Ein Rollenspiel ganz ohne Drachen, Magie oder Fantasy-Elemente. Das ist das Versprechen, das Warhorse Studios den 35.384 Kickstarter-Unterstützern gegeben hat, um Geld für „Kingdom Come: Deliverance“ zu sammeln. Natürlich ist das Spiel nicht wie geplant noch 2015 erschienen, da das Projekt deutlich gewachsen ist und dank einem Publisher-Deal noch mehr Geld zusammenkam, um die ursprüngliche Vision zu erfüllen. Leider wurde die Entwicklung aber auch immer wieder von Kontroversen begleitet, vor allem in Bezug auf das Fehlen von dunkelhäutigen Menschen in Böhmen. Auch die rechtsextremen und provozierenden Kommentare des GamerGate-befürwortenden Creative Directors Daniel Vávra sind höchst umstritten. Das Thema wollen wir jedoch aufgrund des fehlenden Fachwissens gar nicht vertiefen und uns lieber anschauen, ob das Spiel seine Versprechen einhalten kann.

Es war einmal...

Die Geschichte beginnt in einem kleinen Dorf in Böhmen im Jahr 1403, wo Henry das gemütliches Leben bei seinen Eltern verbringt und eines Tages in die Fußstapfen seines Vaters treten soll, der ein beliebter Schmied ist. Nachdem man das Dorf kennengelernt hat, kommt es aber zur großen Tragödie und Henry muss sich an ein neues Leben gewöhnen, bei dem er zum Glück an die richtigen Leute gerät. Was folgt ist eine Rachegeschichte wie sie im Buche steht, während Henry in zahlreiche Ereignisse involviert ist, die sein Leben maßgeblich prägen.

Obwohl die Welt historisch korrekt sein soll, bleibt die Geschichte sehr blass. Die klassische Rachegeschichte wird auch im späteren Verlauf nicht spannend und trotz einiger Wendungen halten sich die Überraschungen in Grenzen. Das ist schade, denn eigentlich sind die historischen Gegebenheiten spannend, und Henry ein interessanter Hauptcharakter. Alleine das langsame Tempo wirkt aber bereits abschreckend, denn in Sachen Pacing haben die Macher keine gute Arbeit geleistet. Glücklicherweise lebt das Spiel von den Geschichten, die der Spieler selber schreibt, auch wenn der rote Faden einen immer wieder beansprucht.

Reise in eine andere Zeit

Das eigentliche Highlight ist die Welt selber. Schon anfangs wird man von der Authentizität beeindruckt, denn alle Dörfer und Städte wirken viel realistischer als bei der Konkurrenz. Der Aufbau der Ortschaften ist stets logisch und auch die Größe ist weder zu klein noch zu groß, sodass nichts beliebig wirkt. Auch die weiten Flächen dazwischen, die einzelnen Gebäude und das Leben der Dorfbewohner ist beeindruckend, wenn man das Budget der Macher bedenkt. Gerade bei den Wäldern dürfen andere Studios gerne abgucken, denn diese sind so dicht und aufregend, dass man sich gerne in ihnen verirrt.

Auch der eigene Charakter passt herrlich in die Welt herein. Man muss nämlich ständig das eigene Verhalten bedenken, denn das Verhalten der NPCs verändert sich dahingehend. Man kann zum berüchtigten Saufkopf werden, was sogar spezielle Skills aktiviert. Wenn man stattdessen badet und sich besser kleidet, wird einem das angesehene Volk wohlgesinnt entgegentreten. Wer hingegen Medikamente herstellen will, darf nicht einfach ein Crafting Menü aufrufen, sondern die Materialien suchen, diese verarbeiten und einem Rezept folgen, vorausgesetzt man hat vorher lesen gelernt. Die ineinandergreifenden Systeme sind zum großen Teil hervorragend und lassen einen so tief in die Welt hineintauchen wie nur bei wenigen Spiele zuvor. Dabei verlangt „Kingdom Come: Deliverance“ vom Spieler stets Eigenständigkeit, denn nach den Tutorials muss man selbst überlegen, wie sich Henry entwickeln soll.

Alles ist verbunden

Bei den Aufgaben kommt das schlechte Pacing zum Tragen, denn es dauert lange bis man wirklich die Vielfalt erleben darf. Dann begrüßen einen aber spaßige, dramatische, traurige und komplexe Aufgaben. Es gibt niemals nur eine Lösung, sondern immer einen ganzen Haufen. Irgendwann untersucht man einen Mord an Pferden sowie einem Familienoberhaupt und soll den Fall klären. Das führt einen zu zwei Dieben, von denen einer bereits im Sterben liegt. Man kann sie nun angreifen und Informationen entlockt, sie belauschen und anschließend ausrauben oder verfolgen, um ein Lager zu entdecken. Die Möglichkeiten sind oftmals so groß, und nur wer sich nicht sofort ins Gefecht stürzt wird die spannenderen Optionen entdecken und vielleicht sogar nahezu niemanden töten.

