Das 2010 gegründete Tango Gameworks wurde noch im selben Jahr von ZeniMax Media aufgekauft, und das aus gutem Grund: Studiogründer ist niemand Geringeres als Shinji Mikami, der vor allem mit „Resident Evil“ und „Resident Evil 4“ die Spielewelt für immer veränderte. Obwohl „The Evil Within“ als geistiger Nachfolger nicht ganz in die Fußstapfen treten konnte, erfreuten sich beide Spiele großer Beliebtheit, die Ankündigung von „Ghostwire: Tokyo“ kam aber unerwartet. Kann das Studio noch mehr als Survival Horror, oder ist das Experiment gescheitert?

Die Leere Tokyos

Das Spiel nimmt sich wenig Zeit für den Einstieg - wen das stört, der sollte den Prolog ausprobieren, der als kostenlose, 30-minütige Visual Novel daherkommt. In „Ghostwire: Tokyo“ geht es um Akito, der durch einen Unfall dem Tode nahe ist. Wenige Minuten später erwacht er, muss aber feststellen, dass der Geist eines Detektivs namens KK sich in ihm eingenistet hat. Das wirkt erst wie ein Fluch, schützt ihn aber vor einem mysteriösen Nebel, der 250.000 Bewohner Tokyos verschwinden lässt. An ihrer Stelle tauchen böse Geister auf. Verantwortlich dafür ist ein mysteriöser Mann, der Akitos Schwester kurzerhand entführt. Das Heldenduo muss sich fortan durch ein Tokyo voller Geister schlagen und den Bösewicht stoppen.

Ignoriert man die Inszenierung und schaut sich nur die Zwischensequenzen an, fällt es einem schwer, das Spiel zu loben. Die Prämisse wird sehr hektisch eingeführt, einige der Wendungen sind extrem klischeebeladen und es fühlt sich häufig so an, als würde die Handlung künstlich gestreckt, indem dem Duo möglichst viele Stolpersteine in den Weg geworfen werden. Auch die Dialoge werden keinen Autorenpreis abwerfen, denn besonders in den wichtigsten Momenten wirkt alles steif und weniger wie echte Unterhaltungen. Glücklicherweise bessert sich all das im späteren Verlauf und vor allem, sobald KK und Akito sich besser verstehen, kommt es zu witzigen Momenten, die durch die Einführung weiterer Charaktere auch spannend werden können. Das Finale schafft es dann, trotz eines eher enttäuschenden Bösewichts genau die richtigen Noten abzuspielen, um eine waschechte Symphonie auf den Bildschirm zu zaubern - lediglich der Weg dahin hätte durch ein besseres Pacing unterhaltsamer ausfallen können.

Magische Geschosse

Spielerisch handelt es sich bei „Ghostwire: Tokyo“ um einen Ego-Shooter in einer offenen Welt. Allerdings gibt es keine Waffen, sondern Elementarzauber, die Akito dank KK nutzen kann. Diese lassen sich einzeln, oder mit aufgeladenem Schuss abfeuern und sind einzigartig genug, um sie ständig durchzuwechseln. Später kommt noch ein Bogen dazu, der überaus mächtig ist, dessen Munition sich aber nicht an jeder Ecke finden lässt. Talismane sind derweil noch nützlicher und können Gegner in einer Zone direkt töten, sie paralysieren oder andere Effekte hinzufügen, sind dafür aber auch sehr teuer.

Was sehr ambitioniert klingt, ist am Ende leider unterwältigend. Das beginnt schon mit den Zaubern selbst, denn es gibt nur drei von ihnen, die Akito während der ersten Kapitel erhält. Zwar bieten sie zwei Feuermodi, aufgeladene Schüsse benötigen aber ohne Verbesserung im Fertigkeitenbaum viel zu viel Zeit, als dass sie einen aus brenzligen Situationen retten können. Keiner von ihnen verändert sich zudem in der Funktionsweise und lediglich eine Eigenschaft pro Zauber lässt sich aufwerten, weshalb man mit dem, was man zu Beginn hat, auskommen muss.

Schwieriger Anfang, besseres Ende

Die fehlende Vielfalt ist gerade deshalb so schade, weil viele der anfangs frustrierenden Elemente im späteren Verlauf Sinn ergeben, wenn man sich auf sie einlässt. Ein großes Problem kann die Munitionsknappheit werden, denn vom mächtigen Feuerschuss gibt es anfangs nur fünf Stück, der häufigere Windschuss ist derweil ziemlich schwach. Munition gibt es durch zerstörbare Objekte oder wenn die Kerne der Feinde durch magische Fäden gezogen werden - was zum Glück auf Knopfdruck funktioniert. Sich die Munition einzuteilen, Gegnerkerne von mehreren Gegnern gleichzeitig zu ziehen und die Umwelt mit einzubeziehen, mag anfangs schwierig klingen, nach einigen Stunden funktioniert das aber wunderbar dynamisch und man kann sich eher auf die Verhaltensweisen der Feinde konzentrieren anstatt mit dem Kampfsystem selbst zu kämpfen.

