Es ist offensichtlich, dass das Team von Ryu Ga Gotoku Studio sich nicht für immer an die Geschichte von Kazuma Kiryu und seinen Freunden sowie Feinden binden wollen. Nach dem Abschluss der langlebigen Geschichte gab es neben Remakes und Remasters einige interessante Titel, die zwar „Yakuza“ ähnelten, sich allerdings um völlig andere Themen drehten. Weder „Fist of the North Star: Lost Paradise“, noch „Judgment“ wurden aber zum großen Wurf, und somit entschied sich das Studio für einen mutigen Schritt: Die Rückkehr von „Yakuza“, allerdings mit neuen Hauptdarstellern und einem völlig anderen Kampfsystem. Was auf den ersten Blick wie ein Rezept für enttäuschte Langzeitfans klingt, entpuppt sich im Test als eines der spannendsten Experimente der letzten Jahre.

Der Tod des Drachen

Kasuga Ichiban hatte kein leichtes Leben. Seine Mutter hat ihn nach seiner Geburt in einem Bordell gelassen, wo er vom Besitzer sowie den Damen aufgezogen wurde. Als sein Ziehvater stirbt, wird er Kriminell und gerät schnell an Masumi Arakawa, der ihn nach einiger Zeit in seine Yakuza-Familie aufnimmt. Kasuga ist aber kein klassischer Yakuza, denn in seiner Jugend hat er sehr viel Zeit mit „Dragon Quest“ verbracht, was seinen Charakter geprägt hat. Statt Leute zu erpressen, möchte er lieber allen helfen, was ihn aufgrund seines impulsiven Gemüts ständig in schwierige Situationen bringt. Dennoch würde er alles für sein Idol Arakawa tun, der ihn wie einen Sohn behandelt.

All das ändert sich an Neujahr 2001, denn als ein hochrangiges Mitglied seiner Familie einen schwerwiegenden Fehler begeht, wird Kasuga gebeten, die Schuld auf sich zu nehmen. Dieser ist dankbar für die Chance, sich zu beweisen – 18 Jahre später ist die Welt aber eine andere. Die Arakawa Familie hat ihre Ideale verraten, korrupte Polizisten haben den Tojo Clan verdrängt und Arakawa selbst tut etwas Undenkbares. Das alles ist typisch dramatisch, lässt einen aber aufgrund der Naivität von Kasuga definitiv nicht kalt. Man fühlt mit dem Protagonisten mit und wünscht sich Rache, obwohl dieser vor allem an der Wahrheit interessiert ist.

Die Kraft der Freundschaft

Die ersten Stunden in „Yakuza: Like A Dragon“ sind melancholisch, dramatisch und auch mit ein wenig Humor versehen, das Spiel beginnt aber erst dann, wenn Kasuga Kamurocho verlässt und in Yokohama neue Freunde findet. Im Gegensatz zu Kyriu ist er nämlich kein Einzelgänger und freundet sich im Laufe der Geschichte mit einem Obdachlosen, einem ehemaligen Polizisten und weiteren schillernden Figuren an. Freundschaft ist deshalb ein wichtiges Thema, denn das Team arbeitet nicht nur zusammen daran, sich über Wasser zu halten, sondern findet sich in lebensbedrohlichen Situationen wieder.

Dieser Zusammenhalt innerhalb der Gruppe macht das Spiel aus und sorgt dafür, dass sogar Nebengeschichten mehr über die Charaktere preisgeben. Nicht falsch verstehen, die Hauptgeschichte rund um die Yakuza ist spannend, wunderbar überdramatisch, wird gleichzeitig aber durch die Geschichte rund um drei kriminelle Clans gestreckt. Was in einem typischen „Yakuza“ wie eine künstliche Verlängerung wirken würde, ist hier durch das Zusammenspiel des Heldentrupps ein wahres Fest voller Humor, dramatischer und trauriger Momente sowie dem Gefühl, dass die Charaktere zu einer Familie heranwachsen.

Yakuza: Like A Dragon Quest

Kommen wir zur großen Neuerung, die selbst viele Monate nach der Veröffentlichung in Japan noch kontrovers diskutiert wird: Das Kampfsystem besteht nicht mehr aus Kombos und wilden Prügeleien, sondern ist ein waschechtes Rollenspiel. Begegnet die Truppe Gegnern, geht es direkt in einen Kampfmodus, in dem alle Akteure nacheinander einen Angriff auswählen und diesen dann auch ausführen. Besonders interessant ist die Integration der Umgebung, denn steht jemand neben einem Stuhl, nimmt er diesen in die Hand und kann sogar noch mehr Schaden austeilen. Leider hängt das stark vom Zufall ab, denn umpositionieren lassen sich die Helden nicht.

