Die Geschichte rund um Hideo Kojimas Entlassung seitens Konami, den darauffolgenden Skandal bei den Game Awards, der Gründung von Kojima Productions und der Partnerschaft mit PlayStation und Guerilla Games dürfte wohl in die Videospielgeschichte eingehen. Noch nie gab es einen dermaßen großen Hype um einen Videospielentwickler, doch insbesondere die „Metal Gear Solid“-Reihe, deren kanonische Ableger allesamt in höchsten Tönen gelobt werden, rechtfertigte die Vorfreude auf „Death Stranding“. Dabei wurden Fans nicht einmal durch die zahlreichen Trailer schlauer, die erneut eine komplexe Geschichte versprachen. Mit dabei sind sogar zahlreiche Schauspieler, allen voran Norman Reedus, Mads Mikkelsen und Lindsay Wagner. Eigentlich spricht alles für einen krachenden Erfolg – und den wird das Spiel wohl auch feiern. Dabei ist es nicht einfach, „Death Stranding“ zu bewerten. Während einige sich in der postapokalyptischen Welt verlieren, den Spielspaß vollends auskosten und ihr Spiel des Jahres gefunden haben, verbrachte ich mit dem Titel die wohl langweiligsten, qualvollsten Stunden meiner Videospiellaufbahn.

Was ist das Death Stranding?

Wo soll man anfangen, wenn es um „Death Stranding“ geht? Wohl mit den grundlegenden Informationen, die sich überraschend einfach formulieren lassen – was Hideo Kojima nicht tut. Der Spieler schlüpft in die Rolle von Sam, über den Nachnamen soll in diesem Review nicht gesprochen werden. Er lebt in einer zerstörten Welt, in der das mysteriöse Ereignis des Death Stranding dafür gesorgt hat, dass Untote, unsichtbare Wesen namens „GDs“ erscheinen, sobald es anfängt zu regnen. Zudem sorgen Leichen für katastrophale Explosionen, weshalb sie schnellstens eingeäschert werden müssen. Das ist auch der Grund, wieso von dem Amerika, das wir kennen, nur noch Berge, Krater und Landschaften übrig geblieben sind.

Sam ist ein sogenannter Porter. Dieser Job ist überaus riskant, aber einer der bedeutsamsten, denn er liefert Pakete aus. Die meisten Menschen leben in Bunkern, weshalb sie selbst nicht an überlebenswichtige Dinge wie Medikamente kommen können. Draußen ist die Gefahr dauerhaft, denn neben Terroristen gibt es den sogenannten Zeitregen, der alles altern lässt. Das gilt für menschliche Haut ebenso wie für Behälter, doch die Anzüge der Porter sind aus einem speziellen Material, das so gut wie ewig hält.

Make (North-)America United Again!

Das reicht erstmal für die grundlegende Welt, denn das Konzept der Wiederkehrer, die Menschen sind, die von ihrem persönlichen Strand zurückkehren konnten, anstatt zu sterben, sowie die Krankheit DOOMs, die paranormale Fähigkeiten mit sich bringt, sind eine Wissenschaft für sich. All diese tieferen Lore-Schnipsel werden nämlich erst für das letzte Drittel der Spieldauer wichtig, zum Start wird Protagonist Sam erstmal zu seiner Mutter berufen, die nicht nur die Präsidentin der USA ist, sondern auch im Sterben liegt. Ihr letztes Anliegen: Sam soll alle Stationen des Landes ablaufen, in denen Menschen leben, und diese anhand eines Gerätes an das chirale Netzwerk anbinden, eine Art Super-Internet. Dieser lehnt selbst nach ihrem Tod ab, lässt sich aber überreden, sobald er erfährt, dass seine Ziehschwester Amelie am anderen Ende der USA gefangen gehalten wird. Die Aufgabe ist also klar: Das chirale Netzwerk ausweiten, dabei die Überlebenden zu einem Anschluss an die United Cities of America, kurz UCA, überreden und Edge Knot City erreichen, um Amelie zu retten.

