Seit 2017 existiert das russische Studio Mundfish und wurde seinerzeit gegründet, um die Vision eines Spiels zu verwirklichen, das es, nach eigenen Worten der vier Gründer, mit solchen Klassikern wie „Bioshock“, „Fallout“ und „DOOM“ aufnehmen sollte. Rund sechs Jahre später erblickt das Projekt namens „Atomic Heart“ das Licht der Welt und muss sich nun unter anderem an diesen Worten messen. Ob mit dem Erstlingswerk des Studios gleich der große Wurf gelingt, klärt unser Test.

Eine alternative Sowjetunion

Das Spiel erzählt die Geschichte einer alternativen Realität im Jahr 1955. Die Sowjetunion hat sich zur Großmacht gemausert und hat dies vor allem dem enormen Fortschritt hinsichtlich der Robotik zu verdanken, für dessen Ursprung sowjetische Wissenschaftler verantwortlich sind. So gelang es den Forschern der UdSSR, einen Großteil der Gesellschaft mit Maschinen zu ersetzen, um das Leben der Menschen so angenehm wie möglich zu machen. Roboter sind quasi überall: egal ob als Holzfäller, DJ oder Kindermädchen - aus dieser Version der Realität sind die Maschinenmenschen nicht mehr wegzudenken. Doch all der schöne Schein trübt, denn als ein Update des neuronalen Netzes Kollektiv 2.0, das den Verstand aller Menschen verbinden soll, schiefläuft, wenden sich die Blechdosen gegen ihre Schöpfer. Als Spielerin oder Spieler schlüpft man in die Rolle des Agenten P-3, dessen Aufgabe es ist, die Hintergründe des plötzlich böswilligen Verhaltens aufzudecken. Ausgerüstet mit allerlei Baller-Utensilien und dem KI-Handschuh Charles, beginnt der Kampf gegen die Roboterhorden.

Abgefahren!

Ist hier nicht etwa der letzte Regionalexpress, sondern die Spielwelt von „Atomic Heart“. Noch bevor das Spiel mit dem missglückten Update so richtig los geht, hat man zuvor die Möglichkeit, den noch friedlichen Kosmos kennenzulernen. Und da wird man aus dem Staunen so schnell nicht rauskommen. Zu beeindruckend sind die riesigen Gebäude, die Umgebungen und vor allem die unterschiedlichsten Maschinen und Roboter, auf die man trifft. An der einen Ecke serviert ein Roboter Eis, ein anderer putzt die Eingangstüren besagter Gebäude und am Himmel schwirren zahlreiche Drohnen herum. All das was hier auf einen einwirkt, weiß wirklich zu faszinieren. Überhaupt ist die Spielwelt eine Stärke von „Atomic Heart“, die sich durch das gesamte Werk trägt, obgleich sie im Verlauf nie wieder so stark präsent ist wie zu Beginn des Spiels.

Schrott zu Schrott

Spielmechanisch ist „Atomic Heart“ ein klassischer Shooter mit zarten Rollenspiel-Elementen. Zu Beginn des Spiels haut man noch mit einer Axt um sich, während man im Verlauf weitere Waffen freischaltet, die interessant aber nicht ganz so außergewöhnlich sind, wie man es erwarten könnte. Hat man schon den ein oder anderen Genrevertreter in den letzten Jahren gespielt, wird man vom Arsenal kaum überrascht sein. In die Welt passen die Schießeisen aber definitiv.

Natürlich soll es nicht bei der Standardausrüstung bleiben und so bietet das Spiel auch ein Craftingsystem. An Automaten namens Nora lassen sich sowohl Waffen als auch andere Gegenstände wie Munition und Heilkapseln fertigen. Obendrein dienen die „roten Kühlschränke“ als Hub, um die Fähigkeiten des Handschuhes und die eigenen zu verbessern. Hat man das Prozedere erstmal verstanden, ist das Verbessern der Waffen und Co. durchaus interessant. Schön ist insbesondere, dass einem die Orte der Blaupausen, also die Baupläne für neue Waffen, genauso angezeigt werden, wie die dafür benötigten Materialien. Die Option des Zerlegens nicht mehr gebrauchter Hilfsmittel sorgt außerdem dafür, dass Ressourcen nicht unnötig verschwendet werden. Hat man zum Beispiel in eine Waffe investiert, die einem nach einer Weile nicht mehr zusagt, kann man sie kurzer Hand auseinander nehmen und die entstandenen Materialien anderweitig verwenden.

„Atomic Heart“ besitzt demnach kein eigenes Levelsystem. P-3 wird nur durch Verbesserungen der Waffen und der besagten Fähigkeiten stärker. Dabei unterstützt einem an vorderster Front Charles. Dessen Fähigkeiten reichen nämlich von Telekinese über Schilde bis hin zu Gefrierstrahlen.

Ballern, rätseln, erkunden, ballern

Durch die bereits erwähnten Fähigkeiten ergibt sich ein recht interessanter Gameplayloop. Das Bekämpfen der Gegner geschieht nämlich häufig nicht nur durch reines Schießen oder dem Nahkampf, sondern in Kombination mit den Fähigkeiten des Handschuhes. Dabei spielen mitunter auch die Elemente eine Rolle, kann man seine Waffen doch mit Elementkartuschen ausstatten und so auf spezifische Schwächen der Widersacher reagieren.

