffe wird. Das spielt sich nicht schlecht, mehr als Buttonmashing wird aber nicht geboten. Vielmehr sorgen die Passagen für Abwechslung, immer wieder fragt man sich aber, ob die Kämpfe nicht spannender hätten gestaltet werden können. Statt ihrer wünscht man sich die Freiheit zurück, die es glücklicherweise zur Genüge gibt. Vermutlich wollten die Macher mehr Action in das Abenteuer bringen – das hätte es aber gar nicht benötigt, um ein wunderbar entspanntes Spielerlebnis zu erzeugen.

Regelrecht magisch

Sich Videos oder Bilder von „Concrete Genie“ anzuschauen, wird dem Titel schlichtweg nicht gerecht. An sich ist der Grafikstil schön, und auch die Charaktermodelle können durch ihre simplen Gesichter herausstechen. Die Animationen, Effekte und Zeichnungen sind aber die wahren Stars und verzaubern den Spieler regelrecht. Man muss selbst einmal ein paar Striche gesetzt haben und zuschauen, wie das eigene Kunstwerk zum Leben erweckt wird, um die wahre Schönheit des Spieles zu erleben.

Vereinzelt kann es in einigen Gebieten zu sehr kleinen Rucklern kommen, diese stören den Spielfluss aber nicht. Viel wichtiger: Sie tauchen nicht während des Zeichnens auf, sodass sie die wichtigsten Momente nicht unterbrechen. Auch die Musik bereichert das Erlebnis, während die deutsche Synchronisation erstklassig gelungen ist.