Bekanntes Schema

Die Bewertung der Geschichte verschieben wir, denn „Death Stranding“ lässt sich nicht in seine Einzelteile herunterbrechen. Der Spieler steuert fortan Sam durch die zerstörte Welt und muss Pakete ausliefern, womit das gesamte Spielprinzip erklärt wäre. Es geht stets zu einer Station, an der er ein Paket erhält, und anschließend zum Zielort. Manchmal müssen Materialien auch erst gesammelt werden, doch selbst das ist nicht mehr, als schlichtweg Questmarker abzulaufen.

Wer sich am Spieldesign von „Assassin’s Creed“ und Konsorten stört, wird erst recht von „Death Stranding“ abgeschreckt. Questmarker abzulaufen und Sammelaufgaben gehören schließlich zu den unbeliebtesten Missionstypen des Genres, doch Hideo Kojima macht genau diese zum Herzstück seines neuesten Werkes. Dementsprechend kann Langeweile aufkommen, denn obwohl es stets einen Grund für die Besorgungen gibt, werden hier keine interessanten Geschichten erzählt. Die Persönlichkeiten, auf die man trifft, bleiben sehr blass und stehen dermaßen im Schatten der Hauptdarsteller, dass man sie nach ihren jeweiligen Missionen bereits wieder vergisst. Auch die Inszenierung ist nicht spannend, werden doch lediglich Monologe von Hologrammen abgespult.

Laufen, laufen, laufen...

Die eigentliche Herausforderung besteht im Gehen – und das ist kein Witz. „Death Stranding“ bietet eines der realistischsten Inventarsysteme überhaupt, denn alles, was Sam bei sich trägt, befindet sich in Koffern, was dem Zeitregen geschuldet ist. Vor dem Start einer Mission muss die Fracht, sowie alles, was man sonst noch so benötigt, deshalb aufgeladen werden. Das meiste landet auf dem Rücken, doch Sam kann auch Sachen an den Schultern oder seinem Gurt befestigen, solange sie nicht zu groß sind. Glücklicherweise lässt sich die Last per Knopfdruck optimieren, sodass hier keine weitere Planung erfordert wird.

Beim Laufen durch die Welt heißt es dann, die Balance zu halten. Immer wieder verliert der Held das Gleichgewicht, wenn er voll beladen durch die Welt läuft und nur eine kleine Kurve nimmt. Deshalb müssen Spieler regelmäßig L2 und R2 drücken, wobei eine passende Texteinblendung dafür sorgt, dass man nicht nur darauf schauen muss, in welche Richtung sich die Rückenlast bewegt. Somit wird jeder Botengang zur Geschicklichkeitspassage, denn auch nach 30 Stunden verändert sich dieses Grundprinzip nicht. Man muss sogar passende Knöpfe drücken, wenn Sam über einen Stein stolpert, sodass die Schulterknöpfe bald zu den wichtigsten Buttons des Controllers werden.

... laufen, laufen und laufen

Leider darf man wirklich nicht mehr erwarten, als dieses Grundprinzip. „Death Stranding“ ist ein Spiel über die Einsamkeit, die überwunden werden muss, um die Welt miteinander zu vernetzen. Deshalb geht es durch hügelige Landschaften, zerstörte Flächen, wenige Ruinen und verschneite Berge, in denen die Hauptaufgabe stets ist, den nächsten Questmarker zu erreichen. Im Gegensatz zu anderen Open World-Spielen gibt es keine bedeutsamen Events oder spielerische Überraschungen, denn was man in den ersten drei Stunden lernt, bleibt bis zum Finale genauso erhalten.

Eine Welt nach der Auslöschung

Das hat durchaus seine Vorteile. In Sachen Atmosphäre wird „Death Stranding“ nämlich regelmäßig zum Genre-König. Wenn Sam sich durch leere Flächen quält, die Kamera herauszoomt und ein Lied des atemberaubenden Soundtracks gespielt wird, verliert sich der Spieler völlig in dem Erlebnis. Plötzlich ist es nicht mehr wichtig, was man tut, sondern streift durch die Lande und sieht die Schönheit der Postapokalypse, so unwahrscheinlich dies auch klingen mag. Dabei hilft es, dass nur wenige Flecken an menschliche Zivilisationen erinnern, sondern ein Neuanfang gewagt wird.

