Es ist schon eine ganze Weile her, dass „Until Dawn“ angekündigt wurde. Ursprünglich sollte der Titel noch auf der PlayStation 3 erscheinen und durch den PlayStation Move-Controller zum Horror-Abenteuer aus der Ego-Perspektive werden. Letztes Jahr wurde das Spiel ein weiteres Mal angekündigt, diesmal aber für die PlayStation 4 und mit einem komplett anderen Spielprinzip. Hat die lange Entwicklungszeit dem Spiel gut getan, oder ist das Projekt der „Dinosaurier: Im Reich der Giganten“-Macher ein gescheiterter Versuch, eine neue Marke zu etablieren? Wir haben uns für euch auf den verschneiten Berg begeben und es herausgefunden.

I know what you did last winter …

Die Geschichte der acht Teenager beginnt mit einem tragischen Zwischenfall. Als ein Teil der Gruppe der naiven Hannah einen fiesen Streich spielen will, ist diese so geschockt, dass sie alleine in einen Schneesturm rennt. Die jungen Erwachsenen feiern nämlich in einer Hütte auf einem Berg, und in der Umgebung lebt scheinbar niemand, weshalb Hannahs Zwillingsschwester Beth ihr besorgt hinterherläuft. Als die beiden sich wiedersehen, werden sie verfolgt und fallen eine Klippe herunter, weshalb sie als vermisst gelten. Der Vorfall bleibt ungeklärt, denn kein Polizist kann sich erklären, was mit den beiden Mädchen passiert ist.

Ein Jahr später lädt Josh, der Bruder der Vermissten, die Gruppe erneut auf den Berg ein, um die Geschichte endgültig abzuschließen. Wirklich wohl fühlt sich bei der Ankunft niemand, denn während die einen ein schlechtes Gewissen haben, stehen Beziehungsprobleme bei den anderen auf dem Plan. Schon bald ändert sich das alles allerdings, denn scheinbar ist ein Psychopath ebenfalls auf dem Berg, der die Gruppe jagt und töten will. Wer ist dieser Mann? Hat er etwas mit dem Verschwinden der Zwillinge zu tun? Und wer ist dieser unheimliche Therapeut, der den Spieler mit Fragen löchert?

… in the cabin in the woods

Die Geschichte von „Until Dawn“ klingt erst einmal wie ein typischer Teenie-Slasher aus den 90er Jahren. Tatsächlich versteht sich das Spiel als eine Hommage an diese Klassiker, die das Genre für immer verändert haben. Natürlich gibt es die klassischen Stereotypen, wie den Macho, die Zicke, das schüchterne Mädchen, den Nerd, und viele weitere. Spätestens, wenn sich die Charaktere aufteilen, möchte der Spieler einfach nur gegen den TV schreien. Doch obwohl viele Wendungen offensichtlich sind, gibt es mehrere Überraschungen, die den Spieler an den Titel fesseln.

Der größte Unterschied zu den Filmen dürfte aber die Macht des Spielers sein. Zwar können die Charaktere besonders am Anfang nervig sein, dafür darf der Spieler aber oft genug entscheiden, was sie sagen oder machen sollen. Gerade deshalb kann es vorkommen, dass genau der unfreiwillige Held, der am Anfang wahnsinnig unsympathisch ist, gegen Ende zu demjenigen wird, der auf keinen Fall sterben darf. Diese Bindung an die Charaktere macht die Geschichte besonders, denn es sind nicht irgendwelche Leute, die immer nur etwas Dummes tun. Sie sind diejenigen, die die Entscheidungen der Spieler ausführen, wodurch tatsächlich eine persönliche Bindung aufgebaut wird. Zudem haben die Schauspieler einen fantastischen Job geleistet und verkörpern ihre Charaktere nahezu perfekt.

Wähle dein Abenteuer

Das Spielprinzip von „Until Dawn“ lässt sich am ehesten mit „Heavy Rain“ vergleichen. Der Spieler übernimmt die Rolle von verschiedenen Charakteren, und darf sich mit ihnen in begrenzten Bereichen bewegen. Dabei kommt es immer wieder zu Entscheidungen, die mal größere, mal kleinere Auswirkungen haben. Diese Szenen kommen in verschiedenen Arten vor. Manchmal muss eine Aussage getroffen werden, manchmal der richtige Weg ausgewählt werden, und an einigen Stellen darf selbst über Leben oder Tod entschieden werden. Dabei lässt einem das Spiel genug Zeit, um auch wirklich alle Konsequenzen durchzudenken. Nur in den hektischen Situationen gibt es eine Zeitbeschränkung, die aber auch meist großzügig gesetzt ist. Viele dieser Entscheidungen wirken sich auf den Schmetterlingseffekt aus. Dieser besagt, dass selbst ein kleines Ereignis, das unbedeutend erscheint, monumentale Auswirkungen nach sich ziehen kann. Und genau diese Mechanik macht „Until Dawn“ zu einem Meisterwerk. Immer, wenn eine Aktion solch einen Effekt auslöst, sieht der Spieler Schmetterlinge auf dem Bildschirm. Anschließend können diese im Menü angezeigt werden, wo sie direkt mit anderen Entwicklungen verbunden werden, um alle Auswirkungen zu verfolgen. Dabei macht es nicht nur Spaß, zu sehen, was sich alles durch eine Entscheidung verändert hat, es gibt auch einen Anreiz, den Titel mehrfach durchzuspielen, um andere Nachwirkungen zu verfolgen. Dadurch verlängert sich auch die Spielzeit, denn während ein gründliches Durchspielen über zehn Stunden dauern kann, dürfte man dank eines zweiten oder dritten Durchlaufs ziemlich viel Zeit mit der Geschichte verbringen.