Spezialangriffe teilen deutlich mehr Schaden aus und verlangen sogar Knöpfchendrücken mit Timing, verbrauchen aber auch eine entsprechende Leiste. Hier gibt es alles, von Angriffen über Buffs bis hin zu Heilzaubern – Kasuga stellt sich jeden Kampf nämlich wie in einem Rollenspiel vor, weshalb Gegner durchaus Feuer spucken und andere Zauber loslassen können. Das ist wunderbar verrückt, besonders wenn Verbündete herbeigerufen werden. Beispiel: Wer alle Gegner schwächen möchte, kann einen erwachsenen Mann in Windeln herbeirufen, der seine Babymilch nicht trinken möchte und deshalb so laut weint, dass die Gegner betäubt werden. Ja, wir begeben uns auf dieses Niveau.

Vom Obdachlosen zum Tellerwäscher

In den ersten Stunden wirkt das Kampfsystem tatsächlich etwas befremdlich, denn es bringt eine Menge Humor herein, wirkt aber nicht wie etwas, das einen über fast 50 Stunden unterhalten kann. Glücklicherweise öffnet es sich immer weiter, denn mehr Charaktere schließen sich der Party an, der Spieler darf Ausrüstung und Waffen erwerben und selbstverständlich gibt es ein Level-System, wobei auch weitere Angriffe freigeschaltet werden, die taktische Planungen ermöglichen. Diese sich regelmäßig offenbarenden Elemente bringen die wunderbare Vielfalt in das Spiel, während der Spieler mit ihnen lernt, mehr zu tun, als nur auf alle Feinde einzuschlagen.

Wahrlich faszinierend wird es, sobald die Crew im fünften Kapitel ein weiteres Mal das Jobcenter aufsucht, um Jobs zu ändern. Klingt wie eine ziemlich dröge Aktivität, aber hier wird es wunderbar meta: Je nach ausgewähltem Job ändert sich auch im Sinne eines JRPGs der Job. Bedeutet, dass sich die Charakterwerte ändern, neue Waffen ausgerüstet werden können und sich völlig neue Spezialangriffe offenbaren. Es ist ein echter Zeitfresser, seine perfekte Party-Kombination so anzupassen, dass sie sich ergänzen, doch alles Mögliche auszuprobieren motiviert so stark, dass man beinahe vergessen kann, der Hauptgeschichte zu folgen.

Kleine Blockaden

Obwohl das Kampfsystem wirklich stark ist, motiviert und genügend Anpassungsmöglichkeiten bietet, ist nicht alles hier perfekt. Das Layout entpuppt sich nämlich als überaus nervig, denn die Charaktere bewegen sich jederzeit zufällig, sodass mit etwas Pech ein Gegner einem in den Weg läuft, nachdem man seinen Angriff bestätigt hat, und dieser dann abgewehrt wird. Da die Kämpfe auch direkt beginnen, sind die Laufwege einiger Partymitglieder furchtbar lang, wenn diese sich vorher an einer Wand verfangen haben. Ärgerlich ist es auch, wenn die Kamera die Übersicht verliert und man somit keinen perfekten Block mehr ausführen kann, da man das Timing der Gegner schlichtweg nicht sieht. Und dann wären da noch verzögert ausgeführte Angriffe, obwohl man schnell agieren muss, wenn ein Gegner am Boden liegt. Diese Probleme zerstören die Spielerfahrung zwar nicht, sorgen aber aufgrund von technischen Problemen für einige verschwendete Aktionen.

Auch die Jobs können ihr wahres Potential erst nach vielen Stunden entfalten. Wechselt man nämlich, wird der entsprechende Charakter plötzlich viel schwächer und muss sich erst wieder aufleveln, was zum nervigen und langweiligen Grind ausarten kann. Die Jobs definieren nämlich alle Statuswerte, inklusive Angriffskraft und Lebensleiste. Der Spieler wird somit entmutigt, möglichst viel herumzuprobieren, da die Charaktere zu stark geschwächt werden. Das ist vor allem für die Story ein Problem, denn die Gegner werden dort natürlich immer stärker.