Die Talismane entpuppen sich leider als Enttäuschung, denn sie werden zu stark limitiert. Zwar sind sie mächtig, man muss sie aber in Läden erwerben, und der Preis ist stets so hoch, dass man sie sich sorgfältig einteilt und am Ende kaum nutzt, anstatt die Kämpfe dadurch abwechslungsreicher zu gestalten. Auch der Bogen ist nur dann nützlich, wenn man aus der Ferne kämpft, was im aktiven Gefecht selten der Fall ist. Mehr Kampfoptionen, vor allem mehr Zauber, hätten das Spiel immens bereichern können und abwechslungsreiche Kämpfe garantiert, so wirken sie aber zu limitiert, als dass sie über Stunden hinweg begeistern könnten.

Japanische Geister

Glücklicherweise trifft das eher weniger auf die Gegner-Abteilung zu. Bereits die ersten Feinde begeistern durch ihre Designs, stets inspiriert von japanischen Geistergeschichten. Da wäre Jugendkleidung ohne Körper, Monster in Anzügen mit Hämmern oder große Frauen mit Scheren, die überaus aggressiv agieren. Man kann sich wirklich niemals an den fantastischen Designs satt sehen, auch wenn noch mehr Gegnerarten sicherlich wünschenswert gewesen sind. Dafür kommt jede Art in mehreren Ausführungen, die jeweils neue Angriffe austeilen können oder schlichtweg mehr aushalten. Die Kämpfe werden somit zu einem Positionierungsspiel, denn Gegnermassen zu kontrollieren und zu wissen, wie man mit jeder Variante umgeht, sind überlebenswichtige Strategien.

Das ist auch die Rettung für die Kämpfe, denn obwohl die Angriffsoptionen limitiert sind, wechselt man ständig zwischen den Optionen, um in jeder Situation richtig zu handeln. Vor allem die fantastischen Boss-Gegner legen zudem auf und zeigen dann auch, wie wichtig die Verteidigung sein kann. Angriffe lassen sich parieren, und wer die richtigen Fähigkeiten erwirbt, kann dadurch sogar Schaden komplett wettmachen. Plötzlich wird die Action deutlich attraktiver und motiviert, keiner Gegnermenge aus dem Weg zu gehen, es dauert aber ein paar Stunden, bis man sich wirklich wohl damit fühlt.

Leise, aber nicht unsichtbar

Wer lieber im Schatten agiert, kann das häufig auch tun. Die meisten Gegner lassen sich, wenn sie Akito nicht entdeckt haben, direkt erledigen, wobei man vorsichtig sein muss. Auf dem normalen Schwierigkeitsgrad sehen Gegner den Helden auch aus weiter Entfernung, sodass Verstecken deutlich wichtiger wird, als es anfangs den Anschein hat. Leider führt das auch zu frustrierenden Momenten, denn die Geister drehen sich gerne ohne Vorwarnung um, und sollte man sie erst lange beobachten wollen, dauert das viel zu lange, als dass man ein leises Vorgehen rechtfertigen kann. Glücklicherweise lässt sich das Schleichtempo verbessern, sodass es im späteren Verlauf deutlich attraktiver wird, sich leise zu bewegen.

Liebe auf den ersten Blick

Bereits in den ersten Minuten ist es offensichtlich, wie wunderschön die Welt geraten ist. Zahlreiche Orte aus Tokyo wurden nachgebaut, sodass man sich wie direkt vor Ort fühlt, wenn man auf dem Shibuya Square steht, den Bahnhof betritt oder eine der vielen Sehenswürdigkeiten bestaunt. Die Liebe zum Detail ist beachtlich, denn die Welt fühlt sich wie eine lebendige, vielfältige Stadt an, in der plötzlich alles zum Stillstand gekommen ist. Überall liegen Klamotten auf dem Boden - je nach Ort mehr oder weniger - und Autos sind gegeneinander gekracht, als die Fahrer verschwanden. Sogar in den kleinen aber ebenso detaillierten Läden liegen Einkaufskörbe auf dem Boden und in Wohnungen läuft manchmal noch das Wasser im Spülbecken. Das Spiel bietet zahlreiche Horror-Elemente, vor allem in seinen Geistern, doch es macht daraus kein gruseliges Spiel, sondern eines, in dem die übernatürlichen Elemente japanischer Kultur gefeiert werden, ohne sie zu stark zu entschärfen.