Genau deshalb funktioniert der Titel bestens als Kunstprojekt. Blendet man die Spielmechaniken aus, wird ein Walking Simulator geboten, der alleine durch seine Präsentation so realitätsnah ist, wie es kaum einem anderen Werk gelingt. Der Spieler leidet ebenso wie Sam mit, wenn ein Weg eine Stunde dauert, er Frostbeulen erhält und nach einer qualvollen Reise endlich sein Ziel erreicht. Kaum ein Videospiel schafft es derart authentisch, den Spieler mit seinem Protagonisten mitfiebern zu lassen, was als kleiner Meilenstein angesehen werden darf.

Langeweile ohne Ende

Gleichzeitig vergisst „Death Stranding“ regelmäßig, dass es ein Videospiel ist. Dabei ist der Eindruck ab dem dritten Kapitel, das einen Gebietswechsel mit sich bringt, erstmal positiv. Der Spieler erhält deutlich mehr Werkzeuge und lernt, dass der Wiederaufbau Amerikas nicht nur daraus besteht, die einzelnen Bunker zu verknüpfen. Vielmehr lassen sich an Stationen Straßen wiederaufbauen, die sogar mit der Zeit aufgrund des Regens repariert werden müssen. Diese erleichtern die Wege immens, insbesondere, wenn man eines der Fahrzeuge nutzt, die schnell zu Favoriten werden. Sie verkürzen die Reisen nicht nur, auch das Ausbalancieren geschieht auf ihnen automatisch.

Zudem gibt es diverse Bauten, die überlebenswichtig werden. Da wären Säulen, an denen Items gelagert und Gegenstände gecrafted werden können, Überdachungen für Sicherheit oder gar Bunker, in denen sich private Räume befinden, damit Sam sich ausruhen und sogar die Schnellreise nutzen kann. All das ist aber mit der Materialiensuche verbunden, sodass man die Konstruktionen nicht einfach nur platzieren kann. Stattdessen müssen die Umgebung abgesucht oder unnötige Objekte zerlegt werden, damit die Voraussetzungen erfüllt werden.

Starkes System im falschen Spiel

Hier kommt das Online-System zum Tragen, das eine wahre Verbundenheit verspricht und sich somit perfekt in das Thema des Spieles einfügt. Sobald ein Bereich mit dem chiralen Netzwerk verbunden wurde, können Bauten von anderen Spielern in der eigenen Spielwelt auftauchen. Somit lassen sich elektrische Objekte auch aufladen, wenn man keine Materialien für den Bau einer Station bei sich hat. Und auch die Brücken sind besonders nützlich, weshalb man sich gerne nach ihnen richtet und per Knopfdruck auch ein Like vergeben kann, das fortan neben dem Profil der Spieler angezeigt wird.

Das ist aber noch nicht alles, denn man kann auch unfertige Konstruktionen vervollständigen, während dies mit eigenen ebenso geschehen kann. Man trifft nicht auf andere Spieler, doch diese Verbundenheit und Kooperation, die für alle etwas bewirkt, wurde perfekt in das Erlebnis integriert. Man hat wirklich das Gefühl, Amerika mit einer Gemeinschaft zu verändern, wenn neue Straßen errichtet werden oder ein Wachturm, den man für eine Mission benötigt, von anderen Spielern fertiggestellt wird. Lediglich der Schwierigkeitsgrad sinkt dadurch etwas, da die Objekte aber erst dann erscheinen, wenn das Gebiet verbunden wurde, muss man zumindest eine hilflose Reise auf sich nehmen.

Beschäftigung

Für die meisten Spieler wird das Fazit am stärksten davon beeinflusst, wie viel Spaß sie mit dem Bauen haben werden. Es ist einerseits eine monotone Aufgabe, dafür ist die Entlohnung nach einigen Stunden umso größer. Man kann Stunden damit verbringen, ein eigenes Seilbahn-System in den Bergen zu bauen, damit sich zukünftige Reisen arg verkürzen. Plötzlich wird der Spieler zum Planer, sammelt Materialien und vergisst gerne einmal die nächste Aufgabe, schließlich wird sie durch diese völlig optionale Nebenbeschäftigung deutlich einfacher, wenn auch nicht kürzer.

