Das ist es also: „Assassin’s Creed Unity“ und somit das erste Spiel der Reihe, das von Grund auf für die neue Konsolengeneration entwickelt wurde. Viel hat man sich vorgenommen: Die größte, detailreichste und zudem belebteste Spielwelt in der Geschichte der Reihe. Obendrein kommt ein Koop-Modus für bis zu vier Spieler und nebenbei möchte man mit der Französischen Revolution eines der wichtigsten Ereignisse der europäischen Geschichte einfangen. Ob man sich da nicht etwas viel vorgenommen hat?

Rache, Rache und schon wieder Rache

Mit „Assassin’s Creed Unity“ entführt Ubisoft uns also in die Zeit der Französischen Revolution. Schipperten wir in „Black Flag“ zuletzt durch die Karibik, dürfen sich Landratten darüber freuen, dass man wieder festen Boden unter den Füßen spüren darf. So sehr mir „Black Flag“ auch gefiel, ist es schön zu sehen, dass „Assassin’s Creed“ wieder näher zu seinen Ursprüngen zurückkehrt: Eine Stadt mit eng beieinander liegenden Häuserdächern und hohen Türmen, die sich wunderbar zum Klettern eignen. Protagonist ist der wortgewandte Arno, der als Kind Zeuge wird, wie sein Vater kaltblütig durch einen Templer ermordet wird. Durch eine Verkettung unglücklicher und tragischer Ereignisse schließt sich Arno den Assassinen an, um sich zu rächen.

Ja, es ist wieder Rache, als wäre dieses Motiv nicht schon bis auf die Erde abgegrast. Eine originellere Geschichte ist dringend wünschenswert, denn in dieser Hinsicht scheint die Reihe in der Zeit stehengeblieben zu sein und liefert immer wieder die gleichen stereotypischen Charaktere und Beweggründe. Die wenigen Wendungen und Überraschungen sind somit leider schon frühzeitig vorhersehbar. Am Ende kratzt „Unity“ gerade noch so die Kurve und schafft es, der Geschichte und seinen Figuren ein rundes Ende zu geben.

Im Hintergrund läuft die Französische Revolution

Viel mehr stört mich aber, dass die Ereignisse der Französischen Revolution zu kurz kommen. Erst im letzten Drittel wird eine direkte Verknüpfung zwischen Arnos Rachefeldzug und den historischen Ereignissen geknüpft. In dieser Hinsicht liefern die Nebenmissionen wesentlich bessere Arbeit. Hier trifft man auf bekannte Gesichter der französischen Geschichte und darf beispielsweise Madame Tussauds dabei helfen ihre Totenmasken herzustellen. Auch andere Berühmtheiten finden in den Nebenmissionen ihren Platz, während sie in der Haupthandlung bloß kurz vorgestellt werden und danach nicht wieder auftauchen.

Machen wir uns nichts vor, die Erzählweise war noch nie eine Stärke von „Assassin’s Creed“. Dennoch konnten die Vorgänger bessere Bezüge zu ihrem historischen Kontext knüpfen. In „Assassin’s Creed Unity“ wirkt es lange Zeit eher so, als ginge es hier um eine plumpe Rachegeschichte, die vor dem Hintergrund der Französischen Revolution spielt.

Verschiedene Lösungswege für ein Attentat

Missionstechnisch darf man wieder nicht allzu viel erwarten. Die Abläufe sind linear wie eh und je und erstrecken sich von Verfolgungsmissionen bis zu Sammel-Quests. Einige davon sind immerhin nett inszeniert, wie beispielsweise die Verfolgung eines Heißluftballons oder die Flucht aus einem explodierenden Waffenlager. Der Großteil der Missionen gerät aber aufgrund ihrer Eintönigkeit schnell in Vergessenheit. Ein Highlight sind da eher die Attentats-Missionen, die verschiedene Lösungswege bieten. Grundsätzlich kann man einfach sein Ziel aufsuchen und versuchen, sich an den Wachen vorbeizuschleichen. Wesentlich intelligenter ist es aber, sich vorher genau umzusehen und Ablenkungsmöglichkeiten oder Geheimwege ausfindig zu machen. Stiehlt man einer Wache beispielsweise erst einen Schlüssel und befreit die wutentbrannten Gefangenen, sorgen diese für eine wunderbare Ablenkung. In einer anderen Mission kann man sein Attentatsziel mit einem vergifteten Wein unschädlich machen. Auch wenn man scheinbar freie Wahl hat, wie man eine Mission angeht, merkt man doch, dass „Unity“ den Spieler an die Hand nimmt und ihm offensichtliche Lösungswege durch Markierungen zeigt.

