Supermassive Games konnte leider nach dem gigantischen Überraschungshit „Until Dawn“ die hohe Qualität nicht halten. Die VR-Ausflüge „The Inpatient“ sowie „Bravo Team“ überzeugten nur bedingt, während „Hidden Agenda“ die Fans spaltete. Nun soll es zurück zu alten Zeiten gehen, denn „The Dark Pictures Anthology: Man of Medan“ ist nicht nur der Auftakt einer Anthalogie-Serie, in der jeder Ableger für sich steht. Das Spiel ist auch die logische Fortsetzung von „Until Dawn“.

Junge Erwachsene auf hoher See

Nach einem Prolog, der den Spielern bereits zeigt, was für eine Art Horror sie erwartet, lernt der Spieler die fünf Protagonisten der Handlung kennen. Da wäre Alex, der selbstsichere Held, sowie seine Freundin Julia, die ebenso abenteuerlustig wie leichtsinnig ist. Ihr Bruder Conrad ist der große Draufgänger, Brad hingegen ist das genaue Gegenteil seines Bruders Alex und eher schüchtern. Die Gruppe möchte auf einem Tauchgang ein altes Wrack erforschen, was von Schiffskapitänin Fliss nicht unbedingt befürwortet wird, schließlich befürchtet sie, dass die amerikanische Gruppe in den Gewässern mit entsprechenden Traditionen bricht.

Die Gruppe ist die typische Ansammlung aus klischeehaften Horror-Charakteren, und genau das soll sie auch sein. Insbesondere Fliss kann sich als starke Heldin häufig beweisen, Conrad weiß derweil mit schleimigen Sprüchen jede Situation aufzulockern. Leider bleiben sowohl Alex als auch Julia sehr blass, schließlich ist deren Beziehung zugleich das einzige Charaktermerkmal, während Brads Wandel vom kleinen Bruder zum mutigen Retter keineswegs überzeugt. Die Ansammlung passt gut zu „Man of Medan“, an die Gruppe aus „Until Dawn“ kann sie aber nicht herankommen.

Das Geisterschiff

Natürlich verläuft nicht alles nach Plan, denn in der Nacht wird die Gruppe von Plünderern entführt, die nicht nur an einem Lösegeld, sondern auch einem Schatz interessiert sind, der sich auf einem alten Schiff aus der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg befindet – dieses kennt der Spieler bereits aus dem Prolog. Die Gruppe kann entkommen, teilt sich allerdings auf und versucht nun, einen Ausweg zu finden. Dabei kommt der Horror ins Spiel, denn die Macher bedienen sich an den herrlichen Klischees der Geisterschiff-Filme. Haufenweise Jumpscares, Leichen, die sich bewegen, sowie Räume, die sich verwandeln, gehören dabei zum guten Ton.

Wie gruselig „Man of Medan“ wirklich ist, muss jeder für sich entscheiden. Die sehr häufigen Jumpscares nutzen sich leider nach einigen Stunden ab und können weder überraschen, noch erschrecken. Viel besser ist da schon die eigentliche Kulisse, denn die engen Gänge sind düster, heruntergekommen und stets so gestaltet, dass sich der Spieler niemals sicher ist, was hinter der nächsten Ecke passiert. Die Atmosphäre macht hier eine Menge aus, auch wenn sich das Schiff in der letzten Stunde stark abnutzt. Selbst unterschiedliche Korridore sehen Szenerie-bedingt gleich aus, und Abwechslung sucht man vergebens. Das ist gerade deshalb so schade, weil „Until Dawn“ dank häufigen Szenenwechseln punkten konnte.

Der Spieler als Regisseur

Natürlich handelt es sich bei „Man of Medan“ nicht nur um einen Film, sondern ein interaktives Abenteuer. Der Spieler wechselt an vorbestimmten Punkten die Rollen und entscheidet fortan in Dialogen zwischen zwei Optionen, die manchmal nur einen Satz, manchmal die gesamte Handlung beeinflussen. Diese Momente haben es wahrlich in sich, schließlich kann es bereits Todesopfer geben, bevor die Gruppe die Ourang Medan betritt. Dabei hat das Team einmal mehr bewiesen, dass sie genau in diesem Punkt ihre Stärken auszuspielen wissen. Selbst nach dem Ende der vier bis fünf Stunden langen Geschichte möchte man zurück an den Anfang springen, um andere Entscheidungen auszuprobieren, die nicht nur in veränderten, sondern auch komplett neuen Szenen enden können.