Wer aber im dritten Kapitel merkt, dass er genau daran kein Interesse hat, und lieber die Geschichte vorantreiben möchte, wird bitter enttäuscht. Dann entwickelt sich „Death Stranding“ nämlich zu einer Aneinanderreihung monotoner Aufgaben, die keinerlei Abwechslung bieten. Sich die Wege durch die Berge zu erklettern, immer wieder auf das Gepäck zu achten und anschließend mit Bauplänen entlohnt zu werden, die man möglicherweise gar nicht erst benutzt, ist das genaue Gegenteil von einer sich lohnenden Zeitinvestition.

Menschliche Unannehmlichkeit

Es gibt auch menschliche Gegner, doch wer nicht unbedingt auf den niedrigsten Schwierigkeitsstufen spielt, wird sich nicht in vielen Kämpfen wiederfinden, sondern leise agieren. Mal werden die Verfolger verprügelt, selbst mit den Koffern, mal darf man sie beschießen, allerdings nur mit nicht tödlicher Munition. Das Spiel legt sehr viel Wert darauf, dass Menschen zwar getötet werden können, dies aber zu einer negativen Reputation führt. Wie üblich in Spielen von Hideo Kojima sollte am besten geschlichen oder weggelaufen werden, wobei es natürlich auch möglich ist, gegen die Regeln zu verstoßen.

Die menschlichen Feinde nutzen sich aber schnell ab, denn bis auf normale Schläge sowie ihre Waffen, häufig in Form von elektrischen Schlagstöcken, können sie Sam kaum etwas anhaben. Keine Verfolgungsjagd ist gescheitert, und da die Begegnungen nur selten in die Hauptmissionen eingearbeitet werden, empfiehlt es sich, die entsprechenden Camps lediglich zu umgehen. Dann vergibt man zwar die Chance auf wertvolle Materialien oder Items, doch zu häufig sind diese den Ärger nicht wert.

Die Gefahr aus der Tiefe

Es gibt sie aber dann doch, die Action, die Abwechslung, die Kämpfe. Sobald es nämlich anfängt zu regnen, und sich eine Apparatur meldet, tauchen die BTs, zu Deutsch GDs auf. Insbesondere die ersten Begegnungen sind wahnsinnig intensiv, denn man kann die unsichtbaren Monster nicht dauerhaft sehen und muss sich stattdessen auf ein blinkendes Licht an Sams Schulter verlassen. Einfach nur schleichen hilft nicht einmal, per Knopfdruck muss Sam sogar die Luft anhalten, weshalb das Herz in die Hose rutschen kann, wenn man sich direkt neben den unsagbar mächtigen Wesen befindet.

Genau diese Passagen schaffen es, selten an Faszination zu verlieren. Im späteren Verlauf erhält man zwar die Möglichkeit, mit ihnen kurzen Prozess zu machen, doch insbesondere in der ersten Spielhälfte machen die BTs deutlich, dass es nirgendwo in Amerika sicher ist. Zwar wiederholen sich diese Passagen, doch sie machen deutlich mehr Spaß, als einfach nur durch die Gegend zu laufen. Insbesondere, wenn man plötzlich erwischt wird.

Bombast mit Wiederholungen

Einmal entdeckt, landen die Wesen auf dem Boden und lassen Handabdrücke zurück. Wird Sam geschnappt, wird es optisch bombastisch: Aus dem Boden erscheinen menschliche Wesen, die den Protagonisten mit aller Gewalt in die schwarze Masse hineinziehen wollen. Hier ist es leicht in Panik zu geraten, doch wer schnell auf einen Knopf hämmert, kann sich noch befreien. Das ist spielerisch plump, doch erneut ignoriert man gerne die mechanische Schwäche, um sich von der Atmosphäre vollends verschlingen zu lassen.

