Keine Reihe schwankt qualitativ derart stark wie „Sonic the Hedgehog“. Während die 2D-Ableger mit „Sonic Mania“ einen neuen Meilenstein erreicht haben, entpuppte sich „Sonic Forces“ nach dem fantastischen „Sonic Generations“ als Trauerspiel, das man möglichst schnell wieder vergessen möchte. Ein Grund dafür liegt wohl in der Entwicklungsphilosophie von Sonic Team, denn anstatt auf den Erfolgen aufzubauen, möchten sie den blauen Igel stets neu erfinden. Bei keinem Spiel trifft das so sehr zu wie bei „Sonic Frontiers“, doch wird damit auch ein neuer Höhepunkt erreicht?

Die ewige Suche nach den Chaos Emeralds

Die Handlung ist anfangs so verrückt, wie man es von „Sonic“ gewohnt ist. Der Igel, Amy und Tails reisen mit dem Hubschrauber auf der Suche nach den Chaos Emeralds, werden aber durch ein mysteriöses Phänomen in die digitale Welt gezogen. Dieser kann nur Sonic entkommen, der sich auf einer scheinbar verlassenen Insel wiederfindet. Schnell begegnet er aber mächtigen Robotern sowie Sage, die mächtige Titanen gegen Sonic aufhetzt, um ihn daran zu hindern, seine noch immer im Cyberspace gefangenen Freunde zu retten. Was genau dahinter steckt, wieso auf den Inseln überall Ruinen sind und was die Chaos Emeralds an so einem Ort verloren haben, wird im Laufe der Handlung schrittweise enthüllt.

Auch diesmal ist die Handlung eher ein Beiwerk als das Highlight, Sonic Team hat sich aber bemüht, sie melancholischer zu gestalten. Hauptsächlich geht es um ein Volk, das seine Welt hinter sich lassen musste, was durch Flashbacks angedeutet, später aber ausformuliert wird. Dadurch ergibt sich nicht der typische Drang, die Welt zu retten und gegen charismatische, eindimensionale Feinde zu kämpfen. Vielmehr schwingt bei jeder Zwischensequenz etwas trauriges mit, denn Sonics Freunde können zwar gerettet werden, nicht aber diejenigen, denen er im Normalfall helfen würde.

Tiefgründig?

Der Großteil der Zwischensequenzen besteht derweil aus simplen Gesprächen, die als sogenannte Side Stories aktiviert werden können. Sie sind kurz und bieten nur wenig Tiefgang, verändern aber die Atmosphäre maßgeblich. Waren die Helden zuvor meist ihre lustigen, verrückten Persönlichkeiten, die ab und an emotionale Szenen hatten, wirken sie diesmal tatsächlich wie Charaktere, mit denen man mitfühlen kann. Es fällt schwer sich daran zu erinnern, wann Sonic und Amy zuletzt in den Spielen eine normale Unterhaltung hatten, in der sie über ihre Gefühle, Ängste und Erinnerungen reden, ohne dabei überzeichnet zu sein. Das verleiht dem Spiel einen bemerkenswerten Charakter, den es in dieser Form für die Reihe noch nicht gab.

Leider beginnt hier das Problem, für das „Sonic Frontiers“ insgesamt steht: Gute Ideen, die nicht zu Ende gedacht wurden. Zwar sind die Gespräche eine willkommene Abwechslung, leider sind sie stets zu kurz und viel zu oberflächlich, als dass sie ihr Potential ausschöpfen würden. Somit arbeitet man die Szenen, die sich tonal überhaupt nicht voneinander unterscheiden, eher ab, weil der außergewöhnliche Stil schnell zur Gewohnheit wird. Hätte man sich etwas mehr Mühe mit der Handlung gegeben, oder sie gleich mysteriöser gelassen, hätte man deutlich mehr erreichen können.

Das beste Geschwindigkeitsgefühl der Reihe

Bereits nach wenigen Minuten wird klar: So ein Abenteuer hatte Sonic bislang nur in LEGO-Form. Statt klassischer Level gibt es diesmal nämlich mehrere Inseln, die, einmal freigeschaltet, nach eigenem Belieben erkundet werden können. Dabei fällt sofort auf, wie gut sich Sonic steuern lässt: Egal ob langsam oder mit Boost, man hat meist die volle Kontrolle über den ikonischen Igel. So kann man überraschend kontrolliert durch Wälder, Wüsten oder Ruinen laufen, ohne ständig an Wände zu stoßen. Das Team hat hier einen bemerkenswerten Job geleistet, denn es hat wohl noch nie so viel Spaß gemacht, mit Sonic einfach herumzulaufen, ohne eine bestimmte Aufgabe im Hinterkopf zu behalten.

