Kaum eine Reihe ist zugleich so perfekt und unperfekt wie „Earth Defense Force“. Obwohl die Spiele in Japan sehr erfolgreich sind, konnte die Faszination nie den Westen erreichen, auch wenn „Earth Defense Force 5“ den Serienrekord brechen wird. Völlig überraschend wurde 2017 „Earth Defense Force: Iron Rain“ angekündigt, das vor allem für Spieler in Amerika und Europa gestaltet wurde. Dahinter steht ebenso überraschend das japanische Entwicklerstudio Yuke’s, das seit 2013 ausschließlich an den „WWE 2K“-Spielen gearbeitet haben. Noch nie hat mich ein Spiel dermaßen verwirrt, noch nie hat mich ein Spiel dermaßen abgeschreckt in den ersten Stunden – und noch nie hat sich meine Meinung zu einem Spiel nach einigen Stunden dermaßen geändert, wie bei „Earth Defense Force: Iron Rain“.

Metall vom Himmel

Bereits die Prolog-Mission macht deutlich, dass ein völlig anderer Ton verfolgt wird. Die Farben sind dunkel und realistisch, während die gigantischen Ameisen so ekelhaft aussehen, wie noch nie zuvor. An dieser Stelle wir nicht einmal übertrieben, denn jede der Kreaturen ist dermaßen ekelhaft detailliert, dass man einen Schauer spürt, sobald eine riesige, pelzige Spinne vom Himmel fällt und mehrere kleinere Artgenossen gebärt. Anfangs sieht man davon dennoch wenig, denn die Invasion der Aliens fordert ihre Opfer, und der Spielercharakter kann nur durch einen glücklichen Zufall die Menschheit retten.

Die Folge: Sieben Jahre lang liegt der Held im Koma und verpasst einige wichtige Ereignisse. Da wären zum Beispiel die Rebellen, deren erster Anschlag die Menschheit zerrüttete. Natürlich sind auch die Insekten weiterhin eine Bedrohung, denn die Aliens nutzen sogar menschlichen Technologien gegen sie. Das alles erfährt der Spieler nach dem Zeitsprung in kleinen Unterhaltungen des neuen Teams, in dem der Held landet. Die Geschichte nimmt sich glücklicherweise nicht allzu ernst und die Dialoge sind überraschend verrückt geraten. Selbst Anspielungen auf die letzten Jahre des Entwicklerstudios sowie die Zielgruppe dürfen nicht fehlen, was eine Tatsache unterstreicht: Es handelt sich weiterhin um einen „Earth Defense Force“-Titel. Gleichzeitig bietet die Geschichte interessante Ansätze, die Macher wollten sich aber nicht zu weit von den Wurzeln entfernen, weshalb man seine Ansprüche zurückschrauben sollte.

Der eigene Held

Erstmals in der Geschichte der Reihe darf der Spieler seine Figur komplett Anpassen. Vom Gesicht über die Rüstung sind zahlreiche Optionen verfügbar, was definitiv seinen Charme hat. Es macht deutlich mehr Spaß, seinen Helden im Laufe der Kampagne optisch anzupassen, als sich mit den Vorlieben der Entwickler zu begnügen. Allzu große Vielfalt sollte auch hier niemand erwarten, es bleibt aber ein schöner Bonus, der beweist, welche Vorteile die Neuausrichtung mit sich bringt.

Klassisch außergewöhnlich gewöhnlich

Was die Steuerung anging, fühlte sich selbst „Earth Defense Force 5“ befremdlich an. Springen auf L2? Zum Sprinten L3 gedrückt halten? All diese Eigenarten wurden für den düsteren Ableger entfernt, stattdessen wird sich jeder direkt vertraut fühlen, der in den vergangenen Jahren einen Third Person Shooter gespielt hat. Per R2 wird geschossen, während L2 das Zielen dank Zoom vereinfacht. Der Stick muss nur kurz reingedrückt werden, damit gerannt wird, während X zum Springen und Viereck zum Nachladen verwendet wird. Es fühlt sich komisch an, dieses Schema zu erklären, doch es stellt unter Beweis, dass die Reihe dringend eine Anpassung benötigte, damit sich die angepeilte Zielgruppe mit den Mechaniken vertraut fühlt.

