2008 erschien mit „Dead Space“ ein Titel, der das Horror-Genre maßgeblich beeinflussen sollte. Durch seinen Sci-Fi-Horror, gepaart mit einer unvergleichlichen Kulisse und einer Weiterentwicklung der Survival Elemente, die einige Jahre zuvor „Resident Evil 4“ revolutioniert hatte, gelang Visceral Games der große Wurf. Auch der zweite Teil wurde gefeiert, obwohl dieser bereits mehr Action im Gepäck hatte - eine Entwicklung, die dem dritten Teil zum Verhängnis wurde. Der Mann hinter dem ersten Teil, Glen Shoefield, kehrt nun aber mit „The Callisto Protocol“ zurück, das als geistiger Nachfolger beworben wurde. Das stimmt nicht so ganz, denn der Titel geht schon früh seine eigenen Wege.

Grausame Flucht

Eigentlich ist Protagonist Jacob Lee auf einer normalen Transportmission, um wichtige Ware vom Mond Europa zum Black Iron Prison auf Callisto zu bringen. Dabei werden er und sein Partner aber von der scheinbar bösen Outer Way-Gruppierung überfallen, was nicht nur in einer Bruchlandung resultiert, sondern Jacob und die Leiterin der Gruppe, Dani Nakamura, als einzige Überlebende zurücklässt. Diese werden festgenommen - trotz Jacobs Unschuld - und sind fortan selbst Gefangene. Zum echten Alltag kommt es aber nicht, denn plötzlich verwandeln sich Insassen in mutierte, blutrünstige Monster, die jeden normalen Menschen regelrecht verstümmeln. Jacob kooperiert deshalb mit dem langjährigen Gefangenen Elias, und gemeinsam versuchen sie, der Hölle zu entkommen.

Die Geschichte bietet eine interessante, wenn auch nicht unbedingt originelle Prämisse, die sich aber erst spät entfaltet. Der Fokus liegt auf dem Überlebenskampf, weshalb es lange nicht zu neuen Enthüllungen oder Entwicklungen kommt. Erst ab der Hälfte wird langsam aufgeklärt, was eigentlich passiert. Das ist etwas problematisch, denn einerseits nimmt sich das Spiel immer wieder Zeit, Informationen preiszugeben, auf der anderen Seite geschieht das aber nicht regelmäßig und somit fühlen sich die entsprechenden Passagen sehr aufgesetzt an. Echte Überraschungen gibt es aber sowieso nicht, da recht schnell klar wird, was eigentlich passiert, und die abgedrehtesten Elemente bereits aus anderen Titeln bekannt waren. Originalität wird hier eher klein geschrieben, dennoch ist die Geschichte nicht unbedingt schlecht. Das liegt zum einen an der Inszenierung, zum anderen aber an den durchweg interessanten Charakteren. Vor allem Karen Fukahara als Dani ist ein großes Highlight.

Blutiges „Punch Out“

In den Minuten, in denen Spieler*innen die Kontrolle von Jacob übernehmen, könnte man meinen, dass hier ein „Dead Space“ in der Konsole liegt. Die Schulterkamera sowie die grotesken Gegner erinnern an das Vorbild, doch der Spielfluss ist dank des Kampfsystems ein komplett anderer. Anfangs erhält man einen Schlagstock, und mit diesem lassen sich in der ersten Hälfte alle Gegner besiegen. Dafür gibt es eine normale Kombo, der schwere Schlag muss zunächst freigeschaltet werden. Somit liegt der Fokus nicht unbedingt darauf, aus der Distanz Feinde abzuschießen, sich in Sicherheit zu bewegen und seine Munition im Auge zu behalten. Vielmehr wird man dazu eingeladen, direkt auf die Monster zuzulaufen.

