Filmbesprechung: Tetris
Erinnert ihr euch noch an den Film „Pixels“? Ein ähnliches Fiasko hatte ich erwartet, als ich zum ersten Mal gehört habe, dass „Tetris“ verfilmt wird. Falsch gedacht, denn die Verfilmung von Regisseur Jon S. Baird („Stan & Ollie“) und Drehbuchautor Noah Pink („Genius“) ist keine Videospielverfilmung im eigentlichen Sinn, sondern ein biographischer Thriller über die Geschichte hinter „Tetris“. Es geht um den Erfolg eines der bekanntesten Videospiele aller Zeiten. Aber auch um die Verstrickungen dahinter und darüber, wie zwei Männer auf den entgegengesetzten Seiten des eisernen Vorhangs zu einer lebenslangen Freundschaft fanden.
Im Jahr 1988, kurz vor dem Ende der UDSSR, kommt der Geschäftsmann und Videospielentwickler Henk Rogers, gespielt von Taron Egerton („Kingsman: The Secret Service“, „Rocketman“), auf einer Messe in Las Vegas mit einem Spiel aus Russland namens „Tetris“ in Berührung. Auf der Stelle verfällt er dem simplen Spielprinzip, das als Mischung aus Tennis und dem Puzzlespiel Pentomino beschrieben wird. Henk Rogers wittert seine Chance und möchte das Spiel mit seiner Firma Bullet-Proof Software nach Japan bringen und dort an Nintendo lizensieren.
Doch dann stellt sich raus, dass Henk nicht der Einzige ist, der an „Tetris“ interessiert ist und dass die Rechte am Spiel niemals vergeben wurden. Unvorbereitet fliegt Henk nach Russland, um dort einen Lizenzvertrag mit der russischen Staatsfirma Elorg und dem „Tetris“-Erfinder Alexei Paschitnow, gespielt von Nikita Yefremov („Londongrad“, „The Thaw“), abzuschließen. In Moskau angekommen findet sich Henk allerdings in einem immer bedrohlicher werdenden Wettlauf um die gewinnbringenden Rechte an „Tetris“ wieder.
Zwar basiert die Verfilmung auf wahren Begebenheiten, nimmt sich aber zu filmischen Zwecken auch Freiheiten, und schmückt bestimmte Aspekte aus. Bei seiner Verpflichtung für den Film verglich Taron Egerton das Drehbuch mit „The Social Network“, die Verfilmung der Geschichte hinter Facebook. Inwiefern der KGB tatsächlich in die Verhandlungen um die Lizenzrechte involviert war, ist daher fraglich und eine Verfolgungsjagd quer durch Moskau gab es laut Henk Rogers auch nie. Abseits dessen ist die Geschichte aber weitestgehend belegt und folgt realen Personen. So gilt als überliefert, dass die Streitereien bei den Verhandlungen um die Rechte an „Tetris“ tatsächlich bis zu den höchsten Rängen der Sowjetunion getragen wurden.
Die politischen und wirtschaftlichen Verstrickungen am Verhandlungstisch sind aber nur ein Teil der Geschichte hinter „Tetris“. Denn auf einer persönlichen Ebene geht es auch um die Geschichte der Freundschaft zwischen Henk Rogers und Alexei Paschitnow. Bis heute sind die beiden miteinander befreundet und treten etwa bei Panels auf, um ihre gemeinsame Geschichte zu erzählen. Daher ist es schade, dass ihre Freundschaft im Vergleich weniger Bildschirmzeit geschenkt bekommt. Für die Zuschauer:innen scheint es daher so, als sei ihre gegenseitige Verbundenheit einzig über ihre gemeinsame Vorliebe zur Programmiersprache Assembler und dem Song „The Final Countdown“ von Europe begründet. Vielleicht war es den realen Personen aber auch ein Anliegen, dass ihre filmische Darstellung nicht zu tief in ihr Privatleben blicken lässt. Immerhin sind der echte Henk Rogers und Alexei Paschitnow am Film als ausführende Produzenten beteiligt gewesen. Henk Rogers verriet zumindest, dass beide das Drehbuch vorab lesen konnten und Anmerkungen hinsichtlich der Authentizität machen durften.
In Interviews erzählt Henk Rogers immer wieder, dass es wohl jugendlicher Leichtsinn und Naivität gewesen sei, die ihn nach Russland trieben. Und, dass er es aus heutiger Sicht wohl nicht noch einmal tun würde. Taron Egertron überzeugt in dieser Rolle als globaler Geschäftsmann, der geblendet durch sein Charisma und seine Redegewandtheit glaubt, er könnte mit dem Kapitalismus im Gepäck einfach in das kommunistisch beherrschte Russland marschieren. Auf der anderen Seite steht Nikita Yefremov als Alexei Paschitnow, der vom Kommunismus enteignet wurde und jetzt persönlich bedroht wird, obwohl er mit der Entwicklung von „Tetris“ nur seiner Leidenschaft nachging. „Tetris“ gelingt es anhand beider Figuren die damals herrschenden Gegensätze herauszuarbeiten und nebeneinander zu halten. Der den Menschen als Individuum verachtende Kommunismus kommt dabei nicht besser davon als die von Gier getriebenen Kapitalisten des Westens.
Trotz der ernsten Kulisse, vor der die Ereignisse spielen, ist „Tetris“ angenehm kurzweilig. Der Film wurde in den Trailern Action-reicher vermarktet als er letztlich ausfällt, hält aber durch die vielen Wendungen und verschiedenen Schauplätze dennoch ein treibendes Erzähltempo bei. Es steckt überraschend viel Humor in dem Film, dessen Witz zu einem Großteil von Taron Egerton und der Kombination aus dem herrlich überinszenierten Roger Allam („V for Vendetta“, „Game of Thrones“), als Medienmogul Robert Maxwell, und Anthony Boyle („The Lost City of Z“, „Tolkien“), als sein Sohn Kevin Maxwell, hervorgeht. Leidenschaftliche Videospielfans dürfen sich außerdem über toll umgesetzte Magic Moments der Videospielgeschichte freuen.
Man kann „Tetris“ sicherlich ankreiden, dass er nicht immer historisch korrekt ist und dass die Handlungsstränge abseits des Verhandlungstisches zu kurz gehalten werden. Allerdings erkannten die Macher:innen die Brisanz einer zu selten erzählten Geschichte in den Ausläufern des kalten Krieges und schaffen es den juristischen Rechtsstreit um „Tetris“ packend und massentauglichen zu inszenieren. Der Film funktioniert gleichermaßen, ob ich mit Videospielen aufgewachsen bin oder noch nie eine Runde „Tetris“ zuvor gespielt habe – so unwahrscheinlich das bei über 425 Millionen verkauften Spielen auch sein mag.
„Tetris“ ist seit dem 31. März Teil des Streamingangebots von Apple TV Plus. Mehr zum Film erfahrt ihr außerdem in der neuesten Ausgabe unseres Podcasts Pixel, Polygone & Plauderei.
Das sagen unsere Leser:
Wer eine ordentliche, faktische Doku will, bitteschön!