Die „Saints Row“-Reihe ist schlichtweg einzigartig. Die ersten beiden Teile wurden noch als solide Alternative zu „Grand Theft Auto“ gehandelt, bevor mit dem dritten Teil der verrückte Humor, für den die Reihe mittlerweile bekannt ist, Einzug hielt. Teil vier warf dann alles um und brachte Superkräfte und mehrere Realitäten mit, sodass sich seit 2013 jeder fragte, wie das übertroffen werden kann. Die Antwort: Gar nicht, und somit entschieden sich die Entwickler von Volition Studios für ein Reboot der Reihe. Wir haben herausgefunden, ob dieser durchaus gewagte Schritt mehr Vorteile als Nachteile hat.

Die Wiedergeburt der Saints

Alles auf Anfang: Nach der Charaktererstellung und einer Einleitungsmission landen Spielende in Santo Ileso, das von Las Vegas inspiriert wurde. Die Stadt, die einen See umkreist, wird von drei verfeindeten Gangs kontrolliert: Die Los Panteros, die sich auf Fahrzeuge spezialisiert haben, die Idols, deren Anarchismus keinerlei Veränderung mit sich bringt, und Marshall Defense Industries, die von einem Polizeistaat in privater Hand träumen. In diese Welt werden Spielende als The Boss reingeworfen, in unserem Fall männlich, der mit seinen Freunden Neenah, Kevin und Eli in einer WG wohnt. Im Laufe der ersten Stunden regiert neben Chaos die Verzweiflung, denn jeder von ihnen wird aus den Gangs rausgeschmissen und muss sogar um das eigene Leben bangen. Die Freunde entscheiden sich daraufhin, selbst eine Gang zu gründen - der Unterschlupf in einer Kirche sorgt dann dafür, dass sie sich The Saints nennen. 

Die Handlung lebt von überdramatischen Wendungen, gewaltigen Explosionen und verrückten Charakteren sowie Szenen, aber all das muss relativiert werden. Wer das mit anderen Genre-Vertretern vergleicht, erhält einen Titel, der sich nicht allzu ernst nimmt und vor allem darauf aus ist, den Krieg der Gangs auf eine bunte Weise darzustellen. Wer das aber mit bisherigen „Saints Row“-Titeln vergleicht, erhält ein regelrecht bodenständiges Spiel. Das ist im ersten Moment nicht schlecht, allerdings macht der Titel erstaunlich wenig aus den vorhandenen Mitteln. Einige Zwischensequenzen sind durchaus lustig geworden, viele fühlen sich allerdings zu gleich an, denn wenn Bösewichte die Saints unterschätzen oder schon wieder die Pläne der Feinde durchkreuzt werden müssen, wiederholen sich die Sprüche und die Art des Humos zu häufig, als dass sie überraschen könnten. Die Highlights sind da, allerdings gibt es zu viele Missionen, in denen sie fehlen oder sich wie Kopien besserer Spiele, darunter die Vorgänger, anfühlen.

Unspektakulärer Einheitsbrei

Das hängt direkt mit den Missionen zusammen, die wohl zur größten Enttäuschung gehören. Zu den besten gehören noch diejenigen, die in gesonderten Gebieten spielen, die nicht während der Erkundung der offenen Welt erreicht werden können. Hier laufen Spielende durch interessante Gebäude, rasen in einen Sandsturm oder kämpfen sich durch einen verlassenen Park, wobei die spielerische Abwechslung leider ausschließlich dadurch kommt, dass verrückte Waffen bereitgestellt werden und die geskripteten Momente Lust auf mehr machen. Spielerisch gibt es einen Einheitsbrei, denn Raum für Raum, Areal für Areal müssen die sich optisch stark ähnelnden Feinde besiegt werden. Zwar gibt es Spezialgegner, zum Beispiel besonders große oder Gegner mit einem Schild, spielerische Vielfalt kommt aber zu keinem Zeitpunkt zustande, auch nicht in den Boss-Kämpfen, die in die Länge gezogen werden und häufig daraus bestehen, permanent auf einen Kugelschwamm zu feuern.

Finden die Missionen in der offenen Welt statt, wird es dann leider noch trister. Die Schauplätze können nämlich nicht überzeugen und wiederholen sich häufig, während erneut die Gegnerwellen im Fokus stehen. Es gibt durchaus Ausnahmen, zum Beispiel wenn Zelte mit einem Toilettenhaus, das wie eine Kugel an einem Auto befestigt wird, zerstört werden müssen. Doch selbst dieser lustige Gag wird zu sehr in die Länge gezogen und fühlt sich wie ein Abarbeiten an, statt Spielspaß zu erzeugen. Dieses Muster wiederholt sich über die komplette Spielzeit und trotz guter Witze zwischendurch kann weder die Präsentation noch das Gameplay mit aktuellen Genrevertretern, oder gar mit den eigenen Vorgängern, mithalten.