Bemerkenswert ist das Ausweichsystem, das an „Punch Out“ erinnert. Jacob visiert Feinde automatisch an, und wenn dabei der rechte Stick nach links oder rechts bewegt wird, lehnt er sich zur entsprechenden Seite, um den Angriffen auszuweichen. Dies muss aber abgewechselt werden, denn wer sich nur in eine Seite lehnt, wird promt vom nächsten Angriff getroffen. Gepaart wird das mit einem Block, wenn man den Stick nach hinten bewegt, und somit ergibt sich ein überraschend simples Kampfsystem, an das man sich erstmal gewöhnen muss. Nach einer halben Stunde hat man die Manöver aber verinnerlicht und somit lassen sich auch Gegnerhorden mit geschicktem Timing vernichten, ohne nur eine Kugel zu verbrauchen. Die wuchtigen Schläge bleiben stets ein Fest, und da man die Übersicht über die Gegner nicht verlieren darf, geht auch die Herausforderung nicht verloren.

Unterwältigende Schussgefechte

Natürlich dürfen Schusswaffen aber nicht fehlen, die sich sogar in das Prügel-System integrieren. Nach einer ausgeführten Kombo erscheint manchmal nämlich ein blaues Ziel, und wer schnell genug anvisiert und abfeuert, kann immensen Schaden zufügen, da der Gegner dann automatisch getroffen wird. Doch auch ansonsten lassen sich die Gegner mit Kugeln töten, auch wenn das nicht ganz so effektiv ist, da die Munition begrenzt ist und die Monster so einiges aushalten. Dennoch lassen sich Gliedmaßen abschießen, sodass Feinde plötzlich nur noch krabbeln können - was den Stampfangriff besonders einladend macht.

Die Waffen fühlen sich wuchtig an, und werden im späteren Verlauf dann auch immer wichtiger, um Situationen vor dem Nahkampf zu vereinfachen. Leider ist die Waffenauswahl nicht besonders groß, denn es gibt lediglich fünf davon, wobei es sich bei zweien lediglich um grobe Variationen handelt. Zwar lassen sich alternative Feuermodi freischalten, die Kosten sind dafür aber so hoch, dass man das nicht bei allen Waffen schaffen wird. Mehr Vielfalt wäre hier wünschenswert gewesen.

Monströse, monsterhafte Monster

Die Gegner selbst sind alleine vom Design her schon eine Wucht, bieten dann aber natürlich auch spielerische Eigenheiten. Einige spucken Gift, andere sind besonders groß, sodass man stets aufpassen muss, welche Feinde man zuerst in Angriff nimmt. Das große Problem offenbart sich leider recht schnell, denn es gibt schlichtweg zu wenige Gegnerarten. Da hilft es auch nicht, dass sie im späteren Verlauf mutieren, denn man lernt ihre Eigenarten schnell und wiederholt somit die erlernten Abläufe, anstatt sich stets neue ausdenken zu müssen. Mindestens die doppelte Anzahl hätte drin sein müssen, damit die Kämpfe nicht immer in dasselbe Muster verfallen. Zwar unterhalten sie stets, missen aber die Abwechslung.

Dann wäre da noch ein besonders starker Gegner, der als Mini-Boss eine grausam öde Wellen-Arena-Passage beendet. Besonders spannend ist er nicht, und ein Treffer kann bereits den Tod bedeuten, dafür hält er aber viel zu viel aus. Der bereits bei der ersten Begegnung langweilige Kampf wird dann sogar noch einige Male wiederholt, was katastrophal für den Spielspaß ist. Wäre dieser weggelassen worden, wäre das letzte Viertel des Spieles weitaus besser geworden.

Einfacher ist besser

Bei all der Action sollte man aber nicht vergessen, dass „The Callisto Protocol“ kein einfaches Spiel ist. Munition und Heilmittel lassen sich zwar durch besiegte Gegner erlangen, indem man auf deren Leichen stampft, ansonsten sind sie aber spärlich verteilt. Insbesondere gegen Ende, wo man viel zu viel Munition für wenige Feinde verbraucht, wird das zum Problem, selbst auf dem leichtesten Schwierigkeitsgrad. Den empfehlen wir derweil, wenn man das beste Spielerlebnis haben will, denn bereits auf der normalen Stufe halten die Feinde viel zu viel aus. Das macht die Kämpfe nicht spannender oder herausfordernder, sondern zieht sie einfach in die Länge, und wird vor allem bei dem besagten Boss-Monster zu einer Qual.

