Kaum ein Horror-Film hat für derart viel Gesprächsstoff gesorgt wie „The Blair Witch Project“. Sogar drei Videospiele erschienen im Laufe der Jahre, deren Qualität allerdings unterirdisch war. Nun hat sich Bloober Team, bekannt durch „Layers of Fear“, an eine Adaption der berühmten Geschichte rund um den Black Hills Forest gewagt. Kann „Blair Witch“ dabei aber auch mit der bestechenden Atmosphäre überzeugen oder lässt sich der Horror vor lauter Bäumen nicht sehen?

Der vermisste Junge

Die Geschichte spielt Jahre nach dem ersten Film. Der Spieler schlüpft in die Rolle von Ellis Lynch, der sich einem Suchtrupp anschließen will. Ein Junge ist nämlich im berüchtigten Wald verschwunden, doch da Ellis zu spät zur Suchaktion kommt, muss er alleine mit seinem Hund Bullet auskommen. Schnell wird deutlich, dass Ellis Polizist ist, doch weder seine ehemalige Freundin noch sein Chef sind wirklich froh darüber, dass er sich an der Suche beteiligt. Bereits in der ersten Stunde geben Rückblenden Hinweise auf eine düstere Hintergrundgeschichte, die den sehr unsympathischen Ellis zu einem deutlich tiefgründigeren Charakter macht, als es zunächst den Anschein hat.

Die Geschichte überzeugt allen voran durch ein starkes Skript. Die Dialoge wirken unbehaglich, doch dafür gibt es Gründe, die erst im späteren Verlauf geklärt werden. Besonders Ellis geistiger Zustand wird erstklassig dargestellt und beißt sich auf eine spannende Weise mit den übernatürlichen Elementen der Reihe. Diese orientieren sich allen voran an dem neuesten „Blair Witch“-Film und funktionieren gerade deshalb so gut, weil Ellis sich als Charakter entwickeln muss. Leider ist das Pacing nicht unbedingt geglückt, sodass es innerhalb der fünf Stunden immer wieder zu längeren Pausen kommt, in denen die Geschichte nur schleppend vorangeht. Wenn dann aber die Wendungen und Erklärungen erreicht werden, wird jeder Spieler gefesselt.

Ein lebendiger Wald

Der eigentliche Star ist aber der Wald selbst, der wortwörtlich eine dichte Atmosphäre erzeugt. Sobald es dunkel wird und Ellis auf seine Taschenlampe angewiesen ist, fühlt man sich ständig beobachtet und unsicher, sodass sich dauerhaft ein unbehagliches Gefühl ausbreitet. Genau so muss ein Horror-Spiel funktionieren, denn auch ohne Ereignisse gruselt man sich so gerne. Das liegt auch an der erwähnten Dichte, denn sobald sich ein Baum bewegt, glaubt man, dort etwas gesehen zu haben, selbst wenn dem nicht so ist. Das Spiel verzichtet glücklicherweise auf die nervigsten Jumpscares, denn die, die eingesetzt werden, passen zur Szene, anstatt den Spieler lediglich zu erschrecken.

Bullet ist ein guter Junge, der beste Junge

Nun ja, es gibt noch einen zweiten Star, der das genaue Gegenteil bewirkt. Mit Bullet bringt Ellis nämlich seinen Hund mit, der zugleich Polizei- und Therapie-Hund ist. Bullet kann auf Befehl Spuren suchen, den richtigen Weg finden und Ellis anbellen, wenn er sich verläuft. Das muss natürlich belohnt werden, denn wer sich nicht gut um den Hund kümmert, löst damit eins der schlechten Enden aus, von denen es mehrere gibt. Durch Bullet fühlt man sich sicher, was es umso schlimmer macht, wenn er aufgrund von Ereignissen manchmal verschwindet und Ellis alleine lässt. Die Interaktion wird plötzlich zum zentralen Spielelement und erzeugt eine Bindung, die man im Vorfeld nicht erwarten würde. Lediglich die KI ist nicht die schlauste, sodass der Hund sich gerne an Büschen aufhängt.

Zudem hilft Bullet bei den Kämpfen. Manchmal tauchen nämlich bekannte Monster auf, die mit der Taschenlampe einige Male angeleuchtet werden müssen, damit sie verschwinden. Bullet bellt sie an, sodass der Spieler sich an seinen Partner halten muss, um die Position auszumachen. Leider entpuppt sich das als äußerst lästig, denn Bullet bewegt sich gerne schnell, und auf ihn zu achten wird wichtiger als die Umwelt zu beobachten. Insbesondere, wenn er an ungünstigen Positionen stehen bleibt, folgen einige Tode, die dank Checkpoints zum Glück nicht für zu viel Frust sorgen. Da die Kämpfe stets identisch ablaufen und lediglich Blockaden als interessante Hürden darstellen, freut man sich, sobald man sie endlich hinter sich lassen kann. Hier wäre mehr möglich gewesen, insbesondere, weil die Rätsel durch interessante Mechaniken punkten können.

Magie aus Film drei

Immer wieder findet Ellis Kassetten, von denen einige lediglich die Geschichte weiterführen, andere die Umwelt beeinflussen können. Beispiel: In einem Video lässt das vermisste Kind einen Ball fallen. Pausiert der Spieler das Video an der richtigen Stelle, taucht der Ball plötzlich am entsprechenden Ort auf – so können auch verschlossene Türen geöffnet werden. Diese Rätsel sind nie sonderlich knifflig, wurden aber perfekt in den Ablauf eingearbeitet. Manchmal ist sogar ein wenig Backtracking angesagt, wenn ein älteres Tape erneut benötigt wird. Somit wird der Wald noch mystischer und beweist einmal mehr, was für Kräfte am Werk sind.

Gegen Ende wird die Kamera auch auf klassischere Weisen genutzt, die zwar spielerisch weniger anspruchsvoll daherkommen, dafür die Atmosphäre noch weiter aufwerten. Schließlich sollte man niemals vergessen, welches Element den ersten Film überhaupt erst zu einem Stück Filmgeschichte gemacht hat. Zwar verkommt das Spiel an vielen Stellen zum Walking Simulator, doch das ist gar nicht negativ gemeint. Schließlich vermittelt „Blair Witch“ durch den Wald, die Geschichte und die Überraschungen genau den Horror, den Bloober Team gemeistert hat. Dennoch wäre es in einem potentiellen Nachfolger, für den hier kaum Raum gelassen wird, schön, wenn auch die sogenannten Kämpfe die Qualität tragen könnten.

Überarbeitung notwendig

Auf PlayStation 4 Pro kann das Spiel glänzen. Insbesondere die Lichteffekte lassen den Wald zum Leben erwecken, während das Design dermaßen gut funktioniert, dass man sich gar nicht mehr Authentizität wünschen kann. Leider bauen sich einige Elemente in der Ferne auf, und auch die Bildrate bleibt nicht immer konstant. Hinzu kommen einige Bugs, denn bereits in den ersten fünf Minuten mussten wir das Spiel neustarten, weil sich Ellis nicht mehr bewegen wollte.

Das Sounddesign ist wunderbar effektiv geraten, was an den dezenten Umgebungsgeräuschen, aber auch an den tollen Sprechern liegt. Ellis kommt derart unsympathisch rüber, dass man ihm fast ein schlimmes Schicksal wünscht – doch die Charakterentwicklung wird auch vom Sprecher perfekt umgesetzt. Leider glauben die Macher manchmal, dass „lauter“ auch stets „mehr Spannung“ bedeutet, weshalb die besten Momente tontechnisch ein wenig zu dick auftragen.