Leider sind nicht alle Aspekte ständig logisch. Es ist zum Beispiel beeindruckend, dass wenn man Medizin für einen Kranken herstellen soll, dieser Aufgabe ohne Ablenkung nachgehen sollte. Beschäftigt man sich nämlich mit anderen Aktivitäten, kommt man vielleicht zu spät zurück und der Hilfsbedürftige ist bereits tot. Leider ist das etwas unpassend, denn bei anderen Aufgaben kann man sich alle Zeit der Welt lassen, obwohl es auch dort Konsequenzen geben müsste. Das ist zwar alles noch im Rahmen des Akzeptablen und man gewöhnt sich schnell daran, dennoch bricht das die perfekte Immersion. Zudem wird man auch einfachere Quests annehmen, die meisten davon sind allerdings gut geschrieben und fügen sich toll in die Welt voller Konflikte und Leid ein.

Für nervenstarke Spieler

Beim Kampfsystem werden definitiv nicht alle Spieler glücklich werden. Während die Erklärungen von Kombos, Stichen und Blocken simpel klingen, ist die Ausführung anfangs eine Qual. Man hat nämlich fünf Richtungen, von denen man aus schlagen kann, zur Auswahl und muss oftmals schnell wechseln, was durch die Steuerung nicht immer gut von der Hand geht. Zu oft bewegt man den Stick zu lange und schaut somit vom Gegner hinweg, es benötigt also einiges an Einarbeitungszeit bis man die Manöver souverän ausführen kann. 

Wer die Zeit investiert, wird aber zusammen mit dem Hauptcharakter besser und stärker. Dann besiegt man Feinde in kurzer Zeit und braucht sich keine Sorgen mehr zu machen, überfordert zu werden. Das geschieht nicht durch die Skillpunkte, sondern das Können des Spielers. Trotzdem wird man nie zu mächtig, und gerade wenn mehrere Feinde vor einem stehen ist ein Rückzug eine empfehlenswerte Option. Man muss sich auf das sperrige, nicht immer völlig funktionierende Kampfsystem einlassen, um wirklich Spaß damit zu haben. Dann verzeiht man auch die Momente, in denen durch Bugs die perfekten Schläge nicht ausgeführt werden. 

Ärger im historischen Paradies

Sperrige Systeme lassen sich nicht unbedingt durch die Realismus-Karte erklären. Gerade das Itemmanagment frustriert auf Dauer, denn ständig verschiebt man etwas auf sein Pferd nur um es dann wieder selbst aufzunehmen und zum Händler zu bringen. Das ist zwar logisch, doch gerade hier könnten Anpassungen den Spielfluss verbessern, zumal niemand diesem Verschieben nachweinen würde. Auch die Definition von Männlichkeit ist fragwürdig, denn man ist wohl kaum alleine deshalb charmanter, dass man sich nicht wäscht. Bei vielen Dialogen mit Frauen bekommt man geradezu Bauchschmerzen, und diese Passagen fühlen sich auch nicht völlig akkurat an. 

Auch viele langweilige Stellen wird man hinnehmen müssen. Lange Wege und Suchmissionen sind in der Welt etwas gewöhnungsbedürftig, meist wird man dafür aber mit spannenderen Quests belohnt. Wirklich katastrophal ist aber erst das Speichersystem, denn nur in einem Bett oder beim Baden kann man immer speichern, unterwegs benötigt man einen besonderen Schnapps. Alle Spieler kennen aber die Momente, in denen man eine Pause einlegen muss oder nur für kurze Zeit in so eine Welt eintaucht, was hier zwar auch möglich ist, jedoch nur wenn man das Item bei sich trägt. In einem Patch soll das verbessert werden, aktuell ist das aber wahnsinnig nervig.

Verbesserungen benötigt

Das größte Problem, weshalb man „Kingdom Come: Deliverance“ in seiner aktuellen Form nur schwer empfehlen kann, ist die technische Leistung. Die mitunter schwachen Texturen und starren Animationen lassen sich verschmerzen, die Bildrate stellt ebenfalls nie ein ernsthaftes Problem dar. Zahlreiche Bugs und Glitches zerstören aber das Spielerlebnis. Eigentlich sollte Einbruch strafbar sein, es war aber möglich einfach an NPCs vorbeizulaufen, ohne dass sie einen bemerkten, allerdings auch nicht immer. Zudem bleibt man manchmal auf Treppen stecken, NPCs bewegen sich nicht mehr und Questmarker verschwinden. Aufgrund des Speichersystems sind auch die Abstürze vernichtend, durch die an einer Stelle mehrere Stunden verloren gegangen sind. Die aktuelle Fülle an Problemen beeinträchtigt die tollen Systeme und verstärkt die negativen Punkte noch mehr, und diese treten Berichten zufolge nicht nur auf PlayStation 4, sondern auch auf den anderen Plattformen auf.

Ansonsten gibt es nicht viel zu meckern. Die deutsche Synchronisation ist überraschend gut und kann trotz einiger Fehlbesetzungen mit der englischen Variante mithalten. Die Musik ist nicht überragend, passt jedoch zu den entsprechenden Situationen. Leider gibt es auch Tonfehler, weshalb manche Sätze in Dialogen nicht ausgesprochen werden. Das passt zum durchwachsenen Paket, kann jedoch leicht behoben werden.