Auch nach dem Ende der Handlung, die einen durch die sehr unterschiedlichen, stets aber einzigartigen Distrikte Tokyos führt, kann man sich nicht satt sehen und arbeitet die zahlreichen Markierungen auf der Karte ab, weil man die Welt nicht verlassen möchte. Sogar die Interaktionen mit Tieren und Hunden, deren Gedanken KK lesen kann, versprühen eine gigantische Menge Charme und sorgen auch für die lustigsten und authentischsten Momente - natürlich freuen sich die Katzen über den Untergang der Menschheit, bis sie realisieren, dass die Futterquelle geschlossen wurde.

Die Sorgen der Toten

Das überraschende Highlight von „Ghostwire: Tokyo“ sind dann aber die Nebenquests. Diese erzählen kleine Geschichten, in denen stets die Seele von jemandem ins Jenseits befördert werden muss, der noch an die menschliche Welt gebunden ist. Was wie typischer Füller-Inhalt wirkt, wird zum spektakulären Ausflug, denn sie führen einen an beachtliche Orte. Mal muss das Haus eines Messis von einem schwarzen Loch befreit werden, mal ein gezeichneter Drache durch einen Friedhof gejagt werden und manchmal führen einen Fußstapfen in eine surreale Welt, in der eine Straße zur Wand wird. Selbst ein Klavier, das scheinbar von selbst spielt, wird zu einem überraschend emotionalen Erlebnis, das man verpassen würde, wenn man die Nebenmissionen ignoriert. Die Geschichten sind stets kurz, funktionieren aber durch die Einbindung der japanischen Folklore überragend gut. Auch spielerisch überraschen sie, denn während sich einige eher mäßige Mechaniken wiederholen, wie etwa einem Geist zu folgen, wird das stets unterhaltsam verpackt. Somit sollte man diese Missionen niemals ignorieren, denn sie machen einen riesigen Teil des Charmes aus. Und spätestens, wer nach einem gewissen Hund sucht, wird verstehen, dass es keine Grenzen für den Humor gibt.

Glücklicherweise enttäuschen die Hauptmissionen auch nicht. Hier toben sich die Entwickler völlig aus: Einmal wird aus einer normalen Wohnung ein unendlich langer Gang, in dem sich alle Objekte multiplizieren und bewegen, ein anderes Mal geht es durch eine alternative Welt, in der die Regeln der Physik nicht mehr gelten. Diese surrealen und abstrakten Momente sind die großen Highlights und derart gut inszeniert, dass man aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. Zwar gibt es dazwischen immer wieder etwas konventionellere Momente, die arbeitet man aber gerne ab, um mit einigen der optisch spannendsten Szenen der aktuellen Generation konfrontiert zu werden. Leider gilt das nicht immer, denn Gegnerwellen werden häufig als billiger Ausweg genutzt, um Missionen künstlich zu strecken, und eine bestimmte Nebenbeschäftigungen wird zur Pflicht, wenn man die nächste Hauptmission erreichen möchte. Zudem sind die Passagen, in denen Akito von KK getrennt wird, sehr frustrierend, da man alle übernatürlichen Fähigkeiten verliert. Allzu lange dauern die Tiefpunkte aber nicht an, und am Ende erhält man eine überraschend knappe Haupthandlung, die acht bis zehn Stunden lang unterhält. Das mag nach wenig klingen, es ist aber regelrecht erfrischend, dass ein Open World-Spiel dieser Natur nicht durch zu viele Subplots in die Länge gezogen wird. Zudem verdoppeln oder gar verdreifachen die Nebenaktivitäten die Spielzeit.

Eine klassische Welt

Es gibt neben den Nebenmissionen natürlich noch die klassischen Map-Marker, die einen an interessante Orte führen. Am wichtigsten sind die Tori-Gates, die gereinigt werden müssen, damit der Nebel im jeweiligen Gebiet verschwindet und weitere Teile von Tokyo begehbar werden. Diese arbeitet man zwar ab, durch die kleinen Kämpfe und sehr wertvollen Belohnungen motiviert das aber. Besonders spaßig sind die Yokai-Missionen, denn hier müssen die Monster für ein wertvolles Material mal beschützt, mal gejagt werden. Auch hier gibt es eine Handvoll Yokai, die gleich mehrfach auftauchen, durch ihre Kurzweiligkeit stören diese Wiederholungen aber nicht, sondern beleben die wunderschöne Welt noch weiter. 

