Polnische Spieleentwickler sind spätestens seit „The Witcher“ in der Oberliga angekommen. Doch viele von ihnen arbeiten gar nicht an den bombastischsten Werken, sondern widmen sich eher den kleineren Spielen, die durch innovativen Ideen überzeugen. Im vergangenen Jahr erschien mit „The Vanishing of Ethan Carter“ ein perfektes Beispiel dafür. Bereits vor einigen Monaten landete der Hit auch auf der PlayStation 4, und nun konnten auch wir uns auf die unvergessliche Reise in Red Creek Valley begeben. Wieso das Spiel zu den besten seiner Art gehört, erfahrt ihr im Test.

Nur ein Brief

Die Geschichte findet im Jahre 1973 statt. Die Spieler übernehmen die Rolle von Paul Prospero, einem berühmten Detektiv, der im Bereich des Paranormalen schon diverse Erfolge verzeichnen konnte. Eines Tages erhält er einen Brief von dem zwölfjährigen Ethan Carter, in dem schreckliche Ereignisse beschrieben werden. Als er in dem ländlichen Ort Red Creek Valley ankommt, ist Ethan verschwunden und scheinbar alles verlassen. Also begibt Prospero sich auf die Suche nach dem Jungen, wobei ihm schnell klar wird, dass dies sein härtester Fall wird.

Die Genialität der Geschichte lässt sich nur sehr schwer beschreiben. Das liegt vor allem daran, dass die Spieler durch das gesamte Abenteuer laufen können, ohne irgendetwas zu erkunden. Dann verbleiben aber nur die Kommentare des Detektivs und die Geschichte um den kleinen Jungen ergibt überhaupt keinen Sinn mehr. Um wirklich zu verstehen, was in dem Ort vor sich geht, sollten die Spieler jedes Rätsel lösen und jede Notiz finden. Diese Elemente sind nicht nur wahnsinnig gut geschrieben, sondern werfen immer wieder neue Fragen auf, die allerdings im weiteren Verlauf aufgeklärt werden. Am Ende steht eine Geschichte, die in sich nahezu perfekt ist. Wieso genau das der Fall ist, muss jeder für sich selbst herausfinden, da die Überraschungen an dieser Stelle natürlich nicht verraten werden sollen.

Ein Hauch von Magie?

Die Rätsel in „The Vanishing of Ethan Carter“ wollen zuerst einmal gefunden werden. Wer nämlich nur brav dem scheinbar vorgegebenen Weg entlangläuft, wird zwar irgendwann das Ziel erreichen, dann jedoch nur durch die tollen Landschaften wandern und das eigentliche Spiel verpassen. Bereits zu Beginn sollte deshalb jeder einmal in die anderen Richtungen laufen und schauen, was es alles zu entdecken gibt. Wie die Rätsel selber gelöst werden und was der Spieler überhaupt machen muss, ist bereits ein Rätsel für sich. Denn schon vor dem Spielbeginn wird man darauf hingewiesen, dass der Titel eine narrative Erfahrung ist und den Spieler nicht an die Hand nimmt. Lediglich wenige Tipps gibt das Spiel selbst, zum Beispiel, was für Objekte man gerade untersucht hat oder welcher Knopf gedrückt werden muss. Alles andere wird dem Spieler überlassen, was gerade heutzutage eine mehr als angenehme Abwechslung ist.

Dabei sind die Rätsel selbst auch abwechslungsreich. Während die besondere Fähigkeit des Detektivs einen Großteil der Logik-Aufgaben einnimmt, gibt es auch immer wieder andere Geheimnisse, die nur durch sorgfältiges Erkunden entdeckt werden können. Dabei läuft oder rennt Paul Prospero durch die Umgebungen, drückt Knöpfe, öffnet Türen oder beeindruckt auf andere Arten, die an dieser Stelle ebenso noch nicht verraten werden.

Die Taten der Vergangenheit

Der Detektiv kommt aber auch nicht ganz ohne Fähigkeiten daher. Er besitzt nämlich die Macht, mit Hinweisen gewisse Szenen aus der Vergangenheit zu rekonstruieren. Bereits nach wenigen Schritten trifft der Spieler schon auf die erste Leiche, und ab da sollte jeder Winkel untersucht werden. Wirklich viele Hinweise gibt es nicht, wer aber die Gegenstände mit der Umgebung kombiniert, kann den exakten Verlauf der Todesszenen nachstellen. Als Belohnung erhält der Spieler einen sehr genauen Überblick darüber, was mit dem kleinen Jungen passiert sein könnte.

Diese Rätsel machen nicht nur Spaß, sie verleiten auch dazu, die wundervolle Welt zu erkunden. Nur wenige Spiele schaffen es, permanent die Spannung oben zu behalten, doch genau das schafft das Team von The Astronauts mit seinem Spiel. Zudem sind die Geschichte und das Gameplay so perfekt ineinander verzahnt, dass der Spieler auch tatsächlich nichts verpassen möchte und die Geschehnisse aufsaugt. Hinzu kommt, dass es – bis auf eine Ausnahme – keine Gegner gibt, und sterben kann der Detektiv auch nicht. Es ist eher die Umgebung, die Atmosphäre, die das unwohle Gefühl auslöst. Und selbst nach den vier bis fünf Stunden Spielzeit dürften einige ihre Gänsehaut behalten.

Ärger im unheimlichen Paradies

Leider sind die Rätsel nicht sonderlich schwierig, und wer einmal begriffen hat, wie die Welt funktioniert, wird nur bei wenigen Aufgaben Probleme haben. Das Schwierige liegt tatsächlich in der Welt, denn der Spieler hat permanent das Gefühl, einen Hinweis oder ein Rätsel zu verpassen. Die Umgebungen sind zwar oft weitläufig, teilweise dürfen die Entdecker aber zu wenig interagieren, worunter der Anteil des Gameplays leidet. Abseits von wenigen Trophäen gibt es auch kaum Gründe, das Spiel ein weiteres Mal durchzuspielen. Zwar motiviert die Geschichte ungemein, ein wenig mehr zum Entdecken wäre aber doch schön gewesen.

Technik

Optisch hat das kleine Entwicklerstudio phänomenale Arbeit geleistet. Die Landschaften sehen unfassbar toll aus und verleiten dazu, einfach in der Gegend stehen zu bleiben und sich alles anzuschauen. Gerade deshalb ist die verhältnismäßig leere Welt auch akzeptabel, denn durch die Grafik und die grandiosen Umgebungen hat der Spieler nie das Gefühl, in einer leblosen Umgebung zu wandern. Hinzu kommt, dass es nur vor dem Spielstart eine lange Ladezeit gibt, die bis zu einer Minute dauern kann. Anschließend lassen sich im Spiel keine Ladezeiten mehr ausmachen, weshalb man tatsächlich das Gefühl hat, in einem großen, zusammenhängenden Ort zu sein.

Auch der Ton weiß restlos zu überzeugen und fesselt mit unheimlichen Geräuschen und wunderbaren Melodien. Die Sprecher leisten zudem einen erstklassigen Job, sowohl in der englischen, als auch in der polnischen Vertonung. Was das kleine Studio hier geschaffen hat, ist tatsächlich bemerkenswert und verdient Respekt.