Dass das nicht an jeder Stelle perfekt funktioniert, lässt sich verzeihen. Besonders auf der letzten Insel kommt es immer wieder zu Situationen, in denen Sonic in einer bestimmten Animation stecken bleibt und sich dann nicht mehr steuern lässt, bis er auf dem Boden oder im Abgrund gelandet ist. Zudem ist es manchmal nervig, wenn die Kamera sich auf Gegner fixiert, oder gar aufgrund von bestimmten Plattformen die Perspektive wechselt, obwohl man einen ganz anderen Ort erreichen möchte. Hier darf gerne noch per Patch ausgebessert werden, und obwohl diese Probleme den Spielfluss stören, nimmt man sie gerne hin, um mit Sonic in Höchstgeschwindigkeit herumzurasen.

Keine Grenzen?

Wer darauf hofft, dass die Inseln logisch aufgebaut sind, hat sich das falsche Spiel ausgesucht. Überall wurden Jumppads, Rails und andere bekannte Elemente aus „Sonic“-Leveln verteilt, um kurze Passagen zu bauen, die meist mit einer kleinen Belohnung enden. Somit bestehen die Inseln aus kleinen Mikro-Leveln, in denen das richtige Timing gefragt ist, um durch Ringe zu springen oder im richtigen Moment die Rail zu ändern. Zwar gibt es solche Passagen auch in längerer Form, dafür aber deutlich seltener. Somit reist man nicht einfach nur über den Boden, sondern springt ständig auf und durch etwas, was auf dem Papier die Reisen zu den Zielen abwechslungsreicher gestaltet.

Spätestens auf der dritten Insel, die leider zu häufig in solchen Passagen die Perspektive zu 2D wechselt, ist aber klar, dass Sonic Team hier viel zu brav geblieben ist. Anstatt das Potential auszunutzen und haufenweise bekannte sowie neue Elemente zu nutzen, hat man sich nur für eine Hand-voll entschieden, die dann mit nur wenig Variation bis zum Ende wiederholt wird. Dadurch ähneln sich die Abschnitte auch sehr stark, und manchmal wird es regelrecht zur Qual, gezielt nach solchen Strukturen zu suchen. Zwar bleibt es unterhaltsam, durch die Welt zu laufen, irgendwann möchte man aber lieber auf dem Boden bleiben.

Künstliche Bremsen

Das geht leider nur selten, denn am Ende dieser kurzen Abschnitte gibt es auf jeder Insel ein bestimmtes Item, von dem man fast immer über 100 benötigt, um die Handlung voranzutreiben. Häufig ist die Hauptaufgabe nämlich, mit Charakteren zu sprechen, die noch teilweise im Cyberspace gefangen sind, und um sie zu manifestieren, benötigt man zum Beispiel für Amy Herzen oder für Tails Schraubenschlüssel. Deshalb wird man dazu gezwungen, recht frei durch die Welt zu laufen und die einfältigen Passagen zu meistern, und obwohl man einige davon natürlich mitnimmt, und die Items auch durch andere Arten ergattern kann, drückt das Spiel durch solche Missionen immer wieder auf die Bremse. Das ist schade, denn die künstliche Verlängerung, durch die auch die Spielzeit gestreckt wird, hätte „Sonic Frontiers“ gar nicht gebraucht. Das wissen die Entwickelnden sicherlich auch selbst, denn Besitzer der Deluxe Edition erhalten so viele Herzen für Amy, dass es auf der ersten Welt nicht zu dieser Streckung kommt. 

