Seit seiner Ankündigung wurde deutlich, dass das größte Vorbild von „Code Vein“ die „Dark Souls“-Reihe ist. Das muss nichts Schlechtes sein, wie zahlreiche Genre-Vertreter bewiesen haben, doch zahlreiche Verschiebungen ließen Fans besorgt zurück. Ob das Spiel nun die Punktlandung hinlegen kann, die sich Anime-Fans erhoffen, haben wir für euch herausgefunden.

Der blutrote Faden

Ein riesiger Unterschied zu allen FromSoftware-Titeln wird bereits früh deutlich. In „Code Vein“ wird eine klare Geschichte erzählt, inklusive aufschlussreicher Dialoge und Zwischensequenzen, in denen sich der rote Faden bewegt. Der Spieler übernimmt die Rolle eines Wiedergängers. Diese Kreaturen lassen sich mit Vampiren vergleichen, denn sie benötigen Blut, um sich nicht in Monster zu verwandeln, können aber auch bei Tag in der Welt herumlaufen. Nach jedem Tod werden sie wiederbelebt, solange das Herz intakt bleibt, allerdings verlieren sie dabei stets einen Teil ihrer Erinnerungen.

Der Protagonist, den der Spieler in einem sehr ausführlichen Editor selbst erstellen darf, hat es besonders schwer, denn während die meisten Wiedergänger nur unbedeutende Ereignisse vergessen, erinnert er sich an überhaupt nichts. Das eignet sich natürlich perfekt für den Einstieg, denn somit lernt der Spieler immer mehr über die zerstörte Welt. In dieser gibt es kaum noch Menschen, weshalb die Wiedergänger auf Blutperlen angewiesen sind, die überaus rar gesät sind. Genau um diese geht es anfangs, wobei sich ein größeres Gesamtbild eröffnet, sobald wichtige Teile der Erinnerung wiederhergestellt werden.

Spannende Tradition

Der Ansatz geht glücklicherweise auf. Die vorgestellte Welt ist bereits nach den ersten Minuten interessant, denn obwohl nahezu jeder ein übernatürliches Wesen ist, gibt es eine klare Rangordnung, Sklaven und diejenigen, die über die Welt herrschen wollen. Dabei funktioniert die Interaktion mit den zahlreichen Charakteren besonders gut, schließlich erzählt jeder von seinen Erfahrungen in der dunklen Zeit, sodass man starke Verbindungen aufbaut.

Natürlich muss man zahlreiche Klischees verkraften, denn die Anime-Inspiration ist nicht nur optisch erkennbar. Der Spieler selbst ist selbstredend ein besonderer Wiedergänger und die mysteriöse Frau, die ihn nach seinem Erwachen begrüßt, entpuppt sich als deutlich wichtiger, als man es vermuten würde. Dramatische Wendungen, überzeichnete Bösewichte und tragische Szenen dürfen nicht fehlen, doch all das unterhält bestens. Die Macher sind einen klassischeren Weg gegangen und können durch die wunderbare Prämisse punkten.

Der Souls-Code

Auch in Sachen Gameplay haben die Macher nicht nur kopiert, auch wenn es anfangs den Anschein hat. Der Spieler führt eine Waffe, nutzt leichte und schwere Schläge – wobei sich Letzterer aufladen lässt –, blockt, pariert und weicht mit einer Rolle Angriffen aus. Die Gegner sind durchweg gefährlich, denn nur wenige Schläge reichen, um die Lebensleiste zu leeren. Deshalb muss sich der Held regelmäßig mit einem sich an bestimmten Punkten auffüllenden Item heilen. Stirbt er dennoch, landet er an eben diesen Punkten, an denen auch gespeichert sowie Talente erlernt und verbessert werden können.