Dabei kommt irgendwann der Punkt, an dem man zu voll beladen ist oder nicht rechtzeitig reagiert, sodass Sam versinkt. Genau das entpuppt sich als pompöses Highlight, denn fortan wird das einst leere Gebiet im schwarzen Wasser eingetaucht, und Sam durch dieses gezehrt. Plötzlich erscheint ein tierisches Monster – später auch mehrere – und verschlungene Gebäude tauchen aus dem Gewässer auf. Wer bei seiner ersten Begegnung mit diesem Ereignis noch nicht in Aufregung ist, der lässt sich von keiner Action fesseln!

Typisches Arsenal

Es lässt sich nicht genug betonen: So aufregend ist wohl kaum ein anderer Moment dieser Spielegeneration gewesen. Für die bevorstehenden Kämpfe sollte man sich auch wappnen, denn Sams Blut kann den BTs schaden. Somit stehen ihm Blutgranaten und mehrere Schussfeuerwaffen zur Verfügung, die wortwörtlich sein Blut verbrauchen. Es gibt zwar nicht gerade viele Kreaturen, doch jede davon ist derart beeindruckend inszeniert, dass man sich über die gesamte Spieldauer immer wieder auf die Kämpfe freut. Da im Anschluss das Gebiet von BTs befreit wird, werden sich einige sogar gerne schnappen lassen.

Leider zieht sich das Hauptproblem aber auch durch diese wunderbaren Szenen. Nach einigen Begegnungen verlaufen die Kämpfe nahezu identisch, selbst wenn immer mehr Feinde auftauchen. Die simplen Schlachten sind nicht unbedingt schwierig geraten, und sobald man eine vielversprechende Strategie entwickelt hat, ist der Tod eine Seltenheit. In einem Kampf haben wir sogar eine Position gefunden, von der aus wir uns nicht einmal bewegen mussten, um zu gewinnen. Zudem erhält man durch das chirale Netzwerk Items von anderen Spielern, was den Schwierigkeitsgrad weiter sinken lässt. Das Problem ist aber nicht, dass „Death Stranding“ zu einfach ist, sondern dass die Abwechslung Mangelware bleibt. Es ist durchweg interessant, neue Mechaniken und Elemente zu erleben, doch die gesamte Zeit dazwischen, die den Hauptteil der Reise darstellt, entwickelt sich zur Qual.

Wie der Vater, so das BB

Es ist ein Gleichgewicht, das regelrecht unglaublich ist, denn jeder spielerische Kritikpunkt wechselt sich mit etwas ab, das die Atmosphäre und Aussage des Spieles umso beeindruckender gestaltet. Sam hat nämlich meist sein Bridge Baby dabei, das sich als nützlich erweist, um die BTs sichtbar zu machen. Fällt der Held aber, weint sein menschliches Werkzeug. Ganz Kojima-typisch muss der Kleine beruhigt werden, und das nicht zu selten. Immer wieder wird der Spielfluss unterbrochen, um das Baby per Bewegungssteuerung einschlafen zu lassen.

Das sieht merkwürdig aus, passt aber perfekt zu „Death Stranding“. Der Spieler selbst sieht das Wesen, ebenso wie viele Charaktere, als Werkzeug an, entwickelt aber mit den weiteren Spielstunden eine echte Bindung. Man möchte sich um sein Baby kümmern, es glücklich sehen – leider sind die entsprechenden Optionen stark begrenzt. Doch genau das macht die Welt authentischer: Der Spieler will zu einer Art Ersatzvater werden, kann das aber nicht, ebenso wie Sam. Andere Charaktere machen deutlich, dass es sich bei BB nicht um ein menschliches Wesen handelt, und Sam es lediglich benutzen sollte, anstatt ihm einen Namen zu geben.

Eine Spirale der Verzweiflung

Womöglich ist das der perfekte Zeitpunkt, um über die Geschichte zu sprechen, die Kojima-typisch sehr verworren erzählt wird. Die Prämisse ist wahnsinnig interessant, die Welt vielversprechend und die Charaktere sehr unterschiedlich, doch es kommt zu flachen Momenten, was insbesondere dem schwachen Skript geschuldet ist. Wer hofft, Fragiles hautenger Anzug wird besser gerechtfertigt, als Quiets freizügiges Design, wird eines schlimmeren belehrt. Seine Darstellung von Frauen bleibt weiterhin so kontrovers, wie man es gewohnt ist.