Kleine, aber gute Anpassungen

Natürlich dürfen auch einige Neuerungen nicht fehlen. Insbesondere das Nachladen wurde verbessert, denn wer bei einigen Waffen im richtigen Moment den Knopf erneut drückt, muss nur halb so lange warten, bis wieder abgefeuert werden kann. Das ist nicht bei allen Waffen der Fall, erhöht das Spieltempo aber enorm und lässt die Action selbst in diesen Momenten nicht pausieren.

Was die Waffen angeht, wurde ebenfalls einiges verändert. Anstatt diese zufällig auf dem Schlachtfeld zu finden, gibt es nun durch das Besiegen von Gegnern Energiekristalle in drei Farben. Um eine Waffe freizuschalten, müssen entsprechende Bedingungen erfüllt werden, doch auch dann muss man sie erst kaufen. Der Spieler braucht also nicht mehr hoffen, die richtige zu erwischen, sondern kann sie gezielt erlangen und somit viel schneller den eigenen Spielstil finden. Sowieso ist es unterhaltsam, seine Waffen regelmäßig auszutauschen, denn egal ob Sturmgewehr, Raketenwerfer, Laserwaffe oder mechanisches Schwert, alles spielt sich großartig und kann auf verschiedene Weisen auf dem Schlachtfeld genutzt werden.

Mehr als nur eine Rüstung

Noch viel Interessanter sind die Ausrüstungen. Anfangs stehen dem Spieler nur zwei Anzüge zur Verfügung, später kommt der bekannte Rest dazu. Schon der Trooper bringt seine Eigenheiten mit, denn per R1 wird ein Dash ausgeführt, der das rasante Ausweichen erleichtert. Dabei muss allerdings auf eine entsprechende Leiste geachtet werden, die sich zwar wieder auffüllt, wer sie leert muss allerdings länger warten, bis sich das Manöver wieder einsetzen lässt. Der Heavy Striker ist derweil eine robuste Einheit und kann einen Schild aktivieren, ist dafür aber extrem langsam.

Deutlich agiler wird es schon mit dem Jet Lifter, denn ein begrenztes Jetpack befähigt den Spieler, über die Schlachtfelder zu fliegen. Das ermöglicht zahlreiche Kampfoptionen, ein blitzschnelles Ausweichen ist dann allerdings ebenso unmöglich wie ein normaler Sprint, weshalb das Balancing perfekt bleibt. Die Prowl Rider-Klasse ist dadurch besonders, dass sie einen Greifhaken besitzt und dadurch fast schon wie Spider-Man an Gebäuden entlangschwingen kann. Ist die Landschaft derweil flach oder zerstört, schwindet der Vorteil genauso schnell, wie er gekommen ist. Und dann wäre da noch der Overdrive

Völlig überdreht, verrückt und fantastisch

Der Overdrive ist die vielleicht interessanteste Neuerung. Einmal pro Mission darf der Spieler beide Sticks reindrücken, um für eine kurze Zeit völlig Übermächtig zu werden. Nicht nur jede Waffe wird deutlich schneller abgefeuert, auch das Nachladen erfolgt nahezu ohne Wartezeit. Sogar die entsprechende Leiste für die besonderen Fähigkeiten leert sich nicht mehr, es ist also zum Beispiel als Heavy Striker möglich, sich permanent zu schützen und dabei zahlreiche Raketen abzufeuern.

Anders sieht das bei dem Prowl Rider aus, denn dieser kann selbst ein gigantisches Insekt beschwören und anschließend steuern. Es ist extrem verrückt und gleichzeitig wahnsinnig unterhaltsam, per Knopfdruck Spinnenfäden zu verschießen oder zu sehen, wie kleinere Spinnen auf Gegner losgehen und vorher aus der großen Spinne kommen – Traumata sind Vorprogrammiert. Das entsprechende Insekt kann sogar vor der Mission ausgewählt werden. All das beweist, dass sich jede Klasse einzigartig spielt, dank Vor- und Nachteile wunderbar aufeinander abgestimmt wurde und tatsächlich dazu motiviert, zwischen den Missionen hin und her zu wechseln.

