Wer gestern halbwegs aufmerksam in der Internetgemeinde unterwegs war, der dürfte mitbekommen haben, dass die Kollegen von Eurogamer sich von ihrem Wertungssystem verabschiedet haben. Ein mutiger Schritt, der einer schon lange anhaltenden Diskussion vielleicht den nötigen Anstoß gibt.

Statt einer Zehn Punkte-Skala setzt Eurogamer fortan auf ein Empfehlungssystem. Unterschieden wird zwischen Empfehlungen, Totalausfällen, von denen man die Finger lassen sollte und überragenden Spielen, die niemand verpassen sollte. Zusätzlich gibt es noch Spiele, die gar keine Wertung erhalten, einfach weil sie nur unter Vorbehalt empfohlen werden könnten. Ein einzelner Satz oder eine Punktzahl reichen nicht aus, um diesem komplizierten Fall gerecht zu werden.

Und hier kommen wir zu des Pudels Kern: Unser Wertungssystem funktioniert immer dann gut, wenn es sich um einen ganz eindeutigen Fall handelt. Ein „The Last of Us“ oder „Majora’s Mask 3D“ verdienen ohne Frage eine Bewertung im obersten Bereich. Hier gibt es kaum Diskussionsbedarf, höchstens erst dann, wenn es darum geht, die maximale Punktzahl von 10 Punkten zu zücken. Ein absolutes Luxusproblem also. Die Stelle, wo das Punktesystem problematisch wird, sind die kontroversen Spiele, die zwischen den Grenzen stehen. Am häufigsten ist das die Schwelle zwischen sieben und acht Punkten – also das qualitative Mittelfeld.

Ein Beispiel, das auch die deutschen Kollegen von Eurogamer in ihrem Statement zur Hilfe ziehen, ist „Alien: Isolation“. Die dichte Atmosphäre und das beklemmende Gefühl, die aufkommen, sind eigentlich Grund genug, dem Spiel eine klare Empfehlung in Form von 8 Punkten zu geben. Auf der anderen Seite sind da die vielen Fehler, die sich das Spiel leistet, die wieder zur 7er-Wertung schwanken lassen. Wie man es auch dreht und wendet; das Gefühl bleibt, dass man mit beiden Wertungen irgendeinem der zahlreichen Aspekte nicht gerecht wird.

Alien: Isolation gehörte zu den kontroversesten Spielen des letzten Jarhes

Aus purer Verzweiflung greifen viele Redaktionen zu Zwischenwertungen, wie 7,5 Punkten. Doch hilft das tatsächlich weiter? Der Leser weiß nun, dass sich das Spiel zwischen Empfehlung und Durchschnittskost befindet, nun einmal in der Mitte. Der nächste Schritt wäre dann eine 7,6 zu vergeben, um dem Leser verständlich zu machen, dass „Alien: Isolation“ die Tendenz zur Empfehlung aufweist. Ihr merkt schon wohin das führt: geradewegs ad absurdum. Wieso das eine Spiel 7,6 und das andere 7,7 Punkte erhält, kann niemand mehr so recht erklären. Auch hanebüchene Rechnungssysteme machen das Ganze nicht besser, sondern nur noch schlimmer und helfen niemandem weiter.

Spiele sind immer komplexer geworden. Zum Teil so komplex, dass der Einzelspieler und Online-Modus eines „Call of Dutys“ gesondert betrachtet wird. Kann ich ein Spiel schlechter bewerten, wenn es im Online Modus mit Verbindungsproblemen zu kämpfen hat, aber im Singleplayer mit einer überragenden Erzählweise überzeugt? Meinem Empfinden nach ist „The Last of Us“ trotz seiner wiederholenden Spielmechanik in seiner Erzählweise eine echte Offenbarung und sollte dementsprechend bewertet werden. Und auch wenn die Kampagne von „Call of Duty“ wieder absolut dämlich ist, bekommt man online kaum wo anders so gute Unterhaltung geboten.

Das Empfehlungssystem von Eurogamer macht in diesen Hinsichten viel richtig und versucht auch aktuellen Entwicklungen, wie Early Access-Spiele, Day One-Patches und Episoden-Spielen gerecht zu werden, auf die ich an dieser Stelle gar nicht eingegangen bin. Eurogamer leistet einen wichtigen und mutigen ersten Schritt in eine Richtung, der auch andere große Medien folgen sollten, um so für ein allgemeines Umdenken zu sorgen.


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