Die Kämpfe selber sind dann aber wiederum nicht wuchtig genug. Das Gunplay haut einfach zu wenig rein und ist weit von einem brachialem „Doom“ oder wuchtigem „Wolfenstein“ entfernt. Auch lässt es einiges an Tiefe vermissen. So fehlt das Blocken genauso wie ein echter Konter im Nahkampf. Darüber kann dann auch das mickrige Ausweichmanöver, das P-3 beherrscht, bei weitem nicht hinwegtäuschen. Auch das Trefferfeedback und die Reaktionen der Gegner ergeben keine richtig runde Sache. In Sachen Gegnervielfalt gibt es ähnlich Ernüchterndes zu berichten, bietet das Spiel doch gerade Mal rund 15 verschiedene Gegnertypen plus nicht allzu viele Bosse. Letztere sind aber von ihrer Optik und vom Ideenreichtum her recht beeindruckend, wenngleich die Kämpfe gegen diese auch nicht nur das Gelbe vom Ei sind.

Abseits der Gefechte bietet „Atomic Heart“ allerlei Rätsel. Dabei reicht die Spannweite von kleinen Schlösserrätseln bis hin zu raumfüllenden Einlagen, die zum Beispiel Magnetismus zum Thema machen. Auch kleinere Plattformpassagen kommen zum Einsatz. Insgesamt bereichern sie das Spielerlebnis auf jeden Fall, bringen sie doch hier und da eine frische Brise in das Geschehen.

Open Hub

Hier und da waren im Vorhinein des Erscheinens des Spiels Vergleiche zu „Far Cry“ im Bezug auf die Thematik Open World zu lesen. Hiervon kann aber ganz und gar nicht die Rede sein. Das ist aber auch nicht schlimm, man sollte nur nicht eben solch eine erwarten. Stattdessen fungiert der offene Bereich des Spiels vielmehr als Oberwelt, die die einzelnen Storyabschnitte miteinander verbindet. Somit gibt es übrigens auch keine Sammelobjekte, Nebenquests und Co. – wie erfrischend. Dennoch: ein klein wenig mehr Leben hätte man der Hubwelt ruhig einhauchen können. Für Erkundungstouren reicht das nämlich auf gar keinen Fall und auch der Glanz der ersten Spielstunde kommt in diesem offenen Bereich nicht so recht auf. Steile These: hätte es diesen Bereich im Spiel nicht gegeben, wäre wohl niemand so recht traurig.

Humor?

Neben den genannten Funktionen des Handschuhes, die einem das Leben in „Atomic Heart“ vereinfachen, fungiert der technisch hoch versierte Handwärmer auch als Sidekick. Was Anfangs noch recht erfrischend wirkt, driftet dann aber zunehmend in plumpe Effekthascherei ab. So werden die Sprüche schnell all zu flach und treffen sicher nicht jedermanns Humor. Ab und an tragen die Gespräche aber zum World Building bei, auch wenn sie immer wieder im Kampfgeschehen unter gehen. Fast schon geschmacklos und nervig ist dahingegen der bereits erwähnte Crafting-Automat Nora. Diesem scheint man nämlich seitens der Entwickler einen sexsüchtigen Charakter verschafft zu haben, der sich P-3 förmlich aufzwingt. So fallen dann immer wieder Sätze wie der folgende und dieser gehört noch zu den harmlosen: „Ich liebe es, wenn du wütend wirst! Ja! Ja! Mach mich fertig! Bestrafe mich! Ich war ein böses Mädchen und habe noch einen fiesen Widerling aufgeknüpft!“ Den spielerischen Mehrwert erkennen wir hierin so gar nicht, stattdessen versucht man jene Situation so schnell wie möglich zu beenden. Obendrein geizt das Spiel so gar nicht mit sexuellen Anspielungen, die weder wirklich nötig noch durch die Story in irgendeiner Weise legitimiert werden. Das ist umso bedauerlicher, weil es auch die Ernsthaftigkeit der gesamten Welt in Frage stellt.

Inszenierung ist alles?

Im Videospielbereich sicher nicht ganz, aber wenn Mundfish etwas wirklich richtig gemacht hat und offensichtlich kann, dann ist es der Artstyle dieses Spiels. Beim Spielen wird hier auf jeden Fall kein Auge müde und wenn doch, lag es sicher nicht an der Szenerie die sich einem hier bietet. Technisch hat uns das Spiel auf der PlayStation 5 kaum Probleme bereitet. Hier und da gab es aufploppende Gegenstände und etwas ruckelige Gabelstaplerrobos, nichts was das Spielgeschehen groß beeinträchtigte. Unsere Eindrücke entstammen hier der Pre-Release-Version ohne Day One-Patch. Abgerundet wird das inszenatorische Erlebnis übrigens mit einem hervorragenden Soundtrack, der auch durch Mick Gordon (u.a. „Doom“ & „Prey“) unterstützt wurde.

Unseren Test gibt es auch als Podcast: