Die VR-Technologie kann den Spieler in Situationen versetzen, die traditionell am TV schlichtweg unmöglich sind. Egal ob in einem Raumschiff, als Vogel oder als riesiger Geist: Der Spieler schlüpft wortwörtlich in eine Rolle innerhalb einer fremden Welt und kann diese aus einer völlig neuen Perspektive erkunden. Damit lassen sich echte Kindheitsträume erfüllen – wer hat denn noch nie davon geträumt, selbst Iron Man zu sein, durch die Wolken zu fliegen und Feinde abzuschießen? Genau diese Gelegenheit bietet „Marvel’s Iron Man VR“. Doch ob dadurch wirklich Träume erfüllt werden, oder die Technik an ihre Grenzen gerät, verraten wir euch im Test.

Das Iron und der Man

Das Entwicklerteam von Camouflaj legt viel Wert auf eine immersive Geschichte, weshalb der Spieler seine Zeit nicht immer im Anzug verbringt. Tony Stark wagt zu Beginn einen großen Schritt, denn er legt die Waffenproduktion auf Eis und möchte Stark Industries umstrukturieren, um der Menschheit zu helfen, auch als Iron Man. Einige Jahre später wird er aber von seiner Vergangenheit eingeholt, denn die Schurkin Ghost tritt auf den Plan. Nachdem sie sich in Tonys Systeme hackt, fast den Tod von Pepper Potts verschuldet und die alten Stark-Drohnen reaktiviert, um auf der ganzen Welt für Chaos zu sorgen, muss der Held eine schwierige Entscheidung treffen. Er aktiviert nämlich zur Unterstützung den Gunsmith, eine alte KI, die einst für die Waffenproduktion verantwortlich war und mit seiner alten Persönlichkeit programmiert wurde. Das bedeutet nicht nur einen Konflikt mit der neuen KI Friday, sondern auch mit Tony selbst, der sich fragen muss, ob er wirklich ein besserer Mensch geworden ist.

Die Geschichte schafft es, genau die richtigen Themen anzusprechen. Zugegeben, besonders komplex wird es nie, und die meisten Wendungen werden die Spieler schon lange vorher kommen sehen. Dennoch funktioniert die Handlung so wunderbar, weil sie Tony, Gunsmith und Ghost in den Mittelpunkt stellt, anstatt den Spieler einfach mit zahlreichen Schurken zu bombardieren. Und obwohl die Ereignisse vorhersehbar sind, bleiben sie spannend, auch dank einer fantastischen Inszenierung. Seien wir mal ehrlich: Wer wollte sich noch nie von Nick Fury anschreien lassen?

Das nötige Feingefühl

Zu sehen, wie Charaktere in VR vor dem Spieler herumlaufen, wird wirklich niemals langweilig. Deshalb funktionieren auch die ruhigen Momente, in denen Tony mit Pepper spricht, sich von Gunsmith die neuen Funktionen des Anzugs erklären lässt oder wenn Ghost ihn festkettet, um mit Klonen Verwirrung zu stiften. Die Macher haben jede Szene wunderbar umgesetzt und genug Dynamik eingebaut, damit der Spieler stets einen Fokus hat, was das wichtigste für narrative Sequenzen in VR bleibt. Besonders die düsteren Szenen mit Ghost bleiben in Erinnerung, doch auch auf dem Helicarrier zu stehen zählt zu den Momenten, von denen man nicht zu träumen gewagt hat.

Anstatt die besten Ideen in die ersten Stunden zu verbauen, ist das Pacing außerordentlich gut geraten. Ein Kapitel, das die Geschichte weit über die Action stellt, kommt sogar erst im letzten Drittel vor und beweist, dass die großen Areale gar nicht notwendig sind, um zu beeindrucken. Es wäre lediglich schön gewesen, wenn die visuellen Tricks von Ghost noch häufiger angewandt worden wären – die besten Momente wollen wir an dieser Stelle natürlich nicht vorwegnehmen. Doch auch das dient dazu, den Spieler nicht zu überladen, sondern eine fokussierte Geschichte zu erzählen, die zwar keine Fortsetzung nötig hat; wir wünschen uns aber trotzdem eine.

