Unsere letzte „Inside Nintendo“-Reportage drehte sich um die Frage, wie das kultige SNES eigentlich entstanden ist. Zum Schluss ging es um die vielen, teils kuriosen Zusatzgeräte, die im Laufe der Lebensspanne für die Konsole herausgebracht worden sind. Doch die interessanteste dieser Peripherien, obgleich sie nie auf den Markt kommen sollte, ist derart besonders, dass ihr ein eigener Bericht zusteht. Die Rede ist von einem Gemeinschaftsprojekt mit Sony zur Entwicklung eines CD-ROM-Laufwerks für das SNES. Das Projekt endete damit, dass Sony mit der PlayStation ein Konkurrenzprodukt zu Nintendos Konsolen herausbrachte. Wie es dazu kam – das alles erfahrt ihr im Detail hier!

Dieses offizielle Foto zeigt den Prototyp einer gemeinsam von Sony und Nintendo entwickelten Konsole, die SNES-Module sowie CDs unterstützt.

Multi-Media-Kulti

Unsere heutige digitale Welt beruht im Wesentlichen auf der Vernetzung leistungsfähiger Techniken und der Verbreitung neuartiger Massenspeichermedien. Was seit einigen Jahren nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken ist, war Anfang der 1990er Jahre noch Zukunftsmusik und wurde unter dem mächtigen Schlagwort „Multimedia“ gehandelt. Die wichtigste Multimedia-Vorreitertechnologie war dabei die CD-ROM – sie ermöglichte die Verbreitung damals unermesslicher Mengen an Informationen, Bildern und Klängen und eröffnete damit schier unberechenbare Möglichkeiten. Sie verwandelte biedere Computer in interaktive High-Tech-Unterhaltungsgeräte. – Die Menge an hohlen Phrasen im vorstehenden Absatz macht deutlich: Die CD-ROM war damals ganz einfach das Medium der Zukunft.

Was heute omnipräsent ist, musste damals erst noch verwirklicht werden. Multimedia, das war vor allem ein großer neuer Markt, und darum wollte jeder etwas vom Kuchen abhaben. Doch neue Technologien benötigen einige Zeit, bis sie sich durchsetzen können. Meist sind daran Schuld das Fehlen einer sogenannten Killer Application sowie ein zu hoher Kaufpreis. Deswegen lag die Hoffnung auf Nintendo, damals noch unangefochtener Videospiel-Weltmarktführer, der neuen Technologie mithilfe seiner Erfahrung und Marktmacht zum Durchbruch helfen zu können. Konzernchef Hiroshi Yamauchi verkündete deswegen stolz den Einstieg in den aufgehenden Multimedia-Markt, gab Unsummen an Forschungsgeldern aus und ging mächtige Allianzen mit anderen großen Unternehmen ein.

Die Nintendo Play Station, Paradoxon der heutigen Zeit

Nintendos Partner hieß Sony. Bereits 1988 hatten die beiden Unternehmen einen Vertrag abgeschlossen, der die gemeinschaftliche Arbeit an einem CD-ROM-Laufwerk für das damals noch unveröffentlichte SNES vorsah. Jenes neue Gerät sollte SNES CD heißen, die zugehörigen Massenspeichermedien hörten auf den Namen Super Disc. Darüber hinaus plante Sony die Entwicklung eines eigenen Gerätes, das sowohl SNES-Module als auch die Super Discs des SNES CD unterstützen sollte. Diese Konsole hieß Play Station – ja, mit Leerzeichen. Überdies stellte Sony den Tonchip für das SNES her.

Die Idee zu einer eigenen Spielekonsole wurde innerhalb von Sony durch den Ingenieur Ken Kutaragi voran getrieben – der Mann, der den Soundchip für Nintendos SNES konstruiert hatte und später Chef von Sonys PlayStation-Sparte wurde. Trotz Gegenwindes innerhalb der eigenen Reihen konnte Kutaragi damals sein Vorhaben durchsetzen – dank Unterstützung von Olaf Olafsson, dem damaligen Chef von Sony Electronic Publishing, und Nintendo. So entstand die Nintendo Play Station.

Ärger im Paradies

SNES CD und die Nintendo Play Station waren eine große Sensation: Die Allianz zweier führender Technologieriesen sollte dem neuen Speichermedium und damit der Multimedia-Welle endlich die Straße ebnen. So jedenfalls muss es die Industrie gesehen haben, als Sony im Juni 1991 auf der Consumer Electronics Show (CES) die Play Station ankündigte. Doch hinter den Kulissen sah alles ganz anders aus; in Wahrheit lag die Partnerschaft von Nintendo und Sony bereits in Scherben. Wer war dafür bloß verantwortlich?