Interessante Ideen

Die offene Welt zeichnet sich durch ihre knalligen Farben aus und sticht durch ihr Design heraus. Die Stadt umschließt nämlich ein See, was auf der Karte sowie dank der Weitsicht immer wieder fantastisch aussieht. Schaut man genauer hin, darf man typische Gebäude, Plätze, Hochhäuser und all das erwarten, was man von einer Wüsten-Metropole erwarten würde. Dass sich die besten Ortschaften erst nach vielen Stunden offenbaren, und ansonsten nur wenige Highlights aufploppen, passt leider zum bisherigen Gesamtpaket. Auch in Sachen Nebenbeschäftigungen ist „Saints Row“ eine Enttäuschung, denn trotz der Schöpfung einer kriminellen Organisation gibt es sich wiederholende Aufträge, Mini-Spiele ohne Anreize und das typische Abarbeiten von Missionsmarkern, hinter denen sich nur selten etwas Interessantes verbirgt. Zudem ist die Welt eher ein Schauplatz als ein Ort, mit dem man interagieren kann.

Dabei gibt es sie, die guten Nebenmissionen, die einen beeindrucken. Deren Anzahl ist sehr niedrig, aber experimentelle Waffen auszuprobieren oder in ein Beziehungsdrama zu geraten, ist unterhaltsamer als man erwartet. Das Problem ist allerdings, dass man sich selbst nach dem Ende nicht sicher ist, ob es sich lohnt, sich durch die zahlreiche langweilige Missionen zu kämpfen, nur um zu diesen Momenten zu kommen. Und selbst diejenigen, die nur die Hauptgeschichte erleben wollen, können die Aktivitäten nicht ignorieren. Zahlreiche Gebäude müssen nämlich mit einer hohen Summe erworben werden, um an diversen Punkten überhaupt die nächste Hauptmission auswählen zu können.

Nicht besser, nicht schlechter

Das Kampfsystem ist durchaus solide. Die Waffen sind wuchtig, und dennoch bleibt der eigene Charakter agil und kann schnell über die Schlachtfelder laufen, um zum Beispiel einen Finisher auszuführen und stärkere Gegner somit direkt lahm zu legen. Spannend sind auch die Skills, durch die konventionelle Granaten geworfen, aber auch flammende Fäuste eingesetzt werden können. Notwendig sind diese Boni niemals, allerdings macht es deutlich mehr Spaß, sich mit dieser Vielfalt auf die Gegner zu stürzen. Lediglich ein Deckungs-System wäre hilfreich gewesen, denn an einigen Orten ist es unmöglich, sich vor Kugeln zu verstecken, um Leben zu regenerieren. Der Nahkampf ist derweil sehr unpräzise und sollte, sofern man keine besonders starke Waffe findet, vermieden werden. Eigentlich also alles so, wie man es von der Reihe gewohnt ist.

Kleine Lichtblicke

Obwohl die wichtigsten Eckpunkte von „Saints Row“ enttäuschen, gibt es durchaus Argumente, in das Reboot zu schauen. Da wären zum Beispiel die Zerstörungsmissionen, die wunderbar explosiv sind und zeigen, dass verrückt auch besser ist. Der Charaktereditor ist ebenso wuchtig und begeistert mit derart vielen Möglichkeiten, dass wohl jeder seinen Traumgangster erschaffen kann. Auch die Kleidungsmöglichkeiten sind immens - leider wurden sie auf dermaßen viele Shops verteilt, dass man den Überblick schnell verliert, auch weil man nicht unbedingt an ihnen vorbei kommt, wenn man auf dem Weg zu einer Mission ist. Auch die Fahrzeuge sind durch ihr sehr unrealistisches Fahrgefühl bestens für Sprünge und andere Stunts geeignet.

Qualität?

Wie ein Spiel der aktuellen Generation sieht „Saints Row“ definitiv nicht aus, was zu erwarten war, da das Spiel auch für die alte Generation erschienen ist. Dennoch sieht die Welt selbst wunderbar aus, und die Lichtstimmung begeistert immer wieder. Leider gilt das nicht für die extrem hölzernen Animationen, die das Gesamtbild ebenso zerstören wie häufige Probleme mit der Bildrate, egal ob im Ray Tracing-Modus oder bei 60 FPS. Noch schlimmer sind zahlreiche Bugs, von denen einige sogar einen Neustart von Missionen verursachen. Zudem bleibt es unverständlich, wieso eine 30-minütige Mission mehrere Checkpoints haben kann, die zugleich aber nicht als Speicherpunkte fungieren.

Zumindest die Synchronsprecher machen einen guten Job, leider kommt nur in den Zwischensequenzen Stimmung auf, da der Großteil der Bevölkerung sich wohl versteckt. Die Musikauswahl ist ebenso enttäuschend, denn viele Radiosender decken dieselben Genres ab, und bieten nur eine Handvoll Lieder.