Auch die Wendungen bezüglich der Charaktere sind alles andere als spektakulär. Zwar sind die Szenen großartig, doch wer sich durch die verschachtelten Sätze arbeitet, kann recht früh erahnen, in welche Richtung die Handlung geht. Lediglich ein Moment entpuppte sich als echte Überraschung, gleichzeitig aber als Enttäuschung. Sobald Logiklöcher entstehen, werden einfach neue Konzepte und Begriffe in den Raum geworfen, die den Lore-Abschnitt zu einem einzigen Chaos machen. Natürlich kann man sich erneut durch unzählige Textdokumente, Mails und andere optionale Beschreibungen kämpfen, doch bei einem derart cineastischen Spiel gehören wichtige Informationen und Erklärungen in die entsprechenden Szenen.

Starke Leistungen mit lächerlichen Dialogen

Die Enttäuschung ist deshalb so groß, weil die Schauspieler alles aus dem Skript herausholen, was es hergibt. Norman Reedus bleibt sehr zurückhaltend, doch insbesondere Guillermo Del Toro, Mads Mikkelsen, der viel zu kurz gekommen ist, und Lindsay Wagner verkörpern ihre Charaktere perfekt. Mit so viel Feingefühl beweisen sie, dass Hollywood eine echte Bereicherung für die Videospielszene ist, während auch Troy Baker weiterhin seinen Status als einer der besten Schauspieler der Branche unter Beweis stellt.

Leider beißt sich die Qualität mit den flachen, Klischee-beladenen Dialogen, die nur selten gut daherkommen. Überraschenderweise sind die Szenen, in denen Klartext gesprochen wird, die besten. Geht es überdramatisch daher oder werden komplizierte Konzepte erläutert, kann man sich selten das Lachen verkneifen. Die Qualität der Texte passt nicht zu der Qualität der schauspielerischen Leistungen, was in den letzten drei Stunden zu derart peinlichen Szenen führt, dass die Grenze zwischen Videospiel und B-Movie verschmilzt. Einer besonders dramatischen Szene wird bereits zuvor die Dramatik genommen, weil die entsprechenden Hintergründe währenddessen derart gezwungen eingearbeitet werden, dass die Authentizität der Welt völlig den Bach runter geht. Auch die Auflösung lässt sich schon meilenweit im Voraus erahnen und ergibt somit ein überraschend unterwältigendes Finale, das die Epik eines „Metal Gear Solid 3: Snake Eater“ erreichen möchte, aber nicht einmal an der Genialität kratzen kann.

Wenige Höhepunkte

Dennoch gibt es Szenen, bei denen einem die Spucke wegbleibt. An dieser Stelle sollen keine Spoiler landen, doch das vierte Kapitel reißt den vorherigen Ablauf völlig ein und bietet eine Passage, die nicht nur wunderbar auflockert, sondern zu den besten Momenten in „Death Stranding“ gehört. Hier steht die Action im Vordergrund, sowohl in Sachen Gameplay, als auch in der Inszenierung. Man könnte meinen, man spielt ein völlig anderes Spiel. Und auch vor dem Beginn des letzten Aktes wird ein Feuerwerk entfacht, das die zuvor etablierten Stärken gleichzeitig ausspielt.

Das große Problem ist leider, dass diese Szenen zu kurz sind, als dass sie den Großteil der Reise rechtfertigen könnten. Diese Momente sind zwar großartig, rechtfertigen aber nicht, sich durch die monotonen, spielerisch belanglosen Laufpassagen zu quälen. Wer genau in diesen die Stärke sieht, der erhält genau die richtige Dosis Auflockerung, doch alle anderen ärgern sich darüber, was das Spiel hätte sein können. Dabei können erneut die Spielmechanik lange nicht die Qualität von Genre-Konkurrenten erreichen, doch das nimmt man zumindest für einige Minuten gerne in Kauf, um etwas anderes zu tun, als Lasten zu transportieren.