Sobald das Geheimnis rund um das Geisterschiff gelüftet ist, verliert das Spiel glücklicherweise nicht seinen Reiz, denn die Gefahr für die Protagonisten bleibt stets bestehen. Zudem lohnt es sich, die Umgebungen genauestens zu erforschen, da es nicht nur häufig Hinweise gibt, die in einem Menü gesammelt werden, sondern auch Items, die zu einem späteren Zeitpunkt genutzt werden können. All diese Schlüsselmomente werden im Anschluss in einem entsprechenden Menü gespeichert, sodass der Spieler für den nächsten Durchlauf Hinweise erhält. Da das Spiel derweil nach jeder Aktion speichert, können Entscheidungen nicht rückgängig gemacht werden. Etwas fragwürdiger ist ein Menü, in dem Charaktereigenschaften sowie die Beziehung zwischen den Helden angezeigt wird. Diese Leiste hatte keine Auswirkungen auf unsere Abenteuer – deshalb sollte zumindest jeder wissen, dass sie nicht für jeden einen Effekt haben werden. Eine weitere Mechanik kommt aus „Until Dawn“ zurück, wer nämlich Bilder findet, darf sich kleine Vorahnungen anschauen, die kleine Ausschnitte aus möglichen Szenen zeigen. Diese helfen sogar manchmal bei Entscheidungen, aber lassen sehr viel Raum für Interpretationen.

Alte Probleme

Ein Graus ist leider die Steuerung. Zwar ist es weiterhin sehr unterhaltsam, mit dem rechten Stick die Taschenlampe zu bedienen, die Charaktere bleiben dafür ständig an Objekten hängen. Dabei steuern sich die Helden genauso wie in „Until Dawn“, aufgrund der viel engeren Szenerie ist der Toleranzbereich aber so gering, dass die Übersicht zu häufig darunter leidet. Dafür sind die Kamerafahrten derart großartig, dass man immer wieder vergisst, wer die Charaktere eigentlich kontrolliert. Auch ansonsten beweisen die Macher ein unfassbares Geschick in Sachen Cinematographie, die in Videospielen einzigartig bleibt. Einzig der Übergang zwischen den spielbaren und vorgerenderten Sequenzen ist nicht immer flüssig, das akzeptiert man allerdings gerne.

Ansonsten kehren auch die berüchtigten Quick Time Events zurück, die im Test zum Tod zweier Charaktere geführt haben. Die Macher bleiben also auch in ihrem neuesten Werk knallhart, vergessen dabei aber nicht diejenigen, deren Reaktionszeit deutlich kürzer ausfällt. Dank dem Optionsmenü lässt sich das Zeitlimit einiger dieser Einlagen abschalten, und auch das wiederholte Drücken kann entfernt werden. Leider bleibt die Schriftgröße der Untertitel zu klein – zumindest in Szenen, in denen die französische Sprache übersetzt wird.

Inakzeptabel?

Technisch ist „Man of Medan“ im aktuellen Zustand eine Katastrophe. Dabei sehen die Szenen großartig aus, sobald man sich einmal mit den altbackenen Gesichtsanimationen der Charaktere angefreundet hat. Leider gibt es selbst auf PlayStation 4 Pro immense Ruckler und es ist keine Seltenheit, dass das Spiel für mehrere Sekunden stehen bleibt. Das führt derweil auch dazu, dass der Ton nicht mehr synchron zur Szene verläuft. Spielerisch hat das bis auf eine Szene gegen Ende keinen Einfluss auf die Geschichte gehabt, doch dafür ist genau dann ein Charakter gestorben, weil die Einblendung zu spät erschien. Zumal solche Patzer in einem Spiel, das seine filmische Inszenierung in den Fokus stellt, nicht passieren dürfen.

Dennoch bleiben wir optimistisch, dass die Macher daran arbeiten werden – und da nichts davon den Spielspaß trüben konnte, sehen wir von einer Abwertung ab. Wer sich daran stört, darf jedoch einen Punkt abziehen. Die deutsche Synchronisation ist derweil in Ordnung, zumindest abgesehen von dem schrecklichen Prolog. Die Abmischung ist leider das größte Problem, denn manchmal reden einige Charaktere in normaler Lautstärke, um daraufhin eine Antwort zu erhalten, die deutlich leiser als die Hintergrundgeräusche ist. „Man of Medan“ hätte mehr Feinschliff dringend benötigt und man muss hoffen, dass die Macher im nächsten Ableger nicht nur mehr Zeit dafür einplanen, sondern auch hier nacharbeiten.

Alternatives Erlebnis

Der Mehrspieler-Modus ist derweil nett, aber nicht unbedingt die beste Methode, die Geschichte zu erleben. In der Gemeinsamen Story darf man das Abenteuer zusammen erleben und steuert in entsprechenden Szenen mitunter den Charakter, der ansonsten vom Computer übernommen wird. Tatsächlich erleben die Spieler manchmal sogar komplett andere Szenen, wenn sich die Truppe aufteilt – das führt aber auch dazu, dass entsprechende Informationen fehlen, die man ansonsten in einem einzigen Durchlauf als Spieler erhält. Wer die Geschichte also in dieser Form spielen möchte, sollte die Handlung bereits kennen. Der Filmabend ist derweil kaum der Rede wert, denn hier wird lediglich der Controller weitergereicht, wenn ein neuer Charakter gesteuert wird. Netterweise ist das ein komplett eigenständiger Modus, mit eigenen Spielständen.