Ich bin Iron Man!

Eine Erfahrung, die sich mit tausend Worten nicht beschreiben lässt, ist das erste Mal in den virtuellen Anzug zu schlüpfen. Glücklicherweise startet das Abenteuer mit einem ausführlichen Tutorial, das die Grundlagen praktisch erklärt. Um zu fliegen, müssen die Move-Controller so gehalten werden, dass die eigene Handfläche nach unten zeigt – genauso wie das Vorbild aus den Comics, denn die Düsen sind in den Händen. Je nach Ausrichtung geht es somit nach oben, unten, oder geradeaus zum Ziel, sogar per Turbo-Boost. Das fühlt sich nach einigen Minuten noch sehr merkwürdig an, doch nach den Testrunden und einem Parcours aus Ringen werden die Bewegungen zur Routine. Das Fliegen war mit Abstand die wichtigste Mechanik, und das Team hat es perfektioniert. Das Spielgefühl ist so gut wie in keinem anderen Flug-Spiel in VR, vor allem weil die Bewegungen leicht von der Hand gehen und sich im späteren Verlauf überraschend natürlich anfühlen.

Natürlich wäre Iron Man kein Superheld, wenn er nicht auch mit Waffen ausgestattet wäre. Für die Primärwaffe muss die Handfläche zum Ziel zeigen, wer die Hand anwinkelt kann aber auch seine Sekundärwaffe nutzen. Bereits nach zwei Missionen ist man überrascht, wie flüssig der Waffenwechsel funktioniert, insbesondere im Zusammenspiel mit den hektischen Bewegungen. Die Schießereien sind immer unterhaltsam, können ihre wahren Stärken aber erst in den etwas komplexeren Aufgaben der zweiten Spielhälfte ausspielen, was eine wunderbare Lernkurve ergibt. Der Spieler kann erst die Grundlagen verinnerlichen, um anschließend die vielfältigen Kampfoptionen auszunutzen. Lediglich der Faustschlag erweist sich nur selten als nützliche Taktik.

Auf zu neuen Höhen!

In den Missionen selbst zeigt sich dann, dass die Macher die Grenzen von PlayStation VR sprengen wollen. In „Iron Man VR“ darf der Spieler frei durch die Level fliegen, egal ob über den Wolken, zwischen den Wolkenkratzer in Shanghai oder um den Helicarrier herum. Dabei wird der gesamte Raum ausgenutzt, denn während die meisten Shooter alle Gegner vor den Spieler platzieren, muss der Spieler sich hier ständig um sich selbst drehen, entweder per Knopfdruck oder mit dem eigenen Körper, wobei man dann noch stärker auf das Kabel achten muss.

Obwohl die Areale stets wunderbar gestaltet wurden und die Marvel-Welt zum Leben erwecken, hätte mehr Vielfalt drin sein dürfen. Manchmal werden dieselben Gebiete für verschiedene Missionen genutzt, was die ansonsten so tolle optische Vielfalt schmälert. Zwar ist der Missionsablauf dann anders, während die Aufgaben die Umwelt auf unterschiedliche Weise einbeziehen. Dennoch wäre ein Ausflug zu ikonischeren Zielen sicherlich wünschenswert gewesen.

Krieg der Maschinen

Gegen menschliche Gegner geht es nur in den Boss-Kämpfen, ansonsten kämpft Tony Stark gegen seine ehemaligen Drohnen. Von denen werden ständig neue Modelle eingeführt, von simplen Verfolgern bis hin zu waschechten Panzern, Laserkanonen oder Raketenwerfern. Durch die Zusammenstellung der verschiedenen Arten bleibt jede Mission frisch, denn so plump es klingt: Als Iron Man durch die Gegend zu fliegen, dabei Feinde abzuschießen, mit rasanten Schüben auszuweichen und Nebenmissionen zu absolvieren wird niemals langweilig. Deshalb ist es auch nicht schlimm, dass die Aufgaben häufig simpel gestrickt sind.