Der Kampffluss besteht meist daraus, dass der Spieler Gegner anvisiert, sich ihnen langsam nähert und im richtigen Moment zuschlägt oder ausweicht. Manchmal ist es nützlich, sich anzuschleichen, um diverse Schwachstellen auszunutzen. Und natürlich muss man nach einem Tod die Stelle des Ablebens erreichen, um die gesammelte Einheit „Dunst“, die für alles benötigt wird, wieder einzuheimsen.

Starke Adaption

Ja, das klingt alles nach der bewährten Formel, während der schnellere Spielfluss eher an „Bloodborne“ erinnert. Doch glücklicherweise haben es die Macher geschafft, dieses System ebenso motivierend zu gestalten wie in der Inspiration. Jeder Kampf muss vorsichtig angegangen werden, einige Gegner sind deutlich agiler als erwartet und das Erfolgserlebnis, wenn man einen Speicherpunkt in Form eines Mistels erreicht hat, ist unbezahlbar. Obwohl sich Genre-Fans sofort heimisch fühlen werden, ist die Spieldynamik eigen und insbesondere im späteren Verlauf laufen die Kämpfe flüssiger ab, als man es von diesem Genre gewohnt ist. Und dann wären da natürlich noch die Fähigkeiten.

Der Clou

Die beste Eigenheit von „Code Vein“ sind eindeutig die Blutcodes. Diese entsprechen der Klasse in Rollenspielen: Der Kämpfer schlägt ordentlich zu, der Ranger kämpft aus der Ferne und der Magier nutzt mächtige Zaubersprüche, anstatt aufs Schwert zu setzen. Jede Klasse bringt natürlich ihre eigenen Fähigkeiten mit, von denen insgesamt acht gleichzeitig ausgerüstet werden können. Einige davon sind überaus starke Angriffe, andere machen den Helden schneller oder legen Fallen für Feinde. Die Vielfalt ist enorm und da regelmäßig neue Kräfte erworben werden können, ergeben sich wahnsinnig viele taktische Möglichkeiten. Naheliegenderweise wird all das durch eine gesonderte Anzeige limitiert, die sich bei besonders geschickten Angriffen aber erweitern lässt.

Das gesamte System sorgt für spektakuläre Kämpfe und ein deutlich tieferes Kampfsystem, als man erwarten würde. Dabei treiben es die Macher auf die Höhe, denn die Blutcodes können jederzeit gewechselt werden. Somit kann man nicht nur auf bestimmte Situationen besser reagieren, die Wahl zu Beginn entfällt somit und der Spieler erlebt eine deutlich größere Abwechslung in den Kämpfen. Zudem lassen sich mehr als nur die drei Blutcodes vom Start freischalten, und das sogar in narrativen Szenen, in denen das Leben gefallener Wiedergänger Revue passiert wird. Diese Anbindung an die Geschichte fesselt emotional und macht die nachfolgenden Kämpfe noch interessanter.

Eintönige Labyrinthe

Das fantastische Kampfsystem wird glücklicherweise auch von guten Dungeons unterstützt. Statt einer zusammenhängenden Welt gibt es Labyrinth-artige Orte, die der Spieler durchqueren muss. Sehr häufig muss zwischen mehreren Wegen gewählt werden, sodass schnell deutlich wird, wie verzwickt die Level eigentlich sind. Durch die Vertikalität ergibt sich ein tolles Gesamtbild, geheime Wege und alternative Routen werden regelmäßig entdeckt und dank Schnellreise lassen sich auch bereits gemeisterte Dungeons noch gründlicher untersuchen. Leider fehlt durch diese Geschlossenheit der „Aha, hier bin ich!“-Moment, den FromSoftware perfektioniert hat. Zudem verläuft man sich etwas zu häufig, was weniger an dem Levelaufbau und mehr an den einander sehr ähnlichen Kulissen innerhalb der Dungeons liegt.