Problematisch ist auch das Heilen, denn um das entsprechende Item zu nutzen, benötigt Jacob über fünf Sekunden - somit wird es im Kampf selbst nutzlos. Da die Schlachten aber gerade auf den höheren Stufen so unfair sind, dass man nach zwei Schlägen bereits sterben kann, und sich durch die langen Lebensleisten der Gegner ziehen, fühlen sie sich noch unfairer an. All das wird nicht komplett auf der leichtesten Stufe behoben, denn selbst da ist Taktik gefragt, und die Kämpfe sind alles andere als leicht. Zumindest fühlen sie sich aber fairer an und wie das, was die normale Stufe hätte sein müssen.

Beeindruckendes Spektakel

Die Kritikpunkte wiegen schwer, lassen sich aber vergessen, wenn man durch die Gänge des Gefägnis läuft. Jeder Bereich wurde mit einer dermaßen beeindruckenden Liebe zum Detail designed, dass man sich immer wieder umgucken möchte, um die Atmosphäre einzusaugen. Obwohl man fast die gesamte Zeit über im Komplex unterwegs ist, sehen die Bereiche nicht gleich aus und verfügen stets über etwas einzigartiges. Wirklich gruselige Stimmung kommt vielleicht aufgrund des Action-Fokus nicht auf, mit Ausnahme einiger sich wiederholender Jumpscares, doch das Setting wurde von den Entwickler*innen bestens ausgenutzt.

Auch Erkundungstouren lohnen sich. Immer wieder lassen sich optionale Wege finden, die durchaus lang geraten sind und wertvolle Belohnungen preisgeben. Man kann sie natürlich auch ignorieren, die zusätzlichen Items sowie die durchaus interessanten Kämpfe sollte man aber nicht missen. Zudem gibt es dort Pläne für optionale Waffen sowie Geld, um Waffen im 3D-Drucker aufzuwerten. Zwar lassen sich nicht alle Upgrades kaufen, weil die Geldmenge begrenzt ist, und die vielleicht spannendste Waffe wird so spät eingeführt, dass sie ihr Potential nie entfaltet. Alleine zu sehen, wie neue Teile dem bestehenden Arsenal im Drucker hinzugefügt werden, sieht aber fantastisch aus und lässt einen vollends in die Welt eintauchen.

Visueller Knaller!

Zuerst ein Hinweis: Wir haben die PlayStation 5-Version gespielt, die technisch mit Abstand am besten daherkommt. Zwar wird an Patches gearbeitet, jede andere Fassung leidet aber unter mehr oder weniger gravierenden Problemen. Zumindest auf PS5 ist davon aber nichts zu spüren, denn im Performance-Modus bleiben die 60 FPS meistens erhalten und sinken nur selten, während die Kulissen fantastisch aussehen und auch die Ladezeiten sehr kurz bleiben. Das haptische Feedback wird bestens genutzt, während die adaptiven Trigger nur vorsichtig zum Einsatz kommen. Im Quality-Modus sehen die Kulissen dann dank Ray Tracing noch besser aus und machen „The Callisto Protocol“ zu einem der grafisch besten Titel, die man aktuell erwerben kann.

Auch die Soundkulisse ist sich ihrem Effekt bewusst, weshalb ruhige mit lauten Tönen so vermischt werden, dass sie alleine bereits ein unwohles Gefühl auslösen - selbst wenn gar kein Gegner auftaucht. Sicher fühlt man sich nie, da lässt es sich auch verschmerzen, dass die musikalische Untermalung völlig in den Hintergrund gerät. Und dann wäre da natürlich noch der übertriebene Gore, der vor einigen Jahren noch in Deutschland verboten worden wäre. Das Team zieht hier keine Grenzen und somit werden Schädel eingetreten, Gedärme zerkleinert und Gliedmaßen abgetrennt, was einen starken Magen verlangt. Die Schauspieler*innen runden das Paket bestens ab, auch wenn man nicht allzu viele Gesichter sehen wird.