In Windeseile auf die höchsten Türme

Während die Geschichte und Erzählweise mit „Unity“ weiterhin festgefahren wirkt, hat Ubisoft den Generationswechsel als Anlass genommen, eingestaubte Mechaniken grundlegend zu überarbeiten. Das Parcours-System nimmt sich den Kletter-Passagen an und macht vor allem das Herabklettern von Gebäuden einfacher. Wie oft habe ich mich bei früheren „Assassin’s Creed“-Spielen geärgert, dass mein Assassine nicht so wollte wie ich. Das Ergebnis war, dass ich versehentlich von der Spitze eines Turms in den Tod sprang und im schlimmsten Fall eine Mission von vorne starten musste.

In „Unity“ aber kann ich es an einer Hand abzählen, wie oft mir so ein Malheur passiert ist. Mit dem Parcours-System kann man per Knopfdruck bestimmen, ob man nach oben oder unten klettern möchte. Mit gedrückter Kreis-Taste schwingt sich Arno lässig und sicher auch an den höchsten Gebäuden herunter, ohne sich dabei einen Kratzer zu holen. Das gleiche funktioniert auch wunderbar in die andere Richtung. Hat man sich in vergangenen Spielen gerne mal gequält, auf einen Turm zu klettern, geschieht dies in „Unity“ in Rekordzeit. Wer noch mit dem alten Klettersystem vertraut ist, benötigt etwas Eingewöhnung, findet sich aber nach kurzer Zeit gut zurecht und lernt das Parcours-System zu schätzen.

Schleichen statt Hau-Drauf-Methode

Auch dem schon immer in „Assassin’s Creed“ schwächelnden Kampfsystem hat man sich angenommen. Ziemlich unspektakulär und viel zu einfach, gab es nie großen Grund, bedacht und schleichend eine Mission anzugehen. Mit dem Konter-Angriff war es immer ein leichtes seine Gegner auszuschalten. In „Unity“ wurde der Konter aber entfernt und durch ein Parier-System ersetzt. Mit dem richtigen Timing können Angriffe zwar abgewehrt und Gegner zurückgeschlagen, aber nicht durch einen einzelnen Hieb getötet werden.

Wer bisher immer die Hau-Drauf-Methode angewandt hat, wird daher umdenken müssen. Glücklicherweise hat auch das Schleichsystem einen neuen Anstrich spendiert bekommen. „Unity“ bedient sich bei „Splinter Cell“ und zeigt Gegnern bei Blickkontakt den letzten Aufenthaltsort in Form einer durchsichtigen Silhouette an. Was bereits in „Splinter Cell“ gut funktioniert hat, fügt sich auch in „Unity“ nahtlos ein. So ist es möglich, Feinde bewusst anzulocken als auch zügig in ein sicheres Versteck zu flüchten. Beibehalten wurde die Möglichkeit, sich in den Menschenmassen zu verstecken, was in „Unity“ aber zum ersten Mal richtig Sinn ergibt. Schaut man sich „Assassin’s Creed II“ an, wo man sich in einem Grüppchen von maximal fünf Personen versteckte, erscheint es in einem Pulk von dreihundert Aufständischen wesentlich realistischer, dass die Wachen Arno aus dem Blick verlieren.

Verbündet euch!

Eine gänzlich neue Komponente in „Assassin’s Creed Unity“ ist der Koop-Modus für bis zu vier Spieler. Hierfür wurde der bislang enthaltene kompetitive Modus restlos gestrichen, der ohnehin immer stark aufgesetzt wirkte. Gemeinsam kann man in der offenen Welt von „Assassin’s Creed“ verschiedene Koop-Missionen angehen oder einfach nur Paris erkunden und auf den Kopf stellen. Zwar sind die Ereignisse der Koop-Missionen nicht direkt relevant für die Haupthandlung, aber schildern viele Zwischenereignisse. Spielt man bloß die Hauptmissionen, werden Zeitsprünge auffallen, die durch die Ereignisse in den Koop-Missionen gefüllt werden.

Wer ohne oder nur mit einer schlechten Internetverbindung dasteht, braucht sich keine Sorgen zu machen: Die Koop-Missionen lassen sich auch vollständig alleine spielen. Gemeinsam hat man aber klare Vorteile gegen die erhöht aufkommenden Gegner. Auch ohne viel Kommunikation ergänzt man sich mit seinen Verbündeten, hält dem anderen den Rücken frei oder teilt sich auf, um eine Etage von Gegnern zu befreien. Momente, in denen man mit einem Luft-Attentat seinem Verbündeten aus der Patsche hilft, fühlen sich besonders cool an. Soweit es sich vor dem offiziellen Start der Server prüfen ließ, war die Verbindung trotz Mitspielern aus den Staaten überraschend konstant und der Spielfluss flüssig. Gemeinsam mit Freunden in einer Party sollte es aber ohnehin nicht zu großen Problemen kommen. Da das Spielprinzip genauso funktioniert wie im Singleplayer, stellt man sich die Frage, ob „Assassin’s Creed“ nicht schon immer das prädestinierte Koop-Spiel gewesen ist. Zumindest in „Brotherhood“ konnte man schon vom Computer gesteuerte Assassinen-Verbündete herbeirufen. Eine komplett im Online-Koop spielbare Kampagne wäre nach dem gelungenen Koop-Modus nur der nächste logische Schritt.

