Seit Ankündigung von „Tinykin“ im September 2021 und dem ersten Gameplay-Material erinnerte viele das Gezeigte an einen bekannten Nintendo-Titel. Kleine Wesen die einem Charakter hinterherlaufen und Dinge tragen beziehungsweise Kommandos erhalten? Da ist der Vergleich mit „Pikmin“ nicht von der Hand zu weisen. Zu Beginn sei daher der Elefant im Raum angesprochen: „Tinykin“ ist nicht das von „Pikmin“ inspirierte Spiel, welches wir erwartet haben. Stattdessen wurden wir hier positiv überrascht und fanden einen großartigen 3D-Plattformer mit einer interessanten Welt zum Erkunden, dem richtigen Gefühl für schnelles Gameplay und natürlich trotzdem dem ein oder anderen „Pikmin"-Moment.

Forschungsreise mit Überraschung

Als Spielende werden wir in die Rolle von Milodane geworfen und erfahren in einer gut animierten Sequenz was unsere Aufgabe ist. Als Erforscher und Archäologe des Ursprungs der Menschheit verlassen wir unsere weit entwickelte Heimat Ägis, um einem uralten Signal in eine nahe Galaxie zu folgen. Milo findet sich selbst in einem 90er-Jahre-Haus wieder, bevölkert von farbigen Insekten, und muss nun, geschrumpft auf deren Größe, versuchen einen Sinn in all dem zu finden.

Offensichtlich haben hier einmal Menschen gelebt, von denen aktuell aber jedes Lebenszeichen fehlt. Um nun wieder nach Hause zu kommen, muss Milo eine spezielle Maschine bauen, wobei ihm eine mysteriöse Figur namens Ridmi hilft. Diese spricht davon, dass die Maschine einst von einer gottähnlichen Figur namens Ardwin erdacht wurde. Milo wird nun mit der Hilfe von Ridmi auf den Weg geschickt die sechs Teile der Maschine in verschiedenen Welten des Hauses zu finden. Hierbei helfen ihm die kleinen namensgebenden Tinykin, welche fröhlich durch die Gegend geworfen werden können, um das ein oder andere Problem zu lösen oder neue Wege freizuschalten.

Auch wenn die Story im Spiel nicht allzu sehr im Fokus steht, dient sie dennoch dazu die Geschichte sinnvoll voranzubringen und mit interessanten Wendungen zu verzieren. Die Kommentare einzelner Insekten-NPCs zahlen in die Bedeutung der Welt ein und das Ende kann sogar mit einer Überraschung aufwarten.

Kein Pikmin-Klon

Okay, all das klingt erstmal sehr nach „Pikmin“ und irgendwie ist es das auch, bis zu einem gewissen Grad. Im Unterschied zum Vorbild gibt es aber ein paar fundamentale Unterschiede. So gibt es in „Tinykin“ nur eine endliche Anzahl der kleinen Helfer, diese können also nicht einfach so sterben, sondern finden bei einem Fehlwurf direkt wieder zu uns zurück. Es gibt auch keine Kämpfe und keinen Tag-Nacht-Zyklus. Vielmehr sammelt man die Tinykin in jeder Welt wie kleine Sammelgegenstände. All die guten Ideen aus „Pikmin“ sind perfekt in das Konzept eines 3D-Plattformers eingebunden. Die kleinen Tinykin helfen Spielenden dabei entweder große Gegenstände zu tragen, Blockaden mit explosiver Kraft aus dem Weg zu räumen, Brücken zu bauen oder elektrische Kreise zu schließen.

