Nach kleineren Projekten und Portierungen für Sony erschien 2015 mit „Until Dawn“ das größte Spiel des von Supermassive Games und wurde zu einem riesigen Hit. Die nachfolgenden VR-Projekte sowie „Hidden Agenda“ konnten das hohe Niveau aber nicht halten. Deshalb war die Freude groß, als die „Dark Pictures Anthology“ angekündigt wurde, die in mehreren, voneinander unabhängigen Episoden als geistige Fortsetzung zum einstigen Hit verstanden werden will. Nach anfänglichen Enttäuschungen wandte sich das Blatt: „House of Ashes“ konnte viele Kritiker*innen der Reihe überzeugen, und das in diesem Jahr erschienene „The Quarry“ schafft es, in Sachen Qualität an „Until Dawn“ anzuknüpfen. Kann das Staffelfinale „The Devil in Me“ mithalten, oder handelte es sich nur um eine kurze Hochphase für das Studio?

Der falsche Teufel

Die Protagonisten sind allesamt Teil von Lonnit Entertainment, einem Produktionsstudio für Dokumentationen rund um berüchtigte Kriminalfälle. Zwar konnten sie sich eine Staffelbestellung ergattern, die Qualität der Folgen lässt aber zu wünschen übrig, und auch das Finale, das sich um Henry Howard Holmes drehen soll, überzeugt nicht einmal die Produzierenden. Deshalb scheint es wie eine einmalige Chance, als Chef Charlie einen Anruf von einem Granthem Du’Met erhält, der eine Nachbildung des berühmten World’s Fair Hotel besitzt, das sich perfekt als Kulisse für die Dokumentation eignen würde. Der Haken? Das Team muss sofort dorthin und sich dabei an strenge Regeln halten. Niemandem ist die Lage geheuer, dennoch entscheiden sie sich dafür, auf eine Insel gebracht zu werden und ihre Smartphones abzugeben - nein, besonders klug ist hier niemand.

Die Prämisse ist dafür sehr interessant, und seien wir einmal ehrlich: Wenn in einem Genre Klischees und dumme Entscheidungen der Protagonisten erlaubt sind, dann im Horror. Dennoch sollte man mit den richtigen Erwartungen an das Spiel herangehen, denn der True Crime-Nerd darf an dieser Stelle rausgelassen werden: Henry H. Holmes wird immer wieder als erster Serienmörder Amerikas bezeichnet, und bereits der Start zeigt seine blutrünstigen Taten. Das hat aber nichts mit der Realität zu tun, sondern spiegelt nur das wider, was die Zeitungen zu der Zeit geschrieben haben. In Wirklichkeit gab es in seinem Hotel keine Fallen, und versteckte Räume dienten nur dazu, gestohlene Möbel zu verstecken. Zudem war er per klassischer Definition kein Serienmörder, da er nur Leute tötete, die er privat kannte und seiner Meinung nach ihm hätten eine Gefahr werden können. Natürlich bleibt er trotzdem ein Monster, das auch nicht vor Kindesmord zurückgeschreckt hat. „The Devil in Me“ nutzt aber eine fiktive, noch grausamere Version von Holmes für die Geschichte - ob das nun spannend oder geschmacklos ist, muss jeder für sich entscheiden.

Hotel des Horrors

Angekommen im Hotel wissen Spieler*innen mehr als die Helden, die durch zahlreiche, nicht sichtbare Kameras beobachtet werden. Als dann auch noch der Mann verschwindet, der sich als Granthem Du*Met ausgegeben hat, beginnt das Chaos, denn das Hotel entpuppt sich, wenig überraschend, als riesige Falle. Wände bewegen sich, um Wege zu blockieren und neue zu eröffnen. Einige Zimmer könnten dank ihrer Todesspiele aus den „Saw“-Filmen stammen und der Mörder scheint zu jedem Zeitpunkt alles unter Kontrolle zu haben. 

Am meisten beeindruckt das Hotel selbst, das nicht nur wunderschön gestaltet wurde, sondern durch seine engen Gänge und düsteren Räume, gepaart mit einer fantastischen Lichtgebung, eine dichte Atmosphäre erzeugt. Das Spiel ist durchgeskriptet, der Killer kann nicht jederzeit erscheinen und die meisten Räume sind abgeschlossen. Dennoch passt man bei jedem Schritt auf, weil die Jumpscares nicht immer zu erwarten sind. Supermassive Games hat sich bei der Kulisse selbst übertroffen und es ist sogar schade, dass in der letzten Stunde eher die Insel sowie andere Gebäude im Fokus stehen. Zwar wurden auch diese bestens designed, sie missen aber das Einzigartige, das das World’s Fair Hotel bietet.