Zwischen den Generationen

„Assassin’s Creed Unity“ stellt sich selbst den Anspruch, die bislang beste Inszenierung der Reihe abzuliefern. Das Schloss Versailles zur Blütezeit Paris besticht durch beeindruckende Lichteffekte und Spiegelungen in den auf Hochglanz polierten Böden. Wenn in Arnos Erinnerungen Häuserwände einstürzen, der Boden vor ihm wegbricht und berstendes Holz und Glassplitter durch die Luft fliegen, merkt man, wozu „Unity“ in seinen besten Momenten in der Lage ist. Das sind die Momente, in denen „Unity“ sich vor einem cineastisch inszenierten „Uncharted“ nicht zu verstecken braucht und sein selbst gestecktes Ziel erreicht. Das sind dann allerdings auch die Vorzeigeszenen.

Über eine lange Strecke des Spiels darf man den vor Staunen offenen Mund wieder schließen und wird auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. „Unity“ erinnert dann optisch und inszenatorisch an seine Vorgänger und ist von seiner Bestform weit entfernt. Ich gehe davon aus, dass jemand mit wenig Technik-Verständnis oder Ahnung von Videospielen über lange Strecken von „Unity“ keinen großen Unterschied zum Vorgänger „Black Flag“ erkennen wird. Das durchwachsene Niveau der Missionen könnte damit zusammenhängen, dass insgesamt zehn Studios sich gleichzeitig um die Entwicklung von „Unity“ kümmerten. Gegen Ende rappelt sich das Spiel immerhin wieder auf und erreicht problemlos seine Maßstäbe aus den ersten Spielstunden.

Zu viel vorgenommen

Wer einmal über die Dächer von Paris springt und den Ausblick von der Spitze des Notre Dame genießt, merkt schnell, dass dies definitiv die größte und aufwendigste Stadt ist, die jemals in einem „Assassin’s Creed“ erkundet werden konnte. Die Gebäude sind unfassbar detailreich, nur selten hat man das Gefühl, dass eine Straße der anderen gleicht. Zudem lässt sich ein Großteil der Gebäude auch betreten und von innen erkunden, sodass die Spielwelt viel offener wirkt. Die gewaltigen Menschenansammlungen lassen andere Open-World-Spiele leblos und trist aussehen, auch wenn merklich an Gesichtern und Modellen der Pariser Bewohner gespart wurde, um dies zu bewerkstelligen. Viel enttäuschender ist aber, dass die Bildrate dieser Mammut-Aufgabe schlichtweg nicht Stand halten kann. In den ruhigeren Abschnitten von Paris läuft die Bildrate mehr oder weniger stabil. Kämpft man sich aber durch einen wütenden Mob protestierender Pariser, fällt die Bildrate rapide ab. Zwar nie in den absolut unspielbaren Bereich, aber unschön und ärgerlich ist es allemal. Eine Ausnahme stellt eine Kirchen-Szene dar. Obwohl man nichts anderes tut als an einer Wand entlang zu klettern und man weit und breit die einzige Figur ist, bleibt das Spiel fast stehen.

Doch auch an anderen Stellen läuft es unter der Motorhaube alles andere als rund. Dass die „Assassin’s Creed“-Spiele nie ganz frei von Bugs waren, ist kein Geheimnis, aber „Unity“ stellt einen traurigen Rekord an kuriosen Fehlern auf. Seien es verlorengegangene Texturen, fehlende oder zu laute Sound-Effekte, aufpoppende Figuren, nicht reagierende KI, Abstürze nach dem Speichern, falsch ausgelöste Events oder Benachrichtigungen, die nicht ausgeblendet werden – „Assassin’s Creed Unity“ bietet so ziemlich alles an Spielfehlern, was man sich vorstellen kann. Ein Day-One-Patch steht bereits zur Verfügung und Ubisoft wird in den nächsten Wochen noch einige Stellschrauben nachziehen und Patches veröffentlichen. Dennoch hat sich Ubisoft für sein erstes PlayStation 4 und Xbox One exklusives „Assassin’s Creed“ schlichtweg zu viel vorgenommen und in technischer Hinsicht ordentlich in den Sand gesetzt.