Erkunden leicht gemacht

Wer einmal das Prinzip des Spiels verinnerlicht hat, findet sich plötzlich in einem Sog wieder in dem es ganz schnell heißt „nur noch schnell diese eine Gegend erkunden“. Kurz nach dem Start erhalten wir ein kleines Seifenstück, welches von uns als Skateboard-Ersatz genutzt wird und sowohl zu Unterhaltungszwecken dient als auch um Wege schneller zu überbrücken. Mit dem jederzeit einsatzbereiten Transportmittel können Spielende sogar an Kanten oder Seilen entlang grinden. In Kombination mit einer bestimmten Art Tinykin können wir dann Leitern bauen, unsere Schwebe-Blase nutzen um Entfernungen zu überbrücken und dann mit unserer Seife weiter rutschen. All das klingt nicht nur unheimlich spaßig, sondern ist es auch und funktioniert wunderbar um jeden Winkel der Welten zu erkunden.

Wer jetzt an große Areale mit viel zu vielen Sammelgegenständen denkt, sei an dieser Stelle beruhigt. Wir sammeln in den Welten Tinykin-Eier, aus denen dann auch direkt die kleinen Lebewesen schlüpfen und sich uns anschließen, können ein paar Hundert Pollen sammeln um unsere Schwebe-Blase aufzuwerten, ein paar Nebenaufgaben abschließen um mehr über Ardwin zu erfahren und letztlich alles Wichtige erledigen, was uns zum hiesigen Teil der speziellen Maschine führt. In der Regel müssen wir den wohnhaften Insekten bei ein paar - durchaus kreativen - Aufgaben helfen, bevor sie uns eines der Teile überlassen.

Wer jeden Winkel der Räume erkunden möchte, erhält dort auch immer eine kleine Belohnung und Perfektionisten finden hier auch genau die richtige Herausforderung alle Pollen zu finden. Dennoch ist all das nicht nötig um im Spiel voranzukommen und so kann jeder Raum in etwa einer Stunde abgeschlossen werden. Wer noch jede Polle finden und Nebenaufgabe abschließen möchte, sollte etwa noch eine halbe Stunde pro Level draufrechnen. Eine perfekte Länge, so dass man sich nie nach einer gewissen Zeit von der Mechanik im Level gelangweilt fühlt oder sich sträubt dorthin zurück zu reisen. „Tinykin“ hat es hier geschafft einen perfekten Flow zu erzeugen.

Liebe zum Detail

Genauso angenehm fühlen sich die Rätsel in „Tinykin“ an. Selbst wenn die Lösung für ein Rätsel nicht direkt klar ist, findet man die Lösung einfach, während man den Rest der Welt erkundet. Je weiter die Welt erkundet wird, desto mehr Begleiter finden wir und desto leichter erreichen wir abgelegene Areale. Die unterschiedlichen Areale sind wunderbar inszeniert. Entweder erklimmen wir in einem Bad Berge von Toilettenpapier oder besuchen eine selbst gebaute Kirche die für ihren Lobgesang einen CD-Spieler nutzt. Jeder noch so kleine Winkel wirkt gut durchdacht und lässt uns mit einem positiven Gefühl zurück. Vor allem die kleinen explosiven Tinykin spielen eine Sonderrolle. Diese nutzt man, um Barrikaden aus dem Weg zu räumen oder kleine Abkürzungen über bestimmte Seile freizuschalten. Tatsächlich fühlen sich diese aber vielmehr nach Munition an als nach lebendigen Wesen, da wir diese nach deren Gebrauch verlieren. Selbst wenn „Pikmin“ die Bindung zu den Begleitern noch etwas besser hinbekommt als „Tinykin“ fühlen wir auch hier jeden Verlust während wir die kleinen roten Helfer auf ihr Ziel werfen.