Zwischen Leben und Tod

Spieler*innen wechseln nach jedem Abschnitt zwischen den Charakteren, die ebenfalls punkten können. Nein, hier werden nicht die klügsten, einzigartigsten Persönlichkeiten geboten, dennoch passt der Mix. Charlie ist versessen darauf, endlich einen Erfolg zu erzielen, während Kate als Gesicht der Sendung bereits plant, die Truppe zu verlassen und größere Projekte in Angriff zu nehmen. Kameramann Mark bleibt leider eindimensional und wird eher durch seine Zukunftswünsche sowie die ehemalige Beziehung zu Kate geprägt, anstatt ein ausgearbeiteter Charakter zu sein. Anders sieht das schon bei Lichttechnikerin Jamie aus, die über sich hinauswachsen muss, sowie bei Erin, die neu im Team ist und sich häufig verloren fühlt. 

Wie nun schon doppelt erwähnt, sollte man seine Erwartungen anpassen, denn hier werden Klischees abgearbeitet, interne Konflikte geschürt und auch die Dialoge sind nicht auf Oscar-Niveau, doch das muss auch nicht der Fall sein. Vielmehr unterhält die Handlung bestens, die Charaktere treffen Entscheidungen, die zu unterhaltsamen Situationen führen und sollte jemand von ihnen sterben, resultiert das in durchaus emotionalen Szenen - aber nicht genug, um dabei keinen Spaß mehr zu haben. Auch die schauspielerischen Leistungen sind auf einem soliden Niveau, wobei Jessie Buckley als Kate die große Ausnahme darstellt und zwar etwas monoton wirkt, aber erneut beweist, was für eine großartige Schauspielerin sie ist.

Tragweite

Auch das Pacing nimmt diesmal eine interessante Form an. Das Studio hat sich nämlich dafür entschieden, Spieler*innen sehr langsam in die Welt einzuführen, sodass es nach dem Prolog mehr als eine Stunde dauert, bis wirklich dramatische Dinge passieren. Das funktioniert, denn die darauffolgenden Ereignisse sind rasant und eindrucksvoll inszeniert, vor allem die, in denen es um Leben und Tod geht. Natürlich wäre es kein Spiel von Supermassive, wenn Entscheidungen keinen Einfluss nehmen würden, und diesmal gibt es so einige. Die Beziehungen der Charaktere zueinander nehmen weniger Einfluss auf das Geschehen, dafür sorgen Dialogoptionen dafür, dass Szenen anders verlaufen, während überraschend viele zu einem Tod führen können. Nur zwei Charaktere brauchen sich wenig Sorgen machen, der Rest kann sich in diversen Situationen von der Gruppe verabschieden, was das Spiel dann auch deutlich verkürzt. Anstatt dass die unwichtigeren Protagonisten schlichtweg weniger vorkommen, erhält jeder eigene Szenen, oder erkundet das Hotel mit den anderen zusammen, wodurch sich komplett neue Dynamiken ergeben, je nachdem, wer noch lebt. Die Menge an optionalen oder veränderten Szenen ist deshalb größer, als in jedem anderen Spiel der Reihe.

Das sorgt auch dafür, dass es zwei Hauptenden mit reichlich Variationen gibt, die beide bestens funktionieren. Wer alle Helden am Leben halten will, benötigt ohne Guide aber auch ein wenig Glück, denn viele riskante Entscheidungen sind vielschichtiger, als erwartet. Manchmal lohnt es sich, Dinge doppelt zu probieren, während Szenen, in denen man sich zwischen zwei Charakteren entscheiden muss, genauestens analysiert werden sollten. Gelingt das nicht, gibt es wunderbar brutale Szenen.

Das Videospiel

Der interaktive Film funktioniert am besten, wenn man Entscheidungen trifft, durch das Hotel läuft oder sich die Szenen schlichtweg anschaut. Weil „The Devil in Me“ aber noch immer ein Videospiel ist, wurde das integriert, was das Genre leider zu stark ausmacht: Quick Time Events. Zwar sind die Strafen selten hoch, sollte man sie nicht schaffen, aber das System ist mittlerweile einfach zu veraltet, als dass es noch motivieren könnte. Ähnlich sieht es bei einem Minispiel aus, um ruhig zu bleiben: Hier muss ein Knopf immer dann gedrückt werden, wenn ein bestimmtes Feld durch einen vorgegebenen Bereich rast. Das ist extrem einfach und streckt einige Szenen viel zu lang, sodass auch hier keine spielerische Bereicherung geboten wird.