Wie aus Freunden Feinde werden

Der Vertrag zwischen den beiden Unternehmen von 1988 gestand Sony die Herstellungs- und Lizenzierungsrechte der Super Discs zu. Für Nintendo war dies nicht hinnehmbar, denn so konnte Sony dem japanischen Videospiel-Platzhirsch die Marktmacht streitig machen. Hinzu kam, dass Nintendo wegen des SNES-Tonchips zusätzlich von Sony abhängig war. Der Vertrag hatte also eine entscheidende Schwachstelle: Er ermöglichte es Sony, Nintendo abhängig, angreifbar und ausnutzbar zu machen. Und wenn es eine Sache gab, die Hiroshi Yamauchi als Geschäftsmann entschieden störte, dann war das die Abhängigkeit von einem fremden Unternehmen.

Es liest sich wie der Klappentext eines Groschenroman: Yamauchi wollte die Pläne des vermeintlichen Partners auf alle Fälle und so schmerzvoll wie möglich vereiteln. Darum leitete er die nötigen Schritte ein, um Nintendo of America hinter Sonys Rücken mit Philips zusammenzubringen. Ausgerechnet Philips: Sowohl Sony als auch der niederländische Elektro-Konzern waren Vorreiter der CD-ROM-Technik und hatten zusammen am Multimedia-Gerät CD-I gearbeitet. Doch dann trennten sich beide Unternehmen; Philips veröffentlichte das CD-I eigenständig und Sony nutzte die Arbeit mit Nintendo an der Play Station, um ein Konkurrenzprodukt zum CD-I auf die Beine zu stellen. Und während Sony seinen Ex Philips mit Nintendo betrog, betrog Nintendo seinen Partner Sony mit Philips.

Ursprünglich ein Gemeinschaftsprojekt zwischen Sony und Philips, brachten die Niederländer das CD-I schließlich alleine auf den Markt. Das Multimedia-System knackte nicht einmal die Millionen-Marke.

Blamierende Bloßstellung am Pressepranger

Leider muss der Bericht auf Telenovela-Niveau weitergehen: Nintendo of America und die CD-I-Sparte von Philips unterzeichneten im Mai 1991 einen Vertrag, demzufolge Philips bei der Entwicklung eines CD-ROM-Laufwerkes für das SNES hilft und Nintendo im Gegenzug seine künftigen CD-Spiele mit dem CD-I kompatibel macht. Dies bot für beide beteiligte Seiten große Vorteile: Philips erhoffte sich einen verstärkten Absatz seines Multimedia-Systems, und Nintendo standen, anders als beim Deal mit Sony, die vollständigen Lizenzierungs-Rechte zu. Wie schon auf dem NES und dem SNES würde Nintendo sein Software-Monopol somit auch im CD-ROM-Zeitalter fortsetzen können. Zudem konnte Nintendo Sony, offen gesagt, möglichst gepflegt den Arsch versohlen. In der Öffentlichkeit gab Nintendo natürlich öffentlichkeitstauglichere Gründe an: Philips' CD-Technologie sei ganz einfach der von Sony überlegen.

Genau einen Tag nachdem Sony auf der CES die Nintendo Play Station angekündigt hatte, machten Nintendo und Philips auf derselben Messe ihre Pläne publik. Das Timing war perfekt, um Sony in der Öffentlichkeit bloßzustellen. Erst zwei Tage vorher erfuhr Sony von jener Pressekonferenz und vor allem deren Inhalt und versuchte alles, um die anstehende Blamage zu verhindern: Telefonate mit den höchsten Etagen bei Nintendo und Philips; juristische Drohungen; sogar die für den nächsten Tag geplante Play Station-Ankündigung überlegte man zwecks Schadensbegrenzung abzusagen. Doch es brachte alles nichts: Die Zeit rannte Sony davon und Nintendo war zu sehr entschlossen.

Sony statt Sonic: Wie sich Nintendo einen neuen Erzrivalen schuf

Nintendos Vorgehen sorgte in der Öffentlichkeit natürlich für großes Aufsehen. Denn der Videospielriese ging ungewöhnlich gnadenlos vor: Er erniedrigte öffentlich einen großen Konzern und, was in Japan ebenfalls eine große Rolle spielte, betrog einen heimischen Hersteller mit einem fremden. Sony warf Nintendo zwar die Verletzung eines Exklusivvertrages vor, Nintendo hingegen argumentierte, Schlupflöcher innerhalb des wie in Japan üblich vagen und knappen Papieres ausgenutzt zu haben und somit nicht gegen das Dokument zu verstoßen. Da Sony das Projekt Play Station dennoch nicht aufgeben wollte und deswegen weiter mit Nintendo verhandeln musste, kam es nie zu einem Gerichtsstreit oder dergleichen. Wollte Sony die Partnerschaft wirklich durchbringen, musste es klein beigeben und Nintendo Lizenzierungsrechte beim CD-Format für SNES CD zugestehen.