Enger gestrikt

Kommen wir nun endlich zu den Missionen, an die man sich erst gewöhnen muss. „Earth Defense Force: Iron Rain“ spielt sich nämlich in der Struktur insbesondere anfangs eingeschränkter. Selten ist es nötig, Strecken zu laufen, stattdessen bekämpft man die zahlreichen Insekten in recht kleinen Gebieten, deren Schlachtfeld man nicht verlassen darf. Dadurch wird es eher zum Fokus, die begrenzte Fläche auszunutzen, statt von Punkt zu Punkt zu laufen. Das hat seine Vorteile, denn die Spieler müssen strategischer agieren, die Eigenheiten der Kulissen ausnutzen und sich vor allem nicht umzingeln lassen. Passenderweise sind die Ortschaften ziemlich vielfältig, denn egal ob in einem Wald, in der Stadt oder in der Wüste, jeder Schauplatz ermöglicht andere Spielweisen – fast immer darf man die Orte auch völlig zerstören.

Die Struktur bedarf aber für Serienfans eine Eingewöhnungszeit. Das Spielprinzip fühlt sich nämlich nicht selten eingeschränkt an und die Dynamik, die das Missionendesign der Hauptreihe etabliert hat, wird stellenweise umgeworfen. Natürlich geht es noch immer darum, unzählige Kreaturen zu vernichten, deren Anzahl ist meist allerdings geringer und damit wirkt das Chaos kontrollierbarer, obwohl man sofort stirbt, wenn man die Lage unterschätzt. Hier wird kein schlechteres oder besseres Gamedesign etabliert, sondern ein neues mit einem eigenen Reiz. Und genau das soll das Spiel auch ausmachen, denn obwohl das Grundprinzip des Arcade-Shooters bestehen bleibt, handelt es sich nicht einfach um „Earth Defense Force“ in grau.

Zu groß gibts nicht

Sobald das Spiel in den ersten Missionen bewiesen hat, dass es eine eigene Identität verfolgt, entfalten die Macher dann auch ihre Ideen. Neben den normalen Insekten und ihren Varianten tauchen plötzlich menschliche Gegner auf, die Energiekristalle stehlen wollen. Oder eine Basis wird von einem unzerstörbaren Roboter angegriffen, während man sie so gut es geht verteidigt. Spätestens, wenn eine Gozilla-ähnliche Kreatur durch den Wald läuft und gegen ein riesiges Raumschiff kennt wird deutlich, wie gigantisch und ideenreich die einzelnen Missionen sein können. Es ist sogar regelrecht episch, wenn man plötzlich selbst Kampfroboter steuern kann, obwohl es Sekunden vorher noch schien, als ob die eigene Gruppe dem Untergang geweiht wäre. Dabei ändert sich das Spielprinzip selten, denn alles zu vernichten, was sich bewegt, ist stets die Lösung.

Die Beine will man gar nicht zählen

Die optische Gestaltung wirkt erst befremdlich, gehört allerdings zu den weiteren Stärken von „Earth Defense Force: Iron Rain“. Die Insekten sehen schlicht bemerkenswert aus und überzeugen durch ihre Details, insbesondere, wenn sie in ihre Einzelteile zersetzt werden. Doch auch die anderen Feinde wirken durchweg beeindruckend und man ist ganz froh darüber, sich nicht vor jedem Wesen ekeln zu müssen. Wenn ein Käfer plötzlich anfängt zu brennen und auf den Helden in Hochgeschwindigkeit zurast wird weiter deutlich, dass sich die Macher trotz des düsteren Tons nicht zu ernst nehmen und genau wissen, dass die Verrücktheit der Reihe nicht fehlen darf, um den Spieler regelmäßig zum Lachen zu bringen.

Weniger beeindruckend sind die Fahrzeuge, die der Spieler nutzen darf, um schneller größere Distanzen zu überwinden. Hier fährt man plötzlich komplett mit dem linken Stick, was sich dann wieder weniger modern anfühlt und gerne überarbeitet werden darf. Sowieso ist es viel unterhaltsamer, mit den verschiedenen Rüstungen Auswege zu finden als schlichtweg in die langweiligen Fahrzeuge zu steigen und zu fliehen. Wer nicht aufpasst und umzingelt wird, ist zwar froh über diese Möglichkeit, allerdings wäre deutlich mehr drin gewesen, denn nützlicher Panzer sind selten vorhanden.