Minimal interessanter sind kleine Rätsel, in denen Kisten verschoben oder Schalter aktiviert werden müssen. Manchmal werden auch Items aus dem Inventar benötigt, das ist aber derart stark vorgegeben, dass man dies kaum als Spielmechanik wahrnimmt. Bei der Laufzeit von rund sechs Stunden ist es dann aber unverzeihlich, dass diese Rätsel sich mehrfach wiederholen und somit wieder keine Abwechslung bieten. Wer „The Devil in Me“ spielt, sollte sich auf einen interaktiven Film mit einigen spielerischen Einlagen freuen und definitiv nicht mehr erwarten. Wenigstens sind die zahlreichen Sammelobjekte interessant, denn sie enthüllen mehr über die Hintergründe der Geschichte, und auch der Curator ist wieder mit dabei, hat aber offensichtlich schlechte Laune und hilft weniger, als in den anderen Titeln - eine gewisse Szene deutet sogar eine spannende Zukunft für den Charakter an.

Ein zweiter, überraschender Durchgang

Durch die verschiedenen Entscheidungen und daraus resultierenden Veränderungen lohnt es sich, die Geschichte erneut anzugehen. Das gilt hier gleich doppelt, denn im Anschluss schaltet man den Curator’s Cut frei, der für Abwechslung sorgt. Hier erlebt man zahlreiche Szenen aus der Perspektive anderer Charaktere, was dann auch dazu führt, dass es komplett unterschiedliche Möglichkeiten gibt, zu sterben und die Helden zu retten. Einige Szenen sind sogar komplett neu, weshalb es selbst dann zu Überraschungen kommt, wenn man weiß, wie die Handlung ausgehen kann. Diese Art von Wiederspielwert ist überraschend und stellt einen vor neue Herausforderungen, was durchaus willkommen ist.

Deshalb kann man es dem Spiel auch verzeihen, dass einige Szenenwechsel etwas abrupt enden, einige Dialoge nur als Füllmaterial herhalten und manche Szenen etwas zu lang geraten sind. Dafür erhält man wunderbare Ortschaften, eine motivierende Handlung sowie Charaktere, die man nur in einem Slasher-Werk genießen kann. Zudem gibt es erneut Mehrspieler-Modi, wahlweise zu zweit online, wo jeder einen Charakter steuert, oder als Film-Version für bis zu fünf Spieler*innen offline.

Gesichtsanimationen aus der Hölle

Bislang klingt alles äußerst positiv, aber es gibt einen Haken: Die Charaktere selbst. Zumindest deren Gesichter, denn die Mimik sieht so schlecht aus, wie noch in keinem Supermassive-Spiel. Die Gesichtszüge sind extrem unrealistisch, und die Augen wandern derart ruckartig hin und her, dass jeder Charakter einen regelrecht toten Blick besitzt. Das schadet der Atmosphäre in den emotionalen Szenen deutlich, denn jeder sieht gleich aus, egal ob er Angst hat oder sich freut. Das wird auch den Schauspieler*innen nicht gerecht, die sicherlich nicht dafür verantwortlich waren. Auch einige Bugs nerven immer wieder, egal ob sich teleportierende Figuren, nerviges Flackern oder sichtbare Ladezeiten, die in Form von kurzen Schwarzbildern nach einem Szenenbeginn daherkommen. Nichts davon zerstört das Spiel, allerdings sollten die gröbsten Probleme in Zukunft durch einen Patch behoben werden - ob das geschehen wird, wissen wir nicht. 

Die Sound-Kulisse ist glücklicherweise besser. Das Hotel selbst wird durch die Geräusche zu einem Hauptcharakter, und bei jedem Schritt ist man sich unsicher, ob das Knacken durch das alte Holz, oder den Killer erzeugt wird. Auch der Soundtrack ist wunderbar atmosphärisch, und natürlich darf eine neue Version von „O Death“ nicht fehlen. Einzig einige Momente, in denen es plötzlich laut wird ohne in einem Jumpscare zu enden, wirken deplatziert.