Ansonsten bietet die Welt kleine Herausforderungen, die bei erfolgreichem Abschluss einen Teil der Weltkarte enthüllen. Auch diese sind anfangs interessant: Mal muss eine Statue nachgebaut werden, mal leuchtende Felder aktiviert werden, ohne zu springen, und manchmal muss ein Ziel möglichst schnell erreicht werden. Die Aufgaben sind sehr einfach gehalten, und auch solche, die auf Zeit abgeschlossen werden müssen, dürften niemanden fordern. Leider wiederholen sich einige davon zu häufig, während andere auf dem Kindergartenniveau sind. Wieso sollte es auch nur im Geringsten eine Herausforderung sein, eine Kugel zu parieren, wenn dies kein Timing benötigt? Wieso sollte es schwierig sein, sich nach links oder rechts zu bewegen, um schnell auf aufleuchtenden Tasten zu stehen? Hier wurden Chancen vertan, interessante und abwechslungsreiche Momente zu gestalten, weshalb man in dieselbe Falle tappt, wie bei allen anderen Elementen.

Kämpfe ohne Tiefgang

Natürlich gibt es auch wieder Kämpfe, entweder gegen kleinere Roboter, oder überraschend große Maschinen, die überall in den Welten anzutreffen sind. Insbesondere die größeren überraschen dadurch, dass jeder Kampf zu einem kleinen Rätsel wird, und da es in jeder Welt andere Gegner gibt, ist die Vielfalt überraschend hoch. Zwar macht es nicht sonderlich viel Spaß, dieselben Feinde erneut zu besiegen, da einige Kämpfe, zum Beispiel gegen einen Wüstenhai, etwas zu lang geraten sind. Dennoch sorgen sie für eine angenehme Abwechslung, auch weil das Kampfsystem deutlich ausgeweitet wurde.

Wer eine hohe Kombo erreicht, gerät nämlich in den Phantom Rush, in dem Sonic noch stärker ist. Zudem gibt es einen, leider viel zu kleinen, Fähigkeitenbaum, in dem sich neue Angriffe freischalten, die aus anfangs noch etwas zu langen Kämpfen eine Sekunden-Sache machen. Wirklich komplex wird das alles nie, dennoch muss man aber mehr machen, als immer nur auf den Angriffsknopf zu hämmern. Besonders die Bosskämpfe sind spektakulär geraten, dank ihrer Größe, gigantischen Angriffen und perfekter musikalischer Untermalung. Herausfordernd ist keiner davon, aber manchmal ist das auch nicht notwendig, um Spielende zum Staunen zu bringen.

Kaputtes Fortschrittssystem

Durch die Kämpfe gibt es Erfahrungspunkte, um im Fertigkeitenbaum die erwähnten Angriffe freizuschalten. Noch wichtiger sind aber rote und blaue Samen, denn mit diesen lässt sich die Angriffskraft sowie der Verteidigungswert steigern, von Level eins auf Level 99. Sie sind überall als Belohnung erhältlich, von Kämpfen bis hin zu Belohnungen für Herausforderungen. Wer hingegen das Lauftempo oder die Ringkapazität erhöhen will, muss die Koco suchen, die sehr klein sind und überall in der Welt auftauchen können. Um dann aber auch einen der beiden Werte zu erhöhen, muss jede Stufe einzeln erhöht werden, was viel zu lange dauert.

Alle davon sind in unendlicher Anzahl verfügbar, weshalb man die Karte nicht abarbeiten muss. Merkwürdigerweise macht es sogar gar keinen Sinn, besonders nach den Koco zu suchen, denn es gibt ein Angelspiel, in dem man gleich 20 von ihnen für nur wenige Münzen ergattern kann. Zwar ist hier ein Limit gesetzt, das nur auf der letzten Insel nicht geht, dennoch ist es viel logischer, ein paar Minuten zu Angeln, statt über Stunden hinweg nach den kleinen Wesen zu suchen. Es macht überhaupt keinen Sinn, wieso das Angeln derart übermächtig ist und die Erkundung regelrecht sinnlos gestaltet. Zwar benötigt man lila Münzen, um überhaupt angeln zu können, diese gibt es aber aufgrund eines speziellen Ereignisses, das sich immer wieder wiederholt, zur Genüge. 

Kurze Klassiker

Die Hauptaufgabe auf jeder Insel ist es, Chaos Emeralds zu finden. Um diese freizuschalten, benötigt man Schlüssel, die es im Cyberspace gibt. Um die Cyberspace-Level aber freizuschalten, benötigt man Zahnräder, die es nach den größeren Kämpfen gibt - das Prinzip ändert sich leider nie. Die Cyberspace-Level erinnern an die klassischen 3D-Level aus Sonic Forces, und leiden unter demselben Problem. Die meisten davon spielen sich nämlich automatisch, mit nur wenigen Passagen, in denen man mehr machen muss, als in eine Richtung zu drücken oder den Homing Angriff zu nutzen. Da die Abschnitte häufig in unter einer Minute absolviert werden können, bieten sie auch nicht allzu viel, sind aber zumindest optisch nett anzusehen, da sie sich an klassischen Gebieten orientieren.