Action ohne Pause

Die spielerische Vielfalt kommt eher durch die zahlreichen Waffen, die sich stets unterschiedlich handhaben, sowie die Kombination der vielfältigen Gegner zustande. Obwohl sich die Missionen in ihren Zielen stark ähneln, motiviert „Iron Rain“ ungemein dazu, die nächste Herausforderung anzugehen. Glücklicherweise sind auch hier die Missionen nie zu lang geraten und bleiben kurzweilig, um immer mal wieder ein paar davon anzugehen. Zudem wird es niemals langweilig, dabei zuzusehen, wie gleich mehrere Hochhäuser durch eigene Aktionen oder gigantische Feinde ins sich zusammenbrechen. Hier werden wirklich Schlachtfelder geboten, und sobald man den Arena-Charakter der meisten Level akzeptiert, kann jeder sie für den Sieg ausnutzen.

Eine Ausnahme stellt bereits das erste Level in einer Höhle dar. Diese ist viel zu dunkel geraten und verwirrend aufgebaut, sodass man sich verirrt, ohne Hilfen zu erhalten, wohin es denn gehen soll. Selbst Pfeile an den Wänden sind nicht sonderlich nützlich dabei, sich zu orientieren. Spielerisch ist diese Mission nicht einmal besonders interessant, denn die Gegneranzahl ist klein und der Boss sehr unspektakulär. Dabei ist es eben das unterhaltsamste, alles in die Luft zu jagen.

Mehrspieler-Innovation?

Natürlich würden die Fans auf die Barrikaden gehen, wenn kein Mehrspieler-Modus vorhanden wäre. Egal ob im Splitscreen oder besser noch online, zu zweit wird es immer unterhaltsamer, die Missionen abzuarbeiten und sich auf den Schlachtfeldern abzusprechen. Das spricht nicht unbedingt für die einmal mehr mäßige KI, doch die ignoriert man gerne, wenn man mit einem Kumpel durch Insektenhorden ballert.

Es gibt erstmals sogar einen kompetitiven Modus, in dem die EDF gegen die Rebellion kämpft. Ziel beider Teams ist es, möglichst viele Energiekristalle zu sammeln und sie zur eigenen Basis zu bringen. Leider konnten wir diesen Modus vor der Veröffentlichung noch nicht ausprobieren, eine genauere Wertung folgt deshalb zu einem späteren Zeitpunkt.

Bekannte Probleme

Optisch macht „Earth Defense Force: Iron Rain“ einen großes Sprung, in Sachen Texturenqualität müssen allerdings einige Abstriche gemacht werden, zumindest was die Kulissen angeht. Im Vergleich mit anderen Spielen gibt es wenige Details, die Animationen der Gegner können abgehackt wirken und die Landschaften wirken spärlich. Das stört allerdings wenig, denn dank großer Gegnermengen und teilweise beeindruckenden Kreaturen hat man gar nicht die Zeit dafür, sich alles genau anzuschauen. Der neu gewählte Stil wirkt gut und obwohl die Verrücktheit ein wenig verloren geht, fasziniert das Gesamtbild und erzeugt eine wunderbare Stimmung.

Natürlich kann jedes Gebäude zerstört werden, was insbesondere dann spannend ist, wenn am Anfang noch eine heile Stadt das Schlachtfeld ergibt, nach zehn Minuten allerdings nur noch Ruinen übrig bleiben. Die Bildrate ist auch auf PlayStation 4 Pro akzeptabel und meist stabil, diverse Einbrüche in besonders chaotischen Situationen lassen sich aber nicht vermeiden. Im Vergleich zu den anderen Ablegern ist das noch immer gut, allerdings braucht die Reihe vielleicht noch eine Generation für die Perfektion. Ansonsten ist der Soundtrack etwas unspektakulär, hat aber auch seine unterhaltsamen Momente. Besonders die Synchronisation fängt den Geist der Reihe erneut wunderbar ein, denn obwohl sie diesmal so gut klingt wie noch nie, nehmen sich die Sprecher selbst nicht zu ernst und hören sich in genau den richtigen Momenten künstlich an, um den B-Movie-Charme einzubringen.