Zwischen den Fronten?

„Death Stranding“ spaltet die Spielerschaft. Im Test wurde das Abenteuer nach fast 30 Stunden abgeschlossen, wobei fünf weitere nach dem Finale in Nebenaufgaben gesteckt wurden. Wer Materialien sammelt, gelegentlich optionale Aufträge annimmt und sogar die Gebiete vernetzt, die in der Geschichte nicht beachtet werden müssen, darf gerne zehn bis 20 weitere dazurechnen. Genau hier werden sich die Geister scheiden, denn viele Stimmen loben die Reise, verlieren sich in der Atmosphäre und können gar nicht genug davon bekommen, das Land aufzubauen.

Wer genau von dieser veralteten Formel, die wunderschön präsentiert wird, nicht gefesselt wird, der wird sich über zu wenige Aktivitäten und Inhalte beschweren, und auch das Pacing verteufeln. Die besten Momente entfalten ihre volle Wirkung, doch die qualvollen Reisen, die genau so auch wirken sollen, rechtfertigen die Zeitinvestition nicht. Für eine passable Geschichte und eine Stunde bombastische Action lohnt es sich nicht, Sams gesamtes Abenteuer zu bestreiten. Für kaum ein Spiel gilt es deshalb, eigene Erfahrungen zu machen, doch wer bereits von den genannten Kritikpunkten verschreckt wird, darf nicht viel mehr erwarten.

Hier könnte Ihr Energy Drink stehen!

Und dann wäre da noch die Sache mit der Werbung. Diese passt nie ins Gesamtbild, doch ein Werbebanner für „Ride with Norman Reedus“, das angezeigt wird, wenn er auf Toilette geht, lässt sich noch als verschroben verkraften. Schlimmer ist Monster Energy, das das Spiel selbst schlechter macht. In jedem privaten Raum befinden sich nämlich fünf Dosen der Zuckerbombe, von denen Sam jedes Mal drei trinken muss, um seine Ausdauerleiste maximal zu erhöhen. Das ist beim ersten Mal noch beachtenswert, in den kommenden Spielstunden wird es aber zur Qual, jedes Mal diese Zwischensequenzen ertragen zu müssen, anstatt lediglich eine Dose zu trinken. So eine aufdringliche Werbung, die sich auf den Spielablauf auswirkt, gab es meines Wissens nach noch nie in einem AAA-Spiel.

Selbst die Logik wird aus dem Fenster geworfen, obwohl ansonsten so viel Wert auf die authentische Welt gelegt wird. Sam trägt nämlich einen Wasseraufbereiter bei sich, um auch unterwegs die Ausdauer zu erhöhen. Dieser lädt sich praktischerweise automatisch auf, wenn man mit Wasser in Berührung kommt. Dabei wird aber kein reines Wasser erzeugt - sondern Monster Energy. 

Technisch ohne Makel

Rein optisch ist das Spiel erstklassig geraten. Kojima Productions profitiert von der Decima-Engine, die wunderschöne Landschaften und tolle Effekte ermöglicht, selbst wenn beim genauen Blick einige Texturen in der Ferne sichtbar nachladen. In Sachen Bildrate kam es auf PlayStation 4 Pro zu keinerlei Problemen, und fast noch bemerkenswerter für ein Spiel mit einer derart offenen Welt: Bis auf regelmäßige Clipping-Fehler in Berggebieten, die leider sehr unschön sind, sind keinerlei Bugs aufgetreten.

Auch der Soundtrack glänzt mit Perfektion und kann bereits außerhalb des Spieles eine perfekte Wertung einheimsen, wobei die Kombination mit den Landschaften eine derart bemerkenswerte Atmosphäre erzeugt, dass alleine das für einige die Reise rechtfertigen wird. Die deutschen Sprecher machen zwar keinen schlechten Job, können der originalen Vertonung aber nicht einmal ansatzweise das Wasser reichen. Besonders dramatische und emotionale Momente wirken somit deutlich flacher und weniger nuanciert, weshalb zumindest die gesprochene Sprache umgestellt werden sollte.