Zwischen den einzelnen Kapiteln taucht zudem der mysteriöse Dr. Hill auf, welcher den Spieler anscheinend behandelt. In den einzelnen Sitzungen stellt er diverse Fragen, die beantwortet werden wollen und ebenso das Spiel beeinflussen. Wer zum Beispiel angibt, dass er sich vor Clowns fürchtet, wird möglicherweise im späteren Verlauf auf einen unheimlichen Spaßbringer treffen. Was es genau mit dem Mann auf sich hat, wird natürlich noch erklärt. Die einzelnen Szenen fügen sich jedoch wunderbar in die Geschichte ein und geben dem Spieler eine weitere Möglichkeit, ein ganz eigenes Abenteuer zu erleben.

Der alte Indianer-Platz

Natürlich darf auch das Klischee der Entweihung nicht fehlen, weshalb die Anlage auf einem Platz gebaut wurde, auf dem einst die Urvölker lebten. Anstatt dies einfach nur in die Geschichte zu werfen, haben die Entwickler aber ein innovatives System eingebaut, das dem Spieler durchaus helfen kann. Wer sich nämlich genau umschaut, kann fünf verschiedene Arten von Totems finden, die eine mögliche Zukunft vorhersagen. Diese Visionen zeigen kurze Ausschnitte aus Szenen, in denen Charaktere sterben, eine Gefahr bevorsteht, oder etwas Gutes passiert, geben aber auch Tipps, wie man sich an einigen Stellen verhalten sollte, um einen möglichst positiven Verlauf herbeizuführen.

Das Finden dieser Totems ist nicht immer einfach, dennoch lohnt es sich umso mehr, wenn der Spieler das Geheimnis komplett auflösen möchte. Denn jedes Totem schaltet auch wenige Sekunden in einem Video frei, das die Ereignisse vollständig erklärt. Fehlt aber nur eines, wird der Film teilweise unterbrochen. Das einzige Manko an diesem System ist, dass die Charaktere selber diese Visionen nicht wahrnehmen und nur der Spieler einen Nutzen davon zieht. Davon abgesehen macht das aber die Geschichte noch spannender und treibt wirklich dazu an, jeden Winkel zu durchforsten.

Die Ereignisse der Vergangenheit

Doch nicht nur die Totems sind überall versteckt, auch diverse Hinweise zu verschiedenen Ereignissen lassen sich aus Zeitungsberichten, Schildern oder Bildern erfassen. Dabei wird immer mehr über den Unbekannten, die Zwillinge und einem Ereignis von vor vielen Jahren aufgeklärt, wodurch der Spieler erneut mehr über die Welt von „Until Dawn“ lernt. Während das in den meisten Spielen nur nette Details sind, die dazu anregen sollen, alles zu durchsuchen, haben sie in dem Horror-Abenteuer noch einen weiteren Sinn. Denn auch die Charaktere erhalten dadurch wertvolle Informationen, die sie im Verlauf der Nacht brauchen.

Die Auswirkungen der Informationen scheinen beim ersten Durchgang, in dem die meisten viele Hinweise finden, eher nebensächlich. Doch wer einmal nichts einsammelt, wird schnell merken, dass kaum einer weiß, was wirklich vor sich geht, und sogar einige Tode lassen sich nicht mehr vermeiden. Doch vor allem die Umgebungen verraten so ihre Geschichten, denn überall scheint etwas schreckliches geschehen zu sein, und die stimmigen Bilder und Zeitungsausschnitte leisten viel zur Atmosphäre des Spiels bei.

Der schmale Grat zwischen Leben und Tod

Eine weitere Besonderheit, die „Until Dawn“ nicht nur von anderen Spielen unterscheidet, sondern auch zu einem unvergesslichen Erlebnis macht, sind die Tode der Charaktere. Wer schon mal ein Spiel von Telltale Games gespielt hat, wird oft merken, dass Hauptcharaktere zwar sterben können, diese Szenen aber meist direkt wiederholt werden, da das von der Geschichte nicht vorhergesehen ist. In dem Horror-Spiel ist dies aber anders, denn sollte einer der spielbaren Charaktere sterben, geht die Geschichte ohne ihn weiter. Es kann den Spieler wahnsinnig machen, wenn sein Lieblingscharakter stirbt, weil ein schwerwiegender Fehler in einem Quick-Time-Event gemacht wurde. Zwar lassen sich solche Tode auch durch vorherige Entscheidungen vermeiden, ist die Situation aber erst einmal da, möchte man nur noch einen alten Spielstand laden und seinen persönlichen Helden retten.