Harte Übergänge gibt es immer dann, wenn man die Kämpfe verlassen muss, um Tore zu öffnen oder den Gefrierstrahl zu nutzen. Überraschenderweise stört es aber nicht, dass dann für einige Sekunden das Tempo heruntergefahren wird, denn es passt zum Ablauf, die Fähigkeiten auf andere Weise zu nutzen. Das ist vielleicht nicht überaus kreativ, aber dafür genau das, was man sich als Fan des Superhelden wünscht.

Selbst ist der Anzug

Nach jeder Mission gibt es eine Sternewertung, die ebenfalls angibt, wie viele Punkteeinheiten der Spieler erhält. Diese lassen sich in der Basis gegen Anpassungen für den Anzug eintauschen, die überraschend vielfältig daherkommen. Der Energiekern lässt sich mit neuen Fähigkeiten noch mächtiger gestalten, die Geschwindigkeit kann durch entsprechende Stiefel erhöht werden und die Primärwaffe kann sogar mit Lasern ausgetauscht werden. Dabei zählt das klassische Prinzip, dass es keine besseren Waffen gibt, denn jede hat ihre Vor- und Nachteile.

Spannend ist auch die Option, für jeden Arm eine andere Sekundärwaffe auszurüsten. Dadurch kann der Spieler sich für viele Situationen besser rüsten, doch das kommt auf Kosten der Koordination. Bis zum Ende war es nie einfach, in schnellen Schussgefechten gezielt die richtige Waffe einzusetzen, wobei der normale Schwierigkeitsgrad viel verzeiht. Glücklicherweise gibt es einen Knopf, um auf der Stelle zu schweben, was die Planung erheblich vereinfacht. Auch optische Anpassungen gibt es, leider ist die Auswahl dabei nicht sonderlich groß.

Ein echter Avenger

Obwohl die Geschichte nach rund sieben Stunden ihr Ende findet, gibt es anschließend noch genug zu tun. Neben einer ganz besonderen Bonus-Mission lassen sich Rennen sowie Kampfmissionen in den Gebieten absolvieren, während in den Hauptaufgaben der Rang verbessert werden kann. Das ist wunderbar kurzweilig und lässt das Abenteuer auf wunderbare Weise ausklinken. Und wer Trophäen sammelt – diese werden sogar ausgestellt, was wir in dieser Form noch nie gesehen haben.

Im Bereich des Möglichen

Die Grenze von dem, was optisch auf PlayStation 4 Pro in VR möglich ist, wurde bereits mit linearen Titeln wie „Blood & Truth“ und „Astro Bot Rescue Mission“ erreicht. Im Vergleich zu anderen Produktionen muss „Iron Man VR“ mit seinen größeren Gebieten den Detailgrad deshalb zurückschrauben. Beispielsweise werden in der Shanghai-Mission einige Texturen in der Nähe des Bodens sichtbar nachgeladen. Dafür läuft das Geschehen aber durchweg flüssig ab, egal wie viele Feinde auftauchen oder wie hoch oder tief man in maximaler Geschwindigkeit fliegt. Dieser Kompromiss ist fair, auch weil die Innenräume durchweg erstklassig aussehen. Regelrecht beeindruckend ist das perfekte Tracking, das selbst dann keine Probleme hat, wenn man sich weit dreht – so gut hat die Technik in den letzten Jahren noch nicht funktioniert. Leider sind die Ladezeiten aber sehr lang, besonders in den ersten zwei Stunden. Wir hoffen auf jeden Fall, dass das Spiel einen Patch erhält, um auf der PlayStation 5 erst recht zu glänzen.

Der Soundtrack ist ein nettes Beiwerk, kann aber nicht herausstechen. Dank der vielen Soundeffekte in den Gefechten ist er aber sowieso nicht so wichtig, denn die Explosionen und Schüsse sind durchweg wuchtig. Auch die Sprecher leisten einen hervorragenden Job und verkörpern ihre Charaktere perfekt, sodass man ihre Gegenstücke aus den Filmen nicht vermisst.