Zwar gibt es einige Sammelgegenstände, vor allem aber die Seelen werden zum wichtigsten Element. Diese schwirren überall umher, und lassen sich per Katashiro absorbieren und an Telefonstellen entladen, was Meika und Erfahrungspunkte generiert. Katashiro können glücklicherweise früh gekauft werden, und das sollte man auch tun, wenn man nicht alle fünf Minuten ein Telefon suchen möchte. Die Belohnungen fallen nicht gering aus, sodass man jede Seele aufnehmen sollte, die man sieht. Ein kleiner Schock für diejenigen, die die 100% anstreben: Selbst nach dem Ende der Handlung und Abarbeiten der Hälfte der Nebenmissionen haben wir lediglich die Trophäe für 25% aller Seelen erhalten. Wem das nicht so wichtig ist, der darf sich über einen regelmäßigen Erfahrungsboost freuen, der dringend notwendig ist. Zudem lassen sich durch KKs Sicht interagierbare Objekte in der Umgebung anzeigen, was ein langes Herumsuchen verhindert.

Mehr als nur Boni

Der Fertigkeitenbaum ist überlebenswichtig, denn hier verstecken sich nicht nur wichtige Verbesserungen, sondern auch völlig neue Fähigkeiten. Wer hier nicht clever investiert, erhält möglicherweise gar nicht die Option, am Boden liegende Gegner direkt auszulöschen, per Parieren Schaden zu absorbieren oder mit geschickten Manövern seine Munition aufzufüllen. Es ist etwas enttäuschend, dass viele so elementare Fähigkeiten über Levelanstiege und den damit verbundenen Skill-Punkten freigeschaltet werden müssen, wer sich hier aber alles durchliest, wird schnell erkennen, was priorisiert werden muss.

Und dann wäre da natürlich die wichtigste Fähigkeit: Sieht man einen Geistervogel in der Luft, kann sich Akito zu diesem schwingen und fortan über die Dächer laufen und sogar für kurze Zeit fliegen. Das ist leider stark eingeschränkt, da die Vögel nur an bestimmten Positionen zu finden sind. Schaltet man aber Amenotori X frei, lassen sich die Vögel an nahezu jeder Dachkante beschwören und man schwingt sich automatisch zu ihnen. Das verändert den kompletten Ablauf des Spiels, denn plötzlich läuft man nicht mehr durch die Straßen um von A nach B zu kommen, sondern erobert die Lüfte und kann Abkürzungen nutzen, ohne nach den Vögeln zu suchen. Erst nach dem Erwerb dieser Fähigkeit zahlt sich das vertikale Design der Welt aus und sorgt für ein fantastisches Fortbewegungssystem, das einige komplett verpassen könnten.

Zu viele Optionen

Die detaillierte Welt kann auf der PlayStation 5 jederzeit glänzen und sieht hochwertig aus - trotzdem garantiert sie Chaos, denn es gibt ganze sechs verschiedene Grafik-Modi. Der Qualitätsmodus sieht dank hochwertigem Ray Tracing und 4K beeindruckend aus, läuft aber nicht bei flüssigen 30 FPS und sorgt für eine starke Eingabeverzögerung, die die Action teilweise unspielbar macht. Der Performance-Modus läuft wunderbar flüssig, hier fehlt aber schlichtweg der tolle Effekt, der im verregneten Tokyo elementar für die Atmosphäre wird. Hier springt der High Framerate-Modus an, in dem die Auflösung gesenkt wird, dafür läuft der Performance-Modus hier noch stabiler, während der Qualitätsmodus durch unfassbares Tearing Kopfschmerzen garantiert. Die letzten beiden Modi sind exakt wie die letzten, mit dem Unterschied, dass es Ray Tracing gibt, und plötzlich zieht der Qualitätsmodus vorbei. Die Reflektionen sind etwas niedriger aufgelöst, sehen aber weiterhin erstklassig aus, während die niedrigere Auflösung genauso wenig stört, wie die etwas instabile Bildrate, die aber insgesamt ein hohes Niveau im Feld von 50 bis 60 FPS behält. Wieso man das ganze Prozedere nicht vereinfacht hat, bleibt ein Rätsel.

Auch die Integration der PS5-Merkmale funktioniert gut. Der 3D-Audio-Ton ist extrem atmosphärisch und funktioniert besonders dann gut, wenn man sich durch die Straßen Tokyos bewegt. Das haptische Feedback begeistert durch den vielfältigen Einsatz, und die adaptiven Trigger schlagen stets im perfekten Moment an, aber nie zu stark. Sogar das Touchpad wird genutzt, um Zeichen nachzumalen, leider werden hier aber zu häufig Eingaben nicht erkannt. Zudem sollte man auch den Charaktermodellen verzeihen, denn diese wirken wie aus einer anderen Generation.