Ebenso muss man sich kaum Gedanken machen, den kleinen Begleitern eine Aufgabe zu überlassen, beispielsweise etwas zu tragen, und sie dann aus den Augen zu verlieren. Jederzeit finden sie selbständig den Weg oder warten an bestimmten Stellen bis wir für sie eine Brücke oder Ähnliches bauen. Wir haben zwar die Möglichkeit mittels eines Fernglases die Übersicht von hoch gelegenen Stellen zu behalten, dennoch hätten wir uns hier explizitere Markierungen gewünscht um zu erfahren, wo sich unsere kleinen Freunde gerade aufhalten wenn sie blockiert werden. Allerdings stört das nur selten den Spielfluss und kann durchaus mit einem Patch nachgeliefert werden. Auch während wir in unserer Blase umherschweben, können wir die kleinen Tinykin werfen und müssen uns keine Sorgen machen sie zu verlieren, da sie bei einem Wurf ins Blaue direkt wieder hinter uns auftauchen und nicht erst wieder aufgesammelt werden müssen. Sobald die Aufgabe der fernen Helferlein dann erfolgreich erledigt wurde, erinnert uns eine kleine Sequenz daran was gerade getan wurde und wo, so dass wir entweder dorthin zurückkehren können oder einfach weiter unser aktuelles Ziel verfolgen bis wir zum Auftragsort zurückkehren wollen. So funktioniert entspannter Spielspaß.

Optionale aber sehenswürdige Hintergründe

Und egal wie liebenswürdig das Charakterdesign und wie humorvoll die Dialoge auch sind, die kleinen Nebendialoge mit Insekten die ihrem Alltag nachgehen fühlten sich irgendwann repetitiv an. Es gab durchaus NPCs die wir in jeder Welt auf ihrer Reise begleiten konnten und die uns dann mit neuen Eindrücken überraschten, viel zu oft wirkten diese Dialoge mit den restlichen Bewohnern aber eher unnötig. In einem bestimmten Areal gab es dann aber doch eine sehr durchdachte NPC-Idee mit einer Referenz zur Spieltheorie direkt in einem Casino, die Entwicklerinnen und Entwickler wissen eben doch zu überraschen. Selbst einzelne Gesellschaftskritiken sind in den Nebendialogen versteckt. Und auch wenn die Hauptgeschichte nicht vieler Worte bedarf, so lohnt sich das Erkunden der Welten letztlich doch um auch die Hintergründe dieser Welt besser zu verstehen.

Technisch hochwertig

Das Design der zwei-dimensionalen Figuren in den dreidimensionalen Welten mag zwar nicht jedem gefallen - selbst einzelne NPCs haben dazu ihre ganz spezielle humorvolle Meinung - dennoch ist diese stets hochwertig präsentiert. Von den einzelnen Welten mit ihren versteckten Details bis zu den Charakteren selbst wird alles in tollen Farben und hoher Qualität präsentiert. Zu gern beobachteten wir unsere kleinen Begleiter durch das Fernglas während sie darauf warteten, dass es weitergeht oder eine kleine Schlafpause einlegten.

Auch der Sound weiß zu überzeugen. Die einzelnen Sound-Effekte, beispielsweise während wir Pollen einsammeln, sind toll abgestimmt und geben den Spielenden einen belohnenden Klang. Selbst die Musik in den Leveln blieb uns lange im Ohr. Vor allem im ersten Level haben wir schnell mitgesummt, während wir dem später allgegenwärtigen Lobgesang lauschten.

Genau die richtige Länge

Während man die vielen kleinen Gegenstände in den Welten sammelt, ist man immer wieder überrascht, wie gut „Tinykin“ seinen Flow beibehält. Wo andere 3D-Plattformer sich in der Masse von Sammelaufgaben verlieren, finden wir hier immer genau die richtige Menge an Aufgaben die uns motivieren weiter zu erkunden, anstatt es nur als To-Do-Liste anzusehen.

Wer tatsächlich nur die Hauptgeschichte erleben möchte findet sich in einem etwa sechsstündigen Abenteuer wieder. Wer noch die restlichen Gegenstände sammeln und Aufgaben erledigen möchte, findet sich nach etwa 9 bis 10 Stunden vor dem vollständigen Inventar wieder. Einige der optionalen Gegenstände sind tatsächlich sehr gut versteckt und erfordern etwas mehr Denkarbeit. Die zusätzliche Arbeit und Herausforderung wird letztlich mit einem angenehm belohnenden Gefühl abgeschlossen. In einer Zeit von vielen Spielen mit zwei- bis dreistelligen Spielstunden wussten wir die kompakte Spielzeit von „Tinykin“ sehr zu schätzen.