Doch auch hier überzeugt „Until Dawn“, denn durch ein cleveres Speichersystem ist es nicht möglich, diese Szenen direkt zu wiederholen. Da das Spiel nach jeder wichtigen Szene speichert, und dabei den alten Speicherstand dauerhaft überschreibt, sind die Konsequenzen permanent, und erst nach dem Durchspielen erhält der Spieler die Chance, einen anderen Ausgang zu erhalten. Dadurch bleibt die Spannung permanent hoch, denn es besteht immer die Chance, dass der nächste Moment der letzte sein könnte. Natürlich sind diese Stellen vorgegeben, beim ersten Durchspielen kennt der Spieler diese aber noch nicht und kann sich nie in Sicherheit wägen.

Der Horror hat einen Jumpscare

Wer immun gegen sogenannte Jumpscares, also plötzliche Schockmomente, ist, der wird wohl nicht immer zusammenzucken müssen. Denn neben der überaus beängstigenden Atmosphäre, die durch eine entfernte Kameraposition noch unheimlicher wirkt, sind es vor allem diese Momente, die den Spieler zu Schreianfällen bringen könnten. Manchmal mag einer der Freunde plötzlich im Bild erscheinen und den Charakter erschrecken, manchmal tauchen andere Gefahren auf, die einen zum Aufspringen verleiten.

Um diese Momente auch festhalten zu können, bietet das Spiel eine Unterstützung für die PlayStation Kamera. In genau diesen Schockmomenten wird das Spielgeschehen nämlich gefilmt, und in einem Untermenü lassen sich die Gruselaufnahmen einsehen, jeweils mit der Spielszene und dem gefilmten Material. Das ist besonders schön, wenn man den Freunden zeigen möchte, wie hart oder ängstlich man ist, oder um einfach eine schöne Erinnerung zu behalten.

Das einzige, womit die Entwickler den Zorn der Spieler heraufbeschwören, ist die DLC-Politik. Bereits zum Start gab es eine kleine Erweiterung, die nur Käufern einer teureren Version zugänglich ist. Wer erst nachträglich die zusätzlichen zehn Minuten spielen möchte, muss verzichten. Allerdings ist die Bonus-Episode wirklich kurz und vermutlich kaum der Rede wert. Sie wurde aber ebenso offensichtlich aus dem fertigen Spiel herausgeschnitten, um ein wenig mehr Geld zu machen. Das ist wirklich schade, denn ansonsten gibt es kaum Grund zur Kritik.

Technik

Auf der technischen Seite leistet der Titel gute Arbeit. Zum einen wäre da die Grafik, die unglaublich gut ausgefallen ist. Egal ob ein Schneesturm, düstere Minen oder die Hütte, alles sieht fantastisch aus, vor allem durch das Lichtspiel. Genau so müssen Spiele der aktuellen Generation aussehen. Auch die Charaktere sehen fantastisch aus, mit glaubwürdigen Animationen und unglaublich vielen Details. Lediglich ihre Gesichtsbewegungen sehen manchmal etwas merkwürdig aus, besonders, wenn sie sprechen. Da kann der Mund schon mal zu einem ganz eigenen Gruselfaktor werden.

Derweil ist die Bildrate stabil, im Test sind keine Einbrüche vorgekommen. Besonders beeindruckend ist aber die musikalische Untermalung, die mit genau den richtigen Klängen zum richtigen Zeitpunkt punkten kann und die ohnehin schon tolle Atmosphäre nochmal signifikant aufwertet, passend mit einem ohrwurmlastigen Titellied. Am Ende stehen die Sprecher, die auch in der deutschen Version einen tollen Job machen, obwohl sie besonders am Anfang ein wenig übertreiben, was jedoch auch zum Markenzeichen des Genres geworden ist. Im englischen Original übernehmen die Schauspieler selbst die Vertonung. Um die Wahl zu vereinfachen, lässt sich im Menü jederzeit der Originalton auswählen.

Die Steuerung ist durch die statischen Kameraperspektiven hingegen oft umständlich und möchte oft nicht das ausführen, was der Spieler im Sinn hat. Aber auch hieran kann man sich gewöhnen, und in den wichtigen Momenten lassen sich Entscheidungen und Quick-Time-Events kinderleicht ausführen. Lediglich die Steuerung der Taschenlampe ist sicherlich nicht für jeden optimal, auch nicht mit Bewegungssteuerung.