Hat man seine Erwartungen entsprechend gesenkt, wird man aber bis auf einige frustrierende Momente dank Wegfindung den puren Spielspaß genießen können. Es wird niemals langweilig, neue Wege zu entdecken und anhand von wertvollen Materialien oder sogar Waffen belohnt zu werden. Den eindeutigen Weg gibt es selten, sodass der Spieler sogar dazu gezwungen wird, Risiken einzugehen. Natürlich gibt es noch weitere Überraschungen wie Gegnerwellen oder optionale Dungeons; diese zu entdecken, wird zu einem eigenen Abenteuer.

Vielfalt ahoi!

Auch bei den Gegnern beweisen die Macher Stil, denn sowohl deren Kampfarten als auch das Design sind durch die Bank weg gelungen. Man muss ihre Bewegungsmuster analysieren, ein Gefühl für den passenden Gegenschlag entwickeln und auch zurechtkommen, wenn die Kontrahenten in hoher Anzahl erscheinen. Dabei ist der Schwierigkeitsgrad etwas niedriger als erwartet, denn viele Monster lassen sich mit wenigen Schlägen besiegen und geben sehr eindeutige Zeichen, bevor sie angreifen. Das ist keineswegs schlecht, denn somit spielt sich „Code Vein“ noch schneller als die Konkurrenz. Und normale Feinde, an denen man sich nach mehreren Versuchen verzweifelt die Zähne ausbeißt, gehören auch zur Seltenheit.

Das bedeutet beileibe nicht, dass die Bosse nicht bockschwer sein können. Die Designs überzeugen auch hier, und die Kämpfe entwickeln sich zu wahrlich kniffligen Angelegenheiten. Der Schwierigkeitsgrad schwankt zwar etwas zu stark, doch die meisten Bosse liefern einen guten Kampf ab, der im ersten Anlauf selten gewonnen wird. Hier wird ein weiterer Vorteil der Blutcodes deutlich, denn während bei der Vielfalt der Gegner meist kein bestimmter Stil erfordert wird, lässt sich bei den Bossen schnell erkennen, welche Angriffe man starten sollte. Wer dann die Blutcodes nicht genügend ausprobiert hat, darf natürlich zurücklaufen und sich austoben.

Die Online-Komponente

Eine weitere Besonderheit an „Code Vein“ ist der größere Fokus auf ein kooperatives Erlebnis. Selbst wenn man keinen Freund oder Unbekannten in seine Spielsitzung einlädt, ist häufig ein weiterer Charakter an der Seite des Heldens, der von der KI gesteuert wird. Das ist besonders hilfreich, wenn man aufleveln möchte, auch wenn das Spiel dadurch natürlich noch einen Tick einfacher wird.

Mit einem realen Spieler macht das Abenteuer selbstverständlich noch mehr Spaß, und in Notsituationen kann man sogar ein SOS aussenden, um Hilfe zu beantragen. Wer das Spiel eines anderen betritt, darf den Fortschritt leider nicht mitnehmen, und auch nur bereits freigeschaltete Areale dürfen bestritten werden. Dafür behält man seinen Dunst sowie Items, weshalb die Online-Anbindung insbesondere das Grinding spaßiger gestalten.

Düsterer Anime

Optisch zeigt sich „Code Vein“ gemischt. Einerseits sind die Texturen nicht immer schön und in den repetitiven Gebieten fehlen die Details, um die Welt aufregender zu gestalten. Dafür sind die Designs stets beeindruckend und der Anime-Stil entfaltet sich in genau den richtigen Momenten, um für schöne Sequenzen und Szenerien zu sorgen. Glücklicherweise gab es im Test auf der PlayStation 4 Pro niemals Probleme mit der Bildrate.

Auch der Soundtrack ist eine Wucht, wobei man dies bereits erwarten dürfte. Es gibt zwar nur eine englische Vertonung, doch die Sprecher leisten einen tollen Job. Selbst Nebencharaktere wirken authentisch, sodass man sich gerne zurücklehnt und die Szenen genießt, in denen man sich nicht durch Monster metzeln muss.