Auch die Aufgaben, für die es dann Schlüssel gibt, sind immer gleich: Man muss ein Level beenden, es mit einer S-Zeit absolvieren, eine bestimmte Menge von Ringen zum Ziel bringen und alle roten Ringe sammeln. Alles davon ist einfacher, als in jedem Teil zuvor, denn die Zeiten sind viel zu großzügig, und echte Verstecke gibt es aufgrund der Kürze nie. Zwar könnte man „Sonic Frontiers“ zugute halten, dass nun niemand daran scheitern wird, genügend Schlüssel zu sammeln. Wer aber vorherige Teile gespielt hat, wird sich in diesen Abschnitten eher langweilen, anstatt sich auf das bekannte Gameplay zu freuen.

Besonderheiten

Die Welten selbst überraschen stets durch ihre Eigenheiten. Am besten wäre da wohl die finale Insel, die wie eine Erweiterung der etwas kleinen Startinsel wirkt und durch ihre melancholischen Wiesen punktet. Doch auch die Wüste weiß durch interessante Konstruktionen mehr zu bieten, als nur Flächen voller Sand. Eine kleine Katastrophe ist leider Ort Nummer drei, denn dieser besteht aus mehreren Inseln, zwischen denen man nur an festen Punkten wechseln kann. Diese zu finden ist eine Sache, das ständige hin und her blockiert aber die Freiheit, die die Erkundung ansonsten so gut gestaltet.

Verschenktes Potential gibt es auch beim Cyberloop. Dabei handelt es sich um eine Mechanik, durch die Sonic Linien am Boden ziehen kann, die im besten Fall zum Kreis geformt werden. Dadurch können Gegner aus ihrer Verteidigung geholt werden, und auch um einige Rätsel zu aktivieren wird die Fähigkeit benötigt. Leider hält sich der Nutzen stark in Grenzen, und vielfältige Einsatzmöglichkeiten sucht man vergebens. Zwar bleibt es spaßig, mit der Mechanik herumzuspielen, vor allem weil sich dadurch schnell Ringe erzeugen lassen, spielerisch wäre aber mehr drin gewesen.

Weit hinter den Möglichkeiten

Optisch wird „Sonic Frontiers“ niemanden umhauen. Zwar können die Inseln durch ihre nicht gerade knalligen, sondern eher realistischen Farben eine gute Atmosphäre erzeugen, doch die Texturen sind eindeutig nicht auf dem heutigen Stand der Zeit. Auch Wettereffekte erinnern eher an die PS3-Zeit, was überaus schade ist, denn die gröbsten Schwächen kann man durchaus verzeihen, schließlich ist man meist eh schnell unterwegs, und durch die daraus resultierende Unschärfe wird viel kaschiert. Dafür punkten die Gegner-Designs, die stets gut aussehen, sowie die Animationen, von Sonic selbst bis hin zu eindrucksvollen Angriffen der Feinde. Zwar gibt es einen 4K-Modus, diesen sollte man aber besser meiden, denn der 60 FPS-Modus sieht optisch fast genauso gut aus, bietet aber ein erheblich besseres Spielgefühl bei hohem Tempo. Eine Katastrophe ist derweil die Weitsicht: Teilweise bilden sich komplette Konstruktionen erst wenige Meter, bevor Sonic vor ihnen steht. Das stört dann auch spielerisch und ist völlig Inakzeptabel auf einer PlayStation 5.

Die Musik ist derweil das eigentliche Highlight. Die ruhigen Töne, die ständig abgespielt werden, beruhigen und stellen einen wunderbaren Kontrast zum hohen Tempo dar. Doch auch die Kampfmusik, insbesondere während den Bosskämpfen, funktioniert bestens und ist derart gut geworden, dass man den Soundtrack gerne auch abseits des Spiels hört. Hier hat sich das Team selbst übertroffen.

https://www.youtube.com/watch?v=30-rKqe1Ys8