Monatelang führten beide Seiten Verhandlungen, um die Differenzen aus dem Weg zu räumen. Im Oktober 1992 einigten sich die Konfliktparteien schließlich tatsächlich zugunsten von Nintendo, doch auch dieses Abkommen würde keinerlei Früchte tragen. Stattdessen unterstützte Sony Nintendos Rivalen Sega bei dessen Mega-CD-System. Außerdem entwickelte Sony die Play Station selbständig als völlig neue Konsole mit CD-ROM-Laufwerk weiter und brachte sie Ende 1994, ohne Leerzeichen, auf den Markt. Die PlayStation konkurrierte in der fünften Konsolengeneration mit Nintendos N64 und dem Sega Saturn, konnte mit über 100 Millionen Verkäufe diese Schlacht der Konsolenkriege eindeutig für sich entscheiden und Nintendos Marktmacht nachhaltig schwächen. Vorbei waren die Zeiten, in denen Sega Nintendo unter Druck setzte: Sony hatte sich erfolgreich mit dem Platzhirsch angelegt.

Screenshot aus einem der berühmt-berüchtigten „Zelda“-CD-I-Spielen

Vier Schmarrnspiele und eine Konkurrenzkonsole

Diese Konsequenzen hatte Nintendo damals natürlich nicht kommen sehen. Das CD-ROM-Laufwerk kam indes nie auf den Markt, trotz langer Verhandlungen und offizieller Ankündigungen. 1993, als das Ende des schicksalträchtigen Projekts SNES CD verkündet wurde, arbeitete Nintendo immerhin schon an einer völlig neuen und viel leistungsfähigeren 64-Bit-Konsole. Doch all die ambitionierten Pläne, die Kooperationen mit Sony und Philips, waren gescheitert. Selbst eine geplante „Super Mario World“-Fortsetzung für das CD-I mit Untertitel „Wacky Worlds“ schaffte es nie auf den Markt.

Die einzigen Produkte, die es im Rahmen der Philips-Kooperation tatsächlich auf den Markt schafften, waren vier Nintendo-Spiele exklusiv für das gefloppte CD-I: „Mario Hotel“, „Link: The Faces of Evil“, „Zelda: The Wand of Gamelon“ und „Zelda's Adventure“. Die Qualität dieser extern entwickelten Titel reichte von schlecht bis bodenlos miserabel. Weil Nintendo den Deal mit Sony ausschlug, schuf dieses eine mächtige Konkurrenzkonsole, während in Nintendos Namen bloß vier Spiele entstanden, die sich zudem einzig durch schlechte Qualität einen Namen machten.

Juli 2015: Die Nintendo Play Station taucht in der Wildnis auf

Die Nintendo Play Station, die nie war, ist indes als einzigartiges Kuriosum in die Annalen der Videospielgeschichte eingegangen. Bloß 200 Prototypen der bekannten aber nie öffentlich vorgestellten Konsole sollen hergestellt worden sein. Erst vor wenigen Wochen, Anfang Juli 2015, machte eine große Meldung die Runde: In der Sammlung von Olaf Olafsson soll eines dieser Prototyp-Exemplare überlebt haben und seinen Weg in die Hände des Reddit-Users analogueboy gefunden haben.

Was abenteuerlich klingt, scheint der Wahrheit zu entsprechen: In einem YouTube-Video präsentierte der Mann ein Gerät, das SNES-Module sowie CD-ROMs unterstützt, SNES-Controller-Anschlüsse aufweist und mit dem Sony-, dem Nintendo- sowie dem frühen PlayStation-Logo geschmückt ist – eine offenbar fast finale Version der Nintendo Play Station. Selbst die bei vielen SNES-Systemen zu beobachtende Vergilbung hat vor diesem heiligen Gral der Videospielsammler nicht Halt gemacht. Was der Sensationsfund als Quelle für Videospielhistoriker bedeutet und ob sich der Finder eine goldene Nase verdient hat, ist derzeit allerdings noch abzuwarten.

Quelle: David Sheff, Game Over: How Nintendo Zapped An American Industry, Captured Your Dollars, And Enslaved Your Children, 1993, Kap. 15: Sonic Boom, S. 349–389


In unserer jeden zweiten Sonntag erscheinenden Rubrik „Inside Nintendo“ berichten wir über die Geschichten hinter Spielen, Serien, Konsolen, Studios und Personen rund um Nintendo. Eine Übersicht aller bislang veröffentlichten Ausgaben ist unter diesem Link zu finden.