Realistisches Chaos

Zum Glück kann die Welt mit den Vorgängern mithalten. Jede Straße, jeder Distrikt, jeder Laden – die Liebe zum Detail ist schlichtweg unglaublich. Yokohama verfügt über alles, was man sich wünscht: Wohngebiete, die Innenstadt, Industriegebäude und viele weitere Bereiche, dabei ist die Welt nicht zu groß geraten, sodass man überall schnell hingelangt. Dank des First Person-Modus macht es noch mehr Spaß, durch alle Fenster zu schauen, auch wenn einige Charaktere einfach nur in der Gegend stehen und auf einen Kassierer warten, den es nicht gibt. Dennoch ist die Atmosphäre großartig und man möchte jede Straße genauestens begutachten, um bloß nichts zu verpassen.

Natürlich dürfen auch die zahlreichen Mini-Spiele nicht fehlen. Egal ob Karaoke, Shogi oder Arcade-Klassiker, hier wird der gewohnt hohe Standard gehalten. Es gibt sogar wieder eine Management-Abteilung, während zu normalen Nebenmissionen auch Helden-Hilfen kommen, in denen man Bürger retten muss, die von Schurken bedroht werden. Dieser wunderbar verrückte „Yakuza“-Humor, gepaart mit den JRPG-Anspielungen und der klassischen Dramatik, erzeugen ein weiterhin unfassbares Gesamtpaket.

Ein langes Abenteuer

Wer „Yakuza“ kennt weiß auch, dass die Nebenmissionen zu den besten der Videospielindustrie gehören. Es wird dramatisch, melancholisch, vor allem aber auch lustig. Auch hier ein Beispiel: Weil er ein netter Kerl ist, wirft unser Protagonist eine Krabbe zurück ins Wasser. Kurz daraufhin kommt ein Obdachloser vorbei, der diese Krabbe als Haustier gehalten hat. Voller Schuldgefühle sucht Kasuga nach ihr und bringt sie ihrem Besitzer zurück – der sie sofort kochen möchte. Da Ichiban mittlerweile selbst eine Bindung zu dem Tierchen aufgebaut hat, will er die Krabbe retten und es folgt ein wunderbarer Abschluss, den wir dann nicht vorwegnehmen wollen. Von diesen Missionen gibt es so viele, dass einige Spieler durchaus 100 Stunden investieren werden. Natürlich gehören viele Zwischensequenzen dazu, wegen denen es sich manchmal so anfühlt, als würde man eine TV-Serie schauen.

Etwas enttäuschend ist hingegen das Geldsystem, denn genug davon wird man erst im späteren Spielverlauf haben. Anfangs ist es aber überaus schwierig, Geld zu erhalten, denn die Nebenmissionen sind begrenzt und für Mini-Spiele wird nur ein geringer Betrag ausgezahlt. Geld ist aber zu diesem Zeitpunkt für das Erwerben von Rüstung wichtig, die man für eine bestimmte Mission benötigt. Wer also nicht früh spart, darf sich auf einen langweiligen Grind vorbereiten, um überhaupt die Geschichte voranzutreiben.

Starkes Paket

Auch technisch enttäuscht „Yakuza: Like A Dragon“ nicht. Die Bildqualität ist bemerkenswert gut, sodass selbst kleinste Details erstrahlen, auch wenn die Texturenqualität an einigen Stellen dafür heruntergeschraubt werden musste. Ruckler gibt es auf PlayStation 4 Pro keine, und auch die Ladezeiten sind blitzschnell – am längsten dauert der Wechsel zwischen Kapiteln sowie das Laden eines Spielstandes, doch mit rund 15 Sekunden kann sich keiner beschweren. Großartig sehen auch die Verwandlungen der Feinde aus, die dank Ichibans Vorstellungskraft eher zu einem Rollenspiel passen.

Wirklich begeistern konnte uns die englische Synchronisation. Egal ob Protagonisten oder Nebencharaktere, für jede Figur wurde die perfekte Stimme gefunden. Somit können diejenigen, die der englischen Sprache mächtig sind, noch tiefer eintauchen, während traditionelle Fans natürlich auch die gewohnt erstklassige japanische Vertonung auswählen können. Ein kleiner Hinweis: Die deutschen Untertitel basieren auf der japanischen Synchronisation, sodass es zu Unterschieden kommen kann, wenn man die englische Version auswählt. Der restliche Soundtrack ist passend dazu sehr atmosphärisch und kann sowohl